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VEREINZELTE MUSKETENSCHÜSSE HALLTEN vom anderen Ufer des Flusses herüber. Konowa stand an der Böschung und sah zu, wie die ersten Strahlen der Morgensonne über den Horizont krochen.
Es würde ein Gemetzel werden.
Er öffnete den obersten Knopf seiner Uniformjacke und verstieß damit direkt gegen die Uniformordnung von Prinz Tykkin, der, wie er wusste, immer noch innerhalb der Festung nach Spuren des Sterns suchte. Zweifellos würde das Musketenfeuer irgendwann den Prinzen veranlassen, herunterzukommen und die Schlacht zu kommandieren, aber bis dahin gehörte das Regiment ihm, Konowa.
Das Erste, was er aus dem Nebel auftauchen sah, waren die Flügelklappen der Tschakos seines Voraustrupps. Die Soldaten marschierten geordnet in Zweierreihen etwa dreißig Meter weit, drehten sich um, sanken auf ein Knie und zielten auf die heranstürmenden Reihen der Elfkynan, gut hundert Meter entfernt. Während sie das taten, standen die Soldaten, die zuvor gefeuert hatten, auf, marschierten etwa weitere dreißig Meter an ihren Kameraden vorbei, wo sie die gleiche Position einnahmen und ihre Musketen rasch, aber ruhig luden.
Regimentssergeant Lorian dirigierte sie dabei die ganze Zeit, ging gelassen zwischen den Soldaten des Voraustrupps hin und her, deutete auf Ziele, bellte Befehle und ermahnte sie ständig, keinen Schuss zu verschwenden.
Trotz der Genauigkeit, mit der die Soldaten schossen – Konowa sah, wie viele Elfkynan fielen und nicht mehr aufstanden –, schien der Feind vollkommen unbeeindruckt zu sein. Die Elfkynan achteten auf die Schüsse ebenso wenig, wie sie auf ein paar Moskitos geachtet hätten. Sie marschierten ruhig weiter, hielten ihre Mioxjas hoch in der Luft und hoben die Gesichter zum Himmel, während sie sangen. Gegen eine solche Armee hatte Konowa noch nie gekämpft; sie wirkte eher wie eine sehr große Festgesellschaft.
Es würde ein Massaker werden.
Der Voraustrupp feuerte weiter, auch wenn er nicht vollkommen ungeschoren davonkam. Zwei verwundete Soldaten kamen bereits über die Brücke zurück. Der eine presste ein blutiges Taschentuch an den Schenkel, der andere hielt seinen Arm, aus dem ein Pfeil herausragte. Konowa sah an ihnen vorbei und bemerkte, wie ein anderer Soldat auf den Boden sank und ihm die Muskete aus den Händen glitt. Lorian ging einen Moment später zu dem Gefallenen, packte ihn an der Schulter und drehte ihn um. Dann richtete er sich auf und gab den restlichen Soldaten einen Befehl. Der Regimentssergeant bot ein verlockendes Ziel für die Bogenschützen der Elfkynan, denen offenkundig weniger nach Feiern zumute war als ihren Brüdern, aber obwohl die Pfeile rings um den Regimentssergeanten niedergingen, blieb er unverletzt.
Konowa schätzte die Geschwindigkeit des Voraustrupps und der herannahenden Elfkynan ab und wusste, dass er nicht viel Zeit hatte. Die Soldaten würden schon bald den Fluss überqueren, dieses braune Wasser, das die letzte Barriere zwischen den Stählernen Elfen und den wilden Elfkynan war, die nur daran dachten, den Oststern zu finden und das Calahrische Imperium ein für alle Mal aus ihrem Land zu jagen. Konowa schloss einen Moment die Augen und versuchte, seine Sinne über den Fluss hinauszuschicken, suchte nach dem Stern. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er wirklich daran glaubte, dass er real war, nicht so real jedenfalls wie die Eichel, die kalt und schwer an seiner Brust lag. Doch als er sah, wie die Elfkynan anrückten, gab ihm das zu denken. Sie jedenfalls schienen an ihn zu glauben.
Konowa öffnete die Augen kurz darauf, ohne mehr als das übliche Chaos entdeckt zu haben. Dafür sah er, wie sich die Streitkräfte der Elfkynan teilten. Die Hauptmacht der Rebellenarmee marschierte direkt auf Luuguth Jor zu, während zwei kleinere Züge ausscherten und sich daranmachten, das Dorf und die Festung in die Zange zu nehmen. Konowa hatte damit gerechnet und zwei Züge der C-Kompanie in dem Spalt zwischen den Bäumen positioniert. Er hätte das Gleiche gern auf der anderen Seite getan, aber da es dort keinen Spalt zwischen den Bäumen gab, wären diese Truppen Gefahr gelaufen, abgeschnitten zu werden. Stattdessen hatte er zwei weitere Züge der C-Kompanie durch den Spalt geschickt und in westlicher Richtung Position beziehen lassen. Wenn die Heeressäule der Elfkynan über den Fluss kam und dann einen Bogen um die Bäume machte, um das Regiment zu überraschen, würde es ein böses Erwachen für sie geben.
Ein Pfeil flog nur ein kleines Stück an Konowas Gesicht vorbei, prallte von einem Lehmziegel ab und landete vor seinen Füßen. Er bückte sich und hob ihn auf. Als er ihn zwischen den Fingern drehte, bemerkte er die rudimentäre Fiederung. Die Spitze war nicht einmal im Feuer gehärtet. Er konzentrierte sich einen Moment, verbrannte den Pfeil dann in wenigen Sekunden mit seinem Frostfeuer. Diesmal bewirkte er keine Schreie in seinem Kopf, keine Qualen, sondern nur ein etwas unerfreuliches Gefühl von Bedauern, das er rasch unterdrückte.
»Kavallerie, Major!«
Konowa blickte hoch und sah eine elfkynische Schwadron, die zum Fluss galoppierte. Sie schwenkte abrupt ab und ritt parallel dazu, um hinter den Voraustrupp zu gelangen und ihm den Rückweg abzuschneiden. Wäre das Gras nicht so hoch gewesen und der Boden so uneben, wären sie mitten durch sie hindurchgeritten. So gelang es ihnen nur, die Soldaten zusammenzutreiben, die daraufhin leichte Ziele für das Hauptheer der Elfkynan wären.
»Noch nicht feuern!«, befahl Konowa. »Wartet, bis die ersten Pferde die Brücke erreichen.« Er wünschte, er hätte statt seines Säbels eine Muskete in den Händen.
Ohne auf Widerstand zu treffen, ritten die Elfkynan am Flussufer entlang, und ihre Mioxjas gaben ein schrilles, klagendes Pfeifen von sich, als sie sie über den Köpfen schwangen. Der erste Reiter war noch gut zwanzig Meter von der Brücke entfernt, als eine Muskete auf der linken Seite knallte. Der Fluss war nur fünfzig Meter breit, also kaum mehr als ein großer Graben, und ein Pferd zu treffen war nicht schwierig. Die Kugel zerschmetterte die Schulter des Reiters und warf ihn auf den Hals seines Pferdes, das daraufhin in die Knie ging.
»Erste Reihe, Salve … Feuer!«, schrie Konowa. Achtzig Kugeln flogen über den Fluss, achtzig Hämmer schlugen Funken in achtzig Pfannen, achtzigmal ertönte der scharfe Knall einer explodierenden Pulverladung, welche die Kugeln aus den Mündungen trieb. Graue, funkenstiebende Rauchwolken quollen ein paar Meter nach vorne, bevor sie sich in der Luft auflösten.
Die Wirkung der Salve war verheerend. Zwölf Pferde wurden von den Musketenkugeln niedergestreckt. Sieben Reiter wurden getroffen, und eine Kugel riss einen Reiter aus dem Sattel, als sie zum einen Ohr hinein und zum andern hinausflog. Die Schreie der sterbenden und verwundeten Pferde sowie der sterbenden und verwundeten Elfkynan drangen über den Fluss. Die restlichen Reiter mussten ihre Pferde zügeln, um sich langsam einen Weg durch ihre gefallenen und verwundeten Kameraden suchen. Das war der Moment, auf den Konowa gewartet hatte.
»Zweite Reihe, vortreten! Erste Reihe, zurück, nachladen!«, schrie er und hörte, wie seine Befehle von Sergeanten innerhalb der Schlachtreihen weitergegeben wurden. Das blecherne Klappern der Pulverstöcke in den Musketenläufen erinnerte Konowa an vergangene Schlachten, und er lächelte. Es war ein dünnes Lächeln, das nur seine Zähne zeigte. Es hätte jeden erschreckt, der es gesehen hätte.
»Erste Reihe, Salve … Feuer!«
Diesmal feuerten sechzig Musketen, aber ihre Wirkung war nicht zu erkennen, weil der Rauch von der zweiten Salve sich mit der der ersten und dem Nebel mischte, der immer noch über dem Fluss hing und einen Teil des anderen Ufers verbarg. Ein leichter Wind fuhr kurz darauf durch den Raum, sodass Konowa etwas sehen konnte. Er zählte mindestens zehn weitere gefallene Reiter zusammen mit etlichen Pferden. Auf der gegenüberliegenden Uferseite herrschte vollkommene Verwirrung. Die Kavalleristen ritten ungeordnet umher, unsicher, ob sie angreifen oder zurückweichen sollten. Es wurde Zeit, für sie zu entscheiden.
»Die Kanone feuert auf mein Kommando, und wehe, wenn ihr vorbeischießt … Feuer!«
Zwei laute Donnerschläge rollten durch die Luft. Die Kanonen waren mit Kartätschen geladen. Das waren Blechdosen mit fünfzig Musketenkugeln, die mit dünnen Metallbändern an einem runden hölzernen Pflock festgebunden waren. Das alles war an einem Beutel befestigt, in dem sich Schwarzpulver befand. Die Kartätschen platzten durch die Gewalt der Explosion, wenn sie das Kanonenrohr verließen, und fächerten sich auf der anderen Flussseite über etwa zehn Meter Breite aus. Kopf und Hals eines Pferdes verschwanden einfach im roten Nebel. Sieben weitere stolperten und stürzten zu Boden, zwei von ihnen rollten in den Fluss und rissen ihre schreienden Reiter mit sich. Einer der Reiter stand mitten in dem Gemetzel. Sein linker Arm war vollkommen zerfetzt, und Blut spritzte in hohem Bogen aus dem Stumpf an seiner Schulter. Doch statt wegzulaufen, schüttelte er seine rechte Faust in der Luft, mit der er seine Mioxja umklammerte, und verfluchte die Stählernen Elfen.
Er war entweder sehr mutig oder sehr dumm, und Konowa bewunderte ihn. Nur schade, dass dieser Soldat bei der nächsten Salve fallen würde. Konowa wollte gerade die erste Reihe feuern lassen, als er hörte, wie der Hornist der Elfkynan-Kavallerie zum Rückzug blies. Der schwer verletzte Kavallerist schwankte, weigerte sich jedoch, sich zu bewegen. Er schrie immer noch, obwohl er den unverletzten Arm jetzt hatte herabsinken lassen.
Dann wurde Konowas Aufmerksamkeit abgelenkt, als die hünenhafte Gestalt von Hrem Vulhber in Sicht kam, neben dem die anderen Stählernen Elfen wie Zwerge wirkten, als sie sich den Weg durch die Toten und Sterbenden bahnten. Lorian folgte dicht hinter ihnen. Er ging hoch aufgerichtet und brüllte seinen Soldaten Befehle zu, während die Armee der Elfkynan ihnen im Nacken saß. Er winkte Konowa zu und signalisierte mit seiner Hellebarde, dass der Voraustrupp geordnet und in der Lage wäre zu kämpfen. Die stählerne Spitze seiner Waffe war rot gefleckt, ein stummes Zeugnis dafür, dass ihm wenigstens ein Rebell ein bisschen zu nahe gekommen war.
Konowa legte eine Hand an seinen Mund und schrie ihm einen Befehl zu. »Schaffen Sie Ihre Männer über den Fluss, Regimentssergeant! Sorgen Sie dafür, dass es wie eine Flucht aussieht!«
Lorian bestätigte den Befehl und schrie seinen Männern neue Anweisungen zu. Ihr kontrollierter Rückzug verwandelte sich plötzlich in eine wilde Flucht zum Fluss und zu der behelfsmäßigen Brücke. Von den Schlachtreihen der Elfkynan, die unmittelbar hinter ihnen marschierten, stieg ein Jubelschrei auf. Offenbar dachten die Soldaten, die Silberjacken hätten es endlich mit der Angst bekommen und würden weglaufen.
Als die Soldaten des Voraustrupps zurückwichen, scherte einer von ihnen nach rechts aus, wo der einarmige Kavallerist der Elfkynan noch immer stand, und rammte ihm sein Bajonett in den Rücken. Der Elfkyna schrie auf und stürzte zu Boden. Der Soldat rammte ihm erneut das Bajonett in den Leib, immer wieder, bis das Schreien aufhörte. Dann durchsuchte er hastig die Kleidung des toten Elfkyna und schloss sich wieder den Soldaten an, die über die Brücke zurückmarschierten.
Konowa sah den wieselgesichtigen Soldaten, als er vom Steg heruntertrat, und winkte ihn zu sich. Der Soldat sah sich kurz um, offenbar in der Hoffnung, dass Konowa jemanden anderen gemeint haben könnte, aber als er sah, dass dem nicht so war, marschierte er zu dem Major.
»Soldat Gorton Zwitty, Major«, sagte er und salutierte.
»Warum haben Sie den Elfkyna erstochen?«
Zwitty sah ihn verwirrt an. »Welchen, Sir? Ich habe einige dieser Heiden umgelegt. Haben gequietscht wie kleine Mädchen, diese Feiglinge!«
Konowa riss sich zusammen und deutete über den Fluss. Ihm war bewusst, dass Lorian und etliche andere Soldaten sie beobachteten. »Ich meine den, der einen Arm verloren hatte.«
»Warum ich ihn niedergestochen habe?« Zwitty war von der Frage ganz offenkundig verwirrt.
»Antworten Sie dem Major!«, blaffte Lorian ihn an, und Zwitty fuhr erschreckt zusammen.
Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich habe das getan, was der Major uns befohlen hatte: Wenn sie eine dieser Mo… Mo… Grasdinger hätten, sollten wir sie erledigen. Also habe ich es gemacht.«
Konowa begriff, dass es keinen Sinn hatte, und bedeutete dem Soldaten zu verschwinden. Dann sah er, dass Lorian ihn anblickte, und ließ sich von dem Regimentssergeanten Bericht erstatten.
»Die Elfkynan sind ein chaotischer Haufen«, begann Lorian, der nach der Anstrengung der letzten Stunden immer noch schwer atmete. Sein Gesicht war gerötet, und seine Augen hatten einen wilden Ausdruck, den Konowa sehr gut kannte. Es war diese unbeschreibliche Erregung, wenn man in einer Schlacht gefochten und sie überlebt hatte. Dieses Gefühl hatte er in seiner Verbannung schrecklich vermisst.
»Sie haben eine armselige Disziplin und sind mehr ein Haufen als eine Armee. Außerdem scheinen die Mistkerle nicht im Geringsten davon beeindruckt gewesen zu sein, als wir auf sie geschossen haben. Sie haben die ganze Zeit nur ›Sillra, Sillra‹ gesungen. Die Hauptarmee scheint ungefähr zweihundert Mann lang und dreißig breit zu sein.«
»Ihr Glaube an den Stern ist sehr stark.« Konowa fühlte einen Anflug von Enttäuschung, dass er so deplatziert war.
»Es scheint fast so, als glaubten sie, er würde sie davor bewahren, getötet zu werden«, erwiderte Lorian, dessen Atem sich langsam beruhigte, als die Aufregung der Schlacht von ihm abfiel. »Ich habe leider die beiden Flügel nicht gesehen, die sich abgespalten haben, also habe ich selbst nachgesehen. Der rechte Flügel zählt etwa zweitausend Mann. Der linke dürfte etwa genauso stark sein. Sie haben ihre Kavallerie selbst gesehen. Sie sind tapfer, aber solange sie auf ihrer Seite des Flusses bleiben, brauchen wir uns ihretwegen kaum den Kopf zu zerbrechen. Ich schätze, es sind dreihundert, höchstens vierhundert Reiter.«
»Sie haben selbst nachgesehen?«, fragte Konowa und blickte auf die blutige Spitze der Hellebarde.
Lorian verzog das Gesicht und nickte. »Da wo ich war, konnte ich nichts sehen, also habe ich mir eines von ihren Ponys geliehen und bin ein bisschen herumgeritten.«
Kavallerie. Lorian unterschied sich in dieser Beziehung nicht von Jaal; er ritt alles, was vier Beine hatte, ohne auf seine Sicherheit zu achten. Nachdem Konowa in den letzten Wochen selbst erhebliche Zeit im Sattel verbracht hatte, vermutete er allmählich, dass die Pferde mehr Verstand hatten als die Kavalleristen.
»Das war nicht genau das, was ich meinte, als ich sagte, keine Heldentaten«, meinte Konowa und unterband Lorians Proteste mit einer Handbewegung. »Der Herzog wäre nicht sonderlich erfreut, wenn ich seinen besten Sergeanten verloren hätte.« Er schüttelte den Kopf und lächelte. »Trotzdem, gut gemacht. Wenn ich richtig gerechnet habe, zählen die Rebellen sechstausend Mann in ihrer Hauptstreitmacht, zweitausend auf jedem Flügel und ein paar Hundert Reiter.« Er dachte einen Moment nach und stellte die Frage, vor der sie beide zurückscheuten. »Wie hoch sind unsere Verluste?«
»Zwei Tote und fünf Verwundete«, erwiderte Lorian schlicht.
Es schmerzte ihn, auch nur einen einzigen Stählernen Elf zu verlieren, aber es waren keine hohen Verluste, und dem Voraustrupp war es gelungen, die Aufmerksamkeit der Elfkynan auf sich zu ziehen, die im Moment auf den Fluss zumarschierten.
»Ich will, dass sie lobend erwähnt werden, und ihre Witwen sollen die volle Pension bekommen«, sagte Konowa, obwohl er wusste, dass das die Hinterbliebenen schwerlich über den Verlust eines geliebten Menschen hinwegtrösten konnte. »Sie sollen nicht umsonst gestorben sein.«
»Vorausgesetzt, dass sie wirklich tot sind.« Lorian ließ den Kopf sinken. Eiskristalle blinkten auf seiner Hellebarde, und das Blut auf der Spitze wurde dicker und dunkler. Ein perfekter runder Tropfen gefror, bevor er in dem kurzen Aufflackern einer schwarzen Frostflamme verschwand. Lorian blickte nicht einmal hoch.
Konowa sah sich um, um zu prüfen, ob sie beobachtet wurden, aber die Soldaten konzentrierten sich vollkommen auf den bevorstehenden Angriff der Elfkynan. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Lorian.«
Lorian hob den Kopf, als wäre er aus einem Traum aufgeschreckt worden. Er versteifte sich und salutierte. »Natürlich nicht, Major. Ich kümmere mich um die Verteidigungsstellungen«, sagte er und ging zum Steg, um den Abbau der Brücke zu überwachen.
Konowa schaute ihm nach und begriff, dass er es nicht länger aufschieben konnte. Die Soldaten verdienten eine Erklärung. Er ging zu ein paar Munitionskisten und stellte sich auf eine. Die Soldaten in der Nähe sahen ihn und stießen sich an, winkten andere zu sich. Schon bald ertönten überall Rufe, dass der Major eine Rede halten wollte.
»Soldaten der Stählernen Elfen! Die Schlacht hat begonnen«, begann er und zuckte zusammen, als ihm klar wurde, wie offensichtlich das war. Er schüttelte den Kopf und senkte die Stimme, während er auf die Gesichter hinabsah, die zu ihm aufblickten. Viele Männer lächelten. Sie vertrauten ihm vollkommen.
»Hier und heute wird die wahre Größe eures Herzens gemessen. Es wird Blut fließen, Nerven werden reißen, und Männer werden sterben. Täuscht euch nicht, es wird ein harter Tag. Aber ebenso gilt, dass wie an allen Tagen auch dieser der Nacht weicht und ein neuer Tag kommen wird.«
Ein paar gedämpfte Jubelrufe ertönten, aber der Gedanke an die bevorstehende Schlacht ernüchterte die Männer.
»Tröstet euch mit der Tatsache, dass ihr die außergewöhnlichsten Krieger seid, die jemals auf dieser Welt marschiert sind. Ihr seid die Stählernen Elfen und mit Gelübden an all jene gebunden, die vor uns gegangen sind. Ihre Stärke ist eure Stärke. Aber habt keine Angst davor, denn genau darin liegt eure Kraft!«
Die Jubelschreie wurden jetzt lauter. Musketen wurden in die Luft gereckt, und die Sonne ließ sie erstrahlen wie stählerne Blitze.
Konowa überlegte, was er noch sagen sollte, aber das Regiment jubelte weiter, noch während die Luft um sie herum kühler wurde. Unvermittelt riss er seinen Säbel aus der Scheide und hielt ihn in den Himmel.
»Für die Königin und Kaiserin! Für das Imperium! Für die Stählernen Elfen!«
Sie antworteten wie ein Mann, und ihre Stimmen drangen wie der kalte Ton einer Fanfare durch einen von Nebel verhüllten Wald.
Konowa schob seinen Säbel wieder in die Scheide, trat von der Kiste herunter und lächelte seine Männer an, die weiterjubelten. Jeder einzelne von ihnen glaubte die Lüge.
Als er an der Reihe entlangging, drang Jubel vom anderen Ufer zu ihnen herüber. Konowa hielt inne und versuchte zu hören, was sie schrien. Aber eigentlich spielte das keine Rolle. Die Anführer der Rebellen würden ihren Männern so ziemlich das Gleiche sagen und vielleicht die Macht des Sterns anrufen. Die Elfkynan würden, wie die Stählernen Elfen, die gleiche Lüge glauben und davon ausgehen, dass sie überleben würden, während andere starben.
Wessen Rede, fragte Konowa sich unwillkürlich, ist wohl näher an der Wahrheit gewesen?
Inja war in den Stallungen des Palastes zur Welt gekommen. Der warme, schwere Duft der großen Tiere hatte ihre Lungen von ihrem ersten Atemzug an gefüllt. Mit vier Jahren konnte sie jedes Pferd in den Stallungen reiten, selbst die großen Hengste. Mit sieben war klar, dass sie die Fähigkeit der Limoo sy besaß, die Gabe, Dinge zu wissen, die sich noch nicht ereignet hatten … sofern sie mit Pferden zu tun hatten. Jetzt, mit fünfzehn, konnte Inja auf die Minute genau vorhersagen, wann eine Stute fohlte, welches Pferd eine Kolik entwickeln und daran sterben würde, und zwar Monate bevor es passierte. Damit hatte der Stallmeister reichlich Zeit, das Tier zu einem guten Preis an einen ahnungslosen Käufer zu verscherbeln. Sie kannte das Schicksal jedes einzelnen Pferdes in den Stallungen, einschließlich des schnellsten Pferdes von allen, Hizurantha.
Inja ging langsam zu der Stallbox des dreijährigen grauen Wallachs. Das zehn Zentimeter lange Messer in ihrer Hand schien mit jedem Schritt schwerer zu wiegen.
Sie wusste, dass das, was sie tun wollte, eine Gnade war. Keine Kreatur sollte erdulden müssen, was das Schicksal für Hizu bereithielt; so etwas war wirklich schlimmer als der Tod.
Hizu witterte sie und wieherte voller Vorfreude. Er wusste, dass sie ihm immer ein Stück Keelafrucht mitbrachte. Inja blickte auf ihre Hand hinab und sah das kalte Glitzern des Stahls. War sie dazu wirklich in der Lage? Wenn sie sich nun irrte, wenn ihre Vision ein Irrtum gewesen war? Der Albtraum zuckte immer wieder durch ihren Verstand, so scharf wie das Messer in ihrer Hand.
Es war kein Fehler. Hizu würde schrecklich leiden; ihr blieb keine Wahl.
Schließlich erreichte Inja Hizus Box, hob die linke Hand und zog den hölzernen Riegel zurück, der die Stalltür sicherte. Langsam und ruhig schob sie den glatten schwarzen Riegel zurück, bis das vertraute Geräusch ertönte, mit dem er gegen den hölzernen Stopper schlug. Hizu schüttelte seine Mähne, schnaubte und stampfte mit den Vorderhufen.
»Es tut mir leid, Hizu«, sagte Inja, trat in den Stall und hob die Hand, um Hizus Halfter zu packen. Das Pferd senkte gehorsam seinen Kopf und beschnüffelte sie, suchte nach der Keelafrucht. Inja konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie tastete nach der kräftigen Ader an der Seite seines Halses. »Du hast etwas Besseres verdient.«
Das Messer in der Hand wurde kälter, und sie fröstelte vor Entsetzen angesichts dessen, was sie tun würde. Hizu spürte, dass etwas nicht stimmte. Er riss den Kopf hoch, und sein schneller Atem bildete Wolken in der eiskalten Luft im Stall. Inja blickte überrascht in den Nebel und dann auf ihre Hand hinab. Frost funkelte auf der Klinge des Messers.
»Was …?«, stieß sie hervor und drehte sich um, als hinter ihr jemand die Stallboxen betrat. Etwas unglaublich Kaltes packte ihre Kehle und hob sie in die Luft. Das Messer fiel ihr aus der Hand, als sie versuchte, die eisigen Finger um ihren Hals zu lösen. Die Kälte drang in ihren Verstand, verzerrte ihr Sehvermögen, während sie sämtliche Kraft aus ihren Gliedern saugte. Sie hörte Hizus schrilles Wiehern wie aus der Ferne, dann flog sie durch die Luft, und der eiskalte Schraubstock um ihren Hals verschwand. Sie prallte mit dem Kopf auf die Pflastersteine im Gang vor der Box, blieb jedoch noch lange genug bei Bewusstsein, um zu hören, wie Hizus Hufschläge auf dem Stein klapperten, bis sie in der Ferne verklangen.
Sir Faltinald Gwyn, Vizekönig von Elfkyna, ritt nach Luuguth Jor.