34
DIE REGENWOLKEN PLATZTEN wie überreife Melonen. Die kleine Patrouille war innerhalb von Sekunden vollkommen durchnässt. Eben noch lag die finstere Landschaft ganz ruhig da, und im nächsten Moment schien es, als wäre die Welt selbst erschüttert und alles in Aufruhr.
Alwyn wickelte ein kleines Stück Öltuch um das Schloss seiner Muskete, bezweifelte aber, dass es viel helfen würde. Das Pulver würde die Feuchtigkeit der Luft aufsaugen und dafür sorgen, dass man mit der Muskete nicht mehr schießen konnte. Seine Brille war vollkommen verschmiert, und das Prasseln des Regens auf seiner Haut verlieh ihm das Gefühl, als würde er zwei Meter unter Wasser marschieren.
Er griff hinter sich auf den Rücken und zog das kleine Stück Leinwand über den Käfig. Dann warf er einen kurzen Blick hinein, um nachzusehen, wie Quppy sich hielt. Den Sreex schien der Regen nicht im Geringsten zu stören. Die Regentropfen perlten von seinen ledrigen Federn einfach ab. Er erwiderte Alwyns Blick und knurrte leise, wobei er seine Zähne zeigte. Alwyn erwiderte das Lächeln und klopfte freundlich auf den Käfig. Er achtete jedoch darauf, keinesfalls die Finger zwischen die hölzernen Gitter zu stecken.
Bis zum Tagesanbruch dauerte es noch einige Stunden, und der Regen ließ nicht nach, was bedeutete, dass sie einfach blindlings drauflosmarschierten. Hinter sich glaubte er ein Platschen zu hören, doch bevor er sich umdrehen konnte, sah er eine hastige Bewegung vor sich. Alwyn hielt das Bajonett in diese Richtung und ging behutsam weiter, während er auf seine Schritte achtete, damit er nicht ausrutschte und in den Fluss fiel, der anschwoll und immer reißender wurde.
»… weg mit dem Ding!«
Alwyn blieb wie angewurzelt stehen und sah, dass er mit dem Bajonett Yimts Tschako zur Hälfte durchbohrt hatte. Er riss es heraus und brüllte eine Entschuldigung. Regenschleier waberten um sie herum und machten es unmöglich, mehr als ein paar Schritte in jede Richtung zu sehen.
»Ah’kop sagt, dass der Fluss innerhalb einer Stunde über die Ufer treten wird. Wir müssen einen großen Bogen schlagen und davon wegkommen.«
Andere Gestalten tauchten auf. Alwyn zählte rasch die Schatten und betete, dass es diesmal nicht einer zu viel wäre. War es auch nicht. Jetzt waren sie einer zu wenig.
Yimt musterte jeden einzelnen der Soldaten, und als er fertig war, schüttelte er den Kopf. Das Wasser spritzte in alle Richtungen, auch wenn das keinen großen Unterschied mehr machte. »Wo ist Alik?«
Im Dunkeln schüttelten die Leute die Köpfe. Alwyn erinnerte sich an das Platschen.
»Vielleicht ist er in den Fluss gefallen! Ich habe vor einer Minute ein Platschen gehört. Das könnte er gewesen sein.« Ihm wurde fast übel. Er hatte Alik gemocht.
»Zeige mir, wo es war!«, schrie Yimt und bedeutete Alwyn voranzugehen. Aber eine Hand hielt ihn auf. Sie gehörte Kritton.
»Er ist tot; vergesst ihn«, sagte der Elf. »Wir müssen weiter.«
Yimt packte den Arm des Elfs und schob ihn zur Seite. »Wir lassen niemanden zurück, nicht, wenn ich es verhindern kann. Also, bildet eine Reihe, packt einander am Gürtel und bewegt euch! Ally, zeig uns, wo du es gehört hast!«
Alwyn fühlte, wie Yimt seinen Gürtel packte, und ging dann in Richtung Fluss. Er stellte sich vor, dass Seeleute sich auf dem Meer genauso fühlten. Das Wasser spritzte in sein Gesicht, das Prasseln des Regens erstickte jedes andere Geräusch, und alles schien sich zu bewegen. Er tastete sich einen Schritt nach dem anderen vor, davon überzeugt, dass er plötzlich in den Fluss fallen und davongerissen würde wie Alik.
»Ich glaube, hier war es«, sagte Alwyn und versuchte, die Entfernung zu der Stelle zu schätzen, wo er zuvor gestanden hatte. Es muss hier gewesen sein. Er sah den Rand des Flusses, der kaum zwei Schritte entfernt war. Der Regen prasselte auf seine Oberfläche, und ab und zu trieben dunkle Gegenstände vorbei, schneller, als es Alwyn lieb war.
»Jetzt arbeite dich etwas flussabwärts.«
Bevor Alwyn sagen konnte, dass er nichts sah, stand Ah’kop neben ihm. Er packte seinen Arm und lächelte.
»Regen ist gut, bringt große Fische!«
Alwyn versuchte vergeblich zu lächeln. Der Elfkyna streckte seine andere Hand aus, und Alwyn griff danach. Er ertastete das Ende einer Liane.
»Halt gut fest, oder Ah’kop kommt nicht mehr zurück.« Im nächsten Moment war der Elfkyna verschwunden. Er war kopfüber in den Fluss gesprungen.
Alwyn schrie und holte wie verrückt die Liane ein, während er das Ende an Yimt weiterreichte. Die Liane straffte sich, und Alwyn wurde nach vorn gezogen, bevor es ihm gelang, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Der Fluss war jetzt gefährlich nahe. Er lehnte sich zurück gegen Yimt und versuchte rückwärtszugehen.
»Noch nicht, Ally, warte auf das Zeichen!«, schrie Yimt und schob ihn zurück.
In dem Moment zog jemand an der Liane, dann noch einmal. »Jetzt!«, schrie Yimt und begann die Liane einzuholen. Alwyn stemmte seine Hacken in die weiche Erde und zog ebenfalls. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, glitt die Liane durch seine Finger, als die anderen Soldaten sich ebenfalls daranhängten und Ah’kop aus dem Wasser zogen. Alwyn keuchte, holte tief Luft und schluckte einen Mundvoll Regen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Ah’kop noch am Leben sein könnte, ganz zu schweigen von Alik. Einen Augenblick später sah er etwas Dunkles im Wasser, und dann kroch Ah’kop ans Ufer. Er zerrte den schlaffen Körper von Alik hinter sich her. Dann zogen die anderen Soldaten die beiden fünf Meter vom Ufer weg.
»Ist er tot?«, erkundigte sich Alwyn und betrachtete Alik. Der Soldat trug noch seine Uniformjacke, seine Caerna und eine Socke. Alles andere hatte ihm der Fluss vom Körper gerissen. Er hatte die Augen geschlossen, und seine Haut war so weiß wie Knochen.
Ah’kop beugte sich über Aliks Kopf und lauschte. Nach ein paar Sekunden richtete er sich auf und ging zwei Meter zur Seite.
Also war Alik tot. Doch noch bevor der Gedanke ganz in Alwyns Bewusstsein gedrungen war, drehte sich Ah’kop herum, sprang hoch und landete mit beiden Füßen auf Aliks Brust.
Alwyn beobachtete stumm vor Staunen, wie der kleine Elfkyna noch mehrmals auf die Brust seines Kameraden sprang. Jedes Mal, wenn er landete, spritzte Wasser aus Aliks Mund, seine Arme und Beine zuckten hoch, als wären sie an Fäden gebunden. Beim letzten Sprung blieben die Arme oben, und er schlug damit heftig gegen Ah’kops Beine.
»Helft ihm hoch«, befahl Yimt. Ah’kop sprang leichtfüßig zur Seite, als Scolly und Teeter Alik unter den Armen packten und ihn aufrichteten. Alik hustete und keuchte, aber er war eindeutig am Leben.
»Geht es dir gut?«, brüllte Yimt und packte Aliks Uniformjacke, um ihn zu stützen. Alik hustete noch ein paar Mal, bis er schließlich wieder zu Atem kam.
»Ich … ich glaube schon. Gerade noch marschierte ich hinter euch her, und im nächsten Moment verschwand der Boden plötzlich unter meinen Füßen, und ich lag im Fluss. Ich konnte mich an ein paar Binsen festhalten, aber ich ging immer wieder unter. Das ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann.«
Yimt nickte und ließ seine Jacke los. »Hast verdammt viel Glück gehabt. Jedenfalls hast du deine Waffe verloren und den größten Teil deiner Ausrüstung. Lass dir das eine Lektion sein. Das gilt auch für euch anderen.« Yimt drehte sich um und brüllte den anderen Soldaten zu. »Haltet die Augen offen und passt auf! Und jetzt haltet euch dicht zusammen und achtet darauf, wohin ihr tretet. Wir gehen weiter.«
Alwyn sah einen Stock in Schlamm liegen, hob ihn auf und gab ihn Alik. »Hier, das ist zwar nicht viel, aber immer noch besser als deine bloßen Hände. Nur für den Fall, dass wir auf etwas stoßen«.
Alik nahm den Stock und bedankte sich mit einem Nicken. Dann marschierten sie weiter, fast im rechten Winkel vom Fluss fort. Jeder Schritt vom Wasser weg fühlte sich wunderbar an, obwohl es unaufhörlich weiterregnete.
Schon bald marschierten sie zwischen niedrigen Büschen hindurch und erklommen eine kleine Anhöhe. Alwyn sorgte dafür, dass er jederzeit mindestens zwei Kameraden sah, und stolperte mehr als einmal über eine Wurzel, die er übersehen hatte. Nach einer Stunde befahl Yimt einen Halt und zählte durch. Diesmal waren sie neun.
Yimt befahl ihnen, sich zusammenzukauern, und warf dann ein Stück Segeltuch über sie alle. Dadurch sorgte er dafür, dass wenigstens ihre Köpfe im Trockenen waren. Es klickte, zischte, und dann flackerte eine kleine Laterne auf. Ihre winzige Flamme warf einen warmen Schein auf eine sehr merkwürdige Szenerie von scheinbar körperlosen Köpfen.
Alwyn nahm den Käfig vom Rücken und stellte ihn in die Mitte des Kreises, damit Quppy wenigstens eine Weile vor dem Regen geschützt war. Yimt stellte die Laterne auf den Käfig und klatschte in die Hände, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
»Ah’kop sagt, dass wir uns etwa eine Meile nach Westen vom Fluss entfernt haben. Von hier aus marschieren wir geradewegs nach Norden und sollten mit etwas Glück bei Tagesanbruch einen Wald erreichen. Wegen des Regens wird das Regiment dem Fluss auch nicht folgen können. Wenn wir also die Bäume erreichen, markieren wir einige, um ihnen zu zeigen, wo wir entlanggegangen sind. Ah’kop sagt, dass sein Volk den Wald immer meidet.« Yimt hob die Hände, um sämtlichen Widersprüchen zuvorzukommen. »Nein, nicht weil in dem Wald etwas lauert, sondern nur, weil sie ein Flussvolk sind und sich ans Wasser halten. Trotzdem, wenn wir den Wald erreichen, haltet eure Augen auf und bleibt dicht zusammen!« Yimt sah sich in dem Kreis um und musterte aufmerksam jedes Gesicht. Alwyn lächelte, als der Zwerg ihn ansah, und Yimt erwiderte das Lächeln. Seine metallischen Zähne glänzten im flackernden Licht.
Dann waren sie wieder unterwegs. Der Regen ließ allmählich nach, und da Yimt sie jetzt vom Fluss wegführte, kamen sie schneller voran.
Yimt spie Crutesaft aus und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Er blickte starr geradeaus, während er marschierte, und seine Armbrust lag immer noch in der Beuge seines linken Armes, als wäre sie dort angeklebt. »Das war sehr tapfer und dumm, dass du dich vorhin für diese Aktion freiwillig gemeldet hast. Vermutlich hast du das nur gemacht, weil du es nicht verpassen wolltest, wenn ich koche, und nicht wegen dieses schlüpfrigen Aals von einem Elf. Es ist schon lange her, dass jemand meine Kochkünste so geschätzt hat.«
Sie gingen schweigend weiter. Yimt kaute und spie Crutesaft, während Alwyn vergeblich überlegte, was er darauf erwidern sollte. Yimt war mehr Vater für ihn als sein leiblicher Erzeuger – ein Mann, der ihn und seine Mutter verlassen hatte, als Alwyn erst vier Jahre alt gewesen war.
»Wie ich höre, bereitest du einen ziemlich guten Bara Jogg zu«, sagte er schließlich.
Der Zwerg räusperte sich und spie einen Strom Crutesaft aus. »Ich soll Bara Jogg braten? Pah, statt ihn zu braten, schneide ich ihn lieber in Würfel für eine nette Suppe. Ich zeige dir, wie das geht, sobald wir Luuguth Jor erreicht haben.« Er drehte kurz den Kopf zu Alwyn herum, nickte und ließ sich dann zurückfallen, um neben Teeter zu marschieren.
Alwyn holte tief Luft und rückte den Käfig auf seinem Rücken zurecht. Quppy schüttelte sich einige Male und machte es sich dann wieder gemütlich. Alwyn nahm seine Muskete von der Schulter und bemerkte zufrieden, dass das Stück Kork, das er auf Yimts Geheiß in den Lauf gesteckt hatte, noch da war. Der Zwerg kannte wirklich alle Tricks – und vermutlich beherrschte er außerdem eine ganze Menge, von denen noch nie jemand etwas gehört hatte.
Und Kritton kennt sie auch, dachte Alwyn besorgt. Außer dass er ihnen geraten hatte, Alik einfach ertrinken zu lassen, hatte der Elf nichts Böses getan, jedenfalls nichts, was Alwyn mitbekommen hätte. Und das war das Problem. Sosehr sich Alwyn auch bemühte, es gelang ihm nie, den Elf mehr als ein paar Sekunden hintereinander im Blick zu behalten. Seine Fähigkeit, mit den Schatten zu verschmelzen, widersetzte sich jeder rationalen Erklärung.
Alwyn hatte nie so richtig an diese ganze magische, mystische Verbindung geglaubt, die Elfen angeblich zur Natur haben. Messer Yuimi hatte sich kaum von anderen Schustern unterschieden. Aus den Schuhen, die er reparierte, wuchs weder Efeu, noch verliehen sie ihrem Besitzer besondere Fähigkeiten. Das hatte Alwyn herausgefunden, als er einmal versucht hatte, von einem Baum auf einen anderen zu springen. Selbst der Major, der all den wilden Elfen glich, von denen er in den Märchen gehört hatte, wirkte nicht anders als die anderen Offiziere, die Alwyn kennengelernt hatte. Er war vielleicht freundlicher und intelligenter, aber trotzdem fest entschlossen, seine Aufgabe zu erledigen, ganz gleich, was es kostete. Zugegeben, Mistress Tekoy schien magische Kräfte zu haben, schließlich war sie ja auch eine Hexe. Kritton jedoch war anders. Vielleicht lag es auch daran, dass alle anderen Elfen, die Alwyn jemals kennengelernt hatte, im Grunde ihres Herzens gut waren. Kritton aber hatte ein finsteres Herz; vielleicht konnte er deshalb so gut mit den Schatten verschmelzen. Sei dem, wie es sein mochte, er würde jedenfalls nicht zulassen, dass der Elf Yimt irgendetwas antat.
Der Rest der Nacht verstrich wie hinter einem feuchten Schleier. Alwyn wusste nicht, was er mehr hasste: in der glühenden Sonne zu marschieren oder während des Regens im Dunkeln. Keines von beiden war angenehm, aber wenigstens konnte man den Regen trinken. Er verlängerte seine Schritte, um sich ein bisschen zu strecken. Irgendwann in der Nacht hatte sich an der Ferse seines linken Fußes eine schmerzhafte Blase entwickelt, und die Haut unter seinen Armen fühlte sich an, als wäre sie roh. Er war so nass, dass er nicht unterscheiden konnte, was seine Haut und was seine Kleidung war. Als er auf seine Hände blickte, überraschte es ihn nicht, dass seine Finger weiß und runzlig waren.
Er schaute immer noch auf seine Finger, als er gegen jemanden stieß. Überrascht blickte er hoch. Yimt und Ah’kop erwiderten in der Finsternis seinen Blick und flüsterten dann weiter miteinander, während sie auf einen dunklen undeutlichen Schatten vor sich deuteten. Die Sonne würde schon bald aufgehen und das Land um sie herum beleuchten. Halbzug drei sammelte sich und nahm Verteidigungsstellung ein; die Männer bildeten einen Kreis und hielten nach allen Himmelsrichtungen Ausschau. Sie zählten kurz durch. Es waren immer noch neun.
»Wir gehen jetzt zurück zum Fluss. Die Flut lässt nach, es ist wieder sicher«, sagte Ah’kop. Seine Stimme zitterte etwas.
»Und dann sollen wir durch den Schlamm kriechen?«, erkundigte sich Kritton. »Ich kann von hier aus den Pfad durch den Wald sehen. Wenn wir jetzt losgehen, können wir noch vor Einbruch der Dunkelheit den Wald hinter uns lassen und Luuguht Jor erreichen. Wenn wir auf diese Flussratte hören, kostet uns das drei Tage oder mehr.«
Ah’kop sagte etwas auf Elfkynisch, und Kritton antwortete in Hynta. Yimt befahl beiden, die Klappe zu halten.
»Die Zeit arbeitet gegen uns. Wir müssen so schnell wie möglich die Garnison erreichen, also nehmen wir den Weg durch den Wald.«
Alwyn brauchte nicht hinzusehen. Er wusste, dass Kritton zufrieden grinste.
»Vielleicht schafft ihr es, vielleicht nicht«, antwortete Ah’kop. »Jetzt, da wir hier sind, fühle ich, dass die Bäume nicht mehr sicher sind. Gehen wir am Fluss, sind wir in Sicherheit. Und fast genauso schnell.«
»Sie wollen doch wohl nicht auf diesen kleinen Elfkyna hören, Arkhorn?«, erkundigte sich Kritton.
Alwyn versuchte, über seine Schulter zu sehen, aber der Käfig auf seinem Rücken traf Scolly, als er versuchte, sich umzudrehen. Also gab er es auf und blickte wieder nach vorn über die Büsche, zwischen denen sie gerade hindurchgegangen waren.
»Es heißt Korporal, Soldat«, antwortete Yimt ruhig und gelassen. »Außerdem würde ich Ihnen dringend raten, darauf zu achten, was Sie sagen. Eines Tages wird Ihre Unbeherrschtheit Ihnen einen Haufen Scherereien eintragen.«
Langes Schweigen antwortete ihm. Alwyn sah Scolly an, wusste aber nicht, ob der Soldat sich überhaupt des Streites bewusst war, der vor ihnen stattfand.
»Also gut, wir gehen durch den Wald wie geplant«, erklärte Yimt schließlich. »Seid wachsam. Lasst euch nicht dabei erwischen, dass ihr zu lange in eine Richtung blickt, und haltet den Mund.«
Scolly wirkte verwirrt. »Wo ist da ein Weg?«
Halbzug drei machte kehrt, und jetzt sah Alwyn den Wald zum ersten Mal. Er glich wirklich nicht den Wäldern zu Hause. Alles strotzte vor Grün, und es gab mehr Blätter. Der Pfad, den Kritton erkennen konnte, war für Alwyn kaum auszumachen. Aber er wirkte breit genug für einen Karren, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wer von den Leuten, die hier draußen lebten, einen haben sollte.
Er deutete zu den Bäumen. »Siehst du, dort im Wald, da führt ein Pfad hindurch.«
Scolly kniff die Augen zusammen. »Was denn, durch diesen Wald?«
Yimt schlug mit der Faust auf die Seite seiner Armbrust. »Folgt ihm einfach.«
»Zwischen diesen Bäumen hindurch? Ich mag keine Bäume.« Scollys Stimme verriet echte Furcht.
»Was soll das heißen, du magst keine Bäume?« Yimt trat einen Schritt auf den Soldaten zu. »Es sind einfach nur Bäume. Kritton«, fuhr er fort, wirbelte herum und sah den Elf an. »Haben Sie ihm die Flausen in den Kopf gesetzt?«
Kritton schnaubte verächtlich. »Als wenn er auch nur einen Gedanken behalten könnte. Außerdem hat der Elfkyna gesagt, dass die Bäume nicht sicher wären, nicht ich.« Nach einem Moment stieß er ein scharfes Zischen aus und hob die Hände über den Kopf. Er blieb ein paar Sekunden so stehen, schloss dann die Augen und begann, auf elfisch zu singen.
»Was soll das?«, fragte Yimt und drehte sich zu Ah’kop herum, der ratlos den Kopf schüttelte.
Kritton sang einige Minuten weiter, hörte dann plötzlich auf, ließ die Hände sinken und öffnete die Augen. »Die Bäume sind uns freundlich gesonnen.«
»Woher wissen Sie das?«, wollte Scolly wissen.
Kritton lächelte, und Alwyn überlief es bei diesem Anblick kalt. »Ich habe sie gefragt. Die Bäume werden euch nichts tun.«
Scolly kratzte sich den Kopf. »Sind Sie sicher?«
Kritton legte eine Hand aufs Herz. »Vollkommen. Von den Bäumen habt ihr nichts zu befürchten.«
Das schien Scolly zu befriedigen, denn er marschierte bereits los in Richtung Wald. Yimt schnaubte verächtlich und bedeutete dem Rest des Halbzuges, sich in Bewegung zu setzen. Er ließ Kritton nicht aus den Augen, aber der Elf provozierte ihn nicht, und nach einer Minute setzte sich Yimt wieder an die Spitze der Patrouille.
Sie waren hundert Meter auf den Wald zugegangen, als der Regen nachließ. Als sie den Rand der Bäume erreichten, hatte der Regen aufgehört, und die Sonne warf ihre ersten Sonnenstrahlen auf das Land. Einige der Soldaten fluchten, aber Yimt brachte sie rasch zum Schweigen, und im nächsten Moment traten sie aus dem Licht in die Dunkelheit.
Mit jedem Schritt, den sie tiefer in den Wald eindrangen, wurde das Licht der Sonne gedämpfter, als würde es bereits wieder Nacht. Alwyn wusste, dass es an dem dichten Blattwerk über ihnen lag, aber dennoch überlief es ihn kalt. Quppy schien diese Strecke auch nicht zu gefallen, denn er knurrte, bewegte sich unruhig in seinem Käfig und schlug mit den Flügeln gegen die eisernen Stäbe. Schließlich musste Alwyn auf seinen Rücken greifen und mit den Knöcheln gegen den Käfig klopfen, um den Sreex zu beruhigen. Doch selbst dann knurrte Quppy weiter.
Alwyn befolgte Yimts Rat und sah sich ständig um, drehte unaufhörlich den Kopf und musterte beide Seiten des Pfades; gelegentlich warf er sogar einen Blick über die Schulter.
Der Sreex schlug wieder mit den Flügeln gegen die Stäbe. Yimt drehte sich herum und bedeutete Alwyn, den Vogel zu beruhigen.
»Verflucht, Quppy, du bringst uns beide in Schwierigkeiten«, flüsterte er, blieb stehen und streifte die Riemen des Käfigs von seinen Schultern. Yimt befahl dem Halbzug anzuhalten. Alle blieben stehen, wo sie waren, während Alwyn versuchte, den Sreex zu beruhigen.
»Ich wäre auch ärgerlich, wenn ich die ganze Zeit in einem Käfig sitzen würde. Möchtest du etwas trinken?« Er nahm seine Feldflasche, goss ein wenig Wasser in seine hohle Hand und hielt sie an die Gitterstäbe. »Nein? Hier, wie wäre es mit einem Riegel?« Alwyn zog aus seiner Gürteltasche einen grauen Block gebackenes Mehl, von dem die Imperiale Armee hartnäckig behauptete, es wäre Zwieback.
Quppy ignorierte ihn und schien zu erstarren. Sein Körper wirkte, als wäre er aus Holz geschnitzt. Er blinzelte nicht, und keine einzige Feder rührte sich.
Das Wasser mischte sich mit dem Zwieback in Alwyns Hand, und der graue Brei sickerte langsam durch seine Finger. Er fühlte sich plötzlich kalt an, als hätte er seine Hand in einen reißenden Strom getaucht. Er erschauerte und bemerkte dann, dass die Temperatur tatsächlich gefallen war.
Ein Blatt flatterte von einem Baum und landete auf seiner Handfläche. Es war geschrumpft, und die Ränder waren von Frost geschwärzt.