21

KONOWA FUHR HERUM und sah sich blankem Horror gegenüber.

Hundegroße Wesen mit schwarzen Hornpanzern tauchten aus den Schlingpflanzen auf. Diese Insekten, wenn es denn welche waren, gaben ein lautes Zirpen von sich, indem sie zwei gebogene Zangen aneinanderschlugen, die aus ihren rautenförmigen Köpfen ragten. Anstelle ihrer Augen hatten sie Fühler, die wild umherschwangen, als sie auf acht dürren Beinen vorwärtshuschten, die von schwarzen Haarborsten bedeckt waren.

Ein ungeheures Gebrüll ertönte, und Konowa sprang zur Seite, als panische Muraphanten an ihm vorbeidonnerten. Sie hatten ihre Rüssel hoch in die Luft gestreckt. Die schwarzen Insekten sprangen die panischen Tiere an, aber die vier Brindos flankierten diese, rammten die achtbeinigen Monster und trampelten sie nieder.

»Zu den Waffen!«, schrie Konowa und zückte seinen Säbel.

»Faeraugs!«, kreischte Visyna, die auf ihn zugerannt war. Sie sah seine verständnislose Miene. »Hundespinnen!«, wiederholte sie. »Man hat diese Monster seit Jahren in dieser Gegend nicht mehr gesehen! Das ist einfach unlogisch!«

Genauso wie die Rakkes, dachte er und trat einen Schritt vor, damit sie hinter ihm in Deckung blieb. Ohne seine Muskete kam er sich nackt vor, und er war wütend über sich, dass er sie bei seinem Sattel und dem anderen Gepäck gelassen hatte.

»Sie werden versuchen, Leute in die Schlingpflanzen zu zerren – das müssen wir verhindern!« In Visynas Hand blitzte das dünne Stilett.

»Bleibt hier!«, befahl Konowa und trat einen Schritt vor, um die nächsten Faeraugs anzugreifen, während immer mehr aus den Schlingpflanzen hervorkrochen.

»Major! Ihre Befehle?«

Konowa sah Lorian, der kaum zwanzig Meter von ihm entfernt eine Gruppe von Soldaten kommandierte. Die Männer! Ich bin Offizier, tadelte er sich. Er war für das Leben von Hunderten von Männern verantwortlich, nicht nur für sein eigenes. Er trat noch einen Schritt vor und zwang sich dann, stehen zu bleiben.

»Haltet euch nicht damit auf, die Muskete zu laden! Setzt die Bajonette auf! A- und B-Kompanie, zieht euch zur Straße zurück und lasst niemanden zurück! C-Kompanie zu mir!«, schrie er und ging langsam zurück zu dem Wagen, als die Faeraugs näher kamen.

»Nein!« Visyna hielt ihn am Arm fest. »Sie müssen bei den Feuern bleiben! Ihr braucht Licht!«

»Ich sehe gut genug«, erwiderte Konowa und befreite sich aus ihrem Griff.

»Aber die anderen nicht! Es sind keine Elfen, sondern Menschen!«

Konowa bemerkte seinen Fehler zu spät. »Verflucht!« Er brüllte seinen Männern zu, wieder zu den Lagerfeuern zurückzugehen, aber das Klicken und Zirpen war so laut geworden, dass ihn niemand verstehen konnte.

Plötzlich stürzte sich ein Faeraug auf Konowas Bein. Er schlug zu und teilte das Monster mit dem Säbel in zwei Teile. Sein Arm vibrierte; der Körper des Faeraug war so hart wie ein Holzblock. Etwas flammte in ihm auf, ein Gefühl kalter Macht, aber er hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Eine andere Hundespinne griff ihn von links an. Er wirbelte herum und rammte ihr den Säbel zwischen die Seiten. Diesmal drang die Klinge ohne Widerstand in das Monster, und ein Strom ölig schwarzer Flüssigkeit ergoss sich aus dem Maul der sterbenden Kreatur, als er seinen Säbel zurückzog. Einen Augenblick hatte er den Eindruck, als würde Frost auf der Klinge glitzern.

Dann registrierte er den Lärm und das Chaos hinter sich und blickte hoch.

Seine Soldaten schlugen wie verrückt um sich, stachen mit den Bajonetten zu und hämmerten mit den Schäften ihrer Musketen auf die Monster ein. Schreie und Gebrüll übertönten das schreckliche Klicken der Wesen. Ab und an blitzte es auf, und der scharfe Knall eines Musketenschusses ertönte. Offenbar war es einigen Männern gelungen, ihre Waffen zu laden und sie abzufeuern. Dann krachte es; zwei feurige Spuren zischten durch die Schwärze und detonierten eine Sekunde später. Körperteile der Faeraugs flogen hoch in die Luft. Aber auf jeden Schuss antworteten hundert klickende Schreie. Sie waren dem Gegner zahlenmäßig eindeutig unterlegen.

»Visyna, sagt den Muraphantenlenkern, dass sie brennende Äste aus dem Lagerfeuer nehmen und vorrücken sollen, damit die Soldaten etwas sehen können. Visyna!« Er wirbelte herum, konnte sie aber nirgendwo sehen. Er rannte zum Feuer, doch etliche Faeraugs stürzten sich sofort auf ihn. Ihr vereintes Gewicht warf ihn zu Boden. Doch statt sich abzustützen, krümmte sich Konowa und rollte sich ab, als er auf dem Boden landete. Dadurch schüttelte er die Kreaturen von seinem Rücken, und er sprang auf, bevor sie ihn erneut angreifen konnten. Mit derselben Bewegung schwang er seinen Säbel in einem Halbkreis vor sich und spürte, wie er dreimal festes Fleisch durchtrennte. Blitze schienen durch seinen Arm und seine Schulter zu zucken, aber es gelang ihm, seinen Säbel festzuhalten. Dann stolperte er zurück, als sich ein anderes Faeraug auf ihn stürzte. Ein Soldat trat vor ihn, spaltete das Monster und erledigte noch vier andere. Die Insekten huschten davon und suchten nach leichterer Beute.

»Danke«, sagte Konowa und packte mit seiner freien Hand die Schulter seines Retters.

»Wenn Sie sterben müssen, dann durch meine Hand und keine andere«, antwortete Kritton, warf Konowa einen bösen Blick zu und verschwand dann in der Nacht.

Konowa blieb keine Zeit, diese Angelegenheit zu diskutieren, weil ein neuer Schrei seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

»Der Prinz! Rettet den Prinzen!«

Die Kreaturen krochen in einer wogenden Masse über die Markise des Zeltes und drückten es allein durch ihr Gewicht herunter. Mit ihren Zangen durchtrennten sie mühelos den Stoff, sodass immer mehr von ihnen in das Innere des Zeltes eindringen konnten wie Wasser in ein sinkendes Schiff. Eine Gruppe von Soldaten, die von dem seinen Drukar schwingenden Zwerg Arkhorn angeführt wurde, hackte und stach sich den Weg zum Zelt frei, während von drinnen Schreie ertönten.

Sie schaffen es niemals mehr rechtzeitig, dachte Konowa. Er wusste nicht, ob ihn das wirklich bekümmerte. Er setzte sich zögernd Richtung Zelt in Bewegung, wurde jedoch sofort von etlichen Hundespinnen angegriffen, was jedem Gedanken, dem Prinzen zu Hilfe zu eilen, ein Ende bereitete. Konowa sah gerade noch, wie das Zelt zusammenbrach, während die Soldaten immer noch mehrere Schritte entfernt waren, bevor die Zangen der Faeraugs unmittelbar vor ihm seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Er schwang den Säbel hin und her, um einen freien Kreis um sich zu schaffen, während er langsam rückwärts zum Feuer zurückwich. Plötzlich dämmerte ihm, dass er etwas übersehen hatte. Es war nicht nur der Prinz, der Hilfe brauchte, sondern auch Rallie. Sie befand sich ebenfalls noch bei ihm im Zelt.

 

Alwyn umklammerte seine Muskete mit beiden Händen wie einen Prügel und schwang sie wild um sich. Er verfehlte das Faeraug, auf das er gezielt hatte, und fegte stattdessen Yimt den Tschako vom Kopf.

»Pass auf, wohin du dieses verdammte Ding schwingst! «, schrie Yimt ihn an. Er konnte sich gerade noch wegducken, als Alwyn nach einer anderen Kreatur schlug, während sie Seite an Seite die Hundespinnen abwehrten.

»Es sind zu viele!«, schrie Alwyn und holte erneut mit seiner Muskete aus. Diesmal traf er und spürte den befriedigenden Ruck, als der Kolben auf den Schädel eines Faeraug landete. Doch im nächsten Moment klammerten sich drei weitere an seine Muskete und rissen sie ihm aus den Händen. Ein anderes sprang ihm ins Gesicht, und Alwyn riss schützend die Arme hoch.

Plötzlich spürte er, wie er von den Beinen geholt wurde. Als er die Arme sinken ließ, bemerkte er, dass Yimt ihn mit einer Hand hochhob, während er seinen Drukar mit der anderen schwang. Alwyn versuchte die Waffe des Zwergs im Auge zu behalten, als Yimt die Hundespinnen abschlachtete, aber das war unmöglich. Die schwarze Klinge war kaum zu erkennen, als sie an seinen Ohren vorbeipfiff und eine Spur des Todes hinterließ.

Sie waren überall von Faeraugs umgeben, die nach einer Lücke in der Verteidigung suchten, aber wann immer sich eines auf sie stürzte, landete Yimts Drukar auf dessen Kopf. Ein schwarzer Sprühnebel umgab sie, und Alwyns Brillengläser waren vollkommen von dem öligen Blut der Kreaturen bedeckt.

»Yimt, setze mich ab, dann kann ich helfen!«, rief Alwyn, obwohl er nicht genau wusste, ob das auch stimmte.

Der Zwerg schwang unablässig seine Waffe. »Nein, du nützt mir mehr als Schild!«

»Was?«

»Das war nur ein Spaß, aber du wirst tatsächlich etwas schwer«, erwiderte Yimt, als er Alywn wieder auf den Boden setzte. »Such dir eine Waffe und halt mir den Rücken frei.«

Alwyn fuhr sich rasch über seine Brille und hob die erstbeste Muskete vom Boden auf, die er fand. Sie war glitschig von dem Blut und den Eingeweiden der Hundespinnen, und der Schaft war zerschmettert, aber sie war besser als nichts. Er riskierte einen kurzen Blick auf Yimt und war entsetzt über das, was er sah.

Der Zwerg hielt seinen Drukar in der rechten und ein Bajonett in der linken Hand. Beide Waffen waren von Blut überzogen. Aber es war Yimts Gesicht, das Alwyn erschreckte. Er hatte erwartet, eine wutverzerrte Miene auf dem Gesicht des »Kleinen Verrückten« zu sehen, doch stattdessen wirkte der Zwerg vollkommen ruhig. In diesem Moment begriff Alwyn, dass Yimt nicht nur ein Soldat war. Er war ein professioneller Killer, und er war in seinem Element.

Bedauerlicherweise galt das auch für die Faeraugs. Konowa sah zum Zelt zurück, konnte jedoch nicht mehr erkennen, wo genau es sich befand. Überall wimmelte es von Soldaten, und der Zwerg war ebenfalls nicht mehr zu sehen, falls er überhaupt noch lebte. Ein Faeraug wagte sich in den freien Kreis, und Konowa durchbohrte es mit einem zweihändigen Stoß. Er spießte es auf und rammte dabei seinen Säbel in die Erde.

Als er versuchte, die Klinge herauszuziehen, stellte er fest, dass sie feststeckte.

Die Hundespinnen schienen sein Problem zu spüren und krochen auf ihn zu.

Konowa sah sich hastig nach einer Waffe um. In seiner Verzweiflung packte er die Zange eines toten Faeraug und riss sie heraus, um sie als Waffe zu benutzen. Schwarzer Schleim sickerte aus dem abgerissenen Ende, überzog Konowas Hände und erschwerte es ihm, die Zange sicher festzuhalten.

Die Faeraugs kamen immer näher, und ihre Fühler schwankten heftig hin und her, als wollten sie sagen: Jetzt haben wir dich. Konowa bereitete sich gerade darauf vor, sie frontal anzugreifen, als ihn etwas wie kalte Nadeln in die Brust stach und er auf die Knie sank. Er wollte schreien, aber nichts drang aus seinem aufgerissenen Mund, kein Geräusch, nicht einmal ein Atemhauch. Bin ich tot?, dachte er und sah zu, wie die Faeraugs immer näher rückten.

Eine Hundespinne krabbelte auf ihren acht dürren Beinen bis auf wenige Zentimeter an ihn heran. Ihre Zangen öffneten und schlossen sich, dann kauerte sie sich hin, um ihm an die Kehle zu springen. Konowa versuchte seine Hand zu heben, aber sein Körper reagierte nicht. Andere Faeraugs drängten sich ebenfalls heran und machten sich bereit, über ihn herzufallen.

Die Eichel ihrer Wolfseiche an seiner Brust pulsierte wie sein eigener Herzschlag.

Das Faeraug sprang.

Dann schien alles im selben Moment zu geschehen.

Das Faeraug segelte durch die Luft und wurde von der Spitze eines Schwertes aufgespießt. Es zappelte heftig, als schwarzer Frost sich über ihm ausbreitete. Einen Moment später ging es in schwarzen Flammen auf, die es vollkommen verzehrten. Konowa schüttelte den Kopf, konnte kaum glauben, was er da sah. Die anderen Hundespinnen huschten hastig davon, als plötzlich eine Gruppe von Soldaten aus der Dunkelheit auftauchte und sich mit eisiger Präzision einen Weg durch die Kreaturen schlug, die Konowa selbst niemals erreichen würde. Im selben Augenblick überschwemmten ihn Geräusche und Hitze, als die Welt über ihm zusammenschlug und seine Sinne erneut von dem Schlachtenlärm um ihn herum malträtiert wurden.

Die Soldaten hatten einen Schutzring um Konowa gebildet und schwangen mit grimmiger Entschlossenheit ihre Schwerter. Er konnte ihre Gesichter nicht sehen, und ihre Körper waren in Schatten gehüllt, egal wohin sie sich wandten. Konowa krallte die Hände in seine Brust, während er nach Atem rang, und versuchte aufzustehen.

Als er ein Pfeifen hörte, blickte er hoch. Ein silbernes Licht zog über den Nachthimmel. Als es seinen Scheitelpunkt erreichte, hielt es an und zerbarst in einer gewaltigen Explosion. Ihm klingelten schmerzhaft die Ohren von dem Knall, und obwohl er die Augen zusammenkniff, war alles weiß. Als er sie wieder öffnete, war es taghell. Die verstreuten Soldaten jubelten und schwangen ihre Musketen wie Sensen, als sie wie Schnitter durch ein Getreidefeld schritten. Die Faeraugs, die in der Dunkelheit so Furcht einflößend waren, wirkten jetzt kleiner, verletzlicher. Zudem verwirrte sie das Licht, und sie flohen zu den Schlingpflanzen zurück.

Die Soldaten, die Konowa gerettet hatten, waren verschwunden.

Dann spürte er jemanden hinter sich. Er packte seinen Säbel, riss ihn aus dem Boden und wirbelte herum, um sich zu verteidigen. Eine brennende Kälte schmerzte an seinen Händen, und als er es wagte, sie zu betrachten, bemerkte er, dass sie sauber waren. Das Blut der Hundespinnen war vollkommen verschwunden, und am Griff des Säbels funkelten ein paar schwarze Frostkristalle, bevor auch sie schmolzen und erloschen.

»Sie jagen nur nachts; wir sind jetzt sicher«, sagte Visyna. Ihre Kleidung war zerrissen, und auf einer Wange hatte sie einen dünnen roten Schnitt. Ansonsten wirkte sie jedoch unverletzt.

»Habt Ihr das getan?«, erkundigte sich Konowa und deutete mit dem Säbel zum Himmel hoch.

»Es ist nur ein einfacher kleiner Zaubertrick«, antwortete Visyna, aber ihr Blick sagte etwas anderes.

»Könnt Ihr die Schlingpflanzen verbrennen?«, erkundigte sich Konowa. Er suchte nach dem Zwerg und Rallie, konnte aber in dem Chaos nichts klar erkennen.

»Schon, aber die Muraphanten laufen noch da draußen herum. Ein Feuer würde ihre Panik nur verstärken. Außerdem reicht das Licht jetzt aus, sodass Eure Männer sich verteidigen können. Die Faeraugs fliehen bereits.«

»Zum Teufel damit!«, stieß Konowa hervor, fuhr zu ihr herum und hielt sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt. »Wenn Ihr die Macht habt, diese Dinger zu zerstören, dann tut es!«

Visyna starrte ihn böse an, gab jedoch keinen Zentimeter nach. »Ihr wollt, dass ich dieses ganze Gebiet vernichte, obwohl Ihr jetzt nicht mehr gefährdet seid?«

Konowa riss überrascht die Augen auf. »Ihr seid genauso wie die Elfen von der Langen Wacht. Sie würden eher müßig herumsitzen und zusehen, wie Menschen erfrieren, bevor sie einen Baum fällen und Feuer machen. Das hier ist kein Spiel, Visyna. Verbrennt die Schlingpflanzen, das ist ein Befehl!«

Jetzt wirkte sie überrascht. »Ich werde nicht einfach so alles unterschiedslos umbringen, und ich bin ganz gewiss kein Soldat, den Ihr herumkommandieren könnt. Ich habe Euch Licht gegeben – verteidigt Eure Männer, wie es Euch gefällt, ich jedoch werde zu diesem Gemetzel nichts mehr beitragen.«

Konowa umklammerte den Knauf seines Säbels und knirschte mit den Zähnen. Visynas Augen funkelten, als sich das Licht darin spiegelte, das immer noch über ihnen leuchtete. Es war klar, dass sie ihm nicht gehorchen würde. Ohne ein weiteres Wort wirbelte Konowa auf dem Absatz herum und rannte zum Zelt des Prinzen. Überall lagen tote Faeraugs herum. Ihr schwarzes Blut färbte die Erde an den Stiefeln der Soldaten und bildete ein groteskes Muster in den großen Spuren der Muraphanten.

»Hat jemand den Oberst gesehen?«, erkundigte sich Konowa. Er erwartete, dass der Prinz in Stücke gerissen worden wäre.

Eine gebogene Klinge erhob sich in die Luft. Blut troff von dem Stahl. »Er ist hier drüben, Major, und ich würde sagen, er ist ziemlich unversehrt«, erklärte Soldat Arkhorn.

Konowa lief zu ihm und blieb dann verblüfft stehen. Der Zwerg war vollkommen von dem schwarzen Blut der Hundespinnen überzogen und stand bis zur Hüfte in ihren Kadavern. Genau genommen steckte er sogar fest und versuchte, sich mit seinem Drukar aus dem Leichenberg herauszuhacken.

»Zieht den Mann heraus!«, befahl Konowa. Sofort begannen Soldaten, die Kadaver mit ihren Bajonetten aufzuspießen und zur Seite zu heben.

»Vorsichtig, Jungs, schön vorsichtig!«, schrie der Zwerg und schwang drohend seinen Krummsäbel. »Nicht alles hier sind Käfer!«

Konowas Aufmerksamkeit wurde von Geschrei auf sich gezogen, das links von ihm ertönte, und er bereitete sich auf einen weiteren Angriff vor. Doch dann entspannte er sich, als Jir ins Licht sprang; eine Hundespinne hatte er fest zwischen den Kiefern eingeklemmt. Ihre Beine zuckten immer noch.

»Da bist du ja«, sagte Konowa und tätschelte dem Bengar den Kopf. Jir knurrte und senkte seine Schnauze zu Boden, sodass er Konowa unter seinen buschigen Augenbrauen hervor anstarren konnte.

Konowa zog langsam die Hand zurück und unterbrach den Blickkontakt. »Und da bin ich, siehst du, hier drüben, weit weg von deinem Abendessen!«

Jir schnaubte einmal und trabte lautlos über die freie Fläche in die Dunkelheit, ohne Konowa aus den Augen zu lassen. Die ganze Zeit zuckten dabei die acht Beine des Faeraug in Jirs Maul. Die Soldaten schlugen einen großen Bogen um ihn.

»Mit diesem Ende des Abends hatte ich wirklich nicht gerechnet.«

Konowa wirbelte beim Klang dieser Stimme herum. »Sie sind am Leben!«

»Ich bin erfreut, Sie in einem ganz ähnlichen Zustand zu sehen.« Rallie stand inmitten des zerfetzten Zeltes. Ihr Umhang war genauso unversehrt wie zuvor, ihr Haar jedoch war noch etwas krauser.

»Und der Prinz?«, erkundigte sich Konowa.

»Ebenfalls unversehrt!«, rief Seine Hoheit, humpelte aus der Dunkelheit zu ihnen und blieb vor ihnen stehen. »Was ich allerdings nicht der Wache vor meinem Zelt zu verdanken habe.« Er richtete sich mühsam auf und strich über die vielen Risse in seiner Uniform. »Sichern Sie das Lager, kommandieren Sie alle Mann als Wache ab und peitschen Sie den kommandierenden Offizier meiner Wache aus!«

Konowa hätte Prinz Tykkin am liebsten eine Ohrfeige gegeben. »Sir? Ihr werdet doch sicher den Männern nicht die Schuld dafür geben?« Er trat einen Schritt vor. Das konnte dieser Narr doch nicht wirklich ernst meinen. »Niemand konnte wissen, dass diese Kreaturen angreifen würden.«

Einige Soldaten keuchten, und der Prinz riss die Augen auf. Dann trat er einen Schritt zurück und stemmte seine Hände in die Hüfte. »Bedrohen Sie mich, Major?«

Konowa hob verwirrt die Hände und bemerkte erst jetzt, dass er seinen Säbel immer noch in der Hand hielt. Er bückte sich, um ein paar Blätter von den Schlingpflanzen zu reißen, mit denen er die Klinge säubern wollte, bevor er sie in die Scheide schob, hielt jedoch inne, als er sah, dass der Stahl vollkommen sauber war. »Verzeiht, Oberst … Die Hitze des Gefechtes, Ihr versteht gewiss.«

»Ich bin sicher, dass der Prinz sehr genau weiß … «, begann Rallie, wurde jedoch unterbrochen, als sich der Prinz ungestüm an ihr vorbeizwängte.

»Ich will einen Namen, Major, und ich will ihn sofort!«

»Vielleicht könnten wir das unter vier Augen besprechen, Sir.« Konowa deutete auf die Soldaten, die sich um sie drängten. Der Zwerg war befreit worden; er war jetzt dicht neben ihn getreten, als wollte er Konowa den Rücken freihalten. Überraschenderweise tröstete ihn das.

»Das ist nicht nötig, Major. Es ist meine Schuld«, sagte Lorian und trat vor. Er hatte seinen Tschako verloren, und sein verschwitztes Haar klebte an seinem Kopf, während Schweißtropfen sein Gesicht herunterliefen. Auf der stählernen Spitze seiner zweieinhalb Meter langen Hellebarde funkelte schwarzes Blut, und er stützte sich auf die Waffe, um Luft zu holen, bevor er sich aufrichtete und vor dem Prinzen salutierte. »Oberst, als verantwortlicher Regimentssergeant unterlag das meiner Verantwortung. Wenn jemand ausgepeitscht werden soll, dann ich.«

Der Prinz lächelte. Es war ein humorloses und zweifellos am Hof Ihrer Majestät verfeinertes Lächeln, hinter dem sich keinerlei Wärme verbarg. »Eine edle Geste, aber nein, ich will den Verantwortlichen! Wer war der Befehlshabende meiner Wachabteilung?«

Die Muskeln in Lorians Kiefer zitterten, als er Konowa flehentlich anblickte.

»Sagen Sie es mir!«, forderte Prinz Tykkin ihn auf.

Lorian seufzte. »Korporal Kritton, Sir, der Elf. Er sollte Euer Zelt bewachen.«

»Ein Elf!«, spie der Prinz aus und starrte Konowa herablassend an. »Also gut! Er wird zum einfachen Soldaten degradiert und bekommt beim Morgengrauen zwanzig Peitschenhiebe. Ist das klar? Sie werden sich persönlich darum kümmern, Major!«

Konowas Protest erstarb auf seinen Lippen. Dutzende von Soldaten standen um sie herum, und das flackernde Licht brennender Fackeln warf zuckende Schatten über die blutgetränkte Erde. Immer wieder knallten Musketen, und die Rufe der Verwundeten drangen durch die Nacht. Konowa wusste, dass er Wichtigeres zu tun hatte.

»Jawohl, Sir«, sagte er, salutierte und marschierte davon. Er ging zum nächsten Lagerfeuer, an dem sich eine Gruppe von Soldaten um die Verwundeten kümmerte.

»Der Prinz hat überlebt?« Visyna tauchte plötzlich vor Konowa auf, der überrascht stehen blieb.

»Ja, was er zum größten Teil dem Zwerg zu verdanken hat. In ein oder zwei Tagen werde ich ihn für einen Orden vorschlagen. Natürlich wird der Prinz nicht einwilligen, aber zumindest wird das eine Beförderung von Soldat Arkhorn zum Korporal erheblich einfacher machen.«

Visyna schüttelte den Kopf. »Ihr seht doch sicher die Torheit darin! Dieses Regiment widerspricht allem Natürlichen. Und ich fürchte, dass die Faeraugs nur der Anfang der Widrigkeiten sind, die uns noch bevorstehen.«

»Sich in Blätter zu hüllen und Gras zu fressen wird daran kaum etwas ändern«, antwortete Konowa und wollte an Visyna vorbeigehen. Zu seiner Überraschung jedoch streckte sie die Hand aus und hielt ihn am Arm fest.

»Ihr müsst es loswerden!«

Konowa war nicht sonderlich erfreut. »Was muss ich loswerden?«

Visynas Griff um seinen Arm verstärkte sich. »Ihr wisst genau, worüber ich rede. Ich fühle es, als würde ich es selbst in der Hand halten. Euer Vater hätte es Euch nicht geben dürfen. Es wird Euch nicht die Hilfe gewähren, die Ihr braucht!«

»Ich nehme an, Ihr werdet mir helfen? Wie Ihr zum Beispiel die Schlingpflanzen verbrannt habt, als ich Euch darum gebeten habe?«

Sie ließ seinen Arm los. »Und was dann? Soll ich jedes Stück Land verbrennen, auf dem es Schatten gibt? Das Regiment unterscheidet sich nicht von dem Imperium, das es gezeugt hat. Wo es auch hingeht, hinterlässt es eine Narbe.«

»Besser das Land als wir«, erwiderte Konowa.

Visyna schüttelte den Kopf. »Versteht Ihr es denn nicht? Ihr seid bereits verwundet!« Sie deutete auf ihn, allerdings nicht auf sein Ohr, sondern auf die Stelle, wo der Beutel unter seiner Uniformjacke ruhte. »Ihr riskiert alles für nichts. Als wir im Wald waren, habe ich gespürt, dass Ihr begonnen habt, Verbindung zu der Macht aufzunehmen, die Euch umgibt. Gebt jetzt nicht auf!«

Konowa spürte, wie er rot anlief. »Haltet Euch aus meinem Kopf fern, Visyna. Ihr wisst gar nichts darüber.«

»Dann helft mir zu verstehen, und lasst zu, dass ich Euch helfe.«

»Und dann? Gehen wir in den Wald zurück und leben unter diesen verdammten Bäumen?«, fragte Konowa. »Seid Ihr jemals einem Elf der Langen Wacht begegnet? Sie leben in einer Welt, die nur wenig mit der zu tun hat, in der wir anderen leben. Sitzen tagelang auf einer Wiese und lauschen dem Wind, der mit den Grashalmen spielt, und denken nicht ans Essen. Ich habe gesehen, wie sie wie Babys geweint haben, als ein Baum von einem Blitz getroffen worden war. Doch als ein Wagen voller menschlicher Siedler in einen reißenden Strom gestürzt ist und alle ertranken, haben sie sich nur Sorgen gemacht, weil die Planken des Wagens mit eisernen Nägeln zusammengehalten wurden!«

»Und was hätten diese Menschen anderes getan, als die Bäume zu fällen, um das Land für die Landwirtschaft zu roden, um Straßen zu bauen und die Erde auf der Suche nach Erzen aufzugraben?« Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein innerer Kampf ab, als müsste sie mit jeder Faser ihres Körpers den Drang zurückhalten, ihn mit einem Blitzschlag zu vernichten. »Wenn sich nicht die Elfen der Langen Wacht um diese Welt kümmern, wer wird es dann tun? Etwa Euer kostbares Imperium, das allen die Zivilisation auf der Spitze eines Bajonetts bringt? Der Weg Eures Herrn ist der Weg von Feuer und Gewalt! Ihr verbrennt es, wenn es sich nicht Euren Bedürfnissen beugt, schlachtet es ab, wenn es sich nicht Eurem Willen fügt. Es wurden bereits jetzt große Klüfte in die Natürliche Ordnung der Welt geschlagen! Glaubt Ihr wirklich, dass dies ohne Konsequenzen ewig so weitergehen könnte?«

Konowa war nicht sicher, was er geantwortet hätte. Aber in diesem Moment kam ein Soldat herangelaufen und unterbrach sie.

»Verzeihung, Major, aber wir haben da einen Schwerverletzten. Wir brauchen die Hexe, Sir!« Er atmete schwer, und seine Pupillen waren immer noch von der Anstrengung des Kampfes geweitet.

»Bringen Sie mich zu ihm!« Visyna kehrte Konowa den Rücken zu und verschwand in der Nacht. Der Soldat sah von ihr zu Konowa.

»Führen Sie sie zu ihm!«, blaffte Konowa den Mann an und folgte ihm, als der Soldat durch das zerstörte Lager eilte.

Wohin er auch blickte, sah er tote Faeraugs. In das Gemetzel mischten sich Uniformteile, zerbrochene Musketen und umgestürzte Kochtöpfe. Er versuchte sich vorzustellen, wie das Lager kurz vorher ausgesehen haben mochte.

»Macht Platz. Der Major und seine Hexe kommen!«

Eine Gruppe von Soldaten bildete eine Gasse und gab den Blick auf einen Mann frei, der flach auf dem Rücken lag, einen Arm quer über den Bauch gepresst. Konowa kniete sich auf die eine Seite des Verletzten, Visyna auf die andere.

»Ab… Abend, Major …«

»Ich erinnere mich an Sie«, sagte Konowa und blickte in das gesunde Auge des Mannes. Das Gesicht des Soldaten war blutbedeckt, und er atmete rasselnd.

»Jawohl … jawohl, Sir. Meri. Es war eine höllische Nacht, Sir, wenn Sie mir diesen Ausdruck gestatten. Ich habe mein Bestes versucht, Major. Ich habe Sie nicht im Stich gelassen …« Ein Hustenanfall erstickte Meris Worte, und aus seinem Mundwinkel sickerte Blut. Sein rechter Arm rutschte von seinem Bauch. Konowa packte sanft seine Hand und legte den Arm wieder über die klaffende Wunde in seinem Körper. Meris Haut fühlte sich bereits kalt an.

»Das weiß ich. Ruhen Sie sich aus, Meri, und sparen Sie Ihre Kraft.« Konowa sah zu Visyna hinüber. »Mistress Tekoy wird Sie wieder gesund machen.«

»… das Beste, was ich den ganzen Tag gehört habe«, stieß Meri aus, bevor ihn der nächste Hustenanfall überkam.

Konowa beugte sich über ihn. »Könnt Ihr ihm helfen?«, flüsterte er Visyna zu.

Sie schüttelte den Kopf.

»Aber Ihr habt mich geheilt. Ihr könnt doch sicher irgendetwas tun?« In der Schlacht konnte er immer noch wild kämpfen, aber danach fühlte er sich stets hilflos. Er hatte keine Waffen, keine Fähigkeit, mit der er dies bekämpfen konnte. Wieder starben Soldaten, und erneut konnte er nichts dagegen tun.

Visyna stand auf, ging ein paar Schritte zur Seite und bedeutete Konowa, ihr zu folgen. Als sie außer Hörweite der Soldaten waren, die um den Sterbenden hockten, antwortete sie ihm.

»Wisst Ihr denn nichts von den Künsten? Als ich Euch heilte, habe ich Eure Stärke und die des Landes um uns herum angezapft.« Sie sah zu Meri hinüber, und ihre Miene wurde weicher. »Er hat nicht die Kraft, um diese Wunde zu heilen, und dieses Land hier«, sie wirbelte mit dem Stiefel Staub auf, »hat ebenfalls nur wenig zu bieten. Ihr spürt es doch sicherlich auch? Die Natürliche Ordnung hier ist vergiftet. Etwas verändert das Land. Hier wurden seit Jahren keine Faeraugs gesehen, und selbst damals waren sie nie so groß. Ich kann nur sein Leiden lindern.«

Ein kalter Stich fuhr in Konowas Brust, und er griff unwillkürlich hoch. Seine Finger schlossen sich um die Eichel. Rasch ließ er die Hand wieder sinken und sah Visyna an.

»Nein!«, schrie Visyna. Einige Soldaten sahen zu ihnen herüber. Sie senkte die Stimme, als sie fortfuhr. »Würdet Ihr Wasser auf einen Ertrinkenden gießen? Spürt Ihr denn nicht, was es ist?«

»Mein Vater hätte mir dies nicht gegeben, wenn es so gefährlich wäre. Könnt Ihr es nicht irgendwie benutzen, um Meri zu helfen?« Er zog den Beutel aus seiner Uniformjacke und hielt ihn ihr hin. »Ich bitte Euch diesmal nicht, etwas zu zerstören, sondern nur zu helfen.«

Sie starrte den kleinen Lederbeutel in seiner Hand lange an. Als sie ihren Blick wieder zu ihm hob, bemerkte er Bedauern und etwas wie Furcht in ihren Augen. »Ich kann das nicht.«

»Das braucht Ihr auch nicht.« Lorians Stimme hinter ihnen erschreckte sie beide. »Er ist tot.«

Elfen wie Stahl
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