18

DAS REGIMENT MARSCHIERTE den ganzen Morgen, bis die Sonne hoch vom Himmel brannte und die Luft unter ihren Tschakos bis auf Hochofentemperatur erhitzte. Jeder Schritt wirbelte eine Wolke aus Staub auf, der ihre zuvor so makellosen Uniformen mit einer dicken Schicht überzog. Als der Befehl zum Halten gegeben wurde, flüchteten sich die Soldaten schnell in das kleinste bisschen Schatten, das sie an den Stämmen der Schlingpflanzen fanden. Die Vegetation roch sehr merkwürdig, aber den Geruch auszuhalten war immer noch besser, als in der Hitze zu stehen.

»Heilige Koboldeier«, keuchte Yimt und ließ sich mit dem Rücken gegen einen elastischen Haufen Schlingpflanzen fallen. Er spie das Blatt aus, das er mit den Zähnen gehalten hatte, damit seine Unterlippe nicht von der glühenden Sonne verbrannt wurde, und öffnete seine Feldflasche. Er trank sehr lange, schloss die Augen und seufzte. So bot er ein Bild der Zufriedenheit: auf dem Rücken liegend, den Kopf gegen den Rucksack gestützt, den Drukar an der Seite und die gefährlich aussehende Armbrust auf dem Schoß. Dann zog er seinen »Splitter«, wie er das kleine Messer nannte, aus seinem Strumpf und machte sich daran, seine Fingernägel zu reinigen. Anschließend schob er seinen Tschako nach hinten, hob den Blick und sah Alwyn an.

»Wie weit, sagten sie, wollten wir heute marschieren?«

Alwyn wollte antworten, aber sein Mund war von dem vielen Staub, den er eingeatmet hatte, so ausgetrocknet, dass er nur ein Husten herausbrachte.

»Irgendwas von einem Fluss«, meinte der einäugige Soldat, setzte sich neben sie und lehnte seinen Rucksack an die Schlingpflanzen. »Wir sind unterwegs zu einem Fluss.«

Yimt schüttelte den Kopf, öffnete den ledernen Kinnriemen seines Tschakos und klappte die Flügel zur Seite, damit er ihn verkehrt herum neben sich legen konnte. Er fuhr sich mit der Hand durch sein fettiges schwarzes Haar, und Alwyn bemerkte, dass die Luft über seinem Kopf vor Hitze wirklich flimmerte.

»Normalerweise wäre ein Fluss ja ganz nett, aber nicht in diesem widerlichen Land. Die Flüsse hier sind allesamt ekelhaft, schlammig und braun, und ihr Wasser ist weder für Menschen noch für Tiere genießbar«, erwiderte Yimt. Er kratzte sich den Kopf, hielt dann inne und zog einen sich windenden Käfer zwischen Daumen und Zeigefinger hervor. »Was ist das eurer Meinung nach, ein Floh oder eine Laus?«

»Eine Laus«, antwortete Meri, der den Käfer mit seinem einen Auge betrachtet hatte.

Yimt starrte den winzigen Käfer an und kratzte sich mit der anderen Hand den Kopf. »Ich weiß nicht so genau. Ich will dich nicht beleidigen, Junge, aber immerhin hast du ihn dir nur mit einem Auge angesehen.«

»Jedenfalls fühle ich mich merkwürdig, seit wir durch diese Schlingpflanzen marschiert sind. Irgendetwas fühlt sich nicht richtig an«, meinte Alwyn und zuckte in seiner Uniform unbehaglich mit den Schultern. »Ich habe dieses unheimliche kribbelnde Gefühl, als wäre meine Haut nicht meine eigene, versteht ihr das?«

Yimt nickte. »Das sind eindeutig Zecken. Sie sind viel unangenehmer als Läuse. Natürlich können Flöhe einen manchmal auch ziemlich nervös machen.« Er setzte sich mühsam ein wenig auf und zerquetschte den winzigen Käfer zwischen Daumen und Zeigefinger. »Der erste Tote der Expedition. Was auch immer es war, jetzt ist es erledigt. Fühlst du dich besser?«

Alwyn zuckte mit den Schultern und versuchte, an etwas anderes zu denken.

»Oh, wo habe ich nur meine Manieren gelassen?«, sagte Yimt plötzlich. »Meri, stimmt’s? Dieser Jammerlappen ist Ally.«

Meri hielt Alwyn die Hand hin und schüttelte sie. »Schön, euch kennenzulernen. Und, was haltet ihr bis jetzt von unserem neuen Regiment?«

Alwyn trank einen Schluck aus seiner Feldflasche. Das lauwarme Wasser verwandelte den Staub in seinem Mund in Schlamm. »Ich weiß nicht, ich habe irgendwie ein merkwürdiges Gefühl.«

»Ich weiß, was du meinst«, antwortete Meri. »Irgendwie ist an der ganzen Angelegenheit etwas faul, wenn ihr versteht, was ich meine.«

»Troll-Pudding.« Yimt knöpfte seine Uniformjacke auf und kratzte sich die Brust. »Ich habe etwas ausführlicher darüber nachgedacht, und wisst ihr, eigentlich sind wir ganz glückliche Elfen. Vor allem, was einige dürre Menschen und einen alten Zwerg wie mich angeht. Unser adeliger Oberbefehlshaber ist niemand anderes als der Sohn der Kaiserin persönlich. Glaubt ihr wirklich, die alte Schnepfe hätte ihn hierhergeschickt, damit er ums Leben kommt? Nach all der Erziehung und Ausbildung, die man auf diesen Dummkopf verschwendet hat? Sie wird das wohl kaum aufs Spiel setzen. Ich nehme an, dass wir nur hier draußen sind, um Flagge zu zeigen. Soll der Prinz doch ein bisschen Soldat spielen, und dann kehren wir in ein nettes, sicheres Lager zurück. Außerdem, ist euch aufgefallen, wie luftig sich alles anfühlt, wenn man in diesen Caernas marschiert?« Yimt kratzte sich weiter südlich. »Das gewährt einem wirklich Freiheit, vor allem an einem derartig teuflischen Ort. Für mich fühlt sich das verdammt richtig an.«

»Oh, ich erblinde«, spottete Alwyn in gespieltem Entsetzen und wandte sich ab, als Yimt sich ungeniert weiterkratzte. Er sah, wie Meri ihn mit seinem gesunden Auge beobachtete, und schämte sich plötzlich. »Das hatte nichts zu bedeuten, Meri«, sagte er.

»Schon gut. Die Sache hat auch ein paar Vorteile, wisst ihr?«

»Wirklich? Was denn zum Beispiel?«, erkundigte sich Alwyn. Er ignorierte Yimt, der umständlich seine Caerna neu arrangierte.

Statt zu antworten, hob Meri die Augenklappe hoch und zog eine kleine Schnupftabakdose aus seiner Augenhöhle. »Das ist der einzige Ort, an dem sie immer trocken bleibt«, meinte er und hielt Yimt und Alwyn die kleine silberne Dose hin.

»Nein danke«, gab Alwyn zurück und versuchte, das Wasser in seinem Magen daran zu hindern, die Speiseröhre hochzusteigen.

»Aber gerne«, meinte Yimt, nahm eine Prise und schob sie sich zwischen seine stahlfarbenen Zähne und die Unterlippe. »Das gibt dem Crute noch eine gewisse Würze.«

Alwyn überlegte gerade, ob es irgendetwas gab, das Yimt irritierte, als er jemanden aus dem Augenwinkel wahrnahm und sich umdrehte. Korporal Kritton stand in der Nähe. Seit sie neulich nachts das Rakke getötet hatten, hatte sich der Korporal immer mehr in sich zurückgezogen und sprach kaum mit irgendjemandem. Normalerweise hätte Alwyn das gefreut, aber etwas im Blick des Elfs bereitete ihm Unbehagen. Irgendetwas stimmte da nicht. Noch bevor Alwyn wusste, was er tat, sprach er seinen Vorgesetzten an.

»He, Korporal, wie weit marschieren wir heute?«

Der Elf drehte sich zu Alwyn herum. Seine Miene war eine Maske des Hasses. Krittons Oberlippe zuckte, er ballte die Fäuste, wirbelte dann auf dem Absatz herum und marschierte davon, bis er hinter einer großen Schlingpflanze verschwunden war. Alwyn bemerkte, dass ihm der Mund offen stand, und er schloss ihn abrupt. Er holte tief Luft, als sein Herz weiterschlug.

»Das ist einfach nur unhöflich«, meinte Yimt. Er hatte den Pulverstock aus Alwyns Muskete gezogen und kratzte sich eifrig in den Strümpfen. »Da versucht ein netter Kerl wie du, sozial zu sein und ein höfliches Gespräch zu führen, und was bringt es dir ein? Unser Korporal ist nicht mehr er selbst, nicht mehr, seit er den Major getroffen hat.«

Meri beugte sich vor. »Ich habe gehört, dass er wütend auf den Major ist, weil er glaubt, der wäre dafür verantwortlich, dass das Regiment aufgelöst worden ist. Aber das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Hrem von der B-Kompanie sagte, dass wir keineswegs die Garnison von Luuguth Jor ersetzen sollen. Da soll ein Schatz vergraben sein, irgendein Juwel, das sie den Stern von irgendwas nennen. Der Prinz will ihn ausgraben und nach Celwyn bringen. Das ganze Gerede über Rakkes und die Schattenherrscherin ist nur Verschleierungstaktik.«

Yimt hörte auf, sich zu kratzen. »Verschleierungstaktik? Bei der haarigen Brust meiner Tante! Ally und ich haben eines dieser Biester getötet, so wahr ich hier sitze! Sie sind real, was bedeutet, diese Elfenhexe jenseits des Ozeans ist es auch, und sie hat etwas vor.«

»Aber warum muss man dafür die Stählernen Elfen neu formieren?«, wollte Alwyn wissen. Dann kam ihm ein schrecklicher Gedanke. »Ihr glaubt doch nicht, dass sie von uns verlangen, gegen sie zu kämpfen?«

Bevor Yimt oder Meri antworten konnten, gaben die Sergeanten den Befehl zum Aufbruch.

Alwyn schnappte sich seine Muskete und stützte sich darauf, als er aufstand. Dann drehte er sich um und reichte Yimt die Hand, der mühsam hochkam.

»Ist die Hitze zu viel für dich?«, erkundigte sich Alwyn scherzhaft. Insgeheim jedoch war er besorgt, dass der alte Zwerg die Strapazen eines langen Marsches vielleicht nicht mehr bewältigen konnte. Regimenter der Leichten Infanterie marschierten normalerweise einhundertzwanzig Schritt pro Minute, das war erheblich mehr als die fünfundsiebzig Schritt eines regulären Regiments. Das Regiment der Stählernen Elfen hatte angeblich einhundertfünfzig Schritt pro Minute durchgehalten, und das einen ganzen Tagesmarsch lang. Alwyn wusste, dass das unmöglich war … Jedenfalls wusste er, dass er das niemals schaffen würde.

»Ich marschiere euch junge Hüpfer in Grund und Boden«, knurrte Yimt, nachdem er endlich aufgestanden war.

»Sieh nur, du hast dich in den Schlingpflanzen verheddert«, meinte Meri und zog einen langen Strang aus Yimts Gürtel.

»Da koch mich doch einer im Hexenkessel«, meinte Yimt und hielt die Pflanze hoch, um sie genauer zu untersuchen. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dieses Ding hier hat versucht, uns hierzubehalten.« Er warf es in den Staub und zertrat es mit dem Absatz seines Stiefels. Dann bückte er sich, hob seinen Tschako auf und warf einen kurzen Blick hinein, bevor er ihn sich auf den Kopf setzte. »Sie bezahlen uns nicht genug, nicht einmal annähernd genug«, erklärte er und machte hastig einen Schritt zurück.

Als sie zu der staubigen Straße gingen, wo sich die Kompanien aufstellten, warf Alwyn unwillkürlich einen Blick über die Schulter. Die Schlingpflanzen blieben, wo sie waren; eine undurchdringliche grüne Masse von verfault stinkenden Pflanzen. Warum hatte er also dann das Gefühl, dass sie sich wie ein Drache auf ihn stürzen würden, sobald er ihnen den Rücken zukehrte?

Elfen wie Stahl
cover.html
e9783641129088_cov01.html
e9783641129088_toc01.html
e9783641129088_ded01.html
e9783641129088_c01.html
e9783641129088_c02.html
e9783641129088_c03.html
e9783641129088_c04.html
e9783641129088_c05.html
e9783641129088_c06.html
e9783641129088_c07.html
e9783641129088_c08.html
e9783641129088_c09.html
e9783641129088_c10.html
e9783641129088_c11.html
e9783641129088_c12.html
e9783641129088_c13.html
e9783641129088_c14.html
e9783641129088_c15.html
e9783641129088_c16.html
e9783641129088_c17.html
e9783641129088_c18.html
e9783641129088_c19.html
e9783641129088_c20.html
e9783641129088_c21.html
e9783641129088_c22.html
e9783641129088_c23.html
e9783641129088_c24.html
e9783641129088_c25.html
e9783641129088_c26.html
e9783641129088_c27.html
e9783641129088_c28.html
e9783641129088_c29.html
e9783641129088_c30.html
e9783641129088_c31.html
e9783641129088_c32.html
e9783641129088_c33.html
e9783641129088_c34.html
e9783641129088_c35.html
e9783641129088_c36.html
e9783641129088_c37.html
e9783641129088_c38.html
e9783641129088_c39.html
e9783641129088_c40.html
e9783641129088_c41.html
e9783641129088_c42.html
e9783641129088_c43.html
e9783641129088_c44.html
e9783641129088_c45.html
e9783641129088_c46.html
e9783641129088_c47.html
e9783641129088_c48.html
e9783641129088_c49.html
e9783641129088_c50.html
e9783641129088_c51.html
e9783641129088_c52.html
e9783641129088_c53.html
e9783641129088_c54.html
e9783641129088_c55.html
e9783641129088_c56.html
e9783641129088_ack01.html
e9783641129088_cop01.html