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Della hockte auf ihrem gemeinsamen Bett und lackierte
im Schein der Lampe ihre Zehennägel, als sie hörte, wie der Truck
vorfuhr und neben dem Haus hielt. Der Lack war von einem kräftigen
Rosa, sodass er zu ihrem Höschen und dem pinkfarbenen T-Shirt mit
der Aufschrift MUTTI IST DIE BESTE passte. Sie warf einen Blick auf
die Uhr. Er kam früh heim.
Neben ihr auf dem
Bett lag die aufgeklappte Bibel – sie hatte zwischendurch immer mal
wieder in die Geschichte vom verlorenen Sohn geschaut; sein Bruder
war neidisch, weil er so verantwortungslos war und jede Menge Spaß
hatte und nicht mal dafür bestraft wurde. Sie pustete auf ihre
Nägel, und draußen wurde die Tür des Trucks
zugeschlagen.
Im Stingaree war
wohl nicht viel los gewesen.
Jetzt nahm sie sich
den anderen Fuß vor, zog ihn dicht zu sich heran und beugte sich
darüber; bei dem schwachen Licht musste sie die Augen
zusammenkneifen. Sie lauschte seinen Schritten, die jetzt die
Treppe hinaufkamen. Klack, klack, klack. Lauter als
sonst.
Mit finsterer Miene
hielt sie inne, sie hatte ein komisches Gefühl.
Dann hatte er den
oberen Treppenabsatz erreicht, und als er um die Ecke aus dem
Schatten trat, erkannte sie, dass es gar nicht Eddie war. Sondern
Mister Hitzkopf.
Mit einem Bier in
der Hand trat auf er das Bett zu, blieb, einen Daumen in die
Hosentasche gehakt, am Fußende stehen und lächelte.
»Gefällt mir, das
T-Shirt«, sagte er. »Wo ist Eddie?«
»Er ist nicht
da.«
»Das seh ich
auch.«
Junge, sie wünschte
allerdings, er wäre hier.
»Wo ist
er?«
»Er hat da diesen
Job«, sagte sie. »Aber er muss jede Sekunde hier sein«, fügte sie
schnell hinzu, nur damit er Bescheid wusste.
»Nennt er sich immer
noch Eddie?«
Sie starrte ihn an.
Woher wusste er das?
»Oder heißt er jetzt
Wade?«
Sie konnte es nicht
fassen. Und war stinksauer. Das sei ein Geheimnis, hatte Eddie
gesagt, nur zwischen ihm und ihr. Da sieht man mal wieder, was
passiert, wenn man jemandem vertraut. Sie würde diesem beschissenen
Versager ordentlich den Kopf waschen, sobald sich die Gelegenheit
dazu bot.
Dann ließ Mister
Hitzkopf sich aufs Bettende plumpsen und räkelte sich. Della
zögerte, schraubte den Nagellack zu und stellte ihn auf den
Nachttisch, dann schob sie das T-Shirt mit beiden Händen nach unten
zwischen ihre Oberschenkel. Plötzlich fühlte sie sich
nackt.
»Warum bist du
zurückgekommen?«, fragte sie.
Auf einen Ellbogen
gestützt, betrachtete Ray Bob ihre Hände, mit den sie das T-Shirt
umklammerte, und grinste. »Ich war zufällig in der Gegend und
dachte, ich schau mal vorbei, um zu sehen, wie’s Ozzie und Harriet
so geht. Und bringe Ozzie’n kaltes Bierchen mit.« Er hielt die Dose
in die Höhe. »Wie geht’s Ozzie denn? Oder heißt er jetzt
DeReese?«
Sie starrte ihn bloß
an, so langsam bekam sie es mit der Angst. Sie wusste zwar, dass er
verrückt war, aber das, was er jetzt sagte, ergab nicht den
geringsten Sinn. Außerdem roch er nach Alkohol. Doch sie sagte
nichts. Wieder warf sie einen Blick auf die Uhr. »Er muss jede
Sekunde zurück sein, dann kannst du ihn das selbst
fragen.«
»Das werd ich
wohl.«
Die Mundwinkel zu
einem amüsierten Lächeln hochgezogen, glotzte er sie mit seinen
graugrünen Augen jetzt ebenfalls an, undurchdringlich und böse wie
in jener Nacht, als sie ihn zum ersten Mal im Rückspiegel erblickt
hatte. Das hatte ihr einen Schauer über den Rücken gejagt. Seine
Augen wanderten kurz zu der aufgeschlagenen Bibel und wieder
zurück.
»Du bist gar kein
Model«, sagte er. »Wovor läufst du weg?«
Sie hob das Buch
auf, klappte es zu und legte es auf ihren Schoß. Sie hoffte, dass
im Stingaree tatsächlich wenig los war und Eddie bald nach Hause
käme, am besten jetzt gleich. Denn Mister Hitzkopf jagte ihr eine
Heidenangst ein.
»Was hast du
angestellt?«, sagte er.
»Ich hab jemanden
umgebracht« erwiderte sie, »einen Typen, der über mich hergefallen
ist.«
Zunächst war sie
überrascht davon, wie das einfach so aus ihr herausgeplatzt war,
doch dann wurde ihr klar, dass es durchaus von Nutzen sein konnte,
wenn er das wusste. Nur für alle Fälle. Sie drückte die Bibel gegen
ihren Bauch und musterte sein Gesicht. Er blickte jetzt in die
andere Richtung.
»Deine
Kinder?«
Sie folgte seinem
Blick, der auf Randy und Waylon im Nachbarbett ruhte. Sie lagen
zusammengerollt unter der Decke und schliefen, beide den Daumen im
Mund. Zuerst wollte sie so etwas sagen wie: »Nein, ich hab sie
geliehen«, beschloss dann aber, sich nicht mit ihm anzulegen. Als
sie sah, wie sich die dünne Decke hob und senkte, während die Jungs
gleichzeitig ein- und ausatmeten, bekam sie überall an den Armen
eine Gänsehaut.
Plötzlich stand er
auf, schwang die Füße auf den Boden, trat an das Bett der Kinder,
beugte sich hinunter und beäugte die beiden. »Weck sie bloß nicht
auf«, sagte sie schnell.
»Tja, sieht aus, als
wären sie immer noch ziemlich unruhig«, meinte er nach einer Weile,
kam zurück und hockte sich erneut ans Bettende.
»Du hast also einen
Mann getötet.«
Sie
nickte.
»War er scharf auf
deine Muschi?«
Sie antwortete
nicht.
»Ist sie eng, deine
Muschi?«, fragte er. Sie schwieg, und er fuhr fort. »Oder ist sie
ganz ausgeleiert, von der Geburt der Kinder?«
»Frag Eddie, er wird
jede Sekunde hier sein«, entgegnete sie bissig.
Er grinste erneut.
»Du klingst wie dieser Typ unten am Pier, er kannte ungefähr einen
kompletten Satz, den er ständig wiederholt hat. Ich glaub, er war
ein bisschen nervös. Bist du auch nervös?«
»Nein.« Sie
umklammerte die Bibel. Ihre Hände waren schweißnass. »Der Herr wird
mich beschützen.«
Er lachte kurz auf
und schüttelte amüsiert den Kopf. »Kann schon sein«, stimmte er zu,
»aber die schlechte Nachricht ist, wenn er dich beschützt, beschützt er mich auch. Der Typ
gibt allen die gleiche Chance. Ist das nicht die Scheiße an der
ganzen Sache?«
»Ich glaube nicht,
dass er jemanden wie dich beschützt«, erwiderte sie knapp. »Man
muss es auch wollen.«
»Vielleicht tu ich
das ja.«
»Man muss es
verdient haben.«
»Und ich nehme an,
dass du darüber zu befinden hast.«
Sie sagte
nichts.
»Eine Frau, die
einen Mann getötet hat«, sagte er.
»Der Typ hat mich
angegriffen«, sagte sie. »Und ich habe um Vergebung
gebeten.«
»Wie praktisch. Das
macht ihn zwar nicht wieder lebendig, aber wenigstens fühlst du
dich besser. Das hat mir an Jesus immer gefallen.«
»Ich werd mit dir
nicht über Religion diskutieren«, sagte sie, »mit jemanden, der das
sowieso nicht ernst nimmt.«
Er senkte den Kopf
und kratzte sich hinterm Ohr: »Da haben wir’s, du urteilst schon
wieder. Jetzt schau dir das Ganze doch mal genau an; was diesen
Religionsquatsch betrifft, sind die Menschen ziemlich inkonsequent.
Sie wollen Vergebung, ohne selber zu vergeben. Abgesehen davon
warte ich natürlich auf das Arschloch. Vorher kann die Party
sowieso nicht starten. Trotzdem muss ich das Bier hier nicht warm
werden lassen.«
Er riss den
Verschluss ab und nahm einen Schluck. »Als was arbeitet er
denn?«
»Als
Musiker.«
»Tatsächlich?«
Sie nickte, etwas
zuversichtlicher jetzt, während sie daran dachte. »Er hat sich
verändert. Er will mit deiner Art zu leben nichts mehr zu tun
haben. Warum verschwindest du nicht einfach und lässt uns in
Ruhe?«
»Hast du mal’nen
Western gesehen?«, fragte Ray Bob. »Das klingt nämlich wie ein Satz
aus einem Western. Wenn der Outlaw plötzlich erscheint, um seinen
alten Gefährten wiederzutreffen, und dessen Frau sagt, ›Er hat sich
verändert. Er will mit deiner Art zu leben nichts mehr zu tun
haben. Warum verschwindest du nicht einfach und lässt uns in Ruhe?‹
Und wenn er ein guter Outlaw ist, hat er dafür Verständnis und
reitet davon, und er tut einem leid, weil er jetzt wieder ganz auf
sich allein gestellt ist. Doch wenn er ein böser Outlaw ist, bleibt
er und wartet, spielt mit seinem Revolver herum und jagt der Frau
gehörig Angst ein. Du erinnerst dich bestimmt an so eine
Szene.«
Sie machte sich
nicht die Mühe zu antworten.
»Aber heutzutage«,
sagte er, »hält das Publikum so eine Szene für abgedroschen, für
ein langweiliges Klischee. Zu wenig Action. Die Leute wollen sehen,
wie der Outlaw – inzwischen ist es meist ein Drogendealer oder
Psychopath -, sie wollen sehen, wie er die Frau vergewaltigt und
seinen Kumpel tötet, wenn der zurückkehrt. Oder noch besser, er
wartet auf ihn und vergewaltigt die Frau, während sein Kumpel dabei
zuschauen muss, bevor er ihn tötet. Und falls die beiden Kinder
haben, bringt er sie wahrscheinlich ebenfalls um. Alles ist voller
Blut und gekrümmter Körper, superbrutal das Ganze, dazu das
markerschütternde Geschrei und laute Keuchen, und alles in
Großaufnahme, die Wut und die Angst. Weil sich das Publikum sonst
langweilt, weißt du, was ich meine?«
Für eine Weile sagte
keiner der beiden etwas; Della lauschte der Brandung, die sich
unten am Strand brach, und den Fröschen im Sumpf, bis Randy im
Schlaf schnaubte und sich herumrollte. Plötzlich stand Ray Bob auf.
»Da fällt mir ein, dass ich unten was habe, das ich besser
raufbringen sollte, bevor es meinen ganzen Truck vollpinkelt.« Dann
verschwand er und stapfte die Stufen hinunter.
Sobald die Schritte
verstummt waren, sprang Della vom Bett und fing an, keuchend Eddies
Seesack zu durchwühlen; sie stöberte darin herum, bis sie sie
schließlich gefunden hatte. Sie zerrte sie heraus und betrachtete
sie in der Hoffnung, dass sie leicht zu bedienen war. Dann lief sie
zur Fernsehecke und schaltete die Deckenbeleuchtung an. Sie
postierte sich etwa einen Meter hinter dem Fernsehsessel und
wartete dort, die ausgestreckten Arme mit der Pistole auf den
oberen Treppenabsatz gerichtet.
Als Ray Bob
zurückkehrte, trug er einen Welpen auf dem Arm, und für einen
Moment kam ihr das unglaublich gespenstisch vor, denn ihr fiel
Randys Wunsch wieder ein und die Geschichte, die sie ihm erzählt
hatte, voller Sorge, er könnte deswegen schlecht gelaunt aufwachen
– ihr war klar, dass ein derartiger Zufall etwas zu bedeuten hatte,
wenn sie auch nicht wusste, was. Tatsächlich kam ihr das so
gespenstisch vor, dass sie die Arme ein wenig sinken ließ, bevor
sie sich wieder fasste, sie hochnahm und, den Finger am Abzug,
erneut anlegte.
Ray Bob blieb
stehen, während er den Welpen hin und her wiegte und sie dabei
musterte. »Schau, was ich hier habe«, sagte er, als würde er die
Pistole gar nicht bemerken.
»Du setzt dich jetzt
da drüben auf die Couch, Freundchen,«, sagte sie, »und dann werden
wir auf Eddie warten.« Dabei deutete sie mit den ausgestreckten
Armen und der Pistole in besagte Richtung.
Er trottete an ihr
vorbei und setzte sich mit dem Welpen im Arm hin, lehnte sich gegen
das Polster und schlug grinsend die Beinen
übereinander.
»Was hab ich dir
gesagt?«, meinte er. »Dacht ich mir doch, dass du den Film gesehen
hast.«