57
 
Della hockte auf ihrem gemeinsamen Bett und lackierte im Schein der Lampe ihre Zehennägel, als sie hörte, wie der Truck vorfuhr und neben dem Haus hielt. Der Lack war von einem kräftigen Rosa, sodass er zu ihrem Höschen und dem pinkfarbenen T-Shirt mit der Aufschrift MUTTI IST DIE BESTE passte. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Er kam früh heim.
Neben ihr auf dem Bett lag die aufgeklappte Bibel – sie hatte zwischendurch immer mal wieder in die Geschichte vom verlorenen Sohn geschaut; sein Bruder war neidisch, weil er so verantwortungslos war und jede Menge Spaß hatte und nicht mal dafür bestraft wurde. Sie pustete auf ihre Nägel, und draußen wurde die Tür des Trucks zugeschlagen.
Im Stingaree war wohl nicht viel los gewesen.
Jetzt nahm sie sich den anderen Fuß vor, zog ihn dicht zu sich heran und beugte sich darüber; bei dem schwachen Licht musste sie die Augen zusammenkneifen. Sie lauschte seinen Schritten, die jetzt die Treppe hinaufkamen. Klack, klack, klack. Lauter als sonst.
Mit finsterer Miene hielt sie inne, sie hatte ein komisches Gefühl.
Dann hatte er den oberen Treppenabsatz erreicht, und als er um die Ecke aus dem Schatten trat, erkannte sie, dass es gar nicht Eddie war. Sondern Mister Hitzkopf.
Mit einem Bier in der Hand trat auf er das Bett zu, blieb, einen Daumen in die Hosentasche gehakt, am Fußende stehen und lächelte.
»Gefällt mir, das T-Shirt«, sagte er. »Wo ist Eddie?«
»Er ist nicht da.«
»Das seh ich auch.«
Junge, sie wünschte allerdings, er wäre hier.
»Wo ist er?«
»Er hat da diesen Job«, sagte sie. »Aber er muss jede Sekunde hier sein«, fügte sie schnell hinzu, nur damit er Bescheid wusste.
»Nennt er sich immer noch Eddie?«
Sie starrte ihn an. Woher wusste er das?
»Oder heißt er jetzt Wade?«
Sie konnte es nicht fassen. Und war stinksauer. Das sei ein Geheimnis, hatte Eddie gesagt, nur zwischen ihm und ihr. Da sieht man mal wieder, was passiert, wenn man jemandem vertraut. Sie würde diesem beschissenen Versager ordentlich den Kopf waschen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.
Dann ließ Mister Hitzkopf sich aufs Bettende plumpsen und räkelte sich. Della zögerte, schraubte den Nagellack zu und stellte ihn auf den Nachttisch, dann schob sie das T-Shirt mit beiden Händen nach unten zwischen ihre Oberschenkel. Plötzlich fühlte sie sich nackt.
»Warum bist du zurückgekommen?«, fragte sie.
Auf einen Ellbogen gestützt, betrachtete Ray Bob ihre Hände, mit den sie das T-Shirt umklammerte, und grinste. »Ich war zufällig in der Gegend und dachte, ich schau mal vorbei, um zu sehen, wie’s Ozzie und Harriet so geht. Und bringe Ozzie’n kaltes Bierchen mit.« Er hielt die Dose in die Höhe. »Wie geht’s Ozzie denn? Oder heißt er jetzt DeReese?«
Sie starrte ihn bloß an, so langsam bekam sie es mit der Angst. Sie wusste zwar, dass er verrückt war, aber das, was er jetzt sagte, ergab nicht den geringsten Sinn. Außerdem roch er nach Alkohol. Doch sie sagte nichts. Wieder warf sie einen Blick auf die Uhr. »Er muss jede Sekunde zurück sein, dann kannst du ihn das selbst fragen.«
»Das werd ich wohl.«
Die Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln hochgezogen, glotzte er sie mit seinen graugrünen Augen jetzt ebenfalls an, undurchdringlich und böse wie in jener Nacht, als sie ihn zum ersten Mal im Rückspiegel erblickt hatte. Das hatte ihr einen Schauer über den Rücken gejagt. Seine Augen wanderten kurz zu der aufgeschlagenen Bibel und wieder zurück.
»Du bist gar kein Model«, sagte er. »Wovor läufst du weg?«
Sie hob das Buch auf, klappte es zu und legte es auf ihren Schoß. Sie hoffte, dass im Stingaree tatsächlich wenig los war und Eddie bald nach Hause käme, am besten jetzt gleich. Denn Mister Hitzkopf jagte ihr eine Heidenangst ein.
»Was hast du angestellt?«, sagte er.
»Ich hab jemanden umgebracht« erwiderte sie, »einen Typen, der über mich hergefallen ist.«
Zunächst war sie überrascht davon, wie das einfach so aus ihr herausgeplatzt war, doch dann wurde ihr klar, dass es durchaus von Nutzen sein konnte, wenn er das wusste. Nur für alle Fälle. Sie drückte die Bibel gegen ihren Bauch und musterte sein Gesicht. Er blickte jetzt in die andere Richtung.
»Deine Kinder?«
Sie folgte seinem Blick, der auf Randy und Waylon im Nachbarbett ruhte. Sie lagen zusammengerollt unter der Decke und schliefen, beide den Daumen im Mund. Zuerst wollte sie so etwas sagen wie: »Nein, ich hab sie geliehen«, beschloss dann aber, sich nicht mit ihm anzulegen. Als sie sah, wie sich die dünne Decke hob und senkte, während die Jungs gleichzeitig ein- und ausatmeten, bekam sie überall an den Armen eine Gänsehaut.
Plötzlich stand er auf, schwang die Füße auf den Boden, trat an das Bett der Kinder, beugte sich hinunter und beäugte die beiden. »Weck sie bloß nicht auf«, sagte sie schnell.
»Tja, sieht aus, als wären sie immer noch ziemlich unruhig«, meinte er nach einer Weile, kam zurück und hockte sich erneut ans Bettende.
»Du hast also einen Mann getötet.«
Sie nickte.
»War er scharf auf deine Muschi?«
Sie antwortete nicht.
»Ist sie eng, deine Muschi?«, fragte er. Sie schwieg, und er fuhr fort. »Oder ist sie ganz ausgeleiert, von der Geburt der Kinder?«
»Frag Eddie, er wird jede Sekunde hier sein«, entgegnete sie bissig.
Er grinste erneut. »Du klingst wie dieser Typ unten am Pier, er kannte ungefähr einen kompletten Satz, den er ständig wiederholt hat. Ich glaub, er war ein bisschen nervös. Bist du auch nervös?«
»Nein.« Sie umklammerte die Bibel. Ihre Hände waren schweißnass. »Der Herr wird mich beschützen.«
Er lachte kurz auf und schüttelte amüsiert den Kopf. »Kann schon sein«, stimmte er zu, »aber die schlechte Nachricht ist, wenn er dich beschützt, beschützt er mich auch. Der Typ gibt allen die gleiche Chance. Ist das nicht die Scheiße an der ganzen Sache?«
»Ich glaube nicht, dass er jemanden wie dich beschützt«, erwiderte sie knapp. »Man muss es auch wollen.«
»Vielleicht tu ich das ja.«
»Man muss es verdient haben.«
»Und ich nehme an, dass du darüber zu befinden hast.«
Sie sagte nichts.
»Eine Frau, die einen Mann getötet hat«, sagte er.
»Der Typ hat mich angegriffen«, sagte sie. »Und ich habe um Vergebung gebeten.«
»Wie praktisch. Das macht ihn zwar nicht wieder lebendig, aber wenigstens fühlst du dich besser. Das hat mir an Jesus immer gefallen.«
»Ich werd mit dir nicht über Religion diskutieren«, sagte sie, »mit jemanden, der das sowieso nicht ernst nimmt.«
Er senkte den Kopf und kratzte sich hinterm Ohr: »Da haben wir’s, du urteilst schon wieder. Jetzt schau dir das Ganze doch mal genau an; was diesen Religionsquatsch betrifft, sind die Menschen ziemlich inkonsequent. Sie wollen Vergebung, ohne selber zu vergeben. Abgesehen davon warte ich natürlich auf das Arschloch. Vorher kann die Party sowieso nicht starten. Trotzdem muss ich das Bier hier nicht warm werden lassen.«
Er riss den Verschluss ab und nahm einen Schluck. »Als was arbeitet er denn?«
»Als Musiker.«
»Tatsächlich?«
Sie nickte, etwas zuversichtlicher jetzt, während sie daran dachte. »Er hat sich verändert. Er will mit deiner Art zu leben nichts mehr zu tun haben. Warum verschwindest du nicht einfach und lässt uns in Ruhe?«
»Hast du mal’nen Western gesehen?«, fragte Ray Bob. »Das klingt nämlich wie ein Satz aus einem Western. Wenn der Outlaw plötzlich erscheint, um seinen alten Gefährten wiederzutreffen, und dessen Frau sagt, ›Er hat sich verändert. Er will mit deiner Art zu leben nichts mehr zu tun haben. Warum verschwindest du nicht einfach und lässt uns in Ruhe?‹ Und wenn er ein guter Outlaw ist, hat er dafür Verständnis und reitet davon, und er tut einem leid, weil er jetzt wieder ganz auf sich allein gestellt ist. Doch wenn er ein böser Outlaw ist, bleibt er und wartet, spielt mit seinem Revolver herum und jagt der Frau gehörig Angst ein. Du erinnerst dich bestimmt an so eine Szene.«
Sie machte sich nicht die Mühe zu antworten.
»Aber heutzutage«, sagte er, »hält das Publikum so eine Szene für abgedroschen, für ein langweiliges Klischee. Zu wenig Action. Die Leute wollen sehen, wie der Outlaw – inzwischen ist es meist ein Drogendealer oder Psychopath -, sie wollen sehen, wie er die Frau vergewaltigt und seinen Kumpel tötet, wenn der zurückkehrt. Oder noch besser, er wartet auf ihn und vergewaltigt die Frau, während sein Kumpel dabei zuschauen muss, bevor er ihn tötet. Und falls die beiden Kinder haben, bringt er sie wahrscheinlich ebenfalls um. Alles ist voller Blut und gekrümmter Körper, superbrutal das Ganze, dazu das markerschütternde Geschrei und laute Keuchen, und alles in Großaufnahme, die Wut und die Angst. Weil sich das Publikum sonst langweilt, weißt du, was ich meine?«
Für eine Weile sagte keiner der beiden etwas; Della lauschte der Brandung, die sich unten am Strand brach, und den Fröschen im Sumpf, bis Randy im Schlaf schnaubte und sich herumrollte. Plötzlich stand Ray Bob auf. »Da fällt mir ein, dass ich unten was habe, das ich besser raufbringen sollte, bevor es meinen ganzen Truck vollpinkelt.« Dann verschwand er und stapfte die Stufen hinunter.
Sobald die Schritte verstummt waren, sprang Della vom Bett und fing an, keuchend Eddies Seesack zu durchwühlen; sie stöberte darin herum, bis sie sie schließlich gefunden hatte. Sie zerrte sie heraus und betrachtete sie in der Hoffnung, dass sie leicht zu bedienen war. Dann lief sie zur Fernsehecke und schaltete die Deckenbeleuchtung an. Sie postierte sich etwa einen Meter hinter dem Fernsehsessel und wartete dort, die ausgestreckten Arme mit der Pistole auf den oberen Treppenabsatz gerichtet.
Als Ray Bob zurückkehrte, trug er einen Welpen auf dem Arm, und für einen Moment kam ihr das unglaublich gespenstisch vor, denn ihr fiel Randys Wunsch wieder ein und die Geschichte, die sie ihm erzählt hatte, voller Sorge, er könnte deswegen schlecht gelaunt aufwachen – ihr war klar, dass ein derartiger Zufall etwas zu bedeuten hatte, wenn sie auch nicht wusste, was. Tatsächlich kam ihr das so gespenstisch vor, dass sie die Arme ein wenig sinken ließ, bevor sie sich wieder fasste, sie hochnahm und, den Finger am Abzug, erneut anlegte.
Ray Bob blieb stehen, während er den Welpen hin und her wiegte und sie dabei musterte. »Schau, was ich hier habe«, sagte er, als würde er die Pistole gar nicht bemerken.
»Du setzt dich jetzt da drüben auf die Couch, Freundchen,«, sagte sie, »und dann werden wir auf Eddie warten.« Dabei deutete sie mit den ausgestreckten Armen und der Pistole in besagte Richtung.
Er trottete an ihr vorbei und setzte sich mit dem Welpen im Arm hin, lehnte sich gegen das Polster und schlug grinsend die Beinen übereinander.
»Was hab ich dir gesagt?«, meinte er. »Dacht ich mir doch, dass du den Film gesehen hast.«
Robbers: Thriller
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