8
 
Rule Hooks saß im Unterhemd an seinem Küchentisch. Neben ihm lag ein Taschenbuch mit Eselsohren, James Lee Burkes Im Schatten der Mangroven. Er hockte völlig reglos da, die grobknochige Hand um eine Flasche kaltes Dos Equis gelegt. Durch die hintere Fliegengittertür drang die Nacht in den Raum, und auf der Schwelle lag mit seinem braunen Fell und dem weißen Kopf sein Jagdhund Lefty. Er schlief. Im Garten zirpten die Grillen. Ein sanfter Luftzug wehte durch die offene Tür und trug einen leichten Duft von Geißblatt herein. Irgendwo im nahen Dunkel rief eine Nachtschwalbe.
Mitternacht.
Er hob die Flasche und trank. Unter dem trüben Küchenlicht war ein feines Netz dünner Risse auf dem alten und abgenutzten Wachstuch zu erkennen. Eine Spinnennetz-Topografie der Jahre, in der sich das erbarmungslose Verstreichen der Zeit abbildete. Zuerst existierte es überhaupt nicht oder blieb wenigstens unbemerkt. Dann nahm es zu, eine stetige Irritation, eine immer bedrückendere Sorge. Und schließlich die Beschleunigung, ein heftiger Druck und Momente der Panik. Gegen die man ankämpfte. Und ankämpfte. Er nahm noch einen kleinen Schluck und konzentrierte sich wieder auf die Frau auf der anderen Seite des Tisches.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich so bei dir reinplatze, Rule, mitten in der Nacht und so. Aber du bist mir nicht aus dem Kopf gegangen.« Sie griff nach ihrer Flasche Bier, probierte zaghaft und tippte mit einem Fingernagel an das Glas. »Ziemlich gut. Bist du sicher, dass es aus Mexiko kommt?«
Rule schaute sie an und wartete. Sie trug ein Western-Shirt aus Gabardine über einem hellgrünem Top mit dunkelgrünen Zickzack-Trägern. Taschen mit Perlendruckknöpfen, Röhrenärmel mit weißen Baumwollstreifen, Pailletten auf Kragen und Manschetten. Ein Bob-Wills-Hemd für Frauen. Dazu eine nicht weniger auffällige Hose und ein handgearbeiteter Ledergürtel mit weißen Nähten. Kleine gescheckte Stiefel mit silbernen Schnallen. Ein Aufzug, wie Porter Wagoner ihn tragen könnte – wenn Porter im Fummel loszöge. Das Einzige, was fehlte, war ein Hut.
Sie berührte ihr Haar, das sie in einer dichten Mähne trug und das so golden getönt war wie die Haare von Farrah Fawcett.
»Ich hab meinen Hut im Auto gelassen«, sagte sie. »Er drückt meine Frisur platt.«
Rule grunzte und strich sich über seine Khakihose. Sie war zum Anbeißen, aber ihm gefiel nicht, wie sie sich in seinem Kopf festsetzte. Das kam ihm irgendwie ungesund vor.
Sie fuhr fort. »Ich hab mich daran erinnert, wie wir uns draußen im Pedernales Park getroffen haben. Letzten Herbst. Weißt du noch? Wir sind flussaufwärts gewandert, haben uns in die Sonne gelegt und uns auf einem Felsbock geliebt. Es war so natürlich.« Sie lächelte. »Und so schön.«
»Ich hab gehört, du willst dich scheiden lassen.«
»Ja, stimmt.« Sie verengte die graugrünen Katzenaugen und musterte ihn. »Wo hast du das gehört?«
»Auf der Straße.«
»Auf welcher Straße?«
»Auf einer namenlosen Straße«, entgegnete Rule.
»Es gibt keine namenlose Straße.« Sie warf den Kopf zurück. »Hast du mit Moline gesprochen?«
»Das tu ich praktisch täglich«, sagte Rule. »Wir arbeiten zusammen.«
»Ja, das weiß ich.«
»Wo kommst du so aufgetakelt her?«
Sie nippte an ihrem Bier. »Aus dem Broken Spoke.«
»Hat dich jemand versetzt?«
»Sei nicht gemein, Rule.« Sie schob die Flasche in die Mitte des Tisches und ließ sie dort stehen.
»Er hat mir einfach nicht gefallen, das ist alles.«
Rule lauschte auf die Grillen, die draußen zirpten, und den neuerlichen Ruf der Nachtschwalbe. Weich und melodiös, wie ein Echo. »Ich nehme an, Moline gefällt dir auch nicht?«
»Er ist schon in Ordnung.« Sie runzelte die Stirn. »Nein, ist er nicht. Er trinkt zu viel.«
»Du gibst ihm einen Grund dafür.«
»Moline braucht keinen Grund. Wann hat er es dir erzählt?«
»Heute Abend.«
Mit den Fingernägeln zupfte sie ein Stückchen Mull von ihrem Hosenbein und schnippte es fort. »Dann ist es wohl ein wichtiger Fall, wenn er nachts arbeitet.«
»Er muss Überstunden machen«, sagte Rule. Er stützte sich mit einem Ellbogen auf den Tisch und tippte mit dem ausgestreckten Finger gegen die Vorderseite ihres Hemdes.
»Er muss schließlich das schicke Outfit bezahlen, das du trägst. Was hat es gekostet?«
»Das geht dich nichts an.«
Sie stand auf, umrundete den Tisch, stellte sich an die Tür und schaute in die Dunkelheit hinaus. Im Lichtschein der Küche, der in einem verzerrten Rechteck über die Holztreppe und den Boden draußen fiel, zeichnete sich ihre Silhouette ab. Lefty regte sich auf der Schwelle. Er öffnete ein Auge, dann schloss er es wieder.
»Du musst dein Gras mähen«, sagte sie. »Und was ist das eigentlich für ein Hund?«
»Das ist Lefty«, antwortete Rule. Er hatte sich nicht umgewandt, sondern sprach geradeaus, als säße sie immer noch am Tisch.
»Lefty, ich darf dir Dana vorstellen. Er ist ein Walker. Jagt Waschbären, wenn er nicht gerade schläft. Lefty schläft gern.«
Sie drehte sich um, machte zwei Schritte, blieb dicht hinter Rules Stuhl stehen und legte ihm die Hände auf die Schultern. Ließ sie einfach, leicht wie Schmetterlinge, auf den Trägern seines Unterhemdes ruhen. Dann begann sie ihn zu massieren. Ihre Hände waren klein, gruben sich aber mit erstaunlicher Kraft in seine Muskeln. Nach einer Weile beugte sie sich vor und legte ihre Wange an seinen Nacken.
»Ich fühle mich selbst ein bisschen schläfrig«, sagte sie. »Willst du ins Bett?«
Rule murmelte, er sei nicht müde. Den Kopf immer noch an ihn gelehnt, antwortete sie, das habe sie auch nicht gemeint. Rule erwiderte, das sei ihm schon klar. Sie verkündete, ihr sei klar, dass es ihm klar sei. »Dann haben wir ja alles geklärt«, konstatierte Rule.
Sie gab ihm einen Klaps aufs Ohr. »Rule, warum bist du so verdammt gemein?«
»Das liegt in meiner Natur.«
»Das glaub ich dir gerne. Ich sollte dir eins überziehen.«
Rule nahm sein Bier und trank die Flasche in einem langen Zug leer. Dann stellte er sie mit einem heftigen Ruck ab. »Tu das, und ich mach dasselbe mit dir.«
»Ich werd dir in den Nacken beißen.«
»Du weißt scheinbar nicht, was Ärger bedeutet«, sagte er.
»Das ist doch alles bloß Angeberei.«
Sie biss ihn ganz hinten in den Nacken. Ihre Zähne waren klein und scharf. Er rührte sich nicht. Sie bewegte sich ein Stück zur Seite, nahm eine Hautfalte zwischen die Zähne und biss fester zu. Er regte sich noch immer nicht. Sie hob den Kopf und betrachtete die Abdrücke ihrer Zähne. »Jetzt sieh dir an, wozu du mich gebracht hast.«
Sie beugte sich wieder hinunter, leckte über die Stelle, legte den Mund darüber und begann zu saugen. So heftig, dass garantiert ein Fleck zurückbleiben würde.
»Bis du fertig?«, fragte Rule.
»Schätzchen, ich hab noch nicht mal angefangen.«
»Das mag sein«, antwortete Rule. »Aber ich werde es ganz sicher beenden.«
Rule schob den Stuhl zurück und erhob sich in einer einzigen geschmeidigen Bewegung. Mit einem Bein schubste er den Stuhl zur Seite, packte sie um die Hüfte und riss sie hoch. Sie schrie, griff nach hinten, versenkte die Nägel in seinen Rippen und zerkratzte ihm die Haut durch das dünne Baumwollhemd hindurch. Er ignorierte die kratzenden Nägel, hob sie noch höher und trug sie durch die Küche ins Wohnzimmer und die Diele, wobei sie ununterbrochen um sich trat und kreischte. Er stieß die Tür mit einem Fuß auf und warf sie aufs Bett.
Er trug nur Socken, während sie noch an ihren Stiefeln zog. Trotzdem war sie vor ihm nackt. Ihre Kleider landeten auf dem Fußboden und zwischen den Laken. Als er sich endlich ausgezogen hatte, ihre Beine auseinanderdrückte und über sie herfiel, begann sie zu schreien. Sie hörte erst wieder auf, als er in einem Zustand beinahe lebloser Ermattung keuchend auf ihr lag. Sein Rücken war mit Schweiß bedeckt und von langen roten Striemen überzogen. Er rollte sich herunter und blieb auf dem Rücken liegen, einen Arm unter den Kopf gelegt, während sie an seiner Brust knabberte.
Gott, sie war wirklich ein Heuler, daran gab es nichts zu deuten. Und ein Kratzer. Diesen Teil hatte er vergessen gehabt. Wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht vorstellen, wie Moline sie jemals hatte halten können.
Robbers: Thriller
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