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Rule Hooks saß im Unterhemd an seinem Küchentisch.
Neben ihm lag ein Taschenbuch mit Eselsohren, James Lee Burkes
Im Schatten der Mangroven. Er hockte
völlig reglos da, die grobknochige Hand um eine Flasche kaltes Dos
Equis gelegt. Durch die hintere Fliegengittertür drang die Nacht in
den Raum, und auf der Schwelle lag mit seinem braunen Fell und dem
weißen Kopf sein Jagdhund Lefty. Er schlief. Im Garten zirpten die
Grillen. Ein sanfter Luftzug wehte durch die offene Tür und trug
einen leichten Duft von Geißblatt herein. Irgendwo im nahen Dunkel
rief eine Nachtschwalbe.
Mitternacht.
Er hob die Flasche
und trank. Unter dem trüben Küchenlicht war ein feines Netz dünner
Risse auf dem alten und abgenutzten Wachstuch zu erkennen. Eine
Spinnennetz-Topografie der Jahre, in der sich das erbarmungslose
Verstreichen der Zeit abbildete. Zuerst existierte es überhaupt
nicht oder blieb wenigstens unbemerkt. Dann nahm es zu, eine
stetige Irritation, eine immer bedrückendere Sorge. Und schließlich
die Beschleunigung, ein heftiger Druck und Momente der Panik. Gegen
die man ankämpfte. Und ankämpfte. Er nahm noch einen kleinen
Schluck und konzentrierte sich wieder auf die Frau auf der anderen
Seite des Tisches.
»Ich hoffe, es macht
dir nichts aus, wenn ich so bei dir reinplatze, Rule, mitten in der
Nacht und so. Aber du bist mir nicht aus dem Kopf gegangen.« Sie
griff nach ihrer Flasche Bier, probierte zaghaft und tippte mit
einem Fingernagel an das Glas. »Ziemlich gut. Bist du sicher, dass
es aus Mexiko kommt?«
Rule schaute sie an
und wartete. Sie trug ein Western-Shirt aus Gabardine über einem
hellgrünem Top mit dunkelgrünen Zickzack-Trägern. Taschen mit
Perlendruckknöpfen, Röhrenärmel mit weißen Baumwollstreifen,
Pailletten auf Kragen und Manschetten. Ein Bob-Wills-Hemd für
Frauen. Dazu eine nicht weniger auffällige Hose und ein
handgearbeiteter Ledergürtel mit weißen Nähten. Kleine gescheckte
Stiefel mit silbernen Schnallen. Ein Aufzug, wie Porter Wagoner ihn
tragen könnte – wenn Porter im Fummel loszöge. Das Einzige, was
fehlte, war ein Hut.
Sie berührte ihr
Haar, das sie in einer dichten Mähne trug und das so golden getönt
war wie die Haare von Farrah Fawcett.
»Ich hab meinen Hut
im Auto gelassen«, sagte sie. »Er drückt meine Frisur
platt.«
Rule grunzte und
strich sich über seine Khakihose. Sie war zum Anbeißen, aber ihm
gefiel nicht, wie sie sich in seinem Kopf festsetzte. Das kam ihm
irgendwie ungesund vor.
Sie fuhr fort. »Ich
hab mich daran erinnert, wie wir uns draußen im Pedernales Park
getroffen haben. Letzten Herbst. Weißt du noch? Wir sind
flussaufwärts gewandert, haben uns in die Sonne gelegt und uns auf
einem Felsbock geliebt. Es war so natürlich.« Sie lächelte. »Und so
schön.«
»Ich hab gehört, du
willst dich scheiden lassen.«
»Ja, stimmt.« Sie
verengte die graugrünen Katzenaugen und musterte ihn. »Wo hast du
das gehört?«
»Auf der
Straße.«
»Auf welcher
Straße?«
»Auf einer
namenlosen Straße«, entgegnete Rule.
»Es gibt keine
namenlose Straße.« Sie warf den Kopf zurück. »Hast du mit Moline
gesprochen?«
»Das tu ich
praktisch täglich«, sagte Rule. »Wir arbeiten
zusammen.«
»Ja, das weiß ich.«
»Wo kommst du so
aufgetakelt her?«
Sie nippte an ihrem
Bier. »Aus dem Broken Spoke.«
»Hat dich jemand
versetzt?«
»Sei nicht gemein,
Rule.« Sie schob die Flasche in die Mitte des Tisches und ließ sie
dort stehen.
»Er hat mir einfach
nicht gefallen, das ist alles.«
Rule lauschte auf
die Grillen, die draußen zirpten, und den neuerlichen Ruf der
Nachtschwalbe. Weich und melodiös, wie ein Echo. »Ich nehme an,
Moline gefällt dir auch nicht?«
»Er ist schon in
Ordnung.« Sie runzelte die Stirn. »Nein, ist er nicht. Er trinkt zu
viel.«
»Du gibst ihm einen
Grund dafür.«
»Moline braucht
keinen Grund. Wann hat er es dir erzählt?«
»Heute
Abend.«
Mit den Fingernägeln
zupfte sie ein Stückchen Mull von ihrem Hosenbein und schnippte es
fort. »Dann ist es wohl ein wichtiger Fall, wenn er nachts
arbeitet.«
»Er muss Überstunden
machen«, sagte Rule. Er stützte sich mit einem Ellbogen auf den
Tisch und tippte mit dem ausgestreckten Finger gegen die
Vorderseite ihres Hemdes.
»Er muss schließlich
das schicke Outfit bezahlen, das du trägst. Was hat es
gekostet?«
»Das geht dich
nichts an.«
Sie stand auf,
umrundete den Tisch, stellte sich an die Tür und schaute in die
Dunkelheit hinaus. Im Lichtschein der Küche, der in einem
verzerrten Rechteck über die Holztreppe und den Boden draußen fiel,
zeichnete sich ihre Silhouette ab. Lefty regte sich auf der
Schwelle. Er öffnete ein Auge, dann schloss er es
wieder.
»Du musst dein Gras
mähen«, sagte sie. »Und was ist das eigentlich für ein
Hund?«
»Das ist Lefty«,
antwortete Rule. Er hatte sich nicht umgewandt, sondern sprach
geradeaus, als säße sie immer noch am Tisch.
»Lefty, ich darf dir
Dana vorstellen. Er ist ein Walker. Jagt Waschbären, wenn er nicht
gerade schläft. Lefty schläft gern.«
Sie drehte sich um,
machte zwei Schritte, blieb dicht hinter Rules Stuhl stehen und
legte ihm die Hände auf die Schultern. Ließ sie einfach, leicht wie
Schmetterlinge, auf den Trägern seines Unterhemdes ruhen. Dann
begann sie ihn zu massieren. Ihre Hände waren klein, gruben sich
aber mit erstaunlicher Kraft in seine Muskeln. Nach einer Weile
beugte sie sich vor und legte ihre Wange an seinen
Nacken.
»Ich fühle mich
selbst ein bisschen schläfrig«, sagte sie. »Willst du ins
Bett?«
Rule murmelte, er
sei nicht müde. Den Kopf immer noch an ihn gelehnt, antwortete sie,
das habe sie auch nicht gemeint. Rule erwiderte, das sei ihm schon
klar. Sie verkündete, ihr sei klar, dass es ihm klar sei. »Dann
haben wir ja alles geklärt«, konstatierte Rule.
Sie gab ihm einen
Klaps aufs Ohr. »Rule, warum bist du so verdammt
gemein?«
»Das liegt in meiner
Natur.«
»Das glaub ich dir
gerne. Ich sollte dir eins überziehen.«
Rule nahm sein Bier
und trank die Flasche in einem langen Zug leer. Dann stellte er sie
mit einem heftigen Ruck ab. »Tu das, und ich mach dasselbe mit
dir.«
»Ich werd dir in den
Nacken beißen.«
»Du weißt scheinbar
nicht, was Ärger bedeutet«, sagte er.
»Das ist doch alles
bloß Angeberei.«
Sie biss ihn ganz
hinten in den Nacken. Ihre Zähne waren klein und scharf. Er rührte
sich nicht. Sie bewegte sich ein Stück zur Seite, nahm eine
Hautfalte zwischen die Zähne und biss fester zu. Er regte sich noch
immer nicht. Sie hob den Kopf und betrachtete die Abdrücke ihrer
Zähne. »Jetzt sieh dir an, wozu du mich gebracht
hast.«
Sie beugte sich
wieder hinunter, leckte über die Stelle, legte den Mund darüber und
begann zu saugen. So heftig, dass garantiert ein Fleck
zurückbleiben würde.
»Bis du fertig?«,
fragte Rule.
»Schätzchen, ich hab
noch nicht mal angefangen.«
»Das mag sein«,
antwortete Rule. »Aber ich werde es ganz sicher
beenden.«
Rule schob den Stuhl
zurück und erhob sich in einer einzigen geschmeidigen Bewegung. Mit
einem Bein schubste er den Stuhl zur Seite, packte sie um die Hüfte
und riss sie hoch. Sie schrie, griff nach hinten, versenkte die
Nägel in seinen Rippen und zerkratzte ihm die Haut durch das dünne
Baumwollhemd hindurch. Er ignorierte die kratzenden Nägel, hob sie
noch höher und trug sie durch die Küche ins Wohnzimmer und die
Diele, wobei sie ununterbrochen um sich trat und kreischte. Er
stieß die Tür mit einem Fuß auf und warf sie aufs
Bett.
Er trug nur Socken,
während sie noch an ihren Stiefeln zog. Trotzdem war sie vor ihm
nackt. Ihre Kleider landeten auf dem Fußboden und zwischen den
Laken. Als er sich endlich ausgezogen hatte, ihre Beine
auseinanderdrückte und über sie herfiel, begann sie zu schreien.
Sie hörte erst wieder auf, als er in einem Zustand beinahe lebloser
Ermattung keuchend auf ihr lag. Sein Rücken war mit Schweiß bedeckt
und von langen roten Striemen überzogen. Er rollte sich herunter
und blieb auf dem Rücken liegen, einen Arm unter den Kopf gelegt,
während sie an seiner Brust knabberte.
Gott, sie war
wirklich ein Heuler, daran gab es nichts zu deuten. Und ein
Kratzer. Diesen Teil hatte er vergessen gehabt. Wenn er ehrlich
war, konnte er sich nicht vorstellen, wie Moline sie jemals hatte
halten können.