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In einem Holiday Inn im westlichen Teil von Houston
saß Della Street, nippte an ihrem Screwdriver und stieß die Hand
des Mannes weg, die sich unter ihrem Rock nach oben stahl. Sie
saßen nebeneinander auf den gepolsterten Hockern der Atrium-Bar.
Der Screwdriver war schon der dritte Drink, den er ihr spendiert
hatte. In derselben Zeit hatte er allerdings die doppelte Menge
getrunken, mit dem Ergebnis, dass er inzwischen sturzbetrunken
war.
»Was haben Sie noch
gesagt, was Sie beruflich machen?«, fragte der Mann.
»Ich bin Model«,
antwortete Della.
Lügen, Lügen, Lügen.
Sie hasste es, aber kein Mann im Geschäftsanzug in einem hübschen
Holiday Inn würde eine Kosmetikerin aus Sugar Land ernst
nehmen.
»Ein Model, hä? Wie
die auf der Bühne?« Der Mann lächelte. Genauer gesagt, er grinste
anzüglich. »Eine Stripperin?«
Wieder legte er ihr
die Hand aufs Knie. Sie schob sie weg und rief sich in Erinnerung,
dass sie gerade auf ihrem Hocker sitzen sollte, mit
zurückgezogenen, aber entspannten Schultern. Sie nippte an ihrem
Glas und ignorierte seine Bemerkung.
»Schon gut, is schon
klar, okay, also was für’n Model?«
Sie schnippte eine
Haarsträhne über die Schulter. »Mode. In Katalogen. Montgomery
Wards, JC Penney, solche Sachen.«
Sie musterte sich im
Spiegel hinter der Bar. Langes blondes Haar fiel in Wellen über
ihre Schultern, ihr größter Vorzug. Ihr Gesicht war vielleicht ein
wenig lang für ihre Nase, und die Augen standen zu dicht
beieinander, aber die Haare lenkten von alldem ab. Vor allem die
Stirnfransen. Lange weiche Fransen. Das hatte sie in der
Kosmetikschule gelernt. Immerhin gab sie sich nie als Model für
Sakowitz oder Neuman Marcus aus. Oder für Modemagazine. Sie wollte
es nicht übertreiben.
»Ich hab dich in
einem davon gesehen«, sagte der Mann. »Klar, jetzt erinnere ich
mich.«
»Wirklich? In
welchem denn?«
»Wards«, sagte er
und nickte. »Ehrlich, auf den BH-Seiten. Du hast schöne Dinger …
Titten … du weißt schon, Brüste.«
Della kratzte sich
mit dem Nagel ihres kleinen Fingers im Mundwinkel und ließ sich
seine Bemerkung durch den Kopf gehen. Ihrer Meinung nach hatte er
recht. Himmel, sie benutzte dieses Suzanne-Somers-Trainingsdingsda
schließlich lange genug. Jeden Morgen vor der Arbeit und abends,
wenn sie sich vor dem Einschlafen noch Letterman ansah. Zuerst
hatte sie an der Größe gearbeitet, jetzt ging’s darum, sie zu
straffen. Sie rümpfte die Nase. »Nein, Sie haben mich nicht
gesehen. Ich werbe nicht für BHs, sondern für Strumpfhosen. Und
Schuhe.«
Der Mann schaute
hinunter, dorthin, wo ihre Füße auf der Stange des Hockers standen.
Er wackelte mit dem Kopf. »Das glaub ich nicht, deine Knöchel sind
zu breit.«
Befangen schlug sie
die Beine übereinander, sodass ihr Fuß in die andere Richtung
zeigte. Sie musste ihm recht geben. Aber was konnte sie daran
ändern? Die Natur hatte ihre Grenzen. Mit der Knochenstruktur war
es nicht wie mit Hüfte und Titten. Oder den Haaren. Sie warf einen
Blick in den Spiegel und richtete ihre Fransen.
»Dafür braucht man
nämlich schlanke«, erklärte der Typ. »Richtig
schnuckelige.«
Er schwankte auf
seinem Hocker, stützte sich mit einem Ellbogen auf der Bar ab und
formte einen kleinen Kreis mit Daumen und Zeigefinger. Er schloss
das eine Auge, beugte sich vor zu dem Kreis und lugte mit dem
anderen Auge hindurch. »Ungefähr so.«
Della ließ die
Schultern sacken und atmete langsam aus. Mein Gott, der Kerl war
ein Idiot. Ein kompletter Abend verschwendet. Da spart man die
ganze Woche, um die Anzahlung für ein neues Outfit bei Dillard’s
zusammenzukriegen, und hockt am Ende mit einem Betrunkenen da.
Einem richtigen Ekel. Dabei war er am Anfang ganz nett gewesen. Ein
Vertreter für Tyler-Rohre. Guter Haarschnitt, sauberer Geruch.
Grauer Anzug mit einer farblich passenden, gepunkteten
Seidenkrawatte. Er trug sogar ein Taschentuch in der Brusttasche.
Hatte sich neben sie gesetzt und gelächelt. »Ich verkaufe
Rohrleitungen nach Kilometern und installiere sie meterweise. Das
bringt riesige Provisionen. Möchten Sie einen Drink?«
Sie hatte Ja und
Danke gesagt. Ihm zugehört, wie er über Rohre sprach. Interessiert
getan. Viel genickt und gelächelt, die Hände im Schoß gefaltet, so
wie es die Checkliste in Redbook
empfahl. Und jetzt dieser Mist.
»Meine Frau hat
solche Knöchel«, sagte der Mann gerade. Er runzelte die Stirn und
ließ den Kopf vornüberkippen, um ihn im nächsten Moment ruckartig
wieder hochzureißen. »Meine Exfrau. Hab ich Frau gesagt? Ich meine
Exfrau.«
Della legte die Hand
auf ihr Täschchen und entschuldigte sich. Sie hatte beschlossen,
für eine Weile auf die Toilette zu verschwinden, ihr Make-up
aufzufrischen und die Frisur zu richten. Vielleicht würde sich der
Typ ja aus Langeweile verdrücken. Oder einfach umkippen. Vielleicht
hatte sie noch Zeit, jemand anders kennenzulernen. Auch wenn es
langsam spät wurde. Sie schaute sich um. Die meisten Tische waren
unbesetzt. Die Atrium-Bar leerte sich allmählich.
In diesem Moment
schoss seine Hand ohne Vorwarnung auf sie zu, und er quetschte ihre
rechte Brust durch die nagelneue Reyon-Bluse. Die Finger gespreizt,
sodass er gut zupacken konnte. »Doch, es waren die BHs, ich kann
mich genau erinnern.«
Instinktiv holte sie
mit dem rechten Arm aus und versetzte ihm einen Schlag auf die
Nase. Er stürzte seitlich von dem hohen gepolsterten Hocker auf den
Parkettboden. Keine weiche Landung. Er lag auf dem Boden und wirkte
benommen. Aber nur für einen Augenblick. Dann war er schnell auf
den Beinen, sehr schnell sogar für einen Betrunkenen, dachte sie,
und vor allem war er unverletzt. Das überraschte sie nicht. Säufer
verletzten sich nie. Wenn ein Besoffener mit seinem Ford Escort in
einen Greyhound kracht und die Hälfte der Leute im Bus sterben,
kommt das Arschloch mit einem blauen Auge davon. Aber sein Tempo
überraschte sie doch. Wie der Blitz ragte er vor ihr auf und
knurrte sie an. »Verdammt, du bist genau wie dieses eingebildete
Miststück, genau wie sie.« Dann ballte er die Faust und holte
aus.
Ihr blieb keine
Zeit, um ihn abzuwehren.
Also schloss Della
reflexartig die Augen und wartete. Sie wusste, wie es sich anfühlen
würde. Nur dass der Schlag nicht kam. Sie wartete noch einen
Moment, denn man konnte ja nie wissen. Doch dann öffnete sie die
Augen. Ein Mann stand hinter dem Rohrverkäufer und hatte ihm den
Arm auf den Rücken gedreht. Er war groß, schlank, und eine schwarze
Locke fiel ihm in die Stirn, als hätte ein True Romance-Illustrator sie genau dort
hingezeichnet. Blaue Augen, eckiges Kinn, heller Teint. Er sah
genau so aus wie dieser Typ, der James Bond spielte. Der aus
Remington Steele. Dann nickte er, ein höfliches Nicken, wie wenn
man sich an den Hut tippt, und sagte mit einer ruhigen,
respektvollen Stimme: »Belästigt Sie dieser Mann,
Miss?«
Beinahe wäre sie vom
Hocker gefallen.
»Das Miststück hat
mich an der Nase rumgeführt«, protestierte der Vertreter lauthals.
Er wand sich im Griff des anderen und versuchte sich zu befreien.
»Sie is’ne Drogensüchtige, das is sie.«
Ihr Retter hob den
verdrehten Arm des Mannes noch ein Stück an, der daraufhin das
Gesicht verzog und grunzte. »So redet man nicht mit einer Dame«,
erklärte Mister Traumschiff. Dann schob er den Kerl zwischen den
flachen Tischen mit den Rauchglasplatten hindurch, quer durch das
Atrium und vorbei an grünen Topfpflanzen, an dem Klavierspieler im
Smoking vorbei, der sanfte Mondlichtmelodien spielte, vorbei auch
an den lachsfarbenen, s-förmigen Sofas, den Rattansesseln neben den
Aufzügen im Empfangsraum und an der Rezeption beim Haupteingang.
Weiter konnten Dellas Augen ihnen nicht folgen.
Sie blieb sitzen und
wartete. Sie legte die Beine übereinander und faltete die Hände im
Schoß. Dann legte sie die Beine andersherum übereinander, sodass
ihr Knöchel weit unten hing und keine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Allerdings war das ungemütlich. Also stellte sie beide Füße
nebeneinander auf die Stange des Hockers, wo sie außer Sicht waren.
Viel besser. Sie betrachtete sich im Spiegel hinter der Bar,
lächelte und griff sich in die Haare, um die Fransen wieder
aufzulockern. Dann legte sie die Hand wieder in den Schoß und
zupfte durch den Rock hindurch diskret am elastischen Band ihrer
Strumpfhose. Nicht, dass es etwas zu bedeuten gehabt hätte. Aber
sie konnte diese unansehnlichen roten Abdrücke nicht gebrauchen.
Nur für den Fall des Falles.
Der Barkeeper kam zu
ihr herüber und fragte, ob sie noch einen Drink wollte. Er war ein
junger Kerl, ein Collegestudent, der wie Jan Michael-Vincent
herumstolzierte, mit der Andeutung eines Grinsens auf dem Gesicht.
Als Della den Kopf schüttelte, fragte er: »Wirklich nicht? Geht
aufs Haus.« Na ja, in dem Fall hatte sie nichts gegen eine
Kleinigkeit, aber keinen Screwdriver mehr, sondern was anderes.
Etwas Exotischeres vielleicht.
»Kein Problem«,
meinte er und brachte ihr ein gefülltes Glas.
Sie nippte an dem
Tom Collins und wartete. Schaute auf die Uhr. Er ließ sich wirklich
Zeit. Der Haupteingang des Hotels lag doch gar nicht so weit
entfernt. Jetzt erst dämmerte ihr, dass er vielleicht gar nicht
zurückkommen würde. Aber dieser negative Gedanke bedrückte sie,
also hörte sie auf, an ihn zu denken. Jedenfalls theoretisch.
Sämtliche Magazine waren voll mit Artikeln, die gute Ratschläge
erteilten, nur waren sie schwer zu befolgen. Man musste sich selbst
immer wieder daran erinnern, und meistens fielen sie einem erst
dann ein, wenn man längst mit einer Sache beschäftigt war. Sie
schloss die Augen und stellte sich vor, wie Mister Traumschiff
zurückkehrte und sich auf den Hocker neben sie setzte. Sehr
angenehm. Positiv.
Sie öffnete die
Augen und schielte auf die Uhr. Verdammt. Sie überlegte, ob sie
sich eine Zigarette gönnen sollte, Benson & Hedges Menthol.
Normalerweise rauchte sie eine Billigmarke, als alleinerziehende
Mutter, die mit ihrem Etat klarkommen musste. Sofern man beim
Mindestlohn von einem Etat reden konnte. Wenn man allerdings im
Holiday Inn jemanden kennenlernen wollte, konnte man nicht mit
diesem Kraut auftauchen. Sie nahm das Päckchen vom Tresen, zögerte
und legte es wieder zurück. Vielleicht sollte sie warten und sich
von ihm Feuer geben lassen. Ein schöner Gedanke. Positiv. Sie
lächelte in den Spiegel. Aber was, wenn er etwas gegen Raucheratem
hatte? Sie fischte in ihrem Täschchen nach einem
Minzdragee.
Sie hatte es bis auf
einen kleinen Ring weggelutscht, den sie nicht zerbrechen wollte,
was vor allem angesichts ihrer Nervosität gar nicht so einfach war,
da tauchte er neben ihrem Hocker auf und fragte, ob er ihr
Gesellschaft leisten dürfe.
»Ja«, sagte sie und
arrangierte die Hände wieder in ihrem Schoß. »Und es ist wirklich
nett von Ihnen, dass Sie fragen.«
»Ich kann Ihnen
versichern, dass das Vergnügen ganz auf meiner Seite
liegt.«
Sie schloss die
Augen und seufzte.
Er setzte sich,
glättete seine Anzughose und seine Manschetten, stützte die
Ellbogen auf die Bar und verschränkte die Hände. Schöne Hände mit
langen, vorne schmaler werdenden Fingern. Nachdenklich lehnte er
sein Kinn dagegen. Seine Augen fixierten irgendetwas in der Ferne.
Nein, nicht in der Ferne. Innen, in ihm selbst, während er sich
sammelte. Della wartete geduldig ab, dass er seinen Namen nennen
und nach ihrem fragen würde. Dass er über seine Arbeit oder über
Footballteams reden würde, darüber, wer welche Meisterschaft
gewinnen würde, oder über die wirtschaftliche Lage, die sich schwer
vorhersagen ließ. Irgendetwas in der Art.
Sie war bereit
zuzuhören und nicht zu vergessen, bei jeder möglichen Gelegenheit
zu nicken und zu lächeln, allem zuzustimmen, egal was er sagte. In
diesem Moment wandte Mister Traumschiff ihr das Gesicht zu und
seine kristallblauen Augen bohrten sich in die ihren. »Ich bin der
Manager einer der Top-500-Firmen und arbeite so hart, dass ich kaum
die Zeit zum Essen finde, geschweige denn für soziale Kontakte.
Außerdem bin ich sehr direkt, weil das der schnellste Weg zum Kern
der Dinge ist, egal worum es geht. Im Augenblick habe ich ein
Dutzend Dinge zu tun – die Anforderungen sind strapaziös und jede
einzelne Sache furchtbar dringend -, aber ich bin müde und allein.
Sie sind die schönste Frau, die mir seit Langem begegnet ist. Wären
Sie bereit, in meinem Zimmer einen Drink mit mir zu
nehmen?«
Della legte eine
Hand auf die Bar, um nicht das Gleichgewicht zu
verlieren.
»Verzeihen Sie mir,
wenn ich zu direkt war«, sagte er. Nach einer winzigen Pause und
einer unmerklichen Kopfbewegung fuhr er fort: »Aber ich hatte das
Gefühl, wir empfinden etwas Ähnliches.«
»Ja«, sagte Della.
Ihr war ein wenig schwummerig, sodass sie ganz zu lächeln vergaß.
Immerhin brachte sie ein Nicken zustande. »Oh ja. Und vielen
Dank.«