7
 
In einem Holiday Inn im westlichen Teil von Houston saß Della Street, nippte an ihrem Screwdriver und stieß die Hand des Mannes weg, die sich unter ihrem Rock nach oben stahl. Sie saßen nebeneinander auf den gepolsterten Hockern der Atrium-Bar. Der Screwdriver war schon der dritte Drink, den er ihr spendiert hatte. In derselben Zeit hatte er allerdings die doppelte Menge getrunken, mit dem Ergebnis, dass er inzwischen sturzbetrunken war.
»Was haben Sie noch gesagt, was Sie beruflich machen?«, fragte der Mann.
»Ich bin Model«, antwortete Della.
Lügen, Lügen, Lügen. Sie hasste es, aber kein Mann im Geschäftsanzug in einem hübschen Holiday Inn würde eine Kosmetikerin aus Sugar Land ernst nehmen.
»Ein Model, hä? Wie die auf der Bühne?« Der Mann lächelte. Genauer gesagt, er grinste anzüglich. »Eine Stripperin?«
Wieder legte er ihr die Hand aufs Knie. Sie schob sie weg und rief sich in Erinnerung, dass sie gerade auf ihrem Hocker sitzen sollte, mit zurückgezogenen, aber entspannten Schultern. Sie nippte an ihrem Glas und ignorierte seine Bemerkung.
»Schon gut, is schon klar, okay, also was für’n Model?«
Sie schnippte eine Haarsträhne über die Schulter. »Mode. In Katalogen. Montgomery Wards, JC Penney, solche Sachen.«
Sie musterte sich im Spiegel hinter der Bar. Langes blondes Haar fiel in Wellen über ihre Schultern, ihr größter Vorzug. Ihr Gesicht war vielleicht ein wenig lang für ihre Nase, und die Augen standen zu dicht beieinander, aber die Haare lenkten von alldem ab. Vor allem die Stirnfransen. Lange weiche Fransen. Das hatte sie in der Kosmetikschule gelernt. Immerhin gab sie sich nie als Model für Sakowitz oder Neuman Marcus aus. Oder für Modemagazine. Sie wollte es nicht übertreiben.
»Ich hab dich in einem davon gesehen«, sagte der Mann. »Klar, jetzt erinnere ich mich.«
»Wirklich? In welchem denn?«
»Wards«, sagte er und nickte. »Ehrlich, auf den BH-Seiten. Du hast schöne Dinger … Titten … du weißt schon, Brüste.«
Della kratzte sich mit dem Nagel ihres kleinen Fingers im Mundwinkel und ließ sich seine Bemerkung durch den Kopf gehen. Ihrer Meinung nach hatte er recht. Himmel, sie benutzte dieses Suzanne-Somers-Trainingsdingsda schließlich lange genug. Jeden Morgen vor der Arbeit und abends, wenn sie sich vor dem Einschlafen noch Letterman ansah. Zuerst hatte sie an der Größe gearbeitet, jetzt ging’s darum, sie zu straffen. Sie rümpfte die Nase. »Nein, Sie haben mich nicht gesehen. Ich werbe nicht für BHs, sondern für Strumpfhosen. Und Schuhe.«
Der Mann schaute hinunter, dorthin, wo ihre Füße auf der Stange des Hockers standen. Er wackelte mit dem Kopf. »Das glaub ich nicht, deine Knöchel sind zu breit.«
Befangen schlug sie die Beine übereinander, sodass ihr Fuß in die andere Richtung zeigte. Sie musste ihm recht geben. Aber was konnte sie daran ändern? Die Natur hatte ihre Grenzen. Mit der Knochenstruktur war es nicht wie mit Hüfte und Titten. Oder den Haaren. Sie warf einen Blick in den Spiegel und richtete ihre Fransen.
»Dafür braucht man nämlich schlanke«, erklärte der Typ. »Richtig schnuckelige.«
Er schwankte auf seinem Hocker, stützte sich mit einem Ellbogen auf der Bar ab und formte einen kleinen Kreis mit Daumen und Zeigefinger. Er schloss das eine Auge, beugte sich vor zu dem Kreis und lugte mit dem anderen Auge hindurch. »Ungefähr so.«
Della ließ die Schultern sacken und atmete langsam aus. Mein Gott, der Kerl war ein Idiot. Ein kompletter Abend verschwendet. Da spart man die ganze Woche, um die Anzahlung für ein neues Outfit bei Dillard’s zusammenzukriegen, und hockt am Ende mit einem Betrunkenen da. Einem richtigen Ekel. Dabei war er am Anfang ganz nett gewesen. Ein Vertreter für Tyler-Rohre. Guter Haarschnitt, sauberer Geruch. Grauer Anzug mit einer farblich passenden, gepunkteten Seidenkrawatte. Er trug sogar ein Taschentuch in der Brusttasche. Hatte sich neben sie gesetzt und gelächelt. »Ich verkaufe Rohrleitungen nach Kilometern und installiere sie meterweise. Das bringt riesige Provisionen. Möchten Sie einen Drink?«
Sie hatte Ja und Danke gesagt. Ihm zugehört, wie er über Rohre sprach. Interessiert getan. Viel genickt und gelächelt, die Hände im Schoß gefaltet, so wie es die Checkliste in Redbook empfahl. Und jetzt dieser Mist.
»Meine Frau hat solche Knöchel«, sagte der Mann gerade. Er runzelte die Stirn und ließ den Kopf vornüberkippen, um ihn im nächsten Moment ruckartig wieder hochzureißen. »Meine Exfrau. Hab ich Frau gesagt? Ich meine Exfrau.«
Della legte die Hand auf ihr Täschchen und entschuldigte sich. Sie hatte beschlossen, für eine Weile auf die Toilette zu verschwinden, ihr Make-up aufzufrischen und die Frisur zu richten. Vielleicht würde sich der Typ ja aus Langeweile verdrücken. Oder einfach umkippen. Vielleicht hatte sie noch Zeit, jemand anders kennenzulernen. Auch wenn es langsam spät wurde. Sie schaute sich um. Die meisten Tische waren unbesetzt. Die Atrium-Bar leerte sich allmählich.
In diesem Moment schoss seine Hand ohne Vorwarnung auf sie zu, und er quetschte ihre rechte Brust durch die nagelneue Reyon-Bluse. Die Finger gespreizt, sodass er gut zupacken konnte. »Doch, es waren die BHs, ich kann mich genau erinnern.«
Instinktiv holte sie mit dem rechten Arm aus und versetzte ihm einen Schlag auf die Nase. Er stürzte seitlich von dem hohen gepolsterten Hocker auf den Parkettboden. Keine weiche Landung. Er lag auf dem Boden und wirkte benommen. Aber nur für einen Augenblick. Dann war er schnell auf den Beinen, sehr schnell sogar für einen Betrunkenen, dachte sie, und vor allem war er unverletzt. Das überraschte sie nicht. Säufer verletzten sich nie. Wenn ein Besoffener mit seinem Ford Escort in einen Greyhound kracht und die Hälfte der Leute im Bus sterben, kommt das Arschloch mit einem blauen Auge davon. Aber sein Tempo überraschte sie doch. Wie der Blitz ragte er vor ihr auf und knurrte sie an. »Verdammt, du bist genau wie dieses eingebildete Miststück, genau wie sie.« Dann ballte er die Faust und holte aus.
Ihr blieb keine Zeit, um ihn abzuwehren.
Also schloss Della reflexartig die Augen und wartete. Sie wusste, wie es sich anfühlen würde. Nur dass der Schlag nicht kam. Sie wartete noch einen Moment, denn man konnte ja nie wissen. Doch dann öffnete sie die Augen. Ein Mann stand hinter dem Rohrverkäufer und hatte ihm den Arm auf den Rücken gedreht. Er war groß, schlank, und eine schwarze Locke fiel ihm in die Stirn, als hätte ein True Romance-Illustrator sie genau dort hingezeichnet. Blaue Augen, eckiges Kinn, heller Teint. Er sah genau so aus wie dieser Typ, der James Bond spielte. Der aus Remington Steele. Dann nickte er, ein höfliches Nicken, wie wenn man sich an den Hut tippt, und sagte mit einer ruhigen, respektvollen Stimme: »Belästigt Sie dieser Mann, Miss?«
Beinahe wäre sie vom Hocker gefallen.
»Das Miststück hat mich an der Nase rumgeführt«, protestierte der Vertreter lauthals. Er wand sich im Griff des anderen und versuchte sich zu befreien. »Sie is’ne Drogensüchtige, das is sie.«
Ihr Retter hob den verdrehten Arm des Mannes noch ein Stück an, der daraufhin das Gesicht verzog und grunzte. »So redet man nicht mit einer Dame«, erklärte Mister Traumschiff. Dann schob er den Kerl zwischen den flachen Tischen mit den Rauchglasplatten hindurch, quer durch das Atrium und vorbei an grünen Topfpflanzen, an dem Klavierspieler im Smoking vorbei, der sanfte Mondlichtmelodien spielte, vorbei auch an den lachsfarbenen, s-förmigen Sofas, den Rattansesseln neben den Aufzügen im Empfangsraum und an der Rezeption beim Haupteingang. Weiter konnten Dellas Augen ihnen nicht folgen.
Sie blieb sitzen und wartete. Sie legte die Beine übereinander und faltete die Hände im Schoß. Dann legte sie die Beine andersherum übereinander, sodass ihr Knöchel weit unten hing und keine Aufmerksamkeit auf sich zog. Allerdings war das ungemütlich. Also stellte sie beide Füße nebeneinander auf die Stange des Hockers, wo sie außer Sicht waren. Viel besser. Sie betrachtete sich im Spiegel hinter der Bar, lächelte und griff sich in die Haare, um die Fransen wieder aufzulockern. Dann legte sie die Hand wieder in den Schoß und zupfte durch den Rock hindurch diskret am elastischen Band ihrer Strumpfhose. Nicht, dass es etwas zu bedeuten gehabt hätte. Aber sie konnte diese unansehnlichen roten Abdrücke nicht gebrauchen. Nur für den Fall des Falles.
Der Barkeeper kam zu ihr herüber und fragte, ob sie noch einen Drink wollte. Er war ein junger Kerl, ein Collegestudent, der wie Jan Michael-Vincent herumstolzierte, mit der Andeutung eines Grinsens auf dem Gesicht. Als Della den Kopf schüttelte, fragte er: »Wirklich nicht? Geht aufs Haus.« Na ja, in dem Fall hatte sie nichts gegen eine Kleinigkeit, aber keinen Screwdriver mehr, sondern was anderes. Etwas Exotischeres vielleicht.
»Kein Problem«, meinte er und brachte ihr ein gefülltes Glas.
Sie nippte an dem Tom Collins und wartete. Schaute auf die Uhr. Er ließ sich wirklich Zeit. Der Haupteingang des Hotels lag doch gar nicht so weit entfernt. Jetzt erst dämmerte ihr, dass er vielleicht gar nicht zurückkommen würde. Aber dieser negative Gedanke bedrückte sie, also hörte sie auf, an ihn zu denken. Jedenfalls theoretisch. Sämtliche Magazine waren voll mit Artikeln, die gute Ratschläge erteilten, nur waren sie schwer zu befolgen. Man musste sich selbst immer wieder daran erinnern, und meistens fielen sie einem erst dann ein, wenn man längst mit einer Sache beschäftigt war. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie Mister Traumschiff zurückkehrte und sich auf den Hocker neben sie setzte. Sehr angenehm. Positiv.
Sie öffnete die Augen und schielte auf die Uhr. Verdammt. Sie überlegte, ob sie sich eine Zigarette gönnen sollte, Benson & Hedges Menthol. Normalerweise rauchte sie eine Billigmarke, als alleinerziehende Mutter, die mit ihrem Etat klarkommen musste. Sofern man beim Mindestlohn von einem Etat reden konnte. Wenn man allerdings im Holiday Inn jemanden kennenlernen wollte, konnte man nicht mit diesem Kraut auftauchen. Sie nahm das Päckchen vom Tresen, zögerte und legte es wieder zurück. Vielleicht sollte sie warten und sich von ihm Feuer geben lassen. Ein schöner Gedanke. Positiv. Sie lächelte in den Spiegel. Aber was, wenn er etwas gegen Raucheratem hatte? Sie fischte in ihrem Täschchen nach einem Minzdragee.
Sie hatte es bis auf einen kleinen Ring weggelutscht, den sie nicht zerbrechen wollte, was vor allem angesichts ihrer Nervosität gar nicht so einfach war, da tauchte er neben ihrem Hocker auf und fragte, ob er ihr Gesellschaft leisten dürfe.
»Ja«, sagte sie und arrangierte die Hände wieder in ihrem Schoß. »Und es ist wirklich nett von Ihnen, dass Sie fragen.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass das Vergnügen ganz auf meiner Seite liegt.«
Sie schloss die Augen und seufzte.
Er setzte sich, glättete seine Anzughose und seine Manschetten, stützte die Ellbogen auf die Bar und verschränkte die Hände. Schöne Hände mit langen, vorne schmaler werdenden Fingern. Nachdenklich lehnte er sein Kinn dagegen. Seine Augen fixierten irgendetwas in der Ferne. Nein, nicht in der Ferne. Innen, in ihm selbst, während er sich sammelte. Della wartete geduldig ab, dass er seinen Namen nennen und nach ihrem fragen würde. Dass er über seine Arbeit oder über Footballteams reden würde, darüber, wer welche Meisterschaft gewinnen würde, oder über die wirtschaftliche Lage, die sich schwer vorhersagen ließ. Irgendetwas in der Art.
Sie war bereit zuzuhören und nicht zu vergessen, bei jeder möglichen Gelegenheit zu nicken und zu lächeln, allem zuzustimmen, egal was er sagte. In diesem Moment wandte Mister Traumschiff ihr das Gesicht zu und seine kristallblauen Augen bohrten sich in die ihren. »Ich bin der Manager einer der Top-500-Firmen und arbeite so hart, dass ich kaum die Zeit zum Essen finde, geschweige denn für soziale Kontakte. Außerdem bin ich sehr direkt, weil das der schnellste Weg zum Kern der Dinge ist, egal worum es geht. Im Augenblick habe ich ein Dutzend Dinge zu tun – die Anforderungen sind strapaziös und jede einzelne Sache furchtbar dringend -, aber ich bin müde und allein. Sie sind die schönste Frau, die mir seit Langem begegnet ist. Wären Sie bereit, in meinem Zimmer einen Drink mit mir zu nehmen?«
Della legte eine Hand auf die Bar, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Verzeihen Sie mir, wenn ich zu direkt war«, sagte er. Nach einer winzigen Pause und einer unmerklichen Kopfbewegung fuhr er fort: »Aber ich hatte das Gefühl, wir empfinden etwas Ähnliches.«
»Ja«, sagte Della. Ihr war ein wenig schwummerig, sodass sie ganz zu lächeln vergaß. Immerhin brachte sie ein Nicken zustande. »Oh ja. Und vielen Dank.«
Robbers: Thriller
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