17
Gälischer Psalm
Loch Killin
Am selben Morgen
Er fuhr ein paar Meter vor, dann stellte er mit Command Shift das Getriebe auf Handschaltung um. Mit einem kühnen Ruck, mehr der Verzweiflung geschuldet als fahrerischem Können, schaltete er wieder in den Rückwärtsgang und gab Gas. Das Heck des Range Rover – ein Schwergewicht von annähernd fünfeinhalb Tonnen – rammte mit Wucht den kleineren Pkw. Der Anprall zerdrückte die vordere Stoßstange und den Kühlergrill und schob den Wagen unaufhaltsam den Weg hinunter. Für den nötigen Schub sorgte der 4,2-Liter V8-Motor des Range Rover, der 396 PS auf die Straße brachte.
Die Rücklichter des Geländewagens funktionierten noch und spendeten ausreichend Helligkeit, um die Wegränder zu erkennen. Er lenkte nach den Außenspiegeln; zwischendurch warf er immer wieder einen Blick nach vorn, auf den von den Frontscheinwerfern taghell erleuchteten Weg. Beim soundsovielten Mal ging ihm auf, wie unglaublich dumm er war. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und suchte hektisch nach dem Schalter für die Beleuchtung. Als er den Blick von den Armaturen hob, entdeckte er genau vor sich den roten Punkt auf der Windschutzscheibe. Instinktiv duckte er sich und hörte im selben Augenblick das Krachen, Knistern und Bersten der von dem Geschoss zerschmetterten Scheibe.
Mit eingezogenem Kopf, das Lenkrad krampfhaft ruhig haltend, tastete er nach dem Lichtschalter und fand ihn endlich. Ein Klick, und die Scheinwerfer erloschen. Jetzt hatte er nur noch die Rücklichter, um sich zu orientieren. Ein zweites Projektil pfiff an seinem Ohr vorbei und rief ihm ins Gedächtnis, dass sein Angreifer mit einer Nachtsichtbrille ausgerüstet war.
Er hielt den Wagen an, bückte sich und suchte nach dem Hebel für die Motorhaube. Nach einigem erfolglosen Herumfuhrwerken stießen seine Finger gegen einen Griff rechts unten im Türholm. Er zog daran und spürte, wie eine Sperre sich löste.
Er sprang hinaus, lief nach vorn, ertastete den Fanghaken und klappte die Motorhaube auf. Zwei Kugeln trafen, blieben aber im Metall stecken. In zwei, drei Sätzen war er wieder im Wagen, warf sich auf den Fahrersitz und gab Gas.
Die Rückwärtsfahrt ging weiter, eine halbe Ewigkeit konzentrierte er sich auf nichts anderes als darauf, den Wagen hinter ihm möglichst ohne verhängnisvolle Schlenker die Straße entlangzubugsieren. Die Motorhaube diente als Schutzschild vor dem Gewehrfeuer, von dem er sich immer weiter entfernte. Das Innere des Range Rover war übersät von winzigen Fragmenten der Windschutzscheibe, und auch er selbst war bestäubt mit winzigen Splittern. Das feine Stechen wie von abertausend Nadeln gesellte sich zu dem eisigen Hauch der Winterluft, die ins Wageninnere drang.
Als er das nächste Mal einen Blick riskierte, waren die Bäume verschwunden. Gleich darauf spürte er, wie die Räder von weichem auf festen Untergrund holperten. Der Pkw rutschte noch ein paar Meter in gerader Linie weiter, während er behutsam abbremste, über die Straße hinaus, die hier eine Biegung machte, bis endlich beide Wagen auf freier Fläche zu stehen kamen, einem Rübenacker, wenn er sich recht erinnerte. Der Pkw rumpelte noch zwei, drei Meter weiter, bevor er endgültig liegenblieb.
Er durfte keine Zeit verlieren. Die Pistole in der Hand, sprang er aus dem Wagen und stapfte zu dem Auto dahinter. Vier Schüsse zerstörten die Reifen. Jetzt, dachte er, hatte er eine Chance.
Er schlug die Motorhaube zu, stieg wieder in den Geländewagen, schaltete das Fernlicht ein, fuhr auf die Straße zurück und schwenkte nach links. Er wusste, wo er etwas zum Anziehen bekommen konnte und ein Fahrzeug für die fünfundzwanzig Meilen weiter hinauf in den Norden, nach Inverness. Um nicht mit voller Wucht von dem eisigkalten Fahrtwind gegeißelt zu werden, der durch die zerschmetterte Windschutzscheibe heulte, fuhr er langsam.
Angus Gilfillans Haus lag eine halbe Meile hinter Whitebridge. Der alte Mann und seine Frau Ailsa waren die Verwalter von Bailebeag Cottage. Sogar bei Schnee waren sie fast regelmäßig zu ihm herausgekommen, um frischen Proviant zu bringen und die Hütte von oben bis unten zu putzen. Sie bereicherten seinen Speiseplan mit Eiern, Milch, Butter und von Ailsa Selbstgebackenem. Die Gilfillans waren ein allem weltlichen Tand abholdes protestantisches Ehepaar, das einmal die Woche in einem Kirchlein in Inverness metrische gälische Psalmen sang und in einer über alle Vorstellungskraft hinaus veränderten Welt nach Gottes Gebot zu leben versuchte.
Jack hatte sie in den Monaten seines Einsiedlerdaseins lieb gewonnen. Sie waren immer freundlich, immer um sein Wohlergehen besorgt, erst recht, nachdem er Ailsa von Emilia und Naomi erzählt und ihr und Angus Fotografien seiner ermordeten Lieben gezeigt hatte. Anfangs hatte er nicht darüber sprechen wollen, doch Ailsa, mit großer Geduld gesegnet und einem Gespür für seelische Wunden, hatte ihm seine Geheimnisse Stück für Stück entlockt und dabei ein Geschick bewiesen, wie es dem besten Therapeuten zur Ehre gereicht hätte. Nachdem er sich einmal geöffnet hatte, schüttete er ihr sein Herz aus, redete sich von der Seele, was ihn quälte. Die Bilder in seinem Kopf, der Verlust, das Nicht-Begreifen-Können und der Schmerz, das Grauen, verloren etwas von ihrer lähmenden Macht in ihrer ruhigen, unerschütterlichen Gegenwart.
Angus pflegte schweigend zuzuhören, er war von Natur aus kein Freund vieler Worte. Doch auf seine ganz besondere Weise war der alte Mann Jack eine noch größere Hilfe gewesen als seine Frau. Das Wenige, was er sagte, war meistens wohl überlegt und oft weise. Aus irgendeinem Grund verwies er nur selten auf die Bibel und Jesus, als wüsste er, dass dürre Verweise auf die Religion als Lebenshilfe seinen gramgebeugten Mieter vor den Kopf stoßen könnten. Sein eigenes Leben war hart gewesen, doch hatten Armut und schwere Arbeit ihn nicht bitter werden lassen.
Die Gilfillans waren nie im Kino gewesen, hatten nie eine Stereoanlage besessen, nie Fernsehen geschaut, nie das Theater besucht, niemals anderer als geistlicher Musik gelauscht, nie Zeit für ein Puzzle verschwendet oder für Monopoly, ganz zu schweigen von Glücksspielen, nie Wein oder Whisky gekostet und niemals einen Roman oder ein Gedicht gelesen, abgesehen von den Werken von Robert Burns. Sie waren auf ihre stille Art Fanatiker, der Reformationszeit näher als der Gegenwart.
Als Jack an ihre Haustür hämmerte, war es fast 3.00 Uhr morgens, und die Nacht war immer noch pechschwarz. Es war ihm unangenehm, die alten Leutchen aus dem Schlaf zu reißen und in Angst und Schrecken zu versetzen, aber was blieb ihm anderes übrig? Jeder andere hätte die Polizei gerufen, und Polizei war das Letzte, was er momentan gebrauchen konnte.
Nach wenigen Minuten hörte Jack Angus’ Stimme, kämpferisch, aber mit einem Unterton von Angst.
»Angus, ich bin’s, Jack Goodrich von Bailebeag. Um Gottes willen, machen Sie auf!«
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, ein Riegel wurde zurückgeschoben. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und Angus’ Kopf tauchte auf; die dünnen weißen Haare standen ihm zu Berge, die verschlafenen Augen in dem runzligen Gesicht weiteten sich, bis sie doppelt so groß zu sein schienen wie normal.
»Professor Goodrich! Um Himmels willen, was führt Sie hierher, mitten in der Nacht?« Er stockte. »Aber schauen Sie nur, wie Sie aussehen! Sie sind ja in einem furchtbaren Zustand. Bestimmt sind Sie halb erfroren. Herein mit Ihnen. Ich heize ein, und Ailsa wird Wasser heiß machen.«
Jack erhob keine Einwände. Er musste die Durchblutung in seinem Körper wieder in Gang bringen, bevor Kältebrand einsetzte oder Schlimmeres.
Angus half ihm in die kleine Diele und rückte ihm einen Stuhl vor den offenen Kamin. Die Glut war für die Nacht zusammengeschoben und abgedeckt. Angus nahm das lange Schüreisen, deckte sie wieder auf und gab aus der Schütte frische Kohlen dazu.
»In wenigen Minuten wird es tüchtig brennen. Halten Sie Abstand; es tut Ihnen nicht gut, wenn Sie sich drüberbeugen.«
»Könnten Sie die Vorhänge zuziehen, Angus? Richtig zu, so dass kein Licht nach draußen fällt. Und oben auch, falls im Schlafzimmer Licht brennt.«
Angus starrte ihn an, ein, zwei Atemzüge lang, dann drehte er sich um und hastete die Treppe hinauf. Seine Frau saß bereits aufrecht im Bett; sie hatte gemerkt, dass etwas Ungewöhnliches im Gange war.
»Was gibt es?«, fragte sie, als er ins Zimmer kam. »Ist es Iain Stewart, der schwer geprüfte Mann? Hat der Krebs ihn besiegt? War das Jean, die an die Tür geklopft hat?«
Er sagte ihr, wer es gewesen war. »Der arme Mann ist dem Tode nahe. Er könnte am Ende Zehen und Finger verlieren, wenn wir nicht schnell etwas unternehmen. Ich lasse ihm ein Bad einlaufen und stecke ihn in die Wanne, um den Frost aus seinen Knochen zu vertreiben. Du bleibst derweil am besten hier oben und betest für ihn. Er braucht seinen Schöpfer heute Nacht, das steht fest.«
Sie hatten wie jeden Abend vor dem Schlafengehen die Vorhänge geschlossen, aber Angus trat zum Fenster und zog sie sicherheitshalber noch fester zu. Er wusste nicht, weshalb es notwendig war, aber der Professor hatte darauf bestanden.
Ailsa, eine hagere Frau in einem dicken Flannelnachthemd, das graue Haar unter einer schlichten weißen Baumwollhaube verborgen, bedachte ihren Ehemann mit einem entrüsteten Blick.
»Beten kann ich auch, während ich eine schöne heiße Kanne Tee für ihn aufgieße, um auch den inneren Menschen zu wärmen, wenn er aus dem Bad kommt. Achte darauf, dass er nicht länger als eine Viertelstunde in der Wanne bleibt. Und du könntest ihm ein paar warme Sachen zum Anziehen heraussuchen, während das Wasser einläuft.«
»Auf einen leeren Magen wird ihm der heiße Tee nicht viel nützen, Weib. Ich bin sicher, er könnte einen Happen zu essen gebrauchen, etwas Leichtes, ein paar Eier, vielleicht. Ein Käseomelette, das wäre genau richtig.«
Eine halbe Stunde später hatte Jack gebadet, sich ein wenig aufgewärmt und war gesättigt. Er fühlte sich schläfrig. Aber er durfte nicht schlafen. Wenn er jetzt einschlief, konnte alles Mögliche passieren. Wenn der Mörder ihn hier aufspürte? Vor einiger Zeit hatte es aufgehört zu schneien, und die Reifenspuren des Geländewagens waren weder zu übersehen noch zu verwechseln.
»Ich muss weiter«, sagte er. »Ich muss nach Inverness, noch heute Nacht.«
»Jack, Sie müssen verrückt sein. Hier, trinken Sie den Whisky, runter damit. Er ist reine Medizin. Wir haben immer eine Flasche im Haus, für den Fall, dass jemandem unwohl wird.«
Er gehorchte. Während die wohlige Wärme sich in seinem Innern ausbreitete, musterte er die beiden und fragte sich, in was er sie möglicherweise hineingezogen hatte. Gebrechliche, gutherzige, einfache Menschen, deren Blick kaum über den Rand der Heiligen Schrift hinausreichte. Wie sollten sie auch nur andeutungsweise begreifen, was er fürchtete?
»Ein Mann versucht mich zu töten«, begann er und wusste nicht, wie er abmildern sollte, was er ihnen sagen musste. Sie hatten ein Recht, Bescheid zu wissen. Er war schuld, dass ihnen jetzt Gefahr drohte.
»Er ist noch irgendwo da draußen. Wahrscheinlich ist es derselbe, der meine Frau ermordet hat und, wie ich seit gestern Abend weiß, meine Tochter entführt. Er hat heute Nacht schon einen Mann erschossen, und er wird auch mich umbringen, wenn er mich findet.«
Nicht eine Sekunde lang spiegelte sich Unglaube auf den Gesichtern seiner Zuhörer. Weder Angus noch Ailsa hatten je in ihrem Leben eine Lüge ausgesprochen, und sie zweifelten nicht an dem, was Jack ihnen eben eröffnet hatte.
Angus erhob sich.
»Ich benachrichtige die Polizei. Sie können einen Beamten aus Fort Augustus oder Inverness herschicken, das geht schneller, als ein Lamm mit dem Stert wedelt, wenn ich jetzt sofort anrufe.«
»Setzen Sie sich hin, Angus. Und Sie ebenfalls, Ailsa. Wenn Polizisten hier auftauchen, wird der Mann sie auch erschießen, statt sich festnehmen zu lassen. Er ist ein ausgezeichneter Scharfschütze und völlig skrupellos. In dieser Tasche habe ich etwas, das für ihn und seine Gesinnungsgenossen so wertvoll ist, dass sie mich rund um den Erdball jagen werden, um es zu bekommen. Ich muss damit nach Kairo zurück, wo es herstammt. Ich muss verhindern, dass noch mehr Menschen sterben.«
Er stand auf, ging zum Fenster und zog den Vorhang ein kleines Stück zur Seite. Draußen zeigte sich noch keine Spur von einem ersten Morgengrauen. Keine Bewegung, so weit er sehen konnte, aber das hatte er auch nicht erwartet. Noch nicht.
»Wenn die Polizei sich einmischt«, fuhr er fort, »werden sie mich für ihre Ermittlungen hier festhalten, und das Morden geht weiter. Ich könnte etwas dagegen unternehmen, aber nur, wenn ich unbehelligt von hier wegkomme und Gelegenheit habe, das Land zu verlassen, ohne dass die Polizei hinter mir her ist.«
Ailsa wisperte ein kurzes Gebet, bevor sie das Wort ergriff.
»Soll das heißen, Sie haben etwas getan, das in den Augen der Polizei als Verbrechen gilt?«
Jack schüttelte den Kopf.
»Nein, aber ich wurde angegriffen und bin nur knapp mit dem Leben davongekommen. Die Polizei wird nicht durchschauen, was heute Nacht da draußen passiert ist. Ein Mann ist getötet worden, und wenn sie nachforschen, werden sie feststellen, dass er für den britischen Geheimdienst gearbeitet hat, den MI6. Der Mann, der ihn erschossen hat, ist ein Terrorist. Die britische Polizei braucht unter Umständen Jahre, um die ganzen Verflechtungen zu entwirren, und während sie damit beschäftigt ist, wird das Sterben weitergehen, das ist so sicher wie das Amen im Gebet. Gelingt es diesem Mann, den Gegenstand in meiner Tasche in seinen Besitz zu bringen, bedeutet das den Tod von vielen Tausend Menschen.«
Er schwieg. Sie ebenfalls. Er hatte sie in seine Welt gezerrt, eine Welt, in welcher sie sich so fremd fühlten, wie er sich wahrscheinlich in ihrem Kirchlein.
»Ich muss mir Ihr Auto leihen und Sie bitten, mir zu helfen, den Geländewagen zu verstecken, in dem ich gekommen bin. Wenn Sie einen Platz wissen, wo er bis in alle Ewigkeit nicht gefunden wird, um so besser.«
»Warum fahren Sie nicht damit weiter?«
»Die Windschutzscheibe ist zerbrochen. Ich lasse Ihren Wagen auf dem Parkplatz am Flughafen stehen. Ich rufe an, sobald es geht, um die Nummer der Parkbucht durchzugeben. Mir ist bewusst, dass ich viel von Ihnen verlange, aber mir brennt die Zeit auf den Nägeln. Also, würden Sie mir helfen?«
Er ließ den Vorhang los und drehte sich um. Die beiden Alten schauten auf ihre gefalteten Hände. Angus betete. Leise erst, dann mit lauter Stimme, bat er Jesus, Jack zu beschützen, und flehte Gottes Zorn auf die Köpfe von Mördern und Terroristen herab. Nach dem inbrünstigen Amen hob er den Blick. Jahrhunderte presbyterianischen Widerspruchsgeists glommen in seinen Augen.
»Es ist nicht mehr viel Benzin im Tank«, sagte er, »aber bis Inverness wird es reichen. Wohin geht es von da aus?«
»Ich halte es für besser, wenn Sie es nicht wissen, für den Fall, dass Sie von der Polizei verhört werden. Nicht weit von der Hütte liegt ein Toter, aber wenn es noch mehr Schnee gibt, findet man ihn vielleicht erst im Frühjahr.«
»Das können Sie nicht ernst meinen«, empörte sich Alisa. »Es wäre eine schreckliche Sünde, einen Verstorbenen die ganze Zeit in der Wildnis liegenzulassen, unbestattet.«
»Betet für seine Seele. Ich werde mich mit seinen Angehörigen in Verbindung setzen, und zweifellos wird man jemanden schicken, der ihn heimholt.«
»Wenn das so ist, warten wir«, meinte Angus. »Was soll ihm Böses widerfahren, unter dem Schnee, in der Einsamkeit. Ihren Wagen versenken wir noch, bevor es hell wird, im Loch Ness. Bei Foyers, da geht es tief hinunter.«
Jack lächelte, zum ersten Mal seit seiner Ankunft. Loch Ness hatte eine durchschnittliche Tiefe von zweihundert Metern und konnte sämtliche Range Rover der Welt schlucken, ohne zu rülpsen. Vorausgesetzt, Nessie fühlte sich nicht gestört.
Während Angus seinen alten Volvo startete, um den Innenraum und den Fahrersitz anzuwärmen, setzte Jack sich in den Range Rover, um ihn von der Straße wegzubringen. Hinter dem Haus gab es ein baufälliges Gebäude, das einmal als Scheune gedient hatte; dort stand er vorläufig sicher und vor Blicken geschützt. Angus versprach, sich nachher gleich um den Wagen zu kümmern. So weit nördlich ging die Sonne erst gegen 8.30 Uhr auf. Nach Foyers war es nur ein Katzensprung. Kein Grund zur Eile. Jack fürchtete, der Mörder könnte noch Komplizen haben, doch er sagte nichts, um die Gilfillans nicht noch weiter zu beunruhigen.
Er hätte sie zum Abschied gern umarmt, doch in ihren Augen wäre das eine plumpe Vertraulichkeit gewesen. Jack hatte schließlich viele Jahre in Ägypten gelebt und ein wenig von seiner britischen Steifheit abgelegt. Sie hingegen hatten in ungeheizten Kirchen gestanden und die düsteren Psalmen des Nordens skandiert. Ein Händeschütteln stellte in diesen Kreisen das Höchstmaß an Intimität dar, und selbst auf der Schwelle ihres eigenen Zuhauses hielten sie an diesen Prinzipien fest. Ailsa reichte ihm ein Paket Käsesandwichs, die sie in der Küche gemacht hatte, und eine Thermosflasche mit heißem Tee.
»Gott sei mit Ihnen auf allen Wegen«, sagte Angus. Ailsa wiederholte den Segensspruch auf Gälisch.
Jack wären fast die Tränen gekommen; er fühlte sich tief bewegt von ihrer schlichten Güte. Er hoffte, dass ihr Gott sie beschützte, so wie sie es verdienten.
»Bleiben Sie im Haus«, sagte er. »Öffnen Sie niemandem. Sobald Sie den Wagen versenkt haben, denken Sie sich einen Vorwand aus und besuchen irgendwelche Freunde oder Verwandten. Kommen Sie frühestens nach einer Woche zurück. Bis dahin sollte die Gefahr vorüber sein, aber gehen Sie kein Risiko ein.«
Sie versicherten ihm, wir werden vorsichtig sein, alles wird gut, Jesus wacht über uns, und endlich machte er sich auf den Weg, ihre freundlichen Stimmen im Ohr und eingemummt in mehrere Schichten von Angus spendierter Winterkleidung. Die Gefahr von Erfrierungen war gebannt, und auch wenn seine Finger noch etwas schmerzten, das warme Bad schien seine Wirkung getan zu haben.
Er trat das Gaspedal durch und jagte den alten Volvo die Straße nach Inverness entlang.