Kapitel Zweiundvierzig
Um einen Schlusspunkt hinter die Ermittlungen zu setzen, lud Vera das Team am Abend ins Willows ein. Sie betrachtete es nicht als Feier – dafür war die Erinnerung an das Zusammentreffen zwischen Hannah und Simon noch zu frisch –, und das Willows mit seinem riesigen Speisesaal, in dem jeder Laut widerhallte, passte zu ihrer Stimmung. Davon abgesehen, hatte der Fall hier seinen Anfang genommen.
Ryan Taylor hatte ihnen den besten Tisch im Saal gegeben, direkt an einem der hohen Fenster mit Ausblick auf den Garten und den Fluss. Das Wasser war schon zurückgegangen, trotzdem hatte man noch immer das Gefühl, auf einer Insel zu sein, abgeschnitten vom Rest der Welt. Der Raum war beinahe leer. In einer weit entfernten Ecke nippte ein älteres Pärchen schweigend an seinem Kaffee. An einem Tisch neben der Tür löffelte ein Geschäftsmann Suppe und las dabei den Telegraph.
«Jetzt erzählen Sie mal, Joe, wie haben Sie es bloß geschafft, dass Simon Eliot Ihnen entkommen ist?»
Sie waren mit Essen fertig, und es war schon eine Menge Wein geflossen. Vera hatte darauf bestanden, dass erst nach dem Essen geredet wurde, und die Taxis für die Heimfahrt gingen auf sie, kündigte sie an. Sie könnten aber auch – und hier zwinkerte Vera Joe Ashworth und Holly zu, die sich an diesem Abend besser zu verstehen schienen, als Vera es je gesehen hatte – die Nacht hier verbringen, wenn sie das lieber wollten. Charlie war gerade rausgegangen, um eine zu rauchen. Sie sahen ihn im Licht des Notausgangsschildes auf der Terrasse stehen, wie er versuchte, die Zigarette anzuzünden, und schützend die Hand um die Flamme legte. Er musste gemerkt haben, dass sie ihn beobachteten, und gab ihnen durchs Fenster mit einer Geste zu verstehen, dass sie warten sollten, bis er wieder drinnen war, bevor sie anfingen, über den Fall zu reden.
Vera zog Joe auf, eine Gewohnheit, die sie vermutlich nie ablegen würde – selbst wenn er einmal ihr Vorgesetzter würde, was durchaus im Bereich des Möglichen lag. Ihren Entschluss am See, sich nie wieder über ihn lustig zu machen, hatte sie vollkommen vergessen.
«Na los!», sagte sie. «Die ganze Verstärkung, die Autos und der Hubschrauber, und er konnte einfach seine Mam anrufen, und Sie haben ihn wegfahren lassen?»
Joe, angeheitert vom Merlot und einem Brandy zum Kaffee, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. «Sie haben uns doch erzählt, dass er den Sommer immer da draußen verbracht hat. Er kennt jeden Winkel, wo man sich verstecken kann.»
«Na, jetzt ist er jedenfalls hinter Gittern», sagte Vera. Sie hatte Eliot höchstpersönlich aufs Revier gebracht, hatte ihn, wieder mal unter Missachtung sämtlicher Vorschriften, auf dem Beifahrersitz des Land Rovers Platz nehmen lassen. Hannah hatte sie in Hildas Obhut zurückgelassen. «Er wird sich schuldig bekennen. Jennys Tochter muss nicht vor Gericht aussagen. Das hatte ich befürchtet, deshalb musste ich warten, bis er sich selbst entlarvt.»
Einen Moment lang saßen sie schweigend da, und Vera wusste, dass alle jetzt an Connie und Alice dachten und daran, was wohl passiert wäre, wenn Joe nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre. Charlie tauchte in der Tür auf, überquerte den frisch gebohnerten Dielenboden und gesellte sich wieder zu ihnen.
«Alsdann, Chefin, erzählen Sie uns alles», sagte er. Er war schon ein bisschen unsicher auf den Beinen, goss sich aber trotzdem noch ein Glas Wein ein.
Er hatte ihnen schon mitgeteilt, dass er nichts Hochprozentiges trinken würde: Das sei der Weg in den Abgrund. «Von Anfang bis Ende.»
Auf diese Aufforderung hatte Vera nur gewartet. Sie hätte die ganze Geschichte auch so erzählt, aber es machte viel mehr Spaß, wenn man darum gebeten wurde. Nun setzte sie sich auf ihrem Stuhl am Kopfende des Tisches zurecht und fing an, das Glas in der Hand. Sie sprach langsam. Bei so etwas musste man sich Zeit lassen.
«Der Anfang ist einfach», sagte sie. «Eine frustrierte Frau in den Vierzigern verliebt sich in einen stattlichen jungen Mann. Und ein Student zieht die Erfahrung der Unschuld vor. Beziehungsweise will alles auf einmal. Es ist eines Abends passiert, als Hannah nicht da war. Simon wollte sie besuchen, aber sie war aufgehalten worden, und Jenny hat ihn zum Warten ins Haus gebeten. Hat ihm ein Glas Wein angeboten.» Sie zuckte die Schultern und hielt ihr Glas in die Höhe. «Schreckliches Zeug, der Alkohol.»
Sie blickte in die Runde und sah, dass sie sie alle am Haken hatte, sie lauschten wie Kinder bei einer Gute-Nacht-Geschichte.
«Simon hat sie geküsst», sagte sie. «Weiter nichts, und er hat sich auch entschuldigt, aber damit hat es angefangen. Jenny verliebte sich in ihn, und sie fingen eine Affäre an. Ihre Aufmerksamkeit hat ihm geschmeichelt, nehme ich an. Wieso auch nicht? Sie war immer noch hübsch. Sie haben sich einmal die Woche in Durham getroffen. Jenny wollte sowieso zu Mattie, um Material für ihr Buch zu sammeln. Zuerst ist sie also immer zu Mattie gegangen, aber nur kurz. Und ihre Besuche hatten zwei Gründe: Zunächst wollte sie Informationen für ihr literarisches Meisterwerk, aber sie fühlte sich auch besser, wenn sie nicht bloß in Durham war, um mit dem Freund ihrer Tochter zu vögeln. Sie hätte wirklich alles getan, um mit dem Kerl zusammen zu sein.»
Vera hielt inne und füllte sich das Glas nach, stellte sich vor, sie wäre Jenny Lister und würde die Stunden zählen, bis sie wieder mit Simon Eliot in dessen Studentenbude zusammen sein konnte. «Dann kamen die Schuldgefühle, wie immer.» Sie sah Ashworth an. «Das ist etwas Furchtbares, Schuldgefühle. Nicht jeder kann damit umgehen.» Wieder grinste sie.
«Aber warum hat Simon Eliot sie umgebracht?» Das mit dem Sex verstand Charlie ja, das merkte Vera, aber das mit der Gewalt wollte ihm nicht in den Kopf.
«Mensch, Charlie, jetzt lassen Sie eine alte Frau doch mal eine Geschichte in ihrer eigenen Geschwindigkeit erzählen.»
Vera hatte Taylor gebeten, die Whiskyflasche gleich auf dem Tisch stehenzulassen, und kippte jetzt noch einen Schluck in ihr Glas. Scheiß doch auf die Ärzte und das ganze gesunde Leben – heute Abend brauchte sie einen herrlichen Vollrausch.
«Während Jenny Lister sich also von ihrem jugendlichen Liebhaber den Kopf verdrehen ließ, hat Michael Morgan sich die süße kleine Freya geangelt. Der Altersunterschied ist etwa der gleiche, aber darüber, dass Jenny Simon vielleicht verdorben hat, machen wir uns offenbar keine Gedanken. Dann hat Jenny von Mattie erfahren, dass Freya schwanger ist, und so ist sie wieder in die Sache mit Morgan verwickelt worden. Das war alles ein bisschen zu nahe an ihrem eigenen Leben, nicht wahr? Auf einmal muss ihr aufgegangen sein, dass sie ja mit Matties Halbbruder rumvögelt …» Vera schloss halb die Augen und dachte über Fügungen nach, über den Zufall, dass Jenny Lister und Veronica Eliot im selben Dorf gewohnt hatten. Aber Northumberland war nun einmal die bevölkerungsärmste Grafschaft Englands, und in kleinen Gemeinschaften gab es überall solche Verflechtungen. «Sie entschied, dass es aufhören musste. Und weil sie hochanständig war und wirklich sehr dämlich, hat sie beschlossen, offen mit Hannah zu reden. Den Gedanken konnte Simon nicht ertragen. Hannah betete ihn an. Schließlich waren sie verlobt, das ist für ein so junges Paar eine gewaltige Verpflichtung.»
«Und wo kommt Danny Shaw ins Spiel?» Plötzlich wirkte Ashworth ungeduldig. Vielleicht hatte er ja eine SMS bekommen und heimlich unterm Tisch gelesen, von seiner Frau, die wissen wollte, wo zum Teufel er denn steckte.
Vera öffnete die Augen wieder und setzte sich auf. «Ah, Danny Shaw, unser Draufgänger und Charmeur. Und Dieb. Mit Jungs in seinem Alter ist er nie gut ausgekommen, hing lieber mit Älteren zusammen. Wenn ich mit dem Psychogefasel was am Hut hätte, würde ich ja vielleicht einen Konflikt mit seinem Vater diagnostizieren, aber zum Glück habe ich von dem ganzen Quatsch noch nie viel gehalten.» Sie schwieg kurz und versuchte, die Freundschaft zwischen Danny und Simon in Worte zu fassen. «Simon war alles, was Danny gern gewesen wäre: Er ist auf eine piekfeine Schule in der Stadt gegangen, sein Vater ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, und Simon war mit dem Mädchen zusammen, in das Danny verliebt war. Aber deswegen ist Danny nicht etwa stinkwütend auf Simon gewesen. Er hat den Älteren einfach nur bewundert. Verrückt.»
«Und?», fragte Ashworth. «Ich verstehe immer noch nicht, wieso er sterben musste.»
Der ältere Herr und die Dame in der Ecke standen auf und gingen, Hand in Hand, wie Teenager, langsam aus dem Speisesaal.
«Weil Sie offenbar nicht so helle sind, Herzchen. Sie können einfach nicht logisch denken.»
«Hat Danny Simon etwa bei dem Mord geholfen?», fragte Holly. «Er hat ja da gearbeitet. Er hätte Simon reinschmuggeln und in den Poolbereich lassen können. Er wusste zu viel.»
«Genau!» Vera applaudierte anerkennend, weil das Ashworth gewaltig wurmen würde.
«Aber wieso hätte er das tun sollen?» Das war nun Ashworth, der zurückschlug. «Wieso sollte er Beihilfe zu einem Mord leisten?»
«Weil er jung war und ein Idiot», sagte Vera. «Weil er gern Risiken eingegangen ist. Weil sein Idol ihn darum gebeten hat.»
Und vielleicht auch, weil er Jenny Lister immer noch die Schuld daran gegeben hat, dass seine Beziehung zu Hannah in die Brüche gegangen ist. Vielleicht wusste er auch gar nicht, dass Simon Jenny umbringen wollte. Vielleicht hat er es für einen Streich gehalten, einen Riesenspaß.
«Erzählen Sie uns von dem Tag», sagte Charlie. «Sagen Sie uns, was genau passiert ist. Und kein Psychogequassel mehr.» Er sackte nach vorn über den Tisch.
«Jenny ist mehrmals die Woche hierhergekommen, um vor der Arbeit zu schwimmen. Nicht in aller Herrgottsfrühe, aber doch bevor die ermäßigten Tarife anfangen. Simon wollte ganz sicher gehen, dass sie an dem Vormittag auch da ist, deshalb hat er sich hier mit ihr auf einen Kaffee verabredet, bevor sie schwimmen geht. Natürlich hat er sich nicht blicken lassen. Auf tiefgründige Gespräche hatte er keine Lust mehr. Sie hat sich dann wie immer umgezogen und ihre Anziehsachen und die Tasche ins Schließfach gesperrt, und dann ist sie wie sonst auch ins Dampfbad gegangen, wo Simon schon auf sie gewartet hat.»
«Danny hat ihn reingelassen», sagte Holly. «Wir wissen, dass er über Nacht im Willows geschlafen hat und am nächsten Morgen im Hotel war.»
«Ja, Danny hat ihn reingelassen. Irgendein unbekannter Gast. Wem sollte der schon auffallen? Simon ist ein kräftiger junger Mann, er rudert. Er konnte Jenny erdrosseln, ohne dass es jemand hörte. Es hätte zwar die ganze Zeit jemand hereinplatzen können, aber ich vermute, dass Danny Schmiere gestanden hat. Und wem fällt schon ein Kerl vom Reinigungspersonal auf? Man sieht den Mopp, den Eimer, sogar den Overall, aber den Menschen sieht man nicht. Und über eine Stunde lang hat niemand Jennys Leiche bemerkt. Bis ich sie gefunden habe, hatten alle beide Zeit genug, aus dem Hotel zu verschwinden.»
Vera lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Hatten die beiden jungen Männer je darüber nachgedacht, wie ungeheuerlich das war, was sie da taten? Oder hatten sie es als eine intellektuelle Herausforderung betrachtet, wie eine Aufgabe, die man ihnen an der Uni stellte?
«Simon ist dann in die Herrenumkleide gegangen, um sich wieder anzuziehen, aber da gab es noch ein Problem. Jennys Tasche war in ihrem Schließfach bei den Damenkabinen. Und in der Tasche war ihr Terminkalender, ihre Notizen. Wahrscheinlich sogar irgendein Hinweis auf ihre Liaison mit Simon. Die Lösung lag auf der Hand.» Vera blickte auf, wurde wieder zur Mentorin und Lehrerin. «Wer möchte?»
«Danny», sagte Holly und kam Ashworth damit zuvor. «Er hatte einen Generalschlüssel.»
«Genau! Simon ist aus dem Hotel verschwunden, so schnell er konnte. Er ist clever genug, nicht zuzulassen, dass jemand ihn da rumhängen sieht. Um Danny hat er sich, wie man bemerkt, nicht ganz so viel Sorgen gemacht. Er hat es ihm überlassen, die Tasche zu holen und loszuwerden und ihm Jennys Notizen nach Barnard Bridge zu bringen. Aber Danny war neugierig. Und wer wäre das nicht gewesen?»
«Also hat er nachgeschaut, was in der Tasche war, bevor er sie weggeworfen hat?»
«Na klar. Und so cool, wie er vorgab, war er auch nicht. Er kannte sich in Barnard Bridge nicht aus und hat sich auf dem Weg zu Simons Haus verlaufen. Die Tasche hat er beim Mallow Cottage ins Unkraut geworfen, ehe Connie ihn gesehen hat.»
Ryan Taylor kam, um den Tisch abzuräumen. Die Kellner waren mittlerweile alle gegangen, und sie waren die letzten Gäste im Saal. «Tut mir leid, Herzchen», sagte Vera. «Sie wollen sicher nach Hause. Schmeißen Sie uns einfach raus, wenn Sie hier dichtmachen wollen.»
«Nur keine Eile», sagte er. «Ich bleibe über Nacht hier.» Er knipste einen Schalter an und dimmte die übrigen Lampen im Saal, sodass sie jetzt im Licht eines einzigen staubigen Kronleuchters dasaßen. Vera fühlte sich wie eine Schauspielerin; sie hatte schon immer gern eine Show abgezogen und sah in die Runde, um sicherzugehen, dass sie die volle Aufmerksamkeit besaß. Vielleicht sollte sie ja, wenn sie in Rente ging, einer Laientheatergruppe beitreten, obwohl das erfundene Zeug wohl kaum halb so viel Spaß machen würde.
Die Musik im Hintergrund war jetzt aus. Es war gar nicht so sehr wie auf einer Bühne, dachte Vera, sondern eher wie in einem Winkel eines riesigen Filmsets, in einer dieser großen, verstaubten Hallen, wo mit Hilfe von Sperrholz und ein bisschen Samt und Seide Träume erschaffen wurden.
«Was ist jetzt mit Danny Shaw? Wenn die beiden so gute Freunde waren, warum hat Simon ihn dann umgebracht?» Ashworth beugte sich über den Tisch, griff nach Veras Flasche und goss sich einen gehörigen Schluck ein. Ach, Joey, guter Junge, dachte Vera. Was wird die beste Ehefrau von allen bloß sagen, wenn du besoffen nach Hause kommst? Die nächsten vierzehn Tage wirst du wohl Windeldienst haben.
«Danny kam auf den Gedanken, dass er mehr verdient hätte als ein Dankeschön, wo er Simon doch geholfen hat, einen Mord zu begehen», sagte Vera. «Und vielleicht hat er ja nicht mal ein Danke bekommen. Wenn Simon seine Hilfe nicht so selbstverständlich hingenommen hätte, glaube ich, hätte Danny gar keine Forderungen gestellt. Für ihn ging es immer nur um Freundschaft.»
Er hat mit Michael Morgan über Freundschaft gesprochen. Aber Michael war abgelenkt und hat nicht richtig zugehört, und weil er so ein egozentrischer Mistkerl ist, hat er gedacht, Danny redet von ihm. Bis ich ihn heute Morgen noch mal dazu befragt habe.
«Dann hat Danny Simon also erpresst?», fragte Holly. Selbst nach einer Woche mit zu wenig Schlaf und eimerweise Alkohol hatte sie sich immer noch perfekt in der Gewalt und sah zum Anbeißen aus. Es gab Dinge im Leben, die einfach ungerecht waren.
«Wahrscheinlich ist er nicht ganz so plump vorgegangen. Aber die Uni in Bristol zieht Kinder von reichen Leuten an. Die Eltern von seiner Freundin haben Geld wie Heu. Er wollte genug Geld, um auch dazuzugehören.» Vera schwieg. «Ich glaube nicht, dass er Simon je verraten hätte, damit hat er wahrscheinlich nicht mal gedroht, doch das Risiko konnte Simon nicht eingehen. An dem Tag hat er sich Jennys Wagen geliehen. Er hat Hannah gesagt, dass er zum Bäcker fährt, und auf der Rückfahrt muss er dann auch was gekauft haben. Ein cooler Hund! Kommt mehr nach seinem Vater als nach seiner Mutter. Ich glaube, dass Christopher auch ganz schön rücksichtslos sein kann, und Veronica hat am Ende ja doch die Nerven verloren. Ob sie geahnt hat, dass ihr Sohn die Sozialarbeiterin umgebracht hat? Vielleicht hat sie ja die Notizen gesehen, die er mit nach Hause gebracht hat. Vielleicht hat sie gehört, wie er mit Danny telefonierte. Was hätte schlimmer für sie sein können, als dass ihr Sohn ein Mörder ist? Deshalb hat sie sich plötzlich so an Connie Masters rangeschmissen. Sie wollte wissen, was los ist.»
«Können wir wieder auf Danny Shaw zurückkommen?» Es kostete Charlie ziemliche Anstrengung, den Satz einigermaßen klar auszusprechen. «Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich muss langsam mal ins Bett.»
«Simon hat ihn erdrosselt und dann mit den Akten aus Jennys Tasche ein Feuer gemacht. Natürlich hat er zuerst alles rausgenommen, was auf ihn hindeuten könnte. Damit wollte er erreichen, dass wir Danny für den Mörder halten, er wollte uns weiter im Trüben fischen lassen.» Vera strahlte insgeheim, und ihr wurde klar, wie betrunken sie wirken musste, aber das war ihr egal. Im Trüben fischen. Ein gutes Bild.
«Dann ist ihm klar geworden, was er getan hat, und er hat völlig die Beherrschung verloren, hat angefangen, über das Was wäre wenn nachzudenken, und das ist immer gefährlich. Was, wenn Jenny Connie schon für ihr Buch befragt hat? Simon wusste ja nicht mal, dass Connie auch im Dorf wohnt, bis ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe. Da muss er echt durchgedreht sein. Was, wenn die beiden beste Freundinnen waren und Jenny ihr was über ihre Affäre anvertraut hatte? Die Angst hat ihn völlig zermürbt. Erst hat er Connie am Telefon bedroht, dann hat er seine Mutter überredet, die beiden ins Bootshaus zu bringen.» Vera blickte auf. «Aber tief im Inneren war er einfach nur eifersüchtig darauf, wie liebevoll Connie mit ihrer Tochter umgeht. Der ganze Fall hat sich nur um Kinder und ihre Eltern gedreht. Simon Eliot war wie ein kleiner Junge, der einen Tobsuchtsanfall bekommt und kaputt machen will, was er selbst nie haben wird.»
«Eliot hätte beinahe eine Fünfjährige umgebracht, nur weil er eifersüchtig auf sie war?» Ashworth konnte es einfach nicht glauben.
Vera zuckte die Schultern. «Wir werden wahrscheinlich nie wissen, weshalb genau er sie ins Wasser geworfen hat. Sein Bruder ist ertrunken, und der Sohn von seiner Schwester auch. Vielleicht hat er sich da auf der Veranda vor dem Bootshaus gedacht, es wäre an der Zeit, das mal jemandem heimzuzahlen.»
«Glauben Sie wirklich, dass es darum ging?» Charlie hob den Kopf gerade weit genug vom Tisch, um sprechen zu können.
«Es spielt keine Rolle, was ich glaube, oder? Die Staatsanwaltschaft hat ihn für zwei Morde am Schlafittchen, und er hat gestanden. Wegen der Kleinen werden sie ihm wohl nicht weiter zusetzen. Und Connie will sicher nicht noch mal vor Gericht aussagen, weshalb ich mir vorstellen könnte, dass sie die Sache unter den Tisch fallen lässt.»
«Noch ein Kind, das für den Rest seines Lebens Angst vor dem Wasser haben wird», sagte Holly.
«Aye, gut möglich.» Aber Vera war sich nicht sicher, ob es mit Ursache und Wirkung immer so einfach war. Das Leben war nicht vorhersagbar, es war chaotisch. Die Theorien überließ man besser den Seelenklempnern und Sozialarbeitern. «Oder sie schwimmt eines Tages bei den Olympischen Spielen.»