Interview mit mir selbst
Sie sind Ephraim Kishon, der Schriftsteller...?«
»Ich bin kein Schriftsteller. Ich bin nur ein Humorist.«
»Was ist der Unterschied?«
»Es gibt keinen. Aber Humoristen werden im allgemeinen nicht als Schriftsteller bezeichnet.«
»Entschuldigen Sie - die diversen Lexika und Enzyklopädien sind voll mit Namen von Humoristen.«
»Von toten. Erst wenn man stirbt, wird man ein Schriftsteller. Zu Lebzeiten ist man ein Humorist.«
»Und kann zu Lebzeiten ganz gut davon leben, oder nicht?«
»Habe ich mich beklagt? Ich habe nur Tatsachen festgestellt. Ein Schriftsteller gilt als seriös. Einer, der die Menschen lachen macht, kann doch nicht seriös sein. Stimmt's?«
»Es stimmt.«
»Sie sind ein Idiot.«
»Ich hab's nicht so gemeint. Ich meine... er ist zwar seriös... aber er bringt die Leute zum Lachen... nein, umgekehrt...«
»Es wäre besser, wenn wir dieses Interview abbrechen.«
»Seien Sie doch nicht so empfindlich, um Himmels willen!«
»Wie sollte ich nicht empfindlich sein, wenn's um mich selbst geht?«
»Sie stehen im Ruf, auf die geringfügigsten Attacken - auch auf solche, die Sie sich nur einbilden - mit hemmungsloser Wut zu reagieren und alle Kritiker in Bausch und Bogen zu verdammen. Was sagen Sie dazu?«
»Nichts.«
»Warum nicht?«
»Weil Sie mich nicht verstehen würden. Ich habe Zahnschmerzen, nicht Sie. Über diesen Punkt könnten wir erst sprechen, wenn ich Ihnen die Zähne eingeschlagen hätte. Wir stehen in verschiedenen Lagern. Ich schreibe, Sie lesen.«
»Das klingt sehr häßlich. So kann man das Thema doch nicht behandeln.«
»Deshalb wollte ich ja auf die Behandlung verzichten. Einer meiner Freunde, ein Journalist, hat immer behauptet, daß ich an Verfolgungswahn leide. Jetzt hat er ein Stück geschrieben, das von einem unserer führenden Theater angenommen wurde. >Armer Junge<, sagte ich zu ihm. >Du warst ein glücklicher, zufriedener Mensch, solange du dich als Kritiker betätigt hast. Warum bist du ins andere Lager übergelaufen?< Jetzt ist es mit dem schönen Leben für ihn vorbei. In wenigen Wochen wird er ein zerrüttetes Exemplar im Kreis der schöpferischen Menschen sein. Ein Nervenbündel. Ein Wrack. Und in spätestens einem Jahr werde ich mit ihm über seinen Verfolgungswahn sprechen.«
»Woher wissen Sie, daß sein Stück nicht durchfallen wird?«
»Ich sagte ja, Sie würden mich nicht verstehen. Wenn das Stück durchfällt, wäre mein Freund gerettet. Nach einer Weile hätte er den Zwischenfall vergessen und könnte den Kopf hoch tragen wie zuvor. Die Gefahr besteht darin, daß sein Stück ein Erfolg wird. Dann muß er ein zweites Stück schreiben, Gott helfe ihm. Diese zweite Premiere wird ihm den Rest geben. Und beim dritten Mal zerfetzt man ihn bereits.«
»Wer zerfetzt ihn? Das Publikum?«
»Das Publikum ist eine abstrakte Größe. Mit dem Publikum kommt nur die Dame an der Abendkassa in Berührung. Nein, zerfetzt wird er von den wenigen Leuten, denen er täglich begegnet.«
»Muß er ihnen unbedingt begegnen? Es gibt ja noch andere.«
»Dann werden ihn eben die anderen zerfetzen.«
»Aber warum?«
»Schauen Sie bei Kafka nach. Der hat viele Bücher darüber geschrieben.«
»Kafka?«
»Ja. Er war unter anderem ein großer Humorist. Noch die trockensten Stellen seiner Romane sind besser als eine ganze Serie von Witzen.«
»Da fällt mir ein - kennen Sie die Geschichte von dem katholischen Priester, dem mohammedanischen Kadi und dem Rabbi, die zusammen in einem Flugzeug sitzen und -«
»Was sagt der Rabbi?«
»Wie bitte?«
»Ich weigere mich, die ganze lange Geschichte anzuhören, bis wir zum Rabbi kommen. Was sagt der Rabbi am Schluß?«
»Er sagt: >Also gut<, und springt mit dem Regenschirm hinaus.«
»Großartig.«
»Man hat mich gewarnt, daß Sie im Privatleben überhaupt keinen Humor haben. Was macht Sie so traurig?«
»Ich bin nicht traurig. Ich habe nur ein trauriges Gesicht.«
»Angeblich sind Humoristen immer traurig.«
»Sie sind es nicht. Vielleicht einsam. Oder nachdenklich. Dieser sonderbare Beruf verlangt das Herausschälen der Wahrheit aus den vielen Schichten, von denen sie überlagert wird. Man schält und schält. Und eines Tages merkt man, daß das genaue Gegenteil von dem, was man in der Schule gelernt hat, richtig ist: Lügen haben lange Beine. Ehrlichkeit ist die Ausrede der Feiglinge. Deine Freunde sind deine Feinde. Jemandem einen Gefallen zu tun ist der sicherste Weg, seinen Haß zu erregen. Güte ist Schwäche. Brutalität ist Stärke. Geld ist alles. Gott -«
»Hören Sie auf! Wie kann man so fürchterliche Dinge aussprechen?«
»Als Humorist kann man. Der Humorist ist ja nicht ernst zu nehmen. Und merkwürdigerweise klingen alle diese fürchterlichen Dinge gar nicht so fürchterlich, wenn man sie in Humor verpackt. Dann kann man den Menschen die bitterste Wahrheit zu schlucken geben, und sie werden sich köstlich darüber amüsieren.«
»Das sagen Sie nur, weil Sie die Menschen verachten.«
»Ich verachte sie keineswegs. Ich versuche sie nur kennenzulernen. Und je gründlicher ich meine Illusionen über sie aufgebe, desto liebenswerter erscheinen sie mir. Es ist leichter, einen Lumpen zu lieben als einen Heiligen.« »In jedem Menschen steckt ein guter Kern.«
»Gewiß. Den ganzen Tag lang ist er ein böser, grausamer Unhold - am Abend geht er ins Kino und vergießt heiße Tränen über das Benehmen eines bösen, grausamen Unholds auf der Leinwand. Da zeigt sich sein guter Kern. Im Kino. Wahrscheinlich nur im Kino.«
»Sie sind ein unheilbarer Zyniker.«
»Von Berufs wegen. Ich hasse niemanden. Und ich liebe das Kino.«
»Ist Ihnen bewußt, daß Sie mit einem schweren ungarischen Akzent sprechen?«
»Ja.«
»Wie schreiben Sie?«
»Von rechts nach links. Hebräisch.«
»Wirklich? Und was für Eigenheiten haben Sie beim Schreiben?«
»Keine. Es tut mir leid, Ihnen diesbezüglich nichts anbieten zu können, was das Publikum gerne hören würde. Weder schreibe ich in einer mit lauem Wasser gefüllten Badewanne zum Klang eines Streichquartetts, noch inspiriert mich der Vollmond hinter Wolken. Ich stehe an jedem Morgen um 6.30 auf, setze mich an den Schreibtisch und schreibe mit einem gut gespitzten Bleistift bis 10 Uhr von rechts nach links. Ich arbeite wie jeder andere Mensch.«
»Klingt nicht sehr eindrucksvoll. Wo bleibt die Kunst, wo bleibt die Freude am Kreativen?«
»Wer hat gesagt, daß mich das Schreiben freut?«
»Was freut Sie denn sonst?«
»Mich freut das fertige Produkt, der Augenblick, in dem ich den Schlußpunkt setze. Ich liebe das Baby, nicht die Geburtswehen. Und der Anblick der Regale mit meinen eigenen Büchern macht mich geradezu trunken vor Glück. Aber das Schreiben selbst ist eine freudlose, ermüdende Tätigkeit.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Vergessen Sie's. Ich habe nur gescherzt.«
»Dacht ich's doch... Was wollte ich Sie eigentlich fragen?« »Ob ich mich für einen Satiriker oder einen Humoristen halte.«
»Stimmt. Wieso wußten Sie -?«
»Erfahrung.«
»Auch hier erhebt sich die Frage nach dem Unterschied.«
»Die habe ich Ihnen ja schon beantwortet: Sowie der Humorist stirbt, wird er zum Satiriker erhoben. Die Zeit arbeitet für mich. Mir braucht nur ein Ziegelstein auf den Kopf zu fallen - und ein paar Tage später bin ich ein Satiriker. Vorläufig bin ich ein Humorist, der Satiren schreibt.«
»Was bedeutet das schon wieder?«
»Die Leute wollen keine Satiren. Sie wollen lachen. Andererseits legen sie Wert auf Niveau, nämlich darauf, daß ihr Lachen Niveau hat. Also nehmen sie ihr Lachen als Beweis dafür, daß das, worüber sie gelacht haben, eine Satire war. Ein Musterfall für dieses Verfahren ist Charlie Chaplin. Viele Jahre lang hat er dem Publikum die scheinbar primitivsten Slapstick-Possen geboten, in die man - eben ihrer Primitivität wegen - alles mögliche hineindeuten konnte. Und tatsächlich betrachtete ihn die Welt als einen großen satirischen Philosophen, der den Kampf des kleinen Mannes gegen die übermächtige Gesellschaft dadurch zum Ausdruck brachte, daß er ins Wasser plumpste oder an einem Kanalgitter hängenblieb. Man jubelte ihm zu, und seine Filme waren monatelang ausverkauft. Dann wurde er älter und produzierte wirkliche wunderbare Satiren. Damit verlor er sein Publikum.«
»Und fand seine eigene Wahrheit.«
»Die Wahrheit lockt niemanden ins Kino. Und dem Schriftsteller droht eine ganz ähnliche Gefahr. Sobald er ein bestimmtes Niveau überschreitet, sinkt seine Beliebtheit ab und seine Bücher werden nicht mehr gekauft.«
»Läßt sich das vermeiden?«
»Ja. Indem man mittelmäßig schreibt. Indem man unter sein Niveau geht.«
»Wollen Sie damit sagen, daß der Schriftsteller sich an das Niveau seiner Leser angleichen, also zu ihnen herabsteigen muß?«
»Durchaus nicht. Er kann sie ignorieren und in seiner Einsamkeit schaffen, die der Engländer als >splendid isolation < bezeichnet. Allerdings wird er sich da sehr elend fühlen.«
»Und wenn der Schriftsteller zum Niveau der Masse herabsteigt?«
»Dann fühlt er sich noch elender.«
»Und wie bewältigen Sie diesen Zwiespalt?«
»Ich bin kein Schriftsteller. Ich bin ein Humorist.«