Offenes Gespräch mit einem Hund
Eine Zeitlang hatte es den Anschein, als wäre Franzi, wenn überhaupt, am Geschlechtsleben nur in Form von Gruppensex interessiert, wie ich es im vorangegangenen Kapitel geschildert habe. Nach einigen Monaten mußte ich jedoch entdecken, daß sie in einen struppigen schwarzen Köter ungewisser Herkunft verliebt war, der neuerdings in regelmäßigen Intervallen bei uns auftaucht und den sie offenbar als ihr ständiges Verhältnis betrachtet.
Ich persönlich kann diesen Kerl nicht leiden. Sein ganzes Wesen widerstrebt mir. Er wirkt auf mich wie ein Hippie, und ich lasse ihn nur Franzi zuliebe ins Haus. Bei seinem letzten Besuch, als Franzi gerade in der Küche zu tun hatte, trieb ich meine Gastfreundschaft so weit, ihm den Bauch zu kraulen. Hunde haben das gern. Sie haben es so gern, daß sie sich auf den Rücken legen und die Beine von sich strecken, um das Gekraultwerden zu genießen.
»Liebes Hundi, herziges Hundi«, brummte ich während des Kraulens vor mich hin. »Hundi freut sich, wenn man ihm Bauch kitzelt, nicht wahr.«
»Keine Spur«, kam laut und deutlich die Antwort. »Ich freue mich überhaupt nicht. Aber ich kann mir nicht helfen. So ist das Leben.«
Ich war einigermaßen verblüfft. Wie? Dieser Wechselbalg von einem Köter, der sich die ganze Zeit auf der Straße herumtrieb und nicht einmal die primitivste Schulbildung besaß, sprach ein fehlerfreies Hebräisch?
»Entschuldigen Sie«, stammelte ich. »Sie verstehen die menschliche Sprache?«
»Alle Hunde verstehen die menschliche Sprache. Sie verheimlichen es nur vor den Menschen.«
»Und warum?«
»Weil uns die Menschen mit ihrem blöden Gequatsche ohnehin schon genug langweilen. Wenn sie auch noch wüßten, daß wir sie verstehen, würde es überhaupt kein Ende nehmen. Aber warum haben Sie aufgehört, meinen Bauch zu kratzen, Herr? Kratzen Sie ruhig weiter, wenn's Ihnen Spaß macht. Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich habe gelernt, keinen Widerstand zu leisten. Soll ich auch noch die Zunge heraushängen lassen und ein bißchen mit dem Schwanz wedeln? Oder behaglich knurren?«
Ich wußte nicht recht, was ich antworten sollte. Ich habe keine Erfahrung im Gespräch mit fremden Hunden.
»Jedenfalls«, sagte ich schließlich, »gratuliere ich Ihnen, daß Sie so eine nette Hündin gefunden haben wie Franzi.«
»Nett?«
»Das will ich meinen. Ich brauche nur zu pfeifen - und schon springt sie auf meinen Schoß, um mir das Kinn abzulecken. Manchmal stellt sie sich sogar auf die Hinterbeine, um vielleicht meine Nase zu erreichen. Sie ist mir aufrichtig ergeben.«
»Aufrichtig!« schnarrte der Liebhaber meiner Hündin und zündete sich eine Zigarette an. »Ergeben! Daß ich nicht lache. Sie weiß nicht einmal, was dieses Wort bedeutet. Mich zum Beispiel läßt sie nur in ihre Nähe, wenn sie läufig ist. Und sobald sie bekommen hat, was sie braucht, bellt sie mich zur Türe hinaus. Sie ist noch nie auf den Einfall gekommen, mir ihre Sprößlinge vorzustellen, an deren Zustandekommen doch auch ich beteiligt bin. Und sie hat mir noch nie auch nur einen Bissen ihres Futters übriggelassen, das sie von Ihnen für nichts und wieder nichts bekommt.«
»Zu mir«, unterbrach ich unwillig, »benimmt sie sich immer sehr lieb und freundlich.«
»Kein Wunder. Sie ist ja religiös.«
»Sie ist was?«
»Damit Sie's wissen, mein Herr: Franzi ist im Verkehr mit Hunden ein brutales, egoistisches Geschöpf. Lieb und freundlich ist sie nur zu den Göttern. Und dem Allmächtigen bringt sie eine geradezu fanatische Liebe entgegen.«
»Wer ist der Allmächtige?« »Sie.«
»Ich?«
»Jawohl, Sie. Aus der Hundeperspektive. Sie sind groß und stark und können schlagen. Sie ernähren Franzi, Sie versorgen sie mit einem Dach überm Kopf und gewähren ihr allen behördlich erforderlichen Schutz. Und was bekommen Sie dafür? Eine tägliche Ration von Schweifwedeln, Auf-den-Hinterbeinen-Stehen, Bitte-bitte-Machen und dergleichen kindische Mätzchen. Das ist ja auch ganz in Ordnung. Menschen interessieren sich ja für einen Hund nur, solange er sich menschlich benimmt. Dann ist er ein liebes Hundi. Na, und darauf gehen wir eben ein. Wir verfallen automatisch in Begeisterung, wenn Sie uns den Bauch kratzen. Wir sind sofort bereit, einen Stock heranzubringen, den Sie irgendwohin geworfen haben, weil wir wissen, daß Sie das glücklich macht. Uns langweilt es maßlos. Aber schließlich ist es leichter, Theater zu spielen, als hungrig durch die Welt zu streunen.«
»Aus welchen Gründen immer - Hunde sind die treuesten Freunde der Menschen.«
»Der Menschen? Welcher Menschen? Franzi ist Ihnen ein treuer Freund, Ihnen und niemandem sonst. Weil Sie es sind, der für ihre Existenz sorgt. Haben Sie noch nie das lateinische Sprichwort gehört: Ubi bene, ibi canis? Übersetzt: Der Hund ist dort, wo es ihm gut geht. Bekäme Franzi genügend Nahrung von einem ändern, dann wäre er ihr Gott. Sie ist streng monotheistisch. Sie glaubt an einen einzigen Gott und verachtet alle anderen, besonders jene, die nicht wohlhabend sind und bei denen es nichts zu holen gibt. Haben Sie noch nie bemerkt, wie wild sie zu bellen beginnt, wenn ein Bettler oder Hausierer vor der Türe auftaucht? Bellt sie aber nicht, dann können Sie Gift darauf nehmen, daß es sich um einen Schwindler handelt, der zu Hause unter der Matratze größere Geldbeträge versteckt hält.«
»Franzi tut auf jeden Fall ihre Pflicht und bewacht unser Haus.«
»Franzi bewacht Ihr Haus? Machen Sie sich nicht lächerlich,
Herr. Was Franzi bewacht, ist das Haus, das sie für ihr eigenes hält. Sie bewacht ihr tägliches Brot. Und sie paßt verdammt gut auf, daß ihr kein anderer Hund was wegnimmt. Was Sie für Bewachung halten, ist der simple Existenzkampf. Man nennt das auch Existentialismus, wenn Sie Ihren Sartre gelesen haben.«
»Ich habe ihn nicht gelesen. Ich bin kein Hund.«
»Nein, gewiß nicht. Es ist ja auch viel angenehmer, der Allmächtige zu sein. Und mit seinem Edelmut zu prunken. Und sich früh, mittags und abends von einer abhängigen Kreatur bewundern zu lassen. Nein, wirklich. Hund bei einem Menschen zu sein, ist ein merkwürdiger Beruf. Ich glaube, wir sind die einzigen Geschöpfe auf Erden, die von der Dummheit der Menschen leben. Entschuldigen Sie bitte.«
Ich verfiel in gelinde Nachdenklichkeit:
»Nun... also dann... was soll ich eigentlich tun?«
»Nichts. Vergessen Sie, was ich gesagt habe, mein Herr. Es war nur Spaß. Und außerdem können Hunde ja gar nicht reden... «
Damit legte er sich auf den Rücken und streckte einladend alle viere von sich, wie es eben die Gewohnheit von Hunden ist, wenn sie am Bauch gekrault werden wollen. Ich kraulte ihn am Bauch, er sah mich an, begann behaglich zu knurren und ließ die Zunge heraushängen.
Hunde haben es sehr gern, daß man sie am Bauch krault.