Gottes eigene Mafia

Der Überfall auf das Bankhaus Forklewitsch war kein gewöhnlicher Bankraub.

Die Räuber, vier bärtige Männer in langen chassidischen Kaftans, steuerten geradewegs auf das Büro des Chefs zu. Dort erfolgte zunächst ein heftiger Wortwechsel zwischen Herrn Theodor Forklewitsch und seinem Schwager Rabbi Zalman, dem Anführer der Bande. Hierauf fesselten die vier Chassidim den Bankier an seinen Stuhl und stürmten den Kassenraum. Der Kassierer unterließ nach einigen kräftigen Keulenschlägen auf seine Schädeldecke jeden Widerstand und mußte hilflos zusehen, wie die Räuber den Safe entleerten und sich mit 860000 Shekel in bar davonmachten.

Zugleich mit der Kunde von dem Raubüberfall verbreitete sich die Interpretation, daß er auf einen Familienzwist zurückzuführen war. Jedenfalls berichteten die Schüler des Rabbi von einer schweren Verstimmung zwischen dem gottlosen Bankier und seinem frommen Schwestermann, wobei der Zinsfuß, den die Bank für ihre Darlehen berechnete, eine entscheidende Rolle spielte. Rabbi Zalman hatte seinen Schwager wiederholt wissen lassen, daß er ein solches Verhalten in seiner Familie nicht dulden würde und hatte - gemäß der rabbinischen Vorschrift, die da besagt: »Wer sich durch seine Handlungsweise einer Strafe aussetzt, hat Anspruch darauf, gewarnt zu werden« - über dem Eingang zur Forklewitsch-Bank ein großes Transparent angebracht: »Du sollst von deinem Nächsten nicht Wucher noch Übersatz nehmen (Leviticus 25, 36).« Seine Warnung stieß indessen auf taube Ohren. Die Forklewitsch-Bank führ fort, Geld gegen Zinsen zu verleihen, wie jede andere Bank im Lande auch. Und dafür wurde sie jetzt bestraft.

Kein Wunder, daß sich daraufhin das Verhältnis zwischen den beiden Hauptbeteiligten noch weiter verschlechterte. Forklewitsch rief seine Schwester an und bat sie, bei ihrem Gatten zu intervenieren. Rabbi Zalmans einzige Antwort war ein Zitat aus dem Buch der Bücher: »Wenn du Geld leihest meinem Volke, das arm ist bei dir, so bringe es nicht zu Schaden und lege ihm keine Zinsen auf (Exodus 22, 25).«

Es war ein böses Dilemma, in dem sich Herr Forklewitsch befand. Auf der einen Seite sein Schwager, der sich dank seiner Gottesfurcht und seinem frommen Festhalten an den traditionellen Werten des Judentums allseits hohen Ansehens erfreute - auf der ändern Seite seine Bank, die mangels flüssiger Zahlungsmittel in Schwierigkeiten zu geraten drohte. Einige Persönlichkeiten des orthodoxen Lagers, die Forklewitsch um Fürsprache bat, zeigten zwar ein gewisses Verständnis für seine Lage, machten aber kein Hehl daraus, daß sie ihn für den eigentlich Schuldigen hielten, und verwiesen ihn auf die Talmudlegende vom Kamel, das Hörner haben wollte und statt dessen einen Buckel bekam. Schließlich gaben sie ihm den Rat, sich mit der Bitte um eine Subvention an die Regierung zu wenden. Forklewitsch, der für Abenteuer nichts übrig hatte, bedankte sich fluchend und entschloß sich zu einem ebenso unjüdischen wie unbrüderlichen Schritt: Er verständigte die Polizei.

Die Polizei zögerte. Offensichtlich wollte sie sich in eine Familienaffäre mit religiösem Hintergrund nicht einmischen. Erst als Forklewitsch immer dringlicher eine gesetzliche Behandlung des Falles verlangte, wurde Rabbi Zalman zu einem Gespräch auf die Polizeistation gebeten.

Der Rabbi, eine patriarchalische Erscheinung von imposanter Größe, konnte auf Vorhalt nicht bestreiten, daß Moses gesagt hatte: »Du sollst wiedergeben, was du mit Gewalt genommen hast (Leviticus 5, 23)«, hielt diesem Satz jedoch einen anderen entgegen: »Ich will euch heimsuchen, spricht der Herr, und euch bestrafen nach der Frucht eures Tuns (Jeremia 21, 14)« und stützte ihn mit zahlreichen Auslegungen rabbinischer Autoritäten.

Obwohl der Inspektor, der die Einvernahme leitete, von Rabbi Zalmans umfassender Gelehrsamkeit tief beeindruckt war, mußte er in seiner amtlichen Eigenschaft darauf hinweisen, daß Banküberfälle nach den gültigen Gesetzen nicht verübt werden dürfen und daß im übrigen alle Banken, ausnahmslos alle, Geld gegen Zinsen verleihen.

»Alle Banken interessieren mich nicht«, entgegnete Rabbi Zalman. »Mich interessiert die Bank meines Schwagers ->denn siehe, dieser Mann ist ein Anverwandter meines Stammes (Ruth 2, 20)<!«

»Ganz richtig«, stimmte der Inspektor zu. »Trotzdem können wir nicht darüber hinwegsehen, daß der Bestohlene in aller Form die Rückerstattung seines Eigentums verlangt hat. Das Gesetz -«

»Im Buch der Chroniken«, unterbrach Rabbi Zalman, »heißt es ausdrücklich, daß >vom Gelde in den Tagen Salomos keinerlei Rechnung gelegt< wurde. Warum sollte ein Forklewitsch plötzlich Rechnung legen?«

Der Inspektor blieb vor diesem unwidersprechlichen Argument ein paar Sekunden lang stumm, dann faßte er sich und entließ den Rabbi mit der Bitte, sich die ganze Geschichte noch einmal in Ruhe zu überlegen.

Draußen wurde Rabbi Zalman von jubelnden Anhängern empfangen, die ihn auf die Schultern hoben und im Triumph nach Hause trugen.

Jetzt griff die öffentliche Meinung ein. Die Frage, ob der Banküberfall gerechtfertigt war oder nicht, wurde auch in der Presse lebhaft diskutiert.

Antireligiöse Kreise sahen ihren Weizen blühen:

»Ein klarer Fall von Raub«, verkündeten sie. »Ein Banküberfall am hellichten Tag. Ein krimineller Akt, begangen von orthodoxen Tätern.«

Das religiöse Lager leistete Widerstand: »Schön und gut. In Gottes Namen und um der Diskussion willen geben wir zu, daß es sich um einen Raubüberfall handelt. Aber wer war der Räuber? Ein Fremder? Ein Unbekannter? Vielleicht gar ein Nichtjude? Nein! Es war der Schwager des Geldbesitzers, also ein naher Verwandter. Damit ist erstens bewiesen, daß das Geld in der Familie bleibt. Zweitens, und immer vorausgesetzt, daß überhaupt ein Raub verübt wurde: Warum wurde er verübt? Aus Geldgier? Aus Geiz? Aus Eigensucht? Im Gegenteil! Es geschah aus völlig unpersönlichen Motiven, es geschah zur Ehre des Ewigen, gepriesen sei Sein Name! Die Bank hat gesündigt, die Bank hat gegen die heiligen Gebote verstoßen, die Bank muß büßen.«

Die Würde dieser Entgegnung fand großen Anklang, nur bei Theodor Forklewitsch nicht, dessen Bankhaus sich immer unaufhaltsamer dem Konkurs näherte. Die Klienten gerieten in Panik, hoben ihre Guthaben ab und schienen es auf eine Bankrotterklärung des bis dahin bestens beleumundeten Finanzmannes abgesehen zu haben. Forklewitsch nahm einen Anwalt und bombardierte die Polizei mit Eingaben, die Räuber stellig zu machen und ihm sein Geld zu verschaffen.

Die Polizei tat ihr Bestes, um sich aus der prekären Situation herauszuhalten, erhielt jedoch vom Justizministerium den Auftrag, Nachforschungen »in angemessenen Grenzen« durchzuführen.

Alle zutage geförderten Spuren führten zur »Plonitzer Synagoge«.

Als die Untersuchungskommission dort eintraf, wurde sie von einem Sendboten der Stadtverwaltung von Tel Aviv aufgehalten: Es wären Gespräche mit der religiösen Fraktion im Gang, und bis zur Klärung der Sachlage sollten keine weiteren Schritte unternommen werden.

In den Organen der orthodoxen Parteien erschienen Leitartikel, die gegen die geplante Untersuchung der Synagoge heftig protestierten und von einer Entweihung des Bethauses sprachen. »Wenn die Behörden«, so hieß es, »nicht einmal vor den heiligen Thorarollen haltmachen - was haben wir dann als nächstes zu erwarten? Wo wird dieser Sittenverfall enden?«

Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurde über Theodor Forklewitsch Hausarrest verhängt. Als er nach einiger Zeit gegen Kaution seine Bewegungsfreiheit zurückgewann, war er ein körperlich und geistig gebrochener Mann, fuhr jedoch fort, sein Geld zurückzuverlangen, obwohl bereits mehr als ein Jahr seit dem Bankraub vergangen war und obwohl er mit seiner läppischen Beharrlichkeit aller Welt auf die Nerven ging. Das kam sogar von Seiten der Regierungspartei zum Ausdruck, als einer ihrer Mandatare in der Eröffnungsrede eines Sozialistischen Seminars erklärte:

»Ein Banküberfall mag sündig sein, aber >die Liebe löschet alle Sünden aus< (Sprüche der Väter 10,12).«

Die Affäre ging in ihr zweites Jahr, ohne daß eine Lösung in Sicht gekommen wäre. Gewiß, Theodor Forklewitsch war als geheilt aus der Psychiatrischen Klinik entlassen worden, aber sein seelisches Gleichgewicht schien noch immer gestört. Anders ließ sich nicht erklären, daß er den Kampf um sein gestohlenes Geld wieder aufnahm.

Plötzlich trat eine Wende ein. Die Rathauskoalition in Tel Aviv ging in die Brüche, Rabbi Zalman wurde in Untersuchungshaft genommen und das Verfahren gegen ihn offiziell eingeleitet. Die Anklage lautete auf bewaffneten Raub, Störung der öffentlichen Ordnung und Steuerhinterziehung - Delikte, die für insgesamt 25 Jahre gut waren. Trotz wiederholter Befragung gab Rabbi Zalman an, nicht zu wissen, wo sich das Geld befände; möglicherweise sei es ins Ausland geschafft worden. Ein Nummernverzeichnis der Banknoten ging sofort an die Interpol.

Der Zorn der Bevölkerung richtete sich gegen Theodor Forklewitsch, weil er seinen eigenen Schwager hinter Gitter gebracht hatte, und legte sich erst, als der Rabbi entlassen wurde; denn wie es im Talmud heißt, kann niemand Zeugnis ablegen wider sein eigen Fleisch und Blut einschließlich des angeheirateten. Der Entlassene vollführte mit seinen Anhängern einen chassidischen Freudentanz, der zugleich das Wiedererstehen der Rathauskoalition von Tel Aviv feierte.

Obwohl Rabbi Zalman für den Mann auf der Straße bereits zum Symbol des Widerstandes gegen die Kräfte der Unterdrückung geworden war, blieb die Polizeiakte gegen ihn in der Schwebe. Forklewitsch wurde von seinen sämtlichen Familienmitgliedern bedrängt, die Klage zurückzuziehen. Sie beriefen sich dabei auf Samuel 24, 14: »Nach wem zielest du? Nach einem toten Hund? Nach einem Floh? Nach dreieinhalb Jahren?«

»Aber man hat mir 860000 Shekel gestohlen«, beharrte Forklewitsch, der unbelehrbare Fanatiker.

Endlich überredete man ihn, ein Schiedsgericht aus drei neutralen Rabbinern zu akzeptieren. Die Rabbiner berieten sechs Monate lang, prüften alle Aspekte der einschlägigen Stellen aus Bibel und Talmud samt Kommentaren und Exegesen - und kamen zu dem überraschenden Schluß, daß die gestohlene Summe innerhalb von achtzehn Monaten zurückerstattet werden müsse.

Der Schiedsspruch ging von der Voraussetzung aus, daß das Geld nicht gestohlen, sondern gewissermaßen entlehnt worden sei, und daß in Übereinstimmung mit der allgemein gültigen Auslegung des betreffenden Verses in den Sprüchen der Väter »der Schuldner sich in den Dienst des Verleihers begibt«. Daraus folgt, daß Rabbi Zalman, wenn er das Geld nicht gestohlen, sondern nur entlehnt habe, als Schuldner und somit als Diener des Verleihers gelte und Rabbi Theodor als sein Herr. Da der Diener dem Herrn Gehorsam schuldet, und da Leviticus 19, 10 deutlich vorschreibt: »Du sollst nicht eine jede Beere deines Weinbergs auflesen«, folgt weiter, daß jeder Pfennig der 860000 Shekel vom Diener an den Herrn zurückzugeben ist, also an das Oberrabbinat, das nach eigenem Gutdünken über das Geld verfügen wird. Da jedoch andererseits Rabbi Theodor nach all der Unbill, die er seinen Mitmenschen verursacht hat, nicht unbestraft hingehen kann, soll er einen heiligen Eid ablegen, daß er »nie wieder Geld gegen Zinsen verleihen, noch am Sabbat rauchen, noch vom unreinen Getier essen wird, das da kreucht und fleucht, nicht vom Wiesel, nicht von der Maus und nicht von der Schildkröte«. Der Seufzer der Erleichterung, der daraufhin durchs Land ging, erwies sich als voreilig: Nach Ablauf der achtzehn Monate stellte sich heraus, daß das Geld nicht mehr vorhanden war. Rabbi Zalman beteuerte seine Absicht, es zurückzuerstatten, erklärte sich jedoch den eingetretenen Umständen gegenüber als machtlos. Einige Tage später brach im Rathaus eine neue Koalitionskrise aus. Die Polizei ging pflichtgemäß vor und verhaftete Rabbi Zalman, einen ehemaligen Minister und zwei Talmudstudenten. Auf alle vier warten schwere Strafen, vor denen sie nichts retten kann, es sei denn, daß sich eine neue Wende in der Koalitionspolitik ergibt, wie es geschrieben steht im Buch der Prediger l, 6: »Und es wandelten sich die Dinge aufs neue.« Oder so ähnlich.