Ich habe ja so recht
Ich soll mich hinlegen?«
»Ja. Hier, auf diese Couch. Legen Sie sich hin, schließen Sie die Augen und erzählen Sie mir, was Sie bedrückt.«
»Ich verstehe die Welt nicht mehr.«
»Na ja, das sagt man so. Sie müssen sich schon ein wenig genauer ausdrücken. Vergessen Sie, daß ich Ihr Psychiater bin, und plaudern Sie drauflos. Sprechen Sie zu mir wie zu einem alten Freund. Also.«
»Also. Wo soll ich anfangen... Sie wissen ja, daß ich mich publizistisch betätige. Unter anderem verfasse ich eine satirische Kolumne für eine unserer führenden Tageszeitungen. Von Haus aus bin ich ein stiller, ruhiger Mensch. Man könnte mich sogar einen Feigling nennen. Aber manchmal schreibe ich sehr scharfe Artikel gegen die Regierung und verschiedene öffentliche Institutionen.«
»Vollkommen in Ordnung. Wir leben in einer Demokratie.«
»Trotzdem. Infolge meiner ständigen Angriffe fühle ich mich nun meinerseits gefährdet. Ich fürchte die Rache der Angegriffenen. Zum Beispiel ließ ich vor ungefähr einem Jahr einen scharfen Artikel gegen Dr. Bar-Bizzua erscheinen, den Generaldirektor des Ministeriums für Öffentliche Planung, Sie erinnern sich...»
»Nicht sehr genau.«
»Damals verhandelte Dr. Bar-Bizzua für die Regierung mit einer neugegründeten Firma, der Allgemeinen Petrol- und Produktions-AG<. Es ging um einen Auftrag in der Höhe von 160 Millionen. Dr. Bar-Bizzua unterschrieb den Auftrag namens der Regierung und begab sich anschließend zum Minister für Öffentliche Planung, um ihm seinen Rücktritt bekanntzugeben. Als er das Ministerium verließ, war er bereits der neue Manager der Allgemeinen Petrol< und konnte in dieser Eigenschaft den von ihm unterzeichneten Vertrag gegenzeichnen. Ich habe diesen Vorgang, der allen ethischen Gesetzen Hohn spricht, aufs schärfste gebrandmarkt und habe den Minister für Öffentliche Planung zur Demission aufgefordert.«
»Ja, jetzt erinnere ich mich. Wenn ich nicht irre, nannten Sie ihn den >Minister für Öffentliches Korruptionswesen< und verlangten die Auflösung des ganzen Ministeriums.«
»Richtig. Und nach Erscheinen dieses Brandartikels habe ich mich tagelang nicht auf die Straße getraut. Ich mußte ja damit rechnen, daß der von mir so rücksichtslos angeprangerte Minister sich irgendwie zur Wehr setzen würde.«
»Kein abwegiger Gedanke.«
»Und was geschah? Zwei Tage später ging bei mir das Telefon - und es war der Minister selbst. >Lieber Freunds sagte er, >ich möchte Ihnen nicht verheimlichen, daß ich mir Ihre prächtige Satire ausgeschnitten habe und daß sie eingerahmt auf meinem Schreibtisch steht, gleich neben dem Photo meiner Frau und der beiden Buben. Ich pflichte jedem Ihrer Worte bei. Gott segne Sie.< Nun, was sagen Sie dazu?«
»Ein klarer Fall von Projektionsverschiebung. Der Minister identifiziert sich gewissermaßen mit Ihnen. Eine sehr positive Einstellung, finde ich.«
»Und ich dachte, er würde beleidigt sein und einen Wutanfall bekommen.«
»Einen Wutanfall? Warum? Sie hatten ja recht, und er gab es zu.«
»Hm. Wenn sie glauben... Offenbar leide ich an Verfolgungswahn, weil man mich nicht verfolgt. Wie ich später hörte, hat der Minister meine Satire vervielfältigen lassen und sie unter seinen Beamten verteilt. Einer von ihnen suchte mich auf und ließ mich wissen, daß er mir noch ganz andere Geschichten aus dem Ministerium erzählen könnte. Mir würden die Haare zu Berg stehen, sagte er. Und er blieb nicht der einzige.«
»Mit anderen Worten: Man bringt Ihnen von allen Seiten Verständnis und Zuneigung entgegen.«
»Ja, und das macht mich verrückt. Sogar Dr. Bar-Bizzua hat mir geschrieben, auf dem Briefpapier der Allgemeinen Petrol<. Er gratulierte mir zu meinem Artikel und wünschte mir weiterhin viel Glück. Was soll das bedeuten?«
»Daß er Ihnen weiterhin viel Glück wünscht.«
»Aber das ist doch ein unmöglicher Zustand. Der Minister hätte demissionieren und die >Allgemeine Petrol< hätte Dr. Bar-Bizzua entlassen müssen. Statt dessen geben sich beide Seiten vollkommen unbekümmert. Es hat sich überhaupt nichts geändert. Es ist alles beim alten. Genau wie in der Frage der Einkommensteuer. Seit Jahren attackiere ich mindestens einmal im Monat unser Steuersystem und weise nach, daß es unsere Bürger zu Betrügern macht -«
»Ich bedaure, aber ich kann Ihnen keine einschlägigen Tips geben.«
»Davon rede ich nicht. Ich habe unseren Staat jetzt schon an die zwanzigmal >das Land der Steuerhinterzieher« genannt und habe eigentlich damit gerechnet, daß man mich eines Tages lynchen würde. Weit gefehlt. Neulich im Theater trat der Finanzminister auf mich zu und klopfte mir anerkennend auf die Schulter: >Ich kann Ihnen gar nicht sagen, welchen Dienst Sie uns mit Ihren hervorragenden Artikeln erweisen! Fahren Sie fort! Lassen Sie nicht ab von uns! Die Gerechtigkeit muß siegen! < Kurzum — es gibt niemanden im ganzen Establishment, der mit mir nicht einverstanden wäre.«
»Das ist doch aber sehr ermutigend.«
»Zweifellos. Pressefreiheit... Meinungsfreiheit... Demokratie in Funktion... alles schön und gut. Aber die Steuern sind noch immer so unerträglich hoch wie zuvor. Als ich vorige Woche in meiner Kolumne für unsere Steuerbehörde den Ausdruck >Taschen-Mafia< gebrauchte, bekam ich vom Finanzminister einen Blumenstrauß und ein Kärtchen mit persönlichen Glückwünschen: >Wir alle bewundern die Meisterschaft Ihrer Formulierungen und die Treffsicherheit Ihrer Wortspiele! Nur so weiter!< Wie finden Sie das?«
»Ich finde das sehr nett von ihm. Es zeugt für seinen gesunden Humor. Ein anderer an seiner Stelle hätte vielleicht protestiert. Er nicht.«
»So. Und warum hat er dann protestiert, als ich in einem Artikel eine Andeutung machte, daß ihm die Haare ausgehen?«
»Weil das seinem Bild in der Öffentlichkeit schadet. Sie müssen persönliche Angriffe vermeiden.«
»Ich muß gar nichts vermeiden. Ich bin ein Fanatiker der Wahrheit, ich bin ein kämpferischer Satiriker. Haben Sie meine Artikelserie über die Verbrecherorganisationen in unserem Land gelesen?«
»Sie meinen Ihre Anprangerung der Mißstände im Flughafen Lod?«
»Nein, die haben mir drei Freiflüge nach Europa eingebracht. Ich meine die von mir publizierten Enthüllungen über die Oberschicht der Unterwelt. Ich meine das merkwürdige Anwachsen in Brand geratener Läden und die damit zusammenhängenden Gewaltakte, darunter einige Mordfälle. Sogar der Polizeipräsident wurde aufmerksam, lud mich zum Mittagessen ein und brachte einen Toast auf mich aus: >Ich trinke auf das Gewissen unserer Nation, auf den unermüdlichen Entschleierer der verborgenen Übel in unserem Land!< Noch nie im Leben habe ich so stürmischen Beifall gehört wie bei dieser Gelegenheit.«
»War das damals, als Ihr Name im Goldenen Buch verewigt wurde?«
»Nein. Ins Goldene Buch wurde ich eingeschrieben, als es mir gelang, die Korruption in der Landverteilung aufzudecken.«
»Das war ja auch ein brillanter Artikel. Ich habe mich schiefgelacht.«
»Danke vielmals. Aber die Korruption geht weiter. Fast scheint es mir, als hätte dieser Mittelmeerbazillus auch mich schon infiziert. Vor ein paar Wochen brauchte ich eine kleine Gefälligkeit von einem unserer Ämter, und da ich dort niemanden kenne, schrieb ich einen Artikel, daß in der betreffenden Abteilung lauter Idioten säßen. Prompt waren die freundschaftlichen Beziehungen hergestellt. >Wenn Sie wüßten, wie recht Sie haben<, sagten mir die Mitglieder des Stabs. Und sie erklärten sich zu weiteren Auskünften bereit.«
»Ein höchst anerkennenswerter Zug zur Selbstkritik.«
»Ohne die geringsten Folgen.«
»Sie dürfen nicht zuviel auf einmal verlangen. Man muß nachsichtig sein. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«
»Was hat das mit Liebe zu tun, zum Teufel? Sie reden nichts als Unsinn, Herr Doktor.«
»Möglich, möglich.«
»Verzeihen Sie - aber ich hätte mehr von Ihnen erwartet als solche Dummheiten.«
»Das liegt an Ihnen.«
»Sie sind kein Psychiater, Sie sind ein läppischer Phrasendrescher. Immer dasselbe. Wie eine steckengebliebene Grammophonplatte.«
»Ich kann Ihnen nicht widersprechen.«
»Im Grunde sind Sie genauso unverbesserlich wie alle anderen.«
»Wenn Sie wüßten, wie recht Sie haben!«