Immer viel zu heiß
Ich liebe Suppen.
Gewiß, auf die Umwälzungen im Gefüge unserer Gesellschaft haben derlei gastronomische Kleinigkeiten keinen Einfluß. Aber ihre menschliche Bedeutung soll man nicht unterschätzen.
Soviel ich sehen kann, ist die Menschheit in zwei scharf rivalisierende Lager geteilt; das eine Lager nimmt vor der Hauptmahlzeit eine Suppe zu sich, das andere nicht. Daneben gibt es noch ein paar Außenseiter, denen die Suppe bereits als Hauptmahlzeit gilt. Zu dieser kleinen, aber fanatischen Schar gehöre auch ich. Aus einer edlen Consomme mit zarten goldenen Fettäuglein duften mir alle Wohlgerüche kulinarischer Poesie entgegen, und schwimmen gar noch zwei oder drei Mazzesknödelchen darinnen, dann ist für mich der Gipfel der Kochkunst erreicht.
»Wer Suppen liebt, kann kein schlechter Mensch sein«, soll irgend jemand gesagt haben; es war, glaube ich, der Suppenfabrikant Campbell.
Die Sache hat nur einen einzigen Haken: Suppen sind heiß. Sie sind nicht nur heiß, sie sind, um die volle Wahrheit zu sagen, viel zu heiß. Immer viel zu heiß.
Diese Feststellung ist das Ergebnis langjährigen Forschens und harter persönlicher Erfahrung. Noch nie und noch nirgends - sei es in Restaurants, in Privathäusern, in Klöstern oder wo immer - bin ich einer Suppe begegnet, die nicht schon beim ersten Löffel im Mund und auf der Zunge kleine Bläschen erzeugt hätte, wie sie bei Verbrennungen dritten Grades aufzutreten pflegen. Es ist eine wahrhaft höllische Situation. Die Suppe steht vor dir, dampfend, wohlriechend, appetitlich, alle deine Magensäfte und Magennerven sind auf sie eingestellt, freuen sich auf sie, lechzen nach ihr - und können sie nicht genießen, weil sie zu heiß ist und dir die Lippen verbrennt.
Ich wurde mit diesem Problem bereits im Alter von drei Jahren konfrontiert. Es war eine knallrote Tomatensuppe, die mir die ersten Brandwunden meines Lebens zufügte. Damals machte mich meine gute Mutter mit dem altehrwürdigen Ritual des Umrührens vertraut, und seither rühre ich um, manchmal so lange, bis mein rechter Arm von einem Muskelkrampf befallen wird.
Wenn ich nicht irre, geschah es in dem freundlichen, für seine Gulaschsuppe berühmten Städtchen Kiskunfelegyhaza, daß sich diese berühmte Gulaschsuppe unter der Einwirkung meines Umrührens in eine kompakte, zementartige Masse verwandelte, aus der sich der Löffel nicht mehr herausziehen ließ. Es war ein fürchterliches Erlebnis.
Erlebnisse solcher Art haben mich zu einem scheuen, schreckhaften, introvertierten Kind gemacht. Mein ganzes junges Leben lang sehnte ich mich nach einer Suppe mit genießbarer Temperatur, aber meine Sehnsucht blieb unerfüllt. Jede Suppe, die ich bekam, war zu heiß. Aus großen verstörten Augen blickte ich in die Welt und fragte:
»Warum?« - Es kam keine Antwort.
Sie ist noch immer nicht gekommen. Offenbar haben sich die Menschen mittlerweile an den vulkanischen Ursprung der Suppe und damit auch an die Tätigkeit des Umrührens gewöhnt. Sie betreiben es automatisch, mit jenem geistesabwesenden Gesichtsausdruck, den man bei Sträflingen auf ihrem Rundgang im Gefängnishof beobachten kann. Nach konservativen Schätzungen verbringt jeder Mensch insgesamt ein Jahr seines Lebens mit dem Umrühren von Suppen. Das bedeutet einen Verlust von Millionen Arbeitsstunden für die Volkswirtschaft. Und was tut die Regierung dagegen? Sie erhöht die Steuern.
Ein einziges Mal in meinem Leben, ich werde ewig daran denken, es war ein kleines italienisches Gasthaus - ein einziges Mal wurde mir eine Suppe serviert, die man tatsächlich sofort essen konnte, eine Minestrone. Sie war nicht zu heiß, sie war warm, sie war gerade richtig, vielleicht war sie schon in dieser Temperatur aus der Küche gekommen, vielleicht hatte der geriebene Parmesan, mit dem ich sie bestreute, eine Temperatursenkung bewirkt, ich weiß es nicht und werde es nie erfahren. Kaum hatte ich den ersten Löffel zum Mund geführt, sprang der Kellner auf mich zu und riß mir den Teller weg:
»Die Suppe ist irrtümlich nicht gewärmt worden. Entschuldigen Sie, Signor.«
Als er sie zurückbrachte, konnte ich sein Gesicht nicht sehen, weil es von dichten Dampfwolken verhüllt war. Und als ich den ersten Löffel der nunmehr gewärmten Suppe an die Lippen setzte, ließ ich ihn mit einem leisen Schmerzensschrei fallen. Die Flüssigkeit ergoß sich auf das Tischtuch. Ein kleines Brandloch blieb zurück.
Und zu Hause? Wenn eine Fliege die Unvorsichtigkeit begeht, ihren Weg über den Topf zu nehmen, in dem die beste Ehefrau von allen eine Suppe kocht, fällt das bedauernswerte Insekt mit versengten Flügeln hinein, dem Ikarus vergleichbar, der einst der Sonne zu nahe kam.
Aus der Physikstunde wissen wir, daß Wasser bei 100 Grad Celsius kocht. Die Pilzlingsuppe, die mir neulich zu Mittag vorgesetzt wurde, hatte eine Temperatur von 150 Grad im Schatten.
»Warum, um des Himmels willen, machst du die Suppe immer so heiß?« lautet meine ständige, ebenso verzweifelte wie erfolglose Frage am Beginn jeder Mahlzeit. »Suppen müssen heiß sein«, antwortet stereotyp die beste Ehefrau von allen. »Wenn sie dir zu heiß ist, rühr um...«
Manchmal in meinen Träumen erscheint mir der Neandertalmensch, wie er zwei Steine gegeneinander schlägt und das Feuer entdeckt. Und wenn die Flamme hochzüngelt, lallt er mit wulstigen Lippen: »Suppe... Suppe...«
Aber ich gebe nicht auf. Ich setze meinen Kampf gegen die allgemeine Übereinkunft fort. Im Restaurant versäume ich niemals, dem Kellner, bei dem ich die Suppe bestelle, laut und deutlich einzuschärfen: »Bitte nicht zu heiß. Bitte keine brodelnde Suppe. Die Suppe soll in der Küche kochen, nicht auf dem Tisch.«
Der Kellner sieht glasigen Blicks durch mich hindurch, verschwindet, kehrt hinter einer Feuersäule zurück und stellt sie vor mich hin.
»Ich habe Sie doch gebeten, mir keine brennend heiße Suppe zu bringen!«
Aus Rauchschwaden dringt die Stimme des Kellners an mein Ohr:
»Heiß? Das nennen Sie heiß?«
Meine Aufforderung, selbst nachzuprüfen und den Finger hineinzustecken, lehnt er ab. Begreiflich. Der Mann braucht die Hand für seinen Beruf und kann keine Brandwunden riskieren.
Neuerdings versuche ich es mit Eiswürfeln, die ich gleichzeitig mit der Suppe bestelle, oder ich gieße ein wenig kaltes Bier in den Teller. Natürlich ist es dann keine Suppe mehr, es ist eine übelriechende Flüssigkeit von undefinierbarer Farbe und ebensolchem Geschmack, aber sie ist wenigstens nicht zu heiß.
So werde ich älter und älter, die Kummerfalten in meinem Gesicht werden tiefer, mein einstmals aufrechter Gang ist gebückt von der Last des vergeblichen Kleinkriegs. Ich habe fast alles erreicht, was ich erreichen wollte, Erfolg und Ruhm und Anerkennung im Ausland, die Liebe der Frauen, den Neid meiner Kollegen. Nur eines ist mir versagt geblieben: eine nicht zu heiße Suppe.
Auf meinem Grabstein wird folgende Inschrift zu lesen sein:
»Hier ruht Ephraim Kishon, der bedeutende Satiriker (1924 - 2033). Sein Leben war ein einziges Umrühren.«