Richtige Nummer - falsch verbunden
Vor ein paar Monaten mußte ich plötzlich feststellen, daß die Umwelt ihre Einstellung zu mir geändert hatte. Gute Bekannte hörten auf, mich zu grüßen, oder wechselten im Kaffeehaus, wenn ich mich zu ihnen setzen wollte, den Tisch - kurzum: Wo immer ich ging und stand, umgab mich ein dichter Nebel von Feindseligkeit. Die beste Ehefrau von allen behauptete, daß mein miserabler Charakter daran schuld wäre, und ich hätte ihr beinahe zugestimmt, weil ich bei näherer Betrachtung ja wirklich ein widerwärtiger Mensch bin... Bis mich ein Zufall auf die Lösung des unheimlichen Rätsels brachte. Ich fand mich in ein Schicksal verwickelt, das noch düsterer war als die griechischeste aller antiken Tragödien. Unser Rundfunk hatte mich zusammen mit einem hervorragenden Wissenschaftler zu einer hervorragenden wissenschaftlichen Sendung eingeladen und ließ uns vom Studiowagen abholen, zuerst meinen Kollegen, dann mich. Als ich einstieg, begrüßte er mich mit einer Kälte, aus der sonst nur Spione zu kommen pflegen, aber keine Wissenschaftler. Minutenlang saß er stumm neben mir. Erst an einer Kreuzung, die uns zu längerem Aufenthalt nötigte, brach er sein eisiges Schweigen:
»Eins sag ich Ihnen, Herr. Wäre dieses Programm nicht schon vor Wochen festgelegt worden, dann hätte ich aus der unverschämten Art, wie Sie mit meiner Frau am Telefon gesprochen haben, die Konsequenz gezogen und hätte es abgelehnt, mit Ihnen gemeinsam aufzutreten.« Bestürzt und ratlos sah ich ihn an. Verheiratete Frauen zu beleidigen, ist keine Leistung, auf die man stolz sein dürfte, am allerwenigsten, wenn man sich nicht erinnern kann, mit der betreffenden Dame überhaupt gesprochen zu haben. Demgemäß informierte ich meinen Kollegen, daß seine Gattin sich nicht auf der Liste jener Personen befand, die ich für telefonische Grobheiten vorgemerkt hatte.
»Erzählen Sie mir nichts«, gab er wütend zurück. »Heute vormittag hat meine Frau bei Ihnen angerufen, um Sie zu fragen, wann der Wagen vom Studio käme. Sie empfahlen ihr, zum Teufel zu gehen, und fügten hinzu, daß Sie kein Informationsbüro sind. Halten Sie das für eine höfliche Antwort?«
Ich fühlte mein Blut erstarren. Sollte es bei mir schon so weit sein? Noch kennt und schätzt mich die Welt als hochgradig produktiven Schriftsteller... und in Wahrheit durchrieselt mich bereits der Kalk der Senilität. Bei allem, was mir heilig ist - und das ist wenig genug -, hätte ich schwören können, daß ich noch nie im Leben mit der Gattin meines Programmpartners ein Telefongespräch geführt hatte. Außerdem war ich heute vormittag gar nicht zu Hause. Was ging hier vor?
»Ihre Frau hat mich angerufen?« fragte ich. »Jawohl. Heute vormittag.«
»Zu Hause?«
»Wo denn sonst? Und Ihre Nummer hatte sie aus dem Telefonbuch.«
An dieser Stelle begann sich das Geheimnis zu entschleiern. An dieser Stelle entdeckte ich meinen Doppelgänger, mein gestohlenes Ich. Wäre das Ganze ein Kriminalfilm, er hieße: »Der Mann, der zweimal war«, und Richard Burton würde die Hauptrolle spielen. Da es sich jedoch um ein simples menschliches Drama handelt, sei hiermit klargestellt, daß es das Israelische Postministerium war, das diese infame Persönlichkeitsspaltung an mir vorgenommen hat.
Wie man weiß, ist unser Postministerium keineswegs konservativ und wünscht seinem fortschrittlichen Ruf vor allem dadurch gerecht zu werden, daß es alle paar Monate einen Teil der Telefonnummern ändert. Es beruft sich dabei auf die fortschreitende Automatisierung des Telefonnetzes, die hauptsächlich darin besteht, daß beispielsweise alle mit 37 beginnenden Nummern plötzlich mit 6 beginnen und alle mit 6 beginnenden plötzlich mit 37. Ich spreche aus Erfahrung. Meine eigene Nummer wurde im Verlauf der letzten drei Jahre dreimal in ihr Gegenteil verwandelt, unter strikter Beobachtung der ungeschriebenen Gesetze des hebräischen Post- und Telefonverkehrs, die folgendermaßen lauten:
1. Du sollst im voraus keine Daten und Details angeben. Du sollst lediglich verlautbaren, daß »in der nächsten Zeit eine Anzahl von Telefonnummern geändert wird«.
2. Du sollst diese Änderungen immer kurz nach Erscheinen des neuen Telefonbuchs durchführen.
Aus diesen beiden Fundamentalgesetzen ergeben sich eine Unmenge vergeblicher Telefonanrufe und eine beträchtliche Steigerung der Einnahmen für das Postministerium. Mein eigener Fall ist ein gutes Beispiel dafür. Der Anrufer hat dem jetzt gültigen Telefonbuch meine Nummer entnommen, wählt die Anfangsziffer 44 und noch vier weitere Ziffern dazu und fragt:
»Ist Herr Kishon zu Hause?« Worauf er die Antwort bekommt:
»Nicht für Sie.«
Als nächstes hört er das »Klick«, das vom abrupten Auflegen des Hörers herrührt, und der den Hörer aufgelegt hat, bin natürlich nicht ich. Es ist der Teilnehmer, der beim letzten Nummernwechselspiel meine Nummer bekommen hat. Und man kann ihm nicht einmal jede Sympathie versagen. Zweifellos hat er auf die ersten irrigen Anrufe noch sehr höflich reagiert. Aber nach einiger Zeit wurde es ihm zuviel, und seine Antworten wurden immer kürzer:
»Bedaure, Herr Kishon ist verreist.«
»Herr Kishon wurde verhaftet.«
»Kishon ist tot.« - Dann kommt das bewußte Klick.
Einer meiner Freunde berichtete mir, daß er drei Tage lang eine Verzweiflungsschlacht mit meinem Doppelgänger ausgefochten hatte und von ihm in einer Weise beschimpft wurde, die sich mit meinem Charakter einfach nicht vereinbaren ließ. Das brachte ihn endlich auf die Vermutung, daß er tatsächlich nicht mit mir sprach. Er fragte nach meiner neuen Telefonnummer und bekam von der alten folgendes zu hören:
»Sie wollen Kishons neue Nummer haben, Herr? Dann stecken Sie doch bitte Ihren rechten Zeigefinger in das kleine Loch Ihrer Drehscheibe, das durch die Ziffer l gekennzeichnet ist, dann in das Loch mit der Ziffer 2, und dann sind Sie mit dem Kundendienst verbunden, den Sie nach der neuen Nummer von Kishon fragen können. Ich, lieber Herr, habe nicht die Zeit, jedem hergelaufenen Plappermaul mit Auskünften zu dienen, das merken Sie ja.«
Klick.
Aber wer wollte ihm das übelnehmen. Es wäre ja wirklich zuviel von ihm verlangt, jedem Anrufer immer wieder zu sagen: »Kishons Nummer beginnt jetzt mit 41.« Der Mann ist schließlich keine Maschine. Schwer zu entscheiden, gegen wen er seinen Haß richten soll: gegen mich, dessen Nummer geändert wurde, oder gegen die Anrufer, die das nicht wissen. Wahrscheinlich verteilt Herr Klick seine Abneigung gleichmäßig auf beide Parteien. In der letzten Zeit antwortet er überhaupt nicht mehr, sondern legt den Hörer wortlos auf. Und im Grunde geschieht den Anrufern ganz recht. Wer dumm genug ist, eine im Telefonbuch verzeichnete Nummer zu wählen, hat sich alles weitere selbst zuzuschreiben.
Wie ich von meinen erfolglosen Kontaktsuchern höre, verhält sich Frau Klick ein wenig menschlicher als ihr Mann:
»Falsch verbunden, rufen Sie die Auskunft!« sagt sie unwirsch. Aber sie sagt es.
Daß sie oder er dem Irrläufer meine neue Nummer verraten, hat sich noch nie ereignet. Und bei der Auskunft sind im Augenblick alle Nummern besetzt, werden Sie bitte nicht ungeduldig, auch wenn der Augenblick eine Ewigkeit dauert. Unsere Telefonverwaltung hat einen neuen elektronischen Apparat eingerichtet, der dafür sorgen soll, daß die Auskunft nicht ununterbrochen besetzt ist. Bisher war die Sorge vergebens.
Seit einigen Wochen hat mein Doppelgänger seine Antworten auf ein absolutes Minimum reduziert. Er sagt: »Krepier!« und macht klick.
Das spricht sich natürlich herum. Die halbe Stadt ist sich darüber einig, daß ich ein arroganter, ungezogener Flegel bin und obendrein nicht ganz richtig im Kopf. Manchmal pirscht sich auf der Straße jemand an mich heran und zischt mir ein Schimpfwort ins Ohr. Dann weiß ich, daß er in die Kategorie 44-41 fällt.
Das Postministerium hat gegeben, das Postministerium hat genommen, fern sei es mir, mit ihm zu hadern.
Nächste Woche kann ich mich wieder in aller Öffentlichkeit zeigen. Nächste Woche erscheint das neue Telefonbuch, das meine richtige Nummer angibt. Genauer gesagt: meine vorübergehend richtige Nummer. Denn sie wird kurz nach Erscheinen des neuen Telefonbuchs automatisch geändert werden.