Wie werde ich wohnhaft?

Die Tatsache, daß gleichzeitig mit mir noch 600000 andere Einwanderer ins Land kamen, bereitete den für ihre Unterbringung verantwortlichen Behörden großes Kopfzerbrechen. Es gab nämlich insgesamt nur 14 Wohnungen, die man unter den Neuankömmlingen verteilen konnte, und für drei von diesen vierzehn Wohnungen waren bereits fixe Anwärter vorgemerkt (sie standen in Verbindung mit Salzmann). Die Regierung ergriff unverzüglich energische Maßnahmen, um die Situation zu verschlimmern; sie unterdrückte 1. alle auf Profit abzielenden Versuche, Wohnungen oder Teile davon zu vermieten, und holte 2. ein uraltes Gesetz hervor, demzufolge jedermann, der sich in einer freistehenden Wohnung einmal eingenistet hat, von dort nie wieder ausgewiesen werden kann, sondern in dieser Wohnung verbleiben darf samt Weib und Kind und sämtlichen Nachkommen bis zum Jüngsten Tag.

Das nur nebenbei.

Ich für meine Person hatte Glück. Gerade als ich weder aus noch ein wußte, begegnete ich meinem Freund und einstigen Schulkollegen Julius Botoni, der seine Wohnung in Tel Aviv für ein Jahr um 50 Pfund monatlich vermieten wollte, weil er ein einjähriges Stipendium nach Italien bekommen hatte, um dort einen Bridgekurs für Fortgeschrittene abzuhalten. Es traf sich also für uns beide ganz hervorragend. Wir besiegelten unser Abkommen durch einen freundschaftlichen Händedruck und trennten uns mit frohem Winken.

Botoni kam mir nachgeeilt: »Es ist nicht Mißtrauen«, sagte er. »Aber vielleicht sollten wir die Angelegenheit durch einen Rechtsanwalt formell bestätigen lassen. Nur um etwa möglichen Schwierigkeiten vorzubeugen. Man kann nie wissen. Du verstehst.«

Ich verstand, und wir vereinbarten für den folgenden Tag eine Zusammenkunft bei Botonis Anwalt, Herrn Dr. Avigdor Wachsmann.

Als ich die Kanzlei des Anwalts betrat, war mir sofort klar, daß er bereits alles mit meinem Freund besprochen hatte. Jedenfalls saß Botoni leichenblaß und zitternd in einem Fauteuil. Dr. Wachsmann betrachtete mich gedankenvoll.

»Wir stehen vor einer schweren Entscheidung«, begann er. »Herr Botoni hat mich über die Sachlage unterrichtet. Ich finde 75 Pfund im Monat eher zu wenig, aber das ist schließlich Sache des Vermieters. Dessen ungeachtet muß ich Sie fragen, mein Herr, welche Garantie Sie uns geben können, daß Sie die Wohnung tatsächlich nach Ablauf einer einjährigen Mietfrist verlassen werden?«

»Entschuldigen Sie«, entgegnete ich ein wenig pikiert. »Wir beide sind schließlich alte Freunde und Schulkameraden. Oder nicht, Botoni?«

Botoni wollte antworten, brachte aber aus seiner offensichtlich verschnürten Kehle keinen Laut hervor. Statt dessen ergriff Dr. Wachsmann das Wort:

»In Fragen der Wohnungsmiete gibt es keine Sentimentalitäten. Das Mieterschutzgesetz legt fest, daß Sie eine Wohnung, die Sie einmal bezogen haben, nie wieder zu verlassen brauchen. Ich werde Sie deshalb bitten müssen, eine Kaution von 8000 Pfund bei mir zu erlegen.«

»Warum?« fragte ich. »Die Wohnung ist doch höchstens 6000 Pfund wert.«

»Richtig«, bestätigte Dr. Wachsmann. »Eben deshalb verlange ich ja eine höhere Summe, weil Sie es dann ganz bestimmt vorziehen werden, die Wohnung zu räumen. Ich verlange die Summe in bar und werde sie nach Ablauf ihrer Miete noch ein weiteres Jahr einbehalten, damit Sie keinen Versuch machen, die Wohnung auf betrügerischen Wegen wieder zu beziehen. Wenn Sie mit diesen Bedingungen einverstanden sind und sie zu unserer Zufriedenheit erfüllen, bekommen Sie die Schlüssel.«

Ich nahm ein Darlehen auf und brachte dem Anwalt das Geld. Als ich es auf den Tisch legte, fiel Botoni mit einem leisen Aufschrei in Ohnmacht.

»In Ordnung«, sagte Dr. Wachsmann, nachdem er die Banknoten gezählt hatte. »Jetzt ist nur noch eine Kleinigkeit zu regeln. Was geschieht, wenn das Geld durch Inflation entwertet wird?«

»Ich erkläre hiermit an Eides statt, daß ich die Wohnung auch dann räumen werde.«

»In Fragen der Wohnungsmiete gibt es keine eidesstattlichen Erklärungen. Wir brauchen Garantien. Hier mein Vorschlag: Sie adoptieren Herrn Botoni und bestimmen ihn zugleich testamentarisch zum einzigen gesetzlichen Erben Ihres gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens einschließlich der Mietrechte an seiner Wohnung. Diese Formalitäten möchte ich a priori, ipso facto und in toto unwiderruflich gesichert haben. Es ist, wie gesagt, nur eine Formalität.«

Ich gab ihm recht, adoptierte Botoni und machte mein Testament. Auf Dr. Wachsmanns Wunsch übernahm ich auch noch die Beerdigungskosten und die Erbschaftssteuer. Dann händigte ich ihm meinen Familienschmuck aus, den ich für den äußersten Notfall aus Europa mitgebracht hatte, und dann war die Zeremonie vorüber. Am nächsten Tag sollte ich die Schlüssel bekommen.

Mein Stiefsohn saß während der ganzen Zeit zusammengekauert in einer Ecke und wimmerte.

Am nächsten Tag bekam ich die Schlüssel nicht. Mit engelsgleicher Geduld setzte mir Dr. Wachsmann auseinander, daß für den Fall eines verfrühten Ablebens seines Mandanten bestimmte Vorkehrungen zu treffen wären, damit er bei dieser ganzen Transaktion keinen Verlust erlitte. Ich sollte deshalb an das Oberrabbinat ein formelles Ansuchen richten, über mich den sogenannten »großen Bannfluch« zu verhängen, falls ich nach Ablauf eines Jahres auch nur einen Tag länger in der Wohnung verbliebe.

Kaum hatte ich das entsprechende Dokument unterzeichnet, als Botoni einen Nervenzusammenbruch erlitt. Er sprang auf, begann zu brüllen, beschuldigte seinen Anwalt, daß er es an der nötigen Sorgfalt mangeln ließe, außerdem sei ich kein religiöser Mensch und kümmere mich nicht um Bannflüche, und er spüre in allen Knochen, daß er seine Wohnung endgültig eingebüßt habe.

Nach einer kurzen Beratung, zu der sich die beiden Herren ins Nebenzimmer zurückzogen, erklärte mir Dr. Wachsmann, daß er sich den Argumenten Botonis nicht verschließen könne. Deshalb müsse ich von einer der im Sicherheitsrat der UNO vertretenen Großmächte einen Garantievertrag beibringen, daß sie im Falle einer nicht fristgerechten Freigabe der Wohnung bereit wäre, auch mit kriegerischen Mitteln gegen Israel vorzugehen.

Wir einigten uns auf Frankreich. Ich ließ alle meine Verbindungen spielen und bekam tatsächlich die erforderliche Unterschrift des französischen Botschafters, nachdem ihm der Quai d' Orsay die entsprechenden Instruktionen gekabelt hatte. Danach blieb nur noch eine letzte Formalität übrig, nämlich der Ankauf einer Dreizimmerwohnung in Tel Aviv, die auf den Namen Dr. Wachsmanns zu überschreiben und erst dann freizugeben wäre, wenn ich meinerseits die Wohnung Botonis freigegeben hätte. Durch eine Zusatzerklärung erteilte ich einer von Dr. Wachsmann vertretenen Firma, die sich mit der Erzeugung von Insektenvertilgungsmitteln beschäftigte, das unwiderrufliche Recht, die Wohnung Botonis nach Ablauf eines Jahres mit Kohlenmonoxyd auszuräuchern, falls ich sie dann noch besetzt hielte.

Jetzt konnte der Vertrag zwischen mir und Botoni endlich ausgefertigt werden. Er wies einen Umfang von achtundzwanzig Seiten auf und legte fest, daß die in Rede stehende Wohnung großherzigerweise und in gutem Glauben an mich - im folgenden kurz »Der Eindringling« genannt - für die Dauer eines Jahres von Herrn Julius Botoni - kurz »Der Wohltäter« genannt - gegen eine monatliche Zahlung von 100 Pfund vermietet wurde, unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß der Eindringling kein wie immer geartetes Recht besäße, länger als ein Jahr in der Wohnung des Wohltäters zu verbleiben.

Ich machte mich sofort an das Studium des Vertrages, und schon zwei Tage später unterschrieben wir ihn. Botoni erhob sich mühsam von seiner Tragbahre, übergab mir mit zitternder Hand die Schlüssel, zischte mir ein paar beleidigende Worte zu und fiel tot um. Ich dachte zuerst, daß er aus Angst um seine Wohnung gestorben wäre. Er war jedoch, wie sich alsbald herausstellte, nicht wirklich tot, sondern nur in einen Starrkrampf verfallen.

So kam ich zu einer Wohnung im Zentrum von Tel Aviv. Leider konnte ich keinen Gebrauch von ihr machen. Der § 579 unseres Mietvertrags besagte: »Dem Eindringling ist es verboten, die Wohnung, beginnend mit dem Tag der Unterzeichnung dieses Vertrages, zu beziehen.« Dr. Wachsmann zufolge war diese Vorbeugungsklausel nötig, um sicherzustellen, daß ich die Wohnung nach Ablauf eines Jahres zuverlässig räumen würde.