Lebensstandard
Wenn ich nicht irre, begann der Kampf um den Lebensstandard zwischen den Behörden und dem Mann auf der Straße bereits am Tag der Gründung unseres Staates. Diejenigen, die dem historischen Ereignis beiwohnen durften, werden sich vielleicht daran erinnern, daß während der feierlichen Proklamation unserer staatlichen Unabhängigkeit ein führender Politiker den Saal verließ und erst nach einigen Minuten zurückkehrte. Heute kann enthüllt werden, was er draußen getan hat: Er erkundigte sich telefonisch nach den Preisen der neuesten amerikanischen Automodelle für Mitglieder der provisorischen Regierung. Kurz darauf wurde einstimmig beschlossen, die Angehörigen des Konstitutionsrates von den Postgebühren zu befreien.
Die neuen Staatsführer richteten unverzüglich einen bewegenden Appell an die Bevölkerung, den Lebensstandard zu senken:
»Die jetzt bevorstehende Masseneinwanderung«, führte der Minister für Volksernährung aus, »wird von uns allen große Opfer fordern. Wir müssen das wenige, das wir haben, möglichst gerecht unter die Schwarzhändler verteilen...«
Wie sich zeigte, war die Bevölkerung keineswegs auf eine Minderung ihres Wohlergehens erpicht, sondern im Gegenteil auf dessen Steigerung. Und die neu einwandernden Bürger fanden sich in der Atmosphäre des Mittelmeeres erstaunlich schnell zurecht. Sie schmuggelten Waren durch die Schluchten des Libanon und durch den Zoll, entwickelten blühende industrielle Beziehungen zu Verwandten in New York, übersäten das Land mit Realitätenbüros und vermieteten nichtexistente Wohnungen.
Die Knesset, unser neugewähltes Parlament, berief eine dringende Sitzung ein, erhöhte die Repräsentationsspesen für die Abgeordneten und entschloß sich zu einer strengen Warnung an die Öffentlichkeit:
»Wenn der Lebensstandard weiterhin in diesem Maß ansteigt, droht unserem jungen Staatswesen der Bankrott. Wir dürfen unsere eigene Zukunft, wir dürfen die Zukunft unserer Kinder nicht konsumieren!«
Kaum hatten die Leute etwas von »konsumieren« gehört, eilten sie in die Restaurants, bestellten Doppelportionen Gefilte Fisch, kauften Möbel und Schallplattenspieler und elektrische Rasierapparate und was es sonst noch zu kaufen gab. Die Kabinettsmitglieder gerieten in Rage, riefen nach ihren Fahrern, begaben sich nach Hause und formulierten auf den Dachgärten ihrer Villen einen neuerlichen zornbebenden Appell:
»Es ist nicht genug von allem da!« schleuderten sie der Bevölkerung ins Gesicht. »Versteht ihr denn nicht? Es ist nicht genug da!«
»Was?« fragte Weinreb. »Wovon ist nicht genug da?«
»Wir haben keine Bodenschätze, wir haben keine Industrie, wir haben keinen Export, wir haben keine wie immer geartete Basis für einen hohen Lebensstandard!«
»Das ist nicht mein Problem«, lautete Weinrebs Antwort. »Ich brauche einen Kühlschrank.«
Und er kaufte einen großen Kühlschrank mit automatischem Entfroster, eine zusammenklappbare Couch mit belgischen Gummimatratzen und eine Nähmaschine, die man auch als Aquarium verwenden konnte.
Die Regierung merkte, daß eine Politik der starken Hand not tat, bewilligte den Abgeordneten höhere Diäten und wandte sich nochmals gebieterisch an die konsumgierige Plebs:
»Herunter mit dem Lebensstandard! Sofort herunter damit!«
»Selber herunter«, sagte Weinreb. »Ich will ein Auto haben.«
Was blieb der Legislative übrig, als nicht nur die Einfuhrzölle für Personenkraftwagen, sondern auch die Einkommenssteuer auf das Doppelte zu erhöhen, um solcherart wenigstens die Hälfte des in Umlauf gesetzten Nationalvermögens an sich zu reißen.
Daraufhin begannen die starrköpfigen Juden doppelt soviel zu arbeiten wie bisher, und alles blieb beim alten.
Als die aufs Doppelte erhöhten Steuern nochmals verdoppelt wurden, arbeiteten die Juden viermal soviel, und als die Zollgebühren für importierte Wagen auf 560 Prozent im Schatten anstiegen, kaufte Weinreb noch einen Zweitwagen für seine Frau, weil das eine gute Investition war.
Die Regierung mußte zu neuen Gegenmaßnahmen greifen. Es galt, den Gürtel enger zu schnallen. Mahlzeiten in Luxusrestaurants durften hinfort nur von aktiven Parlamentsmitgliedern auf Spesenkonto abgesetzt werden. Gegen die Normalbürger wurde mit neuen Steuern vorgegangen, mit neuen Einfuhrzöllen, Zwangsanleihen, Zusatzgebühren, Schlangen und Skorpionen.
Um diese Zeit arbeiteten die Juden bereits in drei Nachtschichten, nahmen Nebenbeschäftigungen an, fungierten als Babysitter und Zeugen vor dem Rabbinat, entfernten die Schutzmarken von den Halsbändern aller erreichbaren Hunde und spielten Poker mit Anfängern. Auf diese Weise gelang es ihnen, ihr Budget auszugleichen, Wohnungen zu erwerben und Gruppenflüge nach Hongkong zu veranstalten, wo sie billige Kameras einkauften.
Die Regierung antwortete mit einer radikalen Erhöhung der Gebühren für Auslandsreisen und setzte eine Kommission ein, die das Phänomen des ständigen Steigens eines sinkenden Lebensstandards untersuchen sollte. Nach wochenlangen Sitzungen am Swimmingpool des Sharon-Hotels legte die Kommission das Ergebnis ihrer Untersuchung vor. Es analysierte den Ausgaben-Etat des Durchschnittsbürgers Weinreb, dessen deklariertes Monatseinkommen von damals 1590 Pfund brutto oder 610 Pfund netto betrug und sich auf folgende Posten verteilte:
Gleichzeitig mit dem Bericht gab die Kommission ihren Rücktritt bekannt, worauf die Regierung unverzüglich zuschlug. Die Einkommenssteuer wurde um 65 Prozent erhöht, die Einfuhrzölle um 92 Prozent, die Postgebühren um 108 Prozent.
Jetzt gewöhnten sich die Juden das Schlafen ab, arbeiteten in fünf Nachtschichten, stahlen Milchflaschen am Morgen und elektrische Birnen aus den Toilettenräumen der öffentlichen Ämter, ihre Frauen verschafften sich einen kleinen Nebenverdienst, indem sie anstelle verschämter Bräute ins rituelle Bad stiegen, aber der Lebensstandard senkte sich um keinen Millimeter.
Führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft wurden nicht müde, ihre warnenden Stimmen zu erheben:
»Unsere Produktionsrate ist nur um 0,3 Prozent gestiegen. Unsere internationale Verschuldung beläuft sich auf mehr als 5 Milliarden Dollar. Bürger, ihr spielt mit dem Feuer!«
Im Gegenzug ließ sich Weinreb einen Kamin in sein Empfangszimmer einbauen und tauschte seinen Wagen gegen ein neues Modell um. Die Regierung, nicht faul, bewilligte den Parlamentariern eine noch nicht dagewesene Gehaltserhöhung und traf eine Reihe von Maßnahmen zur Senkung des Lebensstandards, darunter eine 102prozentige Einkommensteuer unverheirateter Väter mit zwei Kindern. Tatsächlich kam es zu einer vorübergehenden Standard-Stabilisierung, aber nach einigen Tagen wurden neue Steigerungen registriert, die sich besonders in der Lederwarenbranche und im Einkauf importierter Delikatessen geltend machten.
»Warum?« schluchzte die Regierung. »Warum senkt ihr nicht... den Lebensstandard... warum?«
Weinreb zog die Regierung beiseite und flüsterte ihr ins Ohr, so daß es kein Unbefugter hören konnte:
»Wir schätzen einen hohen Lebensstandard genauso wie ihr.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Ach so«, machte die Regierung. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
Das war die Einleitung zur Debatte über die Inflation.