3. Kapitel

Das Überdruckrohr – kaum groß genug, um Chewbacca auch nur auf Händen und Knien Platz zu bieten – endete beim schattigen Abgrund einer Luftstraße auf mittlerer Höhe, auf der langsam ein Strom Frachtverkehr vorbeidriftete, von hinten erhellt von den Neonreklamen eines Balkon-Tapcafés, das am gewaltigen Wauth-Komplex gegenüber hing. Unter dem Balkon glitt der Stamm des Gebäudes in die schwarzen Tiefen der Stadt hinab, die Fassade in unregelmäßigen Abständen von mehr oder weniger verwahrlosten Emporen und Halbgeschossen unterbrochen, während das Licht in den Fenstern nach unten hin zusehends trüber und sporadischer wurde. Chewbacca entdeckte keine Spur von Lumpy, doch das bedeutete keineswegs, dass der Junge fort war.

Chewbacca stieß den Lauf seines Blasters, der zusammengedrückt worden war, als er ihn dazu verwendet hatte, um die Luke des Reinigungsschachts am Schließen zu hindern, durch die Öffnung der Rohrleitung, um sicherzugehen, dass das Schutzfeld deaktiviert war. Als es keine Funken oder Knistern gab, steckte er vorsichtig den Kopf nach draußen, um den umliegenden Bereich zu inspizieren. So erodiert und schartig, wie sie nach Jahrhunderten des sauren Regens und der Luftverschmutzung waren – besonders so weit unten –, konnte man an den Wänden mühelos hoch- und runterklettern.

Er sah lediglich die Öffnungen der angrenzenden Überdruckrohre, die etwa einen Meter aus den flechtenbewachsenen Mauern hervorragten.

Hinter ihm fragte Malla: [Siehst du irgendwas?]

[Noch nicht.]

Ohne auf das schmerzhafte Protestieren seiner Muskeln zu achten, die er sich gezerrt hatte, als er die Luke des Reinigungsschachts aufgestemmt hatte, rollte sich Chewbacca auf den Rücken und sah die Unterseite eines langen Luftgleiters, der zu ihm herabstieg. Das Fahrzeug hätte dem Gebäude-Sicherheitsdienst gehören können, doch eins der Schwebefelder lag frei und sonderte einen blauen Lichtschein ab. Der sullustanische Captain des Sicherheitsdienstes hätte ein Vehikel in so baufälligem Zustand niemals toleriert.

Chewbacca zog sich in das Rohr und stieß sogleich gegen Malla. [Zurück!], sagte er. [Ich glaube, wir haben …]

[Ärger], beendete Malla den Satz und übernahm, rückwärts kriechend, die Führung.

Der Luftgleiter setzte sich vor das Überdruckrohr und schwankte wild, während sich der Fahrer bemühte, das Vehikel trotz des kaputten Schwebefelds unter Kontrolle zu behalten. Der Speeder war mit schwarzem Plastoid gepanzert, mit einer kastenförmigen schwarzen Passagierkabine und einer verwaisten Geschützstellung hinter der Fahrerkabine. Dort, wo sich oben auf dem Dach einst die Schutzkuppel eines weiteren Geschützes befand, das vor langer Zeit abhanden gekommen war, glänzte jetzt bloß noch der glatte Durastahl-Befestigungsring.

Hinter dem schweren Blaster des noch vorhandenen Geschützes stand ein hagerer Devaronianer in einem zerlumpten Umhang. Seine scharfen Zähne waren braun und verfault, seine Hörner schälten sich, weil es ihm an einem Dutzend Vitaminen mangelte, und sein Fleisch war so bleich wie das des Diebes, der Prinzessin Leias Datapad gestohlen hatte. Er rief dem Fahrer zu, er solle ihn in Position bringen, und wartete dann, während das schwankende Heck des Gefährts auf die Öffnung des Überdruckrohrs zudriftete. Chewbacca gab seinen Rückzug auf, schnaubte dann angewidert und bewegte sich wieder auf die Einmündung der Rohrleitung zu.

[Chewbacca], begann Malla. [Ich weiß, dass du wütend bist, aber …]

[Mach dir keine Gedanken.]

Der Devaronianer eröffnete das Feuer, um die Seite des Gebäudes mit Schüssen zu beharken. Er verfehlte das Rohr komplett, doch ein Querschläger traf sein eigenes schwankendes Fahrzeug. Chewbacca erreichte die Öffnung des Rohrs und ließ sich auf den Bauch fallen, um seinen verbogenen Blaster so in Anschlag zu bringen, dass der Mann am Geschütz bloß die Mündung sehen konnte.

[Jetzt reicht’s!], brüllte er.

Obgleich zweifelhaft war, dass der Devaronianer Shyriiwook verstand, schossen die Augen des Burschen geradewegs zur Spitze des Blasters. Er stellte das Feuer ein und kauerte sich in seinem Geschütz zusammen.

»Das war bloß eine Warnung«, rief der Devaronianer. »Wenn du dein Kind wiedersehen willst, geh nach Hause und vergiss das Datapad der Prinzessin.«

Chewbacca schätzte die Entfernung zum Luftgleiter auf nicht mehr als fünf Meter.

»Tu, was ich sage, und er ist um Mitternacht wieder in eurem Apartment«, fuhr der Devaronianer fort. »Aber wenn du uns in die Quere kommst, dann kriegt ihr ihn in Stückchen wieder.«

Ohne den Blick von dem Devaronianer abzuwenden sagte Chewbacca: [Stütz mich ab, Malla!]

[Dich abstützen? Du willst doch nicht etwa …]

[Das hier ist nicht anders als Baumspringen], meinte Chewbacca.

[Chewbacca, du hast seit fünfzig Jahren nicht mehr in einem Baum gelebt!]

Der Devaronianer schickte sich an, noch etwas anderes hinzuzufügen, dann fiel sein Blick auf Chewbaccas Blasterspitze, und er duckte sich außer Sicht.

[Malla, jetzt!]

Als Chewbacca spürte, wie Malla ihre Hände gegen seine Fußsohlen stemmte, packte er die Ränder des Rohrs und katapultierte sich zu dem Luftgleiter hinüber. Der Bug des Vehikels sackte nach unten, und der Flitzer begann beizudrehen, doch Chewbacca war schon da, fiel von oben herunter und krachte mit dem Bauch voran auf das Dach, noch bevor sich ihm der Magen umdrehen konnte.

Der Luftgleiter erbebte und neigte sich zur Seite, doch Chewbacca gelang es, seine Kletterkrallen auszufahren und sich mit einer Hand am Haltering des Geschützes festzuklammern, um sich festzuhalten, als der Fahrer darum kämpfte, das Gefährt wieder unter Kontrolle zu bringen. Eine Sekunde später landete Malla ihm gegenüber und packte den Haltering mit den Kletterklauen beider Hände. Ihr Gewicht brachte den Luftgleiter wieder ins Gleichgewicht, als sie ihren Körper anmutig in die Passagierkabine schwang.

[Guter Sprung], sagte Chewbacca.

[Du hast recht, es ist wirklich wie Baumspringen.] Ihre Augen waren groß vor Furcht. [Abgesehen davon, dass sich das Ziel stärker bewegt.]

Der Devaronianer tauchte aus dem Geschütz auf und richtete eine Blasterpistole auf Malla. Chewbacca packte ihn an einem seiner Hörner und riss ihn auf das Dach der Passagierkabine.

Der Devaronianer heulte und rollte sich herum, in dem Versuch, mit seinem Blaster auf Chewbacca anzulegen. Malla packte eins seiner Beine und zerrte ihn aus Chewbaccas Griff, ehe sie ihn hinter sich schleuderte. Das Letzte, was Chewbacca von ihm sah, war eine blasse Gestalt, die durch den schwebenden Verkehr in die Tiefe trudelte.

Der Luftgleiter ging in einen flachen Sinkflug über, ehe er wie verrückt zu bocken und zu schwanken begann, als der Fahrer im Innern sie abzuwerfen versuchte. Chewbacca schaute Malla über das Dach hinweg an.

[Kannst du dich festhalten?]

Malla warf einen raschen Blick auf die Reihen der dicht gedrängten Luftstraßen weiter unten. [Wie eine Laubechse in einem Wirbelsturm!]

Chewbacca grunzte zustimmend und hämmerte seine Faust dann gegen das Türfenster. Der Transparistahl war zu widerstandsfähig, um zu brechen, doch der erschrockene Fahrer drehte sich um, um herzusehen – und das war alles, was Chewbacca wollte. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung zog er sich hoch aufs Dach und quetschte sich durch den Geschützturm mit dem Kopf voran nach unten.

Der Fahrer – ein gelbhäutiger Rodianer, dessen antennenförmige Fühler entzündet waren – schaute in seinen Rückspiegel. Er schrie alarmiert auf und griff dann nach einem Blastergewehr, das an der Rückenlehne seines Sitzes im Halfter steckte. Chewbacca stützte sich mit einer Hand am Boden ab und fischte die Waffe mit der anderen aus dem Griff des Rodianers.

[Keine Bewegung], knurrte er, noch immer kopfüber.

»Was ist?« Die Stimme des Rodianers schnarrte, der Panik nahe. »Spricht hier irgendwer Wookiee?«

Chewbacca richtete das Blastergewehr auf seinen Kopf.

»Schon gut, ja, schon gut! Ich weiß, wonach du suchst.«

Der Rodianer legte beide Hände aufs Lenkrad zurück und stabilisierte ihren Sinkflug – zumindest, so weit sich das heruntergekommene Vehikel stabilisieren ließ. Er suchte im Rückspiegel Chewbaccas Blick.

»Hey, Zottel«, sagte er nervös. »Das hier ist nicht unbedingt das solideste Gefährt, und du siehst ein bisschen aufgebracht aus. Wie wär’s, wenn du mit dem Ding irgendwo anders hinzielst?«

Chewbacca knurrte und fletschte seine Reißzähne.

»Dämliche Frage, hm?«

Chewbacca nickte.

Der Rodianer wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Windschutzscheibe zu und brachte sie behutsam wieder ins Gleichgewicht. Chewbacca ließ sich den Rest in die Kabine fallen und glitt dann beiseite, damit sich Malla zu ihm gesellen konnte.

Das Innere des Luftgleiters stank nach Schimmel und ungewaschenen Leibern. Es schien sich um so eine Art Gefangenentransporter zu handeln. Zu beiden Seiten der Passagierkabine befanden sich fünf Sitze, die alle zur Rückwand zeigten und mit Elektroschellen für Arme und Beine ausgestattet waren. Hinter dem vorderen Sitzbereich waren Plätze für zwei Wachen, die auf drehbaren Füßen montiert waren, damit die Wachen entweder die Gefangenen im Auge behalten oder mit ebensolcher Leichtigkeit durch den angrenzenden Feuerschlitz ballern konnten. Von Lumpy gab es keine Spur – eine Tatsache, die Malla sofort auffiel.

[Wo ist mein Sohn?], brüllte sie den Fahrer an.

Chewbacca legte ihr eine Hand auf die Schultern. [Ich glaube, er wird uns zu ihm bringen.]

[Das glaubst du?], knurrte sie. [Lass uns auf Nummer sicher gehen.]

Malla zog Chewbaccas Datapad von der Klemme und rutschte dann auf den Beifahrersitz im Fond. Sie drückte ein paar Tasten und hielt die Anzeige vor dem Rodianer in die Höhe.

Auf dem Bildschirm stand: »Sag mir, wo mein Sohn ist, oder ich reiße dir deinen Fühler aus.«

»Es ist besser, wenn ich euch das nicht sage«, antwortete der Rodianer. »Vergesst das Datapad der Prinzessin einfach, und euer Sohn kehrt unbeschadet wieder heim …«

Malla tippte eine weitere Nachricht und stieß sie dem Rodianer unter die Schnauze. »Beide Fühler!«

Er war unbeeindruckt. »Ich mein’s ernst. Dieser Bengel ist ja wirklich ein Derwisch. Und wenn die herausfinden, dass ihr trotzdem kommt, werden sie zu dem Schluss gelangen, dass er mehr Ärger macht, als er wert ist.«

Chewbacca packte einen der Fühler.

»Sie bringen ihn ins IZ!«, platzte der Rodianer heraus. »Dort soll ich mich mit ihnen treffen.«

An der Gerätekonsole ertönte ein Piepen. Der Rodianer schaute nach unten auf einen dunklen Vidschirm und schlug mit der Faust darauf. Eine verschwommene Karte erschien und verblasste sofort wieder, doch das Bild verweilte lange genug, dass Chewbacca einen flüchtigen Blick auf einen grünen, abwärts zeigenden Pfeil erhaschte.

Der Rodianer begann, durch die Verkehrsschichten nach unten zu sinken. Zuerst langsam, dann schneller. Die Lichter, die die Luftstraßen säumten, erloschen nach und nach. Selbst der Verkehr, der sich flackernden Rücklichtschlangen gleich durch die dunklen Abgründe wand, wurde weniger.

»Was ist das IZ?«, tippte Malla.

Der Rodianer begann zu stottern: »Das I-I-In …«

Chewbacca verdrehte die Antenne.

Das Stottern wurde noch schlimmer. »N-n-n …« Eines seiner Augen zuckte.

[Was ist mit ihm?], fragte Malla.

[Was denkst du wohl? Sieh ihn dir an – er ist geistesgestört.]

Chewbacca war sich ziemlich sicher, dass der Rodianer und seine Komplizen das waren, was Allgemein als »Unterweltler« bezeichnet wurde, besitzlose Leute, die so tief gefallen waren – finanziell und geistig –, dass sie allein in den zwielichtigen Tiefen der Stadt leben konnten, um sich in den gefährlichen Gefilden ein mageres Einkommen zu sichern, in denen die Zivilisation in Wildheit versank. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was sie mit Prinzessin Leias Datapad anfangen wollten, doch er war sich sicher, dass das Lösen dieses Rätsels ein wichtiger Schritt dabei war, Lumpy zu finden – ganz zu schweigen davon, der Neuen Republik einen Dienst zu erweisen und seine Lebensschuld Han gegenüber zu ehren.

[Sag ihm, dass die Neue Republik bereits über heute Nacht Bescheid weiß], sagte Chewbacca. [Sag ihm, dass wir Lumpy deshalb in den nächsten zehn Stunden zurückhaben müssen.]

Ein alarmierter Ausdruck blitzte in Mallas Augen auf, doch sie tippte die Lüge ohne zu zögern ein. Sie verstand, dass Chewbacca nicht bloß ihrem Sohn, sondern auch den Solos gegenüber verpflichtet war.

Der freie Fühler des Rodianers drehte sich nach außen. »Ihr wisst von heute Nacht?«

Chewbacca fing an, am Fühler zu ziehen, den er gepackt hielt.

Das Zucken des Rodianers wurde zu einem allgemeinen Zittern, und der Luftgleiter trudelte hin und her, als flöge ihn jemand, der unter dem Einfluss von Rauschmitteln stand. »Ich … Ich … kann es euch nicht sagen.«

[Sag ihm, dass wir auch über It Bescheid wissen], sagte Chewbacca, als er sich an den Namen erinnerte, den die Schurken Lumpy zufolge für ihren Anführer verwendeten. [Sag ihm, dass die Neue Republik ihn vor It beschützen kann.]

Der Luftgleiter tauchte in eine Spur Gegenverkehr ein, was Malla ein scharfes Zischen entlockte. Sie wappnete sich für den Aufprall – und seufzte schwer, als sie eine halbe Verkehrsebene tiefer fielen und über eine abfallübersäte Fußgängerbrücke kratzten, die verborgen geblieben war, bis sie von den Scheinwerfern des Luftgleiters erhellt wurde. Dann sanken sie noch eine halbe Ebene tiefer und scherten in eine halbleere Luftstraße ein.

[Bist du sicher, dass du das sagen willst?], fragte Malla.

[Ich bin mir sicher.] Chewbacca stellte das Blastergewehr beiseite und schickte sich an, über den Sitz zu greifen. [Das wird interessant.]

[Katarns sind interessant. Schattenschleicher sind interessant], widersprach Malla. Dennoch fing sie an zu tippen. [Ich mag es langweilig. Langweilig und sicher.]

Sie hielt den Bildschirm vor den Rodianer.

Er las, was darauf stand, und dann tauchten in seinen Mundwinkeln Speichelschaumflocken auf. »Mich kann niemand beschützen!« Er drehte sich um und starrte Malla an. »Wenn ihr It wirklich kennen würdet, wüsstet ihr, dass …«

Chewbacca sah, wie sich die Hände des Rodianers anspannten, und rief Malla zu, das Steuer zu übernehmen, ehe er den Rodianer just in dem Moment vom Fahrersitz riss, als seine Hände eine ruckartige Drehbewegung vollführten. Der Luftgleiter scherte zur Seite aus und schwankte, um beinahe gegen einen Luftschlepper zu krachen, bevor Malla ihn wieder auf Kurs brachte.

[Chewbacca! Diese Kiste wird noch …]

[Beruhige dich.]

Chewbacca warf den Rodianer in die Passagierkabine, ehe er sich in den Fahrersitz quetschte und die Steuerkontrollen übernahm. Der Luftgleiter gebärdete sich wie ein wütender Rancor. Das Heckende sackte ab und hüpfte hoch, als das beschädigte Schwebefeld an und aus ging. Er steuerte sie haarscharf um die Überreste eines herabbaumelnden Balkons herum, ehe er sich wieder in die beinahe leere Luftstraße einfädelte.

[So schlimm ist die Lage nicht.]

[Nicht so schlimm?] Malla schüttelte ungläubig den Kopf. [Du und Han, ihr spielt wohl wieder Sabacc mit den Hutts!]

[Die haben Lumpy], sagte Chewbacca. [Aber wir haben dafür ihren Fahrer.]

An der Instrumententafel erwachte flackernd eine Warnleuchte zum Leben, auch wenn die Beschriftung darunter zu sehr mit Dreck verkrustet war, um zu erkennen, was los war. Chewbacca fluchte und begann, nach Geräuschen zu horchen, die Ärger bedeuteten. Dann wurde die Passagierkabine hinter ihm von Brüllen rauschenden Windes erfüllt. Er warf einen raschen Blick in den Rückspiegel und sah den Rodianer am Rande der offenen Hecktür stehen.

»Nein, ihr kennt It nicht«, sagte der Rodianer und sprang hinaus.

[Ich hasse es, wenn sie das machen], knurrte Chewbacca den Spiegel an. [Der Abgang eines Feiglings.]

[Chewbacca, wie kannst du nur so ruhig sein?] Malla starrte weiterhin durch die Hecktür hinaus. [Ohne ihn sind wir wie ein blinder Mallakin auf der Suche nach seinem Küken!]

[Ich bin gewiss nicht ruhig – bloß unbesorgt. Und wir sind nicht ganz so blind wie dein Mallakin.] Chewbacca wies durch die Windschutzscheibe auf eine Reihe gelber Fahrlichter einen halben Kilometer voraus. Auf der rechten Seite waren drei von vier Lampen dunkel, und die gesamte linke Seite flackerte hektisch. [Wir können zumindest die Schwanzfedern unseres Kükens sehen.]

Malla spähte durch die Windschutzscheibe auf die Rücklichter, seufzte dann und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. [Tut mir leid, Chewbacca. Ich vergaß, dass du in so was ein wahrer Meister bist.]

Er zuckte mit den Schultern. [Han sorgt dafür, dass ich nicht aus der Übung komme.]

Chewbacca folgte den Rücklichtern ein halbes Dutzend Verkehrsebenen weiter nach unten, sorgsam darauf bedacht, denselben Abstand einzuhalten, wie es der Rodianer getan hatte, ständig darum bemüht, das Gefährt unter Kontrolle zu halten. Mittlerweile waren die Luftstraßen vollkommen verwaist und hörten dann – als sie noch eine Ebene tiefer sanken – einfach auf. Der Trip wurde zu einem holprigen, kurvenreichen Flug durch eine Dunkelheit so schwarz wie die Nacht. Sie mussten durchhängenden Brücken ausweichen und durch das Zentrum eines abfallübersäten Hochparterres nach unten sausen. Und überall lauerten die elenden Gestalten, die diesen Teil der Stadt bewohnten, tausende und abertausende, auf die sie im Vorbeizischen der Scheinwerfer flüchtige Blicke erhaschten, wie sie sich um ihre Angelegenheiten kümmerten – oder sich außer Sicht duckten.

Chewbacca versuchte, sich aufs Fliegen zu konzentrieren und nicht daran zu denken, wie verängstigt Lumpy in dem Luftgleiter weiter vorn sein musste, doch es fiel ihm schwer. Jeder seiner Instinkte drängte ihn, schneller zu fliegen, zu seinem Sohn aufzuschließen und ihn wissen zu lassen, dass seine Eltern dicht hinter ihm waren. Doch Chewbacca konnte Lumpy nicht auf sich aufmerksam machen, ohne gleichzeitig auch die Aufmerksamkeit seiner Häscher zu erregen, und das Letzte, das er wollte, war, eine Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagd auszulösen. Selbst wenn einer der Gleiter dabei nicht abstürzte, war es unwahrscheinlich, dass das ramponierte Gefährt, das er steuerte, mit dem anderen mithalten konnte.

Auch Malla schwieg, und Chewbacca konnte nicht umhin, sich zu fragen, was ihr wohl durch den Kopf ging. So schwer seine Lebensschuld ihnen ihr Leben auch gemacht hatte, wusste er doch, dass sie ihm niemals vorwerfen würde, seinen Schwur zu halten, oder von ihm verlangen würde, sich zu entehren und nach Hause zurückkehren, solange Han noch lebte. Sie hatte ihm viele Male gesagt, dass sie ihn liebe, weil sie ihm vertrauen könne, und dass sie ihm vertrauen könne, weil er stets Wort hielt. Doch vielleicht nahm sie ihm übel, zu nachsichtig mit Lumpy gewesen zu sein, weil er nicht dafür gesorgt hatte, dass der Junge gehorchte, zu einem Zeitpunkt, als das so wichtig gewesen wäre. Er selbst machte sich deshalb mit Sicherheit Vorwürfe.

Chewbacca folgte dem anderen Luftgleiter unter der langgezogenen Fläche eines Durastahlbalkons hindurch, der von seinen Stützstreben losgerissen worden und in einem steilen Winkel quer über den Abgrund gefallen war – er konnte sich nicht dazu durchringen, diesen Ort als Luftstraße zu bezeichnen. Dann schaute er Malla neben sich an.

[Es tut mir leid], sagte er.

Malla sah ihn überrascht an. [Was tut dir leid? Was sollte dir denn leidtun?]

[Ich hätte strenger sein sollen, doch ich wollte sein Temperament nicht zügeln.] Chewbacca wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem dunklen Pfad voraus zu und sah, dass er zugelassen hatte, dass die Rücklichter außer Sicht verschwunden waren. Er erhöhte die Geschwindigkeit. [Ich habe nicht genügend Übung in so was, Malla. Die Hälfte der Zeit über kommt mir Lumpy wie ein Fremder vor.]

Malla legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. [Dafür schlägst du dich sehr gut, Chewbacca. Ich hatte elf Jahre Übung, und meine Worte waren es, die ihn dazu verleitet haben, sich in Gefahr zu begeben.] Sie verstummte und schaute aus dem Seitenfenster. [Ich hätte mich da raushalten sollen. Du bist jetzt der Einzige, auf den er hören will.]

Chewbacca wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Unter anderen Umständen hätte es ihm womöglich das Herz erwärmt, einmal mehr zu hören, wie sehr sein Sohn zu ihm aufschaute. Doch so, wie die Dinge lagen, erfüllte ihn die Erinnerung daran bloß mit einem ängstlichen Schmerz.

Voraus tauchte das verkrüppelte Skelett eines ausgeweideten Raumerfrachters auf, der auf der Fahrspur verkeilt war und den Weg versperrte. Chewbacca aktivierte die Bremssysteme, und der Luftgleiter schleuderte holpernd durch die Luft, um so dicht vor einer Querstrebe zum Stillstand zu kommen, dass er die Hand durchs Fenster strecken und eine Handvoll Dreck hätte abklauben können.

[Huttschleim!]

Chewbacca schaltete den Suchscheinwerfer des Vehikels ein und suchte nach einer ungefährlichen Route durch den Frachter – nach einem Weg, der möglicherweise die Erklärung dafür lieferte, warum er den anderen Luftgleiter nicht eingeholt hatte.

[Was ist los?], fragte Malla.

[Wir haben das Küken verloren.]

Der Scheinwerfer enthüllte lediglich eine verknäuelte Durastahlmasse, die von abgemagerten Schrottsammlern langsam zerlegt wurde – die meisten der Gestalten waren mit Werkzeugen ausgerüstet, die kaum fortschrittlicher waren als Lasersägen und Brechstangen. Hundert Meter weiter oben hatte das Heck des Schiffs einen gezackten Spalt in die Permabetonfassade eines Gebäudes gerissen. Auf der anderen Seite der Fahrspur, hundert Meter tiefer, ruhte der Bug im verbogenen Schoß von etwas, das aussah, als wäre es einst ein Durastahl-Parkbalkon gewesen.

[Vielleicht sind sie darunter durchgeflogen.] Obwohl Malla sich bemühte, die Ruhe zu bewahren, haftete ihrer Stimme eine gewisse panische Schärfe an. [Oder darüber hinweg.]

Chewbacca schüttelte den Kopf. [Dann hätten wir sie eingeholt], sagte er. [Bis vor ein paar Sekunden konnte ich ihre Rücklichter noch ausmachen.]

Mallas Blick wanderte die Fahrspur hinauf. [Ich sehe keine Abzweigungen, aber …]

[… das bedeutet nicht, dass da keine sind], brachte Chewbacca den Satz für sie zu Ende.

Er warf einen Blick auf den leeren Vidschirm, den der Rodianer vorhin zum Leben erweckt hatte, und klopfte dann in der Nähe der Oberseite kräftig dagegen. Auf dem Bildschirm erschien ein verschwommenes Durcheinander von Etagenziffern und Richtungspfeilen. Chewbacca hatte gerade genügend Zeit zu erkennen, dass sich der grüne Routenmarker unter ihrem Positionsanzeiger zu einem kurzen grünen Strich verkürzt hatte, dann verschwand das Bild. Er schlug erneut auf die Anzeige und sah, dass sich die Abzweigung, die ihnen am nächsten war, einen halben Kilometer hinter ihnen befand.

Chewbacca schüttelte den Kopf. [Seit ich sie aus den Augen verloren habe, sind wir nicht mehr als zweihundert Meter weit gekommen. Hier unten kommt man einfach nicht so schnell voran.]

[Was sagte der Rodianer noch, wo sie hinwollen?], fragte Malla. [Zum IZ?]

[Zum In-irgendwas.] Chewbacca warf einen Blick auf die Gefangenensitze hinter ihnen und begann dann, einen Zielort einzugeben. [Zum Inhaftierungszentrum.]

Er schlug wieder auf den Bildschirm, und eine Nachricht erschien: »Nummer des Inhaftierungszentrums?«

Chewbacca tippte: »Inhaftierungszentren auflisten.«

Als er diesmal gegen den Schirm klopfte, füllte sich die Anzeige mit einer Liste von Standorten und Kennziffern, allesamt mit Präfix-Buchstaben im imperialen Stil.

[Imperiale Unterweltler?], fragte Chewbacca. [Das ergibt keinen Sinn.]

[Nein, aber es könnte erklären, was sie für heute Nacht geplant haben], sagte Malla.

Chewbacca runzelte die Stirn.

[Die Willkommenszeremonie], erklärte Malla. [Die Imperialen hätten jedenfalls allen Grund dazu, sie zu stören.]

[Und das würde auch erklären, warum sie Prinzessin Leias Datapad gestohlen haben], stimmte er zu.

Chewbaccas Beunruhigung wuchs. Die Unterweltler hatten eine Möglichkeit gefunden, das Sicherheitssystem im Apartment der Solos zu überlisten, daher konnte er nur annehmen, dass sie ebenfalls imstande waren, selbst die Sicherheitsvorkehrungen von Prinzessin Leias nach Militärstandard geschütztem Datapad zu knacken. Dann konnten sie auf die Zutrittscodes und die Grundrisse der Zeremonienkammern des Provisorischen Rats der Neuen Republik zugreifen, und Chewbacca wollte nicht einmal über die Gefahr nachdenken, die sie anrichten konnten, wenn sie dort in den Wartungsschächten herumkrochen. Er aktivierte sein Komlink und versuchte, eine Verbindung zu Han herzustellen, doch die Signalleuchte blieb starrsinnig dunkel.

[Sind wir auf uns allein gestellt?], fragte Malla.

Chewbacca nickte. [So weit unten sind die Interferenzen zu stark.]

[Dann steckt unser Sohn in Schwierigkeiten], sagte Malla. [Ich glaube, auf dieser Liste standen hundert Inhaftierungszentren.]

[Über hundert], stimmte Chewbacca zu. Er schlug wieder auf den Bildschirm ein, studierte die Liste der Standorte so lange, wie die Anzeige ihn ließ, und nickte dann zufrieden. [Aber ich glaube, das ist alles an Hilfe, was wir brauchen.]

[Tatsächlich?] In Mallas Tonfall schwangen zu gleichen Teilen Hoffnung und Zweifel mit.

Chewbacca hob einen Finger, um sie zu Geduld zu ermahnen, dann hakte er seinen Glühstab los und rutschte im Sitz nach unten, um einen Blick auf die Seriennummer unter der Instrumententafel zu werfen.

Da war keine.

Er lächelte und schaltete den Glühstab aus. Diejenigen, die ernsthaft versuchten, ihre Identität zu verbergen, änderten die Seriennummern ihrer Fahrzeuge oder machten sie unkenntlich. Der Imperiale Geheimdienst hingegen rühmte sich gern mit dem langen Arm seiner finsteren Macht. Sie benutzten Vehikel ohne Seriennummer, weil sie wollten, dass Leute, die nach solchen Informationen suchten, wussten, mit wem sie es zu tun hatten.

[Jetzt bin ich mir sicher. Wir sind näher dran, als wir dachten.] Chewbacca setzte sich wieder auf und sah sich einer Horde blasser Unterweltler-Visagen gegenüber, die durch sein Fenster starrten, ihre Mienen eher abschätzend als neugierig. [Sehr nah.]

Er wandte sich von den Unterweltlern ab und wendete, um wieder auf den eingestürzten Balkon zuzuhalten, während er die dunklen Gebäudefassaden auf Mallas Seite der Fahrspur im Auge behielt.

[Chewbacca, vielleicht wäre es hilfreich, wenn du mir sagst, wonach wir suchen.]

[Das weiß ich nicht genau.]

[Du sagest doch, wir sind nah dran], wandte Malla ein. [Du sagtest, wir seien sehr nah dran.]

[Sind wir auch], sagte Chewbacca. [Aber ich habe noch nie zuvor einen zu Gesicht bekommen.]

[Was zu Gesicht bekommen?]

[Den Eingang zu einem geheimen imperialen Inhaftierungszentrum.]

[Oh], sagte Malla. Es klang ein bisschen verängstigt. [Würde der ungefähr so aussehen wie der Zugang zu einer kleinen Andockbucht?]

[Könnte sein.]

Malla wies auf ihrer Seite des Luftgleiters nach unten. [Dann solltest du mal hier rüberfliegen.]

Chewbacca schwang die Front des Gefährts herum und sah ungefähr zwanzig Meter tiefer einen trüben blauen Lichtschein, der aus der Öffnung eines Durastahltunnels fiel. Obwohl auf den ersten Blick keine Waffenstellungen oder Wachposten auszumachen waren, verlieh die schlichte Nüchternheit der Fassade ringsum – und das vollkommene Fehlen von Portalen oder Balkonen in der Nähe – dem Eingang eine stillschweigend bedrohliche Atmosphäre.

[Ja], sagte Chewbacca. [Ich bin sicher, dass der Zugang zu einem geheimen imperialen Inhaftierungszentrum genau so aussieht.]

Der Geist von Tatooine
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