9. Kapitel

Bei niedriger Geschwindigkeit war das Swoop so manövrierfähig wie ein fallender Stein, also flog Han schnell. Er beschleunigte bis nahe an die Schallgrenze und nahm dann gerade so viel Schub weg, dass die Steuerruder nicht mehr unter den Schockwellen erzitterten. Bei diesem Tempo verwandelte der Bogencanyon sich in einen gewundenen Tunnel aus verschwommenem Fels, wo eine unmöglich enge Kurve auf die nächste und Sandsteinbogen auf Sandsteinbogen folgte, hie und da unterbrochen von aus dem Boden ragenden Felsnadeln, die die Sache noch interessanter machten.

Ein Auge behielt er auf das Frontsichtdisplay mit der Karte gerichtet, auf die Windungen und Knicke der Schlucht, die sich auf den leuchtenden Punkt zuschlängelten, der seine Position angab. Er verstellte die Ruder, lange bevor er die Biegungen erreichte und lehnte sich so tief in jede Kurve, dass sein Helm den Boden zu berühren drohte. Jede Sekunde rasten zwei oder drei Nebenschluchten an ihm vorbei, ineinander verschlungene Würmer aus Licht auf seinem Display, Wimpernschläge klaffender Dunkelheit an den Wänden der Schlucht.

Han genoss das Brüllen des großen Podrenner-Triebwerkes, das Zischen der Luft, die um die Schutzscheibe wallte – und selbst die Art, wie sein Magen sich zusammenzog, wenn er eine Kurve zu eng nahm und das Swoop auf die Seite reißen musste, um sich mit einem kurzen Aufheulen des Repulsorantriebs von einer Felswand fortzustoßen. Doch Tatoo I sank bereits hinter den Horizont, und der gezackte Ausschnitt des Himmels, der über dem Canyon zu sehen war, verwandelte sich in eine blutrot leuchtende Schlange. Wenn Tatoo II ihr folgte, würden die Schatten des Abends über den Boden der Schlucht kriechen, den Weg mit falschen Gefahren füllen und die echten unter einer Decke violetter Düsternis verbergen. Dann wäre Han gezwungen, mit hundert Stundenkilometern durch die Schlucht zu kriechen, und sein leistungsstarkes Swoop würde sich wieder in einen schwerfälligen Felsbrocken verwandeln, der den manövrierfähigen Düsenschlitten der Sturmtruppen heillos unterlegen wäre.

An zwei Gruppen der Imperialen war er bereits vorbeigerast, wobei er die erste so überrascht hatte, dass sie nicht einmal das Feuer eröffnen konnten. Die zweite Einheit war weniger verblüfft gewesen, und als rings um ihn Laserblitze im Sandstein explodierten, war er gezwungen gewesen, sie mit dem Energieausstoß des leistungsstarken Triebwerks zu rösten. Je weniger Zeit er der nächsten Gruppe gab, sich vorzubereiten, desto besser. Bei dieser Geschwindigkeit brauchten sie nur an einer engen Stelle der Schlucht ein Seil zu spannen, und er würde sterben, ohne auch nur zu ahnen, wie.

Der Schriftzug TUSKEN-FLUCHT erschien auf dem Frontsichtdisplay über dem leuchtenden Punkt des Swoops, und das helle Band des Bogencanyons teilte sich in drei Pfade, die sich ihrerseits weiter aufspalteten und so das verwobene Labyrinth tiefer, schmaler Schluchten bildeten, welches diesem Gebiet seien Namen gegeben hatte. Eine grüne Linie schlängelte sich durch diesen Irrgarten – sie zeigte den schnellsten Weg zu dem Haus in der Wüste, wo Banai Uldas Meinung nach Zuflucht suchen würde. Han bog um eine Kurve und sah vor sich nun die Mündungen der drei Gänge. Die weißen Farbflecke eines Dutzends Sturmtruppler bogen gerade in die mittlere Schlucht ein.

Han überprüfte das Display – die grüne Linie folgte dem linken Pfad. »Schwachköpfe!«

Er winkte den Imperialen nach, dann schob er sich näher an die linke Wand der Schlucht heran – doch da sah er plötzlich das blaue Leuchten eines Ionenantriebes, vielleicht tausend Meter vor den Maschinen der Sturmtruppen, das sich langsam entfernte. Die Düsenschlitten des Imperiums hatten keinen Ionenantrieb.

Renn-Swoops hingegen schon.

»Verdammt!«, murmelte Han. »Kitster, was machst du denn da drüben

Er drückte das rechte Steuerruder hart nach unten und donnerte mit einer Rolle in die zentrale Schlucht hinein. Der Fehleralarm der Vidkarte piepte in seinen Ohren, und der Canyon vor ihm blinkte rot. Er ignorierte die Warnung und gab kräftig Schub.

Das Swoop schien zu zögern, und der Lenker zitterte so heftig, als würde die Maschine sich in ihre Einzelteile auflösen. Han beugte sich nach vorne, versuchte den Schwerpunkt nach unten zu verlagern. Die Vibrationen wurden daraufhin schwächer – und erstarben dann abrupt. Der Schlitten steuerte sich nun so geschmeidig wie ein Landgleiter, und das Brüllen des großen Düsenantriebs verstummte, sodass nur noch das hartnäckige Piepsen der Fehlermeldung Hans Helm erfüllte. Er schaltete den Alarm mit einem Befehl ab, dann raste er beinahe schon zu schnell an die Sturmtruppen heran. Er hatte gerade noch Zeit, den Bug des Swoops hochzuziehen, dann sauste er auch schon über die hinteren der Düsenschlitten hinweg. Die Schockwelle hämmerte die imperialen Maschinen auf den Boden, doch er war schon an ihnen vorüber, als sie in grellen Feuerbällen vergingen.

Der Anführer der Gruppe blickte über die Schulter zurück, dann brachen er und zwei seiner Männer aus der Formation aus und flogen dicht an die Wände, um nicht unter die Schockwelle zu geraten, wenn Han über sie hinwegbrauste. Dieses Manöver rettete ihnen das Leben – zumindest für einen Moment, denn auch, wenn sie nicht in den Boden gedrückt wurden, erfassten sie doch die Turbulenzen, die das Swoop erzeugte. Die Maschine des Anführers drehte sich wild um die eigene Achse und krachte in die Schluchtwand. Was mit den beiden anderen geschah, konnte Han nicht sehen, aber keine Laserblitze zuckten hinter ihm her durch den Canyon, als er weiterflog.

Der winzige Punkt des Ionenantriebs schwoll rasch an, als er zu dem anderen Swoop aufschloss. Er konnte bereits die dunklen Umrisse des Hecks ausmachen, als sie eine weitere Abzweigung auf der Tusken-Flucht erreichten und Kitster in die rechte Schlucht flog – in die entgegengesetzte Richtung der grünen Linie auf Hans Display.

Warum Banai sich immer weiter von seinem Versteck entfernte, konnte Han nicht sagen – vielleicht hatte Ulda sich geirrt, vielleicht sah er aber auch keinen Sinn darin, seinen Unterschlupf aufzusuchen, wenn ihm so viele Verfolger am Heck klebten –, aber das war auch nicht weiter von Belang. Sobald er den Flüchtenden eingeholt hätte, würden sie sich mit dem Falken treffen, wo sie Kitster für seine »Hilfe« entlohnen und ihm und seiner Familie den Transport in einen sicheren Sektor anbieten würden.

Han erreichte nun ebenfalls die Gabelung und folgte Banai in die rechte Schlucht. Weitere Fehlermeldungen plärrten durch seinen Helm, bevor er sie mit einem gezischten Befehl zum Schweigen brachte. Kitsters geborgtes Swoop schien nicht halb so schnell zu sein, wie Wald und Tamora behauptet hatten, und es dauerte nur wenige Sekunden, bis eine pummelige Gestalt auf dem Sitz sichtbar wurde – der Pilot, der sich tief hinter den Lenker beugte, um den Luftwiderstand zu minimieren …

Nein, der Pilot hatte sich nicht nach vorne gebeugt. Er saß aufrecht da, blickte über die Schulter, wobei es ihm wie durch ein Wunder trotzdem gelang, um die Felsnadeln und scharfen Kurven herumzumanövrieren, als würde er sehen, was vor ihm lag, obwohl er nach hinten blickte.

Es war ein kleiner Pilot, mit Mantel und Schutzbrille – mit einer langen Schnauze.

Blastergeschosse blitzten Han entgegen. Sie wurden über die eine Schulter des Piloten abgefeuert, während er über die andere nach hinten starrte. Der Kerl schoss hinter seinem Kopf hinweg. Für wen hielt er sich – Boba Fett?

Das Swoop verschwand hinter einer Biegung. Die Kreatur am Steuer – Han glaubte nicht länger, dass es Banai war – nahm vermutlich an, dass er die Kurve eng nehmen würde, darum ließ er seine Maschine halb ausbrechen und vollführte eine scharfe Neunzig-Grad-Wende. Der Wind pfiff um die Schutzscheibe herum und drohte, ihn vom Sitz zu fegen, und einen Moment lang verlor er tatsächlich die Kontrolle, als ein Schwarm von Laserblitzen an ihm vorüberzuckte und Felssplitter von den Wänden stoben, doch dann senkte er das linke Steuerruder und beschleunigte wieder.

Sein Swoop schoss den Canyon hinauf, und Han fand sich direkt hinter der anderen Maschine wider. Auf ihrem Fahrersitz, das sah er nun, saß nicht ein Pilot, sondern derer drei – allesamt klein und in die gleichen Mäntel gekleidet. Der vorderste der Squibs steuerte, der in der Mitte hatte sich falsch herum auf das Swoop gesetzt und feuerte, und der dritte hielt ihn dabei fest.

Han fluchte in seinen Helm. Zunächst verwünschte er die Squibs, weil sie ihn von Banais Fährte abgebracht hatten, dann sich selbst – wie hatte er nur glauben können, dass sie sich durch Leias List abwimmeln lassen würden? Wie alles Ungeziefer waren auch Squibs hartnäckig und einfallsreich.

Han richtete den erhobenen Zeigefinger auf die Kreatur mit dem Blaster und folgte dem Swoop um die nächste Biegung. Die drei Squibs legten sich gemeinsam in die Kurve, und obwohl der Schütze in ihrer Mitte weiter auf Han zielte, feuerte er doch zumindest nicht mehr. Der Corellianer blieb dicht hinter dem Trio, nahm die Kurve etwas weiter, ohne das andere Gefährt aber aus den Augen zu verlieren, und schob sich noch näher heran. Der Squib in der Mitte klappte seine Schnauze auf – Han war mittlerweile nahe genug, um das Wesen als Emala zu erkennen – und steckte das Blastergewehr zurück ins Halfter.

Er ließ sich zur anderen Wand der Schlucht hinübertragen, damit die Squibs nicht durch die Turbulenzen vom Sitz gefegt wurden, dann flog er an ihnen vorbei und winkte ihnen zu. Er versuchte gar nicht erst, sie zur Umkehr zu bewegen. Nichts war hartnäckiger als ein Squib, der Geld roch. Davon ganz abgesehen, je mehr Imperiale sie auf ihre Fährte locken konnten, desto weniger würden Kitster und dem Killik-Zwielicht folgen. Mit ein wenig Glück konnte Banai unbemerkt entkommen.

Slighs Stimme erklang über das Helm-Komlink, auf derselben Frequenz, die Han während der Auktion benutzt hatte. »Solo, bist du das?«

Han tippte sein Mikrofon mit dem Kinn an. »Keine Ahnung, von wem ihr da redet.«

»Erspar uns dein Bantha-Poodoo, Solo!«, sagte Emala. »Ich habe bei Wald an der Tür gelauscht. Wir wissen, wer ihr seid.«

»Wir hatten es uns ja schon gedacht, als ihr ohne Hörner und Stimmverzerrer bei den Banais aufgetaucht seid«, fügte Grees hinzu.

»Dann überrascht es mich, dass ihr nicht schon wieder in Mos Espa seid und eure imperialen Credits bei Lady Valarian verprasst?«

»Wir? Einen Geschäftspartner verraten?«, stieß Sligh empört hervor. »Wofür hältst du uns – für Ugors?«

Han musste einer Felsnadel ausweichen und sich anschließend unter einem Steinbogen hindurchbücken, der so eng war, dass der Energieausfluss des Swoops als Ring orangefarbener Hitze auf die Maschine zurückgeworfen wurde.

»Ich bin gerade ziemlich beschäftigt.« Er war überrascht, ein Zittern in seiner Stimme zu hören. »Wenn ihr also nur hier seid, um Danke zu sagen …«

»Danke sagen?«, fuhr ihm Sligh ins Wort. »Wofür sollten wir uns wohl bei dir bedanken?«

»Du hast dich um die Imperialen gekümmert, das bedeutet, wir sind jetzt quitt«, stellte Grees fest. »Unser Geschäft gilt also wieder.«

»Was? Nein, vergesst es …«

»Du willst gar nicht, dass wir aus dem Geschäft aussteigen, richtig?«, meinte Emala. »Denn wenn wir nicht mehr eure Partner wären, stünde es uns frei, jedem von euch zu erzählen.«

Han knirschte mit den Zähnen.

»Was hast du gesagt?«, fragte Sligh.

»Na schön, das Geschäft gilt wieder. Versucht, nicht gegen einen Felsen zu fliegen. Ich werde nämlich bestimmt nicht wegen euch anhalten.«

»Keine Sorge«, sagte Grees. »Wir finden dich schon.«

Han unterbrach die Verbindung, dann rief er auf seiner Karte eine Übersicht auf und entdeckte, dass zwei Routen zu der Abzweigung zurückführten, die er nehmen musste – eine davon ein langer, annähernd kreisförmiger Pfad, der sich am Rand der Tusken-Flucht entlangwand, der andere eine gezackte Diagonale, die sich durch ein Labyrinth winziger Kanäle erstreckte und in ein paar Kilometern Entfernung seinen gegenwärtigen Weg kreuzte. Dieser Pfad war mit gelben Strichen markiert.

»Ich werde die kürzere Route nehmen«, erklärte er.

»Die gelben Markierungen weisen auf eine gefährliche Strecke hin«, informierte ihn die Vidkarte. »Bei Ihrer derzeitigen Geschwindigkeit …«

»Die kurze Strecke«, wiederholte Han.

»Sind Sie sicher?«, fragte die Karte. »Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Menschen nicht über adäquate Reflexe verfügen, um eine sichere Fahrt zu gewährleisten.«

»Ach ja?« Han sah sich noch einmal den längeren Weg an. Laut der Zeitanzeige würde er erst weit nach Sonnenuntergang wieder auf seinem ursprünglichen Kurs sein. »Das wollten sie meinem Schwiegervater auch weismachen.«

Er erwartete halb, der Computer würde entgegnen, dass sein Schwiegervater auch stark in der Macht gewesen war. Stattdessen veränderte sich nur die Kartenansicht, um anzuzeigen, dass er in den nächsten Seitencanyon einbiegen musste. An dieser Stelle blinkte ein großes VORSICHT unter dem Display.

Han verringerte so gut wie möglich die Beschleunigung, ohne das Swoop wieder in einen fliegenden Felsbrocken zu verwandeln, und folgte dann dem langen, nervenaufreibenden Pfad durch schmale und kurvenreiche Passagen, die seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchten, sodass er sich nicht einmal Sorgen um die tiefer werdenden Schatten im Canyon oder um die immer häufiger auftretenden Sandteufel machen konnte, die er passierte. Mehr als nur einmal schlitterte er durch felsübersäte Kluften, wo die mangelhaften Stabilisatoren des Renn-Swoops ihm das Gefühl gaben, er wäre mitten in einer Raumschlacht, in einem Sternenjäger, dessen Beschleunigungskompensatoren abgeschaltet waren. Mindestens ebenso oft schlängelte er sich durch gezackte Felsschluchten, wo er ganz auf seine Karte angewiesen war, weil die Turbulenzen eine brodelnde Staubwolke in den Abschnitt vor ihm bliesen.

Schließlich erreichte er das letzte Teilstück der Strecke, einen kerzengeraden Canyon, der direkt durchs Grundgestein führte und dann weniger als einen Kilometer hinter der ursprünglichen Gabelung in den richtigen Weg mündete. Die Warnungsanzeige der Vidkarte verblasste endlich, und Han raste den Kanal innerhalb weniger Herzschläge hinunter.

Er sah den Düsenschlitten am Ende der Schlucht erst, als sich eine weiße Gestalt vom Sitz schwang.

»Verdammt!«, fluchte er.

Weitere weiße Silhouetten warfen sich von ihren Düsenschlitten.

»Stang!«

Er verlagerte sein Gewicht nach hinten, riss an den Lenkern des Swoops, um seine Nase hochzuziehen, und befand sich einen Moment später zwölf Meter über dem Boden. Die imperialen Maschinen sausten unter ihm vorbei, ebenso wie die Sturmtruppler, die abgesprungen waren, und plötzlich ragte eine Mauer aus Sandstein vor ihm auf.

Han rollte das Swoop auf die Seite und war bereits einen Kilometer entfernt, bevor die Sturmtruppen auch nur einen Schuss auf ihn abgeben konnten. Die Maschine bebte so stark, dass er fürchtete, ein Steuerruder sei beschädigt – doch dann warf er einen prüfenden Blick auf die Anzeigen und stellte fest, dass seine zitternden Hände der Grund waren.

»Komm schon, Solo!«, sagte er. »Das macht doch Spaß.«

Dass er hier auf eine weitere Sturmtruppeneinheit gestoßen war, musste ein Zufall sein – zumindest versuchte er, sich das einzureden. Die Schluchten der Tusken-Flucht waren zu tief und zu verschlungen, als dass man ihn aus der Luft verfolgen könnte. Um ihn nicht aus den Augen zu verlieren müsste man schon direkt über ihm fliegen, jeder Biegung und jeder Windung des Canyons folgen. Doch selbst wenn die Imperialen ein Ass von einem Piloten hatten, das dazu in der Lage war, hätten sie doch unmöglich seine Route vorausberechnen und eine Einheit abstellen können, um ihn abzufangen. Davon abgesehen – hätten sie ihn erwartet, hätten sie das Feuer eröffnet.

Es sei denn, sie hielten ihn für Kitster Banai und wollten nicht das Risiko eingehen, das Killik-Zwielicht zu zerstören.

Han dachte noch immer darüber nach, als er eine zwei Kilometer lange Gerade erreichte, die auf seiner Vidkarte als Hauptweg vermerkt war. Er riskierte einen Blick über die Schulter und suchte am dunkler werdenden Himmel nach TIEs oder einem anderen Fahrzeug, das ihm folgen mochte. Was er stattdessen entdeckte, war der Grund, warum die Sturmtruppen angehalten hatten: eine kilometerhohe Wand aus wallendem Sand und Reibungsblitzen, die vom nördlichen Dünenmeer her über den Canyon rollte!

Der Sandsturm hatte die Richtung gewechselt.

Han bremste das Swoop bis auf ein Kriechen ab und sah nach hinten.

Entlohnt wurde er mit dem Blick auf ein Dutzend Düsenschlitten, die hinter einer Kurve auftauchten und auf den Hauptweg hinausrasten. Blaue Blitze zuckten unter den Maschinen hervor, als sie aus den vorderen Laserkanonen das Feuer eröffneten.

»Pass lieber auf«, sagte Han sich, »ehe diese Sache noch gefährlich wird.«

Er drehte am Fahrhebel und raste den Canyon hinab, doch die Explosionen aus aufstiebenden Gesteinssplittern kamen immer näher, je besser die Imperialen sich auf ihn einschossen. Han begann mit wilden Ausweichmanövern, wie sie eines Jägerpiloten würdig gewesen wären, da erschien plötzlich wieder eine Warnung auf der Vidkarte. Diesmal handelte es sich um einen Pfeil, der nach rechts zeigte, und die Worte TOTMANNSKURVE – 120 GRAD.

Han bremste hart ab. Vor sich sah er nichts als Fels, doch er vertraute der Karte und flog dicht an der Wand entlang. Die Repulsoren trugen ihn direkt auf die Seite des Canyons zu – da öffnete sich vor ihm ein schmaler Weg. Der Rest war einfach. Während die Schatten immer länger und dunkler wurden und der Sturm immer näher kam, folgte er der Vidkarte durch die Kerbenklamm. Als er schließlich ihr Ende erreichte, war der Himmel so dunkel und das Land so von Staubböen gepeitscht, dass er beinahe den Rauch übersehen hätte, der dort in den Himmel stieg. Tatsächlich bemerkte er ihn nur, weil das Swoop zu husten und zu stottern begann und er anhalten musste, um die verkrusteten Ansaugfilter zu reinigen.

Er kletterte von der Maschine und schob das Visier nach oben, um einen Schluck Wasser zu trinken, und da traf ihn der Geruch wie die Faust eines Wookiees – hart, vertraut und beißend –, der Geruch von brennenden Energiezellen und verkohltem Boden.

Der Geruch eines Unfalls.

Han folgte seiner Nase um eine gewaltige Nadel fleckigen Steins herum in eine düstere Senke hinab. Der wirbelnde schwarze Vorhang des herannahenden Sandsturms schob sich über die weite Ebene, doch es waren die halbkreisförmigen Brandspuren am Boden, die seine Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Weniger als fünfzig Meter von ihm entfernt lag dort die verbogene Auspuffgondel eines noch immer qualmenden Podrennertriebwerkes. Falls sonst noch etwas von dem Swoop übrig war, das Banai geflogen hatte, konnte Han es zumindest nicht sehen. Er empfand gleichzeitig Mitgefühl für Tamora und ihre Kinder als auch Zorn, denn es sah ganz so aus, als wäre Leias Gemälde nun verloren. Mit einem Glühstab aus dem Ausrüstungsfach des Swoops näherte er sich der Absturzstelle.

Einige weitere Teile des Podrennerantriebs und ein verkrümmtes Steuerruder lagen über den Boden der Senke verstreut, doch vom Rest des Wracks fehlte jede Spur. Dort, wo die Brandspuren am Boden eine gerade Linie hinterlassen hatten, war ein tiefer Abdruck zu erkennen, und ein paar Meter entfernt ein zweiter, der parallel zum ersten verlief.

Ein Sandkriecher der Jawas.

Han suchte den Bereich ein paar Minuten nach Spuren von Banais Blut oder dem Moosgemälde ab. Als er nichts entdeckte, aktivierte er sein Komlink und öffnete einen Kanal zu Leia. »Ich bin’s.«

»Wo steckst du?«, wollte sie wissen. »Es ist schon dunkel.«

Er blickte zu dem heranwalzenden Sturm hinüber. »Ja, es sieht zumindest stark danach aus.«

Ein gedämpftes Heulen drang aus dem Hintergrund. Chewbacca fragte nach Kitster und dem Killik-Zwielicht.

»Nein, ich habe sie noch nicht gefunden. Ich glaube, sie sind beide an Bord eines Sandkriechers.«

»Ein Sandkriecher?«, wiederholte Tamora im Hintergrund.

»Ja.« Hans Augen wanderten zurück zu den Brandspuren. »Vermutlich hat er die Jawas gebeten, ihn mitzunehmen. Ich glaube nicht, dass er verletzt ist …«

»Verletzt?« Tamoras Stimme wurde lauter. »Warum sollte er verletzt sein?«

»Nun, er … er scheint den Sandkriecher gerammt zu haben.«

Ein dumpfer Knall war zu hören.

»Tamora, ich konnte nirgends Blut entdecken …«

»Schon gut … sie ist nach draußen gegangen.« Das war Leias Stimme. »Was ist mit dem Zwielicht

»Verschwunden, genau wie Kit«, berichtete er. »Keine Spuren von Moos. Ich glaube, es hat den Unfall überlebt.«

»Das klingt zu schön, um wahr zu sein«, meinte Leia. »Vielleicht hat er den Unfall nur vorgetäuscht.«

»Das wäre natürlich eine clevere Idee.« Er schwenkte seinen Glühstab über den Boden, konnte jedoch keine Fußspuren entdecken, die von der Unfallstelle fortführten. »Ich halte es aber für unwahrscheinlich. Er mag genug Zeit gehabt haben, um das mit Wald zu arrangieren, aber er konnte wohl kaum wissen, dass hier draußen ein Sandkriecher vorbeikommen würde. Hätte er einen Unfall vortäuschen wollen, hätte er es im Canyon getan.«

Ein Seufzen drang aus dem Äther. »Und was jetzt?«

»Ich werde mich wohl auf die Suche nach einem Sandkriecher machen.« Er hielt den Schein des Glühstabes über die Spuren der Ketten und erkannte, dass sie parallel zur näher kommenden Sturmfront verliefen. »Ich habe auf dem Weg durch den Canyon ein wenig Aufmerksamkeit erregt. Es wäre vermutlich keine gute Idee, jetzt auf diesem Ding nach Mos Espa zurückzukehren, und so wie es aussieht, fährt der Sandkriecher nach Anchorhead. Warum treffen wir uns nicht dort?«

»Wann?«, wollte Leia wissen.

Han blickte zu der aufgewirbelten Mauer aus Sand hinüber. »Morgen früh«, sagte er dann. »Vorher werde ich es wohl nicht schaffen.«

Obwohl es eigentlich nicht länger als zehn Minuten hätte dauern sollen, den gemächlich dahinrollenden Sandkriecher einzuholen, war Han auch vier Stunden später noch damit beschäftigt, nach dem Fahrzeug Ausschau zu halten. Der Sturm kam näher, die Sand- und Staubböen wurden zu seinem ständigen Begleiter, und das Swoop stellte sich als ebenso launisch wie schnell heraus. Han konnte nicht länger als drei oder vier Minuten durch eine Staubböe fahren, ohne dass der Alarm losheulte und er anhalten musste, um die Ansaugfilter zu reinigen. Wenn der Wind jedoch Sand vor sich hertrieb, war er fast im Minutentakt zu diesen Stopps gezwungen – und je näher der Sturm rückte, desto mehr Sand wirbelte durch die Luft. Jeder Minute Flug standen also drei Minuten Reinigungsarbeiten gegenüber. Er wusste es, weil er die Zeit gestoppt hatte.

Als wäre das nicht schon schlimm genug, hatte der Sturm den Abend in eine dieser Nächte verwandelt, die schwärzer als ein Schwarzes Loch waren, eine Nacht, wie sie nur auf Sturmplaneten vorkam – und das Swoop besaß keine Scheinwerfer. Han hatte den Glühstab an der Vidkarte befestigt und konnte nur hoffen, dass der Pfeil auf dem Display ihn in Richtung des Sandkriechers führte. Jedes Mal, wenn er anhielt, um die Filter zu säubern, suchte er nach den Spuren der Wüstenraupe, um sicherzugehen, dass die Jawas noch in dieselbe Richtung unterwegs waren. Bislang hatte er ihre Fährte nur einmal beinahe verloren, als er hundert Meter von seinem Kurs abgekommen war, woraufhin er eine Stunde damit verbracht hatte, das Tal im Schritttempo abzufahren und mit dem Glühstab den Boden abzusuchen.

Der Gedanke, dass Banai vermutlich gerade im vergleichsweise komfortablen Innern eines Sandkriechers saß, fraß an ihm. Händler und Sammler durch und durch ging es den Jawas mit ihren leuchtenden Augen stets ums Geschäft, doch wenn man nicht gerade ein Droide mit verwertbaren Teilen war, hatte man kaum etwas von ihnen zu befürchten.

Han kratzte den Sand aus den Filtern, überprüfte seinen Kurs und brauste weiter durch die Düsternis. Das unauffällige Rumpeln des großen Triebwerks war nicht länger unauffällig. Der Sand fraß Löcher in die Turbinenblätter und brachte den Antrieb aus dem Gleichgewicht. Er konnte nicht viel dagegen unternehmen – nicht hier draußen, im Angesicht eines herannahenden Sandsturms. Renn-Swoops waren nicht für derartige Bedingungen geschaffen – und schon gar nicht dieses Renn-Swoop.

Dennoch: Han musste den Sandkriecher vor den Imperialen finden, und das nicht nur, weil Leia ihr Bild zurückwollte. Im politischen Treiben des Provisorischen Rates gab es ebenso viel Hinterlist wie in einem Sabacc-Spiel auf Ord Mantell. Falls bekannt wurde, dass durch Leias Verschulden ein Codeschlüssel für den Schattenfunk in die Hände der Imperialen gefallen war, würde es keinen Mangel an Bothanern und Kuati geben, die sie der Inkompetenz oder des Verrates bezichtigten. Andere Ratsmitglieder waren schon aus weniger schwerwiegenden Gründen unehrenhaft ihres Amtes enthoben worden. Auch wenn Han nichts lieber wäre, als nie wieder mit der Regierung der Neuen Republik zu tun haben zu müssen, würde eine solche Entlassung Leia am Boden zerstören – und das konnte er nicht zulassen.

Darüber hinaus musste er auch an die Spione denken. Sie waren nur einfache Leute, die versuchten, ihren Beitrag zu leisten. Sie verdienten es nicht, gefoltert und getötet zu werden – im Gegensatz zur Hälfte der Mitglieder im Provisorischen Rat.

Ein Dutzend kleiner Tränen tauchten aus dem Sturm auf, weiß, verschwommen und so schwach, dass Han nur mit Mühe das charakteristische gleichmäßige Leuchten der Abgasöffnungen erkennen konnte. Die Lichter schwebten drei oder vier Meter über dem Boden, sodass sie beinahe wie eine Staffel tief fliegender Jagdschiffe aussahen, und sie wurden schnell größer, als er näher kam.

Unterhalb des Sitzes, dort, wo sich der Verdichter befand, wurde ein gedämpftes Pochen bemerkbar. Han hielt den Glühstab über die Instrumente, doch in diesem Wirbel die Anzeigen zu lesen war schlicht unmöglich. Er beschleunigte also weiter, und nun wurde auch die Frontbeleuchtung des Sandkriechers sichtbar, ein gelb-weißes Glühen, das die kantige Silhouette des riesigen Raupenfahrzeuges von dem anrückenden Sturm abhob.

Han blieb direkt dahinter, während der dunkle Umriss zu titanischen Ausmaßen heranwuchs. Eine Warnung erklang, und das Swoop verlor Energie, doch er hielt weiter auf das Fahrzeug zu wie ein X-Flügler auf einen Heißluftballon, dann schwang er zur leewärtigen Seite aus – und eine Kakofonie von Alarmtönen schrillte in seinem Helm los.

Das Swoop begann zu sinken, und Han drosselte den Schub, während er gleichzeitig den Notbremsschirm aktivierte. Die Maschine verlor mit einem harten Ruck an Geschwindigkeit, und Han wurde so heftig gegen den Sicherheitsgurt geschleudert, dass er glaubte, sein Becken wäre gebrochen. Einen Moment später sackte das Swoop nach unten. Es schlitterte über den ebenen Wüstenboden, kippte dabei von Seite zu Seite, von Sicherheitskufe zu Sicherheitskufe, während die Notfallklötze am Heck den vorderen Teil nach oben drückten, damit die Maschine sich nicht überschlug … und trotz alldem hätte Han den Sandkriecher beinahe eingeholt.

Beinahe.

Das Swoop kam so dicht hinter dem Fahrzeug zum Stehen, dass der Staub, der unter den Ketten aufstob, die Rückseite der Raupe verschleierte.

Doch als Han bewusst wurde, dass er noch immer atmete – dass die schrecklichen Schmerzen in seinem Körper nur Prellungen entstammten –, befand er sich schon nicht mehr in dieser Staubwolke. Er war wieder in dem Sandsturm, und das Swoop kippte auf seine leewärtige Kufe, als der brutale Wind versuchte, es auf die Seite zu rollen. Han aktivierte das Komlink mit seinem Kinn und öffnete einen Notfallkanal. Das Glühen der Abgasöffnungen wurde bereits schwächer.

»He, ihr da im Sandkriecher!«

Der Empfänger in Hans Helm blieb stumm.

»Euch meine ich, Jawas! Haltet an! Hier gibt es etwas zu bergen!«

Als das Fahrzeug immer noch weiterrollte, wusste Han, dass sein Helm-Komlink nicht funktionierte. Er kletterte aus dem Sitz.

Eine Windbö ließ ihn über den Boden der Senke taumeln, und als es ihm gelungen war, wieder stehen zu bleiben und er seine Orientierung zurückgewonnen hatte, war der Sandkriecher bereits fünfzig Meter entfernt. Er klappte das Visier hoch – siebzig Meter –, riss eine Tasche am Anzug auf und zog sein eigenes Komlink hervor – achtzig Meter.

»Jawa-Sandkriecher! Wartet! Stopp!«

Nur statisches Rauschen kam zur Antwort. Neunzig Meter.

Er überprüfte das Komlink, stellte fest, dass es korrekt auf den Notfallkanal eingestellt war – den mussten sie doch abhören! Jawas hörten ständig den Notfallkanal ab. So erfuhren sie, wo sie Wracks finden konnten.

Jetzt war das Raupenfahrzeug schon mehr als hundert Meter entfernt. Das Leuchten der Abgasöffnungen verschwamm. Han versuchte es noch einmal auf dem Notfallkanal. Diesmal schwoll das Rauschen an, und sein Herz machte einen Satz – bis er das weiße Flackern sah, das über den Himmel wanderte – Sandblitze.

Der Sturm blockierte die Kom-Kanäle. Mit der Kommunikationsanlage an Bord des Falken hätte er die Statik vielleicht durchdringen können, doch nicht mit seinem Komlink oder dem des Swoops.

Han aktivierte die Kanalsuche, dann stolperte er durch den heulenden Wind zurück zum Swoop, wobei er ein Auge auf das Signallicht des Komlinks gerichtet hielt – doch es wollte nicht aufleuchten.

Der Sandkriecher war mittlerweile bestimmt schon zweihundert Meter entfernt, eine Ansammlung von Abgasöffnungen, die in der stürmischen Nacht verschwanden. Han klappte seinen Helm zu und kroch unter die dem Wind abgewandte Seite des Swoops. Dort öffnete er einen anderen Kanal.

»Leia? Kannst du mich hören?« Nur statisches Knistern antwortete ihm. »Hörst du mich?«

Der Geist von Tatooine
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