freudenfeuer
12.00 Uhr nachts – lange Midnight
30
„Kommt mit!“, rief Rex.
Er machte einen schmerzhaften Schritt. Mit einer behandschuhten Hand an einen Ast geklammert, um seinen verletzten Fuß zu entlasten, schleppte er sich vorwärts. Trotzdem entschlüpfte ihm ein erstickter Schrei zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ohne Jonathans Mitternachtsschwerelosigkeit in seinem Körper spürte Rex jedes Gramm seiner großen Gestalt. Die lodernde Flamme in seiner Hand streifte nasse Zweige und sprenkelte sein Blickfeld mit blendend weißen Funken.
„Du bist Rex, nicht wahr?“, sagte Cassie hinter ihm. Er antwortete nicht, aber sie redete weiter. „Ich fange an, mich zu erinnern.“
„Er sieht genau so aus, wie du ihn gezeichnet hast“, flüsterte Beth.
„Du warst es, der mich gerettet hat, nicht wahr?“, fragte Cassie. „Vor ein paar Wochen?“
„Ich bin es, der euch jetzt rettet! Können wir uns darauf konzentrieren?“ Das Darklingfauchen in seiner Stimme brachte sie zum Schweigen und führte bei Beth zu einem neuen Ausbruch ihrer Angst. Er versuchte, sich auf eine möglichst schmerzarme Gangart zu konzentrieren, statt auf den wehrlosen Geruch der beiden Mädchen hinter ihm.
Melissa …, rief er.
Wieder kam keine Antwort. Rex zwang die Verzweiflung aus seinen Gedanken, hoffte, dass sie einfach zu sehr mit Kämpfen beschäftigt war, um zu antworten. Mit der letzten Nachricht, die er von ihr erhalten hatte, hatte er gesehen, wie das Windlicht zerbrach, seine Flammen verloschen, und den sauren Geschmack der vorwärtsdrängenden Darklinge geschmeckt.
Er bewegte sich schneller zwischen den Bäumen, ohne den Schmerz zu beachten. Der schmale Pfad vor ihnen tanzte im flackernden weißen Licht, und er erkannte einen niedrigen, verwachsenen Süßhülsenbaum. Noch drei Meter, dann hatten sie die Bahnschienen erreicht, nur wenige Meter von Melissa und dem Feuerwerksvorrat entfernt.
Ein Jagdschrei brach durch die Bäume, und ledrige Schwingen kamen aus allen Richtungen. Rex hielt inne, hob die Fackel und schützte seine Augen vor ihrem Schein. Gleiter schossen an den Rändern seines Blickfeldes vorbei, und zwischen den verästelten Zweigen bewegten sich größere Gestalten, auf der Hut vor dem weißen, flackernden Licht in seiner Hand.
Rex konnte ihren Hunger riechen, nach Jahrmillionen endlich entfesselt, und er wusste, dass es heute Nacht keinen Respekt unter Raubtieren gab, keine Sicherheit für ihn. Schließlich war dies ihre Nacht – Samhain.
„Was war das?“, fragte Cassie.
„Monster.“ Rex zog Animalisation aus seinem Gürtel und schob es mit dem Heft in ihre Hand. Von all dem Metall, das Dess sorgsam vorbereitet hatte, war dies die einzige Waffe, die er auf dem panischen Flug mit Jonathan mitgenommen hatte.
Natürlich gab es genügend Waffen an den Bahnschienen, aber da mussten sie erst mal hinkommen.
„Erinnerst du dich daran?“
Sie starrte das Messer mit großen Augen an und nickte bedächtig.
„Es heißt Animalisation.“ Er zuckte zusammen, als ihm der Tridec über die Lippen kam. „Sag es.“
Als Cassie die Silben sorgsam aussprach, hörte Rex, wie etwas zwischen den Bäumen auf sie zugeflogen kam. Etwas Größeres als ein Gleiter.
„Runter!“, schrie er mit erhobener Fackel, als er sich duckte.
Gebrüll brach wie ein plötzlicher Sturm durch den Wald, zusammen mit dem überwältigenden Geruch nach Raubtieren. Eine riesige Kreatur mit Flügeln schoss ins Bild, die mit vier ausgestreckten Armen an den Baumwipfeln riss. Beim Anblick des zischenden, weißen Lichts der Fackel gab sie einen schrillen Schrei von sich, flog dann über sie hinweg, hinter ihr knackten Zweige wie brechende Knochen.
Ein plötzlicher Sturzbach ergoss sich in seinem Gefolge, Wassermassen, die die Kreatur von den nassgeregneten Bäumen entfesselt hatte. Ein Strudel aus Blättern und Zweigen wirbelte um die drei herum, und die Fackel flackerte in Rex’
behandschuhter Hand, als der Regenguss sie fast gelöscht hätte. Gerade noch rechtzeitig fiel er auf die Knie und schützte die brennende Waffe unter seinem Körper, um sie vor der Wasserattacke zu retten.
Plötzlich war die Luft voller Gleiter, die vorbeischossen, im perfekten Timing die Bergung der Flamme nutzend. Einer traf Rex mitten auf dem Rücken, worauf ein eisiger Blitz durch seine Wirbelsäule schoss. Ein blauer Funkenregen ergoss sich von Animalisation in die Nacht, das Cassie in ihren erhobenen Händen hielt. Rex hörte, wie Beth aufschrie.
Er hielt seine Fackel wieder hoch und setzte sie dem schwindenden Sturm aus. Ein Gleiter geriet in ihre weißen Funken, ging mitten in der Luft in Flammen auf und zerfiel wie eine Schaufel voller Glut, die man zwischen die Bäume geworfen hatte. Die übrige Meute stob in Panik auseinander und schwirrte auf den Wald zu, den Chor ihrer Schreie im Schlepp.
Doch als der entfesselte Strom versiegte, flackerte die Flamme schwach, fast wäre sie verlöscht. Sie brannte jetzt ungleichmäßig wegen der Überreste der nassen Blätter, die um sie herum klebten.
Rex hörte einen vielarmigen Darkling kreisen, bereit, sich erneut auf sie zu stürzen. Er sah, wie Beth den violetten Fleck auf ihrer Hand verblüfft anstarrte. „Es hat mich gebissen!“, rief sie wütend.
„Sie haben Angst vor Feuer?“, fragte Cassie.
Er nickte und gestikulierte mit der Fackel. „Das hier wollen sie ausmachen.“
„Warum hast du nichts davon gesagt?“ Sie fing an, in den Blättern zu wühlen. „Dann machen wir ein Feuer.“
„Es ist zu nass!“
„Hier drunter nicht.“ Sie schob eine Handvoll glitzernder, nasser Blätter beiseite. „Meine Oma sagt, ganz unten im Haufen findest du immer trockene Blätter. Und die brennen besser, weil sie ausgedörrt sind.“
Rex zog seine Augenbrauen hoch. Im flackernden weißen Licht sah der freigelegte Flecken mit Blättern trocken aus. Die Flamme zischte immer noch feucht in seiner Hand, als ob sie den nächsten Vorbeiflug der Kreatur nicht überstehen würde.
Er hielt sie nach unten und richtete ihre blendende Zunge in den Haufen. Flammen züngelten an den Rändern der Blätter, und der satte Duft nach Herbstfeuer stieg in seine Nase.
„Freudenfeuer“, sagte er, als er sich an die Bilder von früheren Samhains erinnerte.
„Noch kein richtiges Freudenfeuer.“ Cassie legte mehr Blätter frei, die sie auf den rauchenden Haufen legte.
„Es kommt zurück!“, sagte Beth. Der Darkling kam wieder näher, das Geräusch der brechenden Zweige wurde lauter.
Diesmal, fiel Rex auf, würde sein Angriff weniger erfolgreich ausfallen. Das Biest hatte das Wasser größtenteils von den Blättern geschüttelt. Sie konnten hier unbegrenzt aushalten, oder wenigstens so lange, wie sie ihr kleines Freudenfeuer in Gang hielten. Wenn sie sich von dieser Stelle wegbewegen würden, konnte die Kreatur sie allerdings mit frischen Baumladungen voll Wasser überschütten.
Aber sie mussten zu Melissa und dem Feuerwerk, konnten hier nicht einfach um einen Fetzen Sicherheit herumsitzen.
Rex spürte, wie er die Zähne bleckte, als er die Arroganz des jungen und schlauen Darklings roch. Er glaubte, er könnte ihn bis zur Unbeweglichkeit ängstigen, wie ein Beutetier in der Falle.
Er irrte sich.
„Halt fest!“, rief er und reichte Beth die Fackel. „Halte sie bedeckt!“
Er schnappte Cassie das Messer weg, machte sich zum Sprung bereit, als er Jagdfieber in sich aufkeimen spürte. Der Darkling kam wieder näher, Äste schüttelnd und mehr Wasser freisetzend, und Rex sprang mit einem Schrei in der Kehle auf die schwarze Silhouette in der Luft zu, während er seinen verletzten Knöchel kaum spürte. Er stach mit dem Messer vor sich zu, rammte die Stahlklinge tief in das Fleisch der Kreatur.
Blaue Funken spritzen aus der Wunde in sein Gesicht, und die Kreatur schlang ihre Arme um ihn, bei dem Versuch, Rücken und Beine mit ihren Klauen zu attackieren. Rex spürte, wie er mit ein paar mächtigen Schlägen ihrer Schwingen fortgetragen wurde – weg von den beiden Mädchen. Er heulte und drehte das Messer, so heftig er konnte. Das Biest stieß einen Schrei aus, sein Griff lockerte sich. Rex trat mit seinem gesunden Fuß nach ihm …
Und dann purzelte er aus seinen Armen, brach durch Zweige und Buschwerk, wild nach den vorbeischießenden Gleitern um sich schlagend. Er landete hart auf einem Flecken nackter Erde, ihm blieb die Luft weg, als ob die Erde eine riesige Faust gewesen wäre. Er blieb einen Moment liegen und starrte das blaue Feuer an, das um das Messer kreiste. Irgendwie hatte er es festgehalten.
Aber der Wald lebte und war voller Geräusche: Große Wesen drängten durch die Zweige, Gleiter mit Flügeln. Hinter ihm her. Rex erhob sich unter Schmerzen, seine gebrochenen Rippen knackten, der Gleiterbiss jagte Schmerzen seinen Rücken hinab. Eine Gestalt schoss aus dem Wald auf ihn zu, und er hob das Messer hoch, um ihm in einen Flügel zu stechen.
Der Gleiter flatterte weiter, ruckartig, wie ein kaputter Drachen in die Bäume.
In der Ferne sah er etwas Rotes flackern. Cassie hielt ihr Freudenfeuer in Gang. Es kam ihm aber unglaublich weit weg vor.
Rex …?
„Melissa!“, rief er laut, als er ihre Nähe spürte. Er wirbelte herum und stellte fest, dass ihn der kurze Flug mit dem Biest näher an die Bahnlinie gebracht hatte.
„Rex!“, antwortete ein Ruf.
Im Anschluss an den Ton sah er einen blauen Funkenregen zwischen den Zweigen und stürzte darauf zu. Jetzt schützte ihn keine Fackel, und die lauernden Gestalten in den Zweigen bewegten sich auf ihn zu. Sein Knöchel pochte bei jedem Schritt, und das Metall an seinen Stiefeln funkelte, als kriechende Gleiter nach seinen Beinen schlugen. Aber Melissa war so nah.
Die blauen Funken schimmerten wieder zwischen den Bäumen und ließen eine riesige Katze sichtbar werden, die sich auf die Hinterläufe erhoben hatte. Die Kreatur war jung und begierig zu töten, erfüllt mit der Glut von Samhain. Dann entdeckte Rex eine menschliche Gestalt, direkt bei dem Darkling: Melissa warf der Katze eine Handvoll der von Dess kreierten Stifte und Schrauben ins Gesicht, worauf sie vor Wut raste und mit einer Pranke nach den winzigen Geschossen schlug.
Dann ließ sie sich auf alle vier Pfoten fallen, breit, sich auf Melissa zu stürzen.
Rex spürte, wie sich sein Körper verwandelte, mehr als je zu vor, als sich die volle Wut des Tieres in ihm schließlich entfesselte. Sein verletzter Fuß schien plötzlich nicht zu zählen, die Größe der Katze und ihre Stärke waren bedeutungslos – nichts war wichtig, außer Melissa zu retten.
Er spürte, wie er mit einem Jagdschrei durch die Bäume brach, sich mit einem wilden Sprung auf den Rücken des Darklings stürzte. Er stieß ihm Animalisation in die Schulter, und die Kreatur heulte auf. Seine gespannten Muskeln explodierten unter Rex, ein Sprung beförderte ihn mit dem Biest senkrecht in die Luft.
Es wand sich unter ihm, versuchte, mit seinen mächtigen Krallen herumzufahren. Aber Rex klammerte sich mit einer wilden, unmenschlichen Kraft an ihm fest, seine metallbewehrten Stiefel sprühten Funken an den Flanken der Kreatur.
Beide drehten sich in der Luft umeinander wie bei einem bizarren Rodeoritt.
Melissas Geschmack erreichte seinen Verstand …
Steig ab, Rex!
Es machte keinen Sinn, das Biest loszulassen, damit es ihn in Stücke riss, aber das hier war Melissa, und seine menschliche Hälfte gehorchte dem eindringlichen Befehl, ohne nachzudenken. Er stieß sich mit aller Kraft ab, das Messer ließ er im Darkling stecken, und versuchte, sein Gesicht vor den wirbelnden Klauen zu schützen.
Rex fiel heftig auf den feuchten Boden, die gebrochenen Rippen gaben ein Knacken von sich, sein Knöchel schrie auf unter dem Schmerz, den er ignoriert hatte. Das Biest in seinem Inneren war ein wenig verblasst. Es hatte bis zum Tod kämpfen wollen, aber er hatte lieber auf Melissa gehört …
Er rappelte sich auf, die leeren Hände weit von sich gestreckt, schutzlos.
Der Darkling lag ein paar Meter weiter, seine Pfoten zuckten wie bei einer träumenden Katze. Dann stieß es einen markerschütternden Schrei aus. Einen Moment lang wusste Rex nicht, was geschah, bis er den Metallschaft sah, der aus seiner Flanke ragte: eine Art Speer, auf dessen Stahl noch immer blaues Feuer tanzte. Die Kreatur zuckte noch einmal, dann rührte sie sich nicht mehr.
Melissa tauchte hinter seinem riesigen Körper auf, mit verblüfftem Gesicht, die Hand schwarz von dem Blut der Kreatur.
„Intramuskulär Eindringliche Parzellierung“, sagte sie.
Rex blinzelte. Sie hatte den Speer in den Boden gesteckt und zugesehen, wie der Darkling daraufgefallen war.
„Danke, dass du ihn abgelenkt hast“, sagte sie.
Rex hörte Gleiter, die in alle Richtungen von ihnen wegflogen, der Todesschrei der großen Katze hatte sie vorübergehend auseinandergescheucht. Unter Schmerzen trat er einen Schritt vor und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Jederzeit. Aber was machst du hier draußen?“
„Mir ist das Warten zu langweilig geworden, und ich dachte, du könntest Hilfe gebrauchen.“ Sie hielt einen Rucksack hoch. „Ich hab Feuerwerk mitgebracht. Also, äh … wo ist das Feuer?“
Rex blickte in die Richtung, aus der er gekommen war. Der rote Schimmer war in der Ferne gerade noch zu erkennen.
„Hier lang.“
Ein verwirrter Blick huschte über Melissas Gesicht. Einen Moment schloss sie die Augen. „Du hast unser einziges Feuer ein paar Dreizehnjährigen überlassen?“
Er nickte. „Mehr oder weniger.“
Melissa schüttelte entsetzt den Kopf. „Daylighter in der geheimen Stunde.“ Sie seufzte und schob ihm einen langen Metallspeer mit angelöteten Spiralen in die Hand. Der Stahl brannte sogar durch Rex’ Handschuhe, aber sein Heft lag gut in der Hand.
„Danke“, sagte er. „Wie kommt Jessica zurecht?“
„Mach dir um sie keine Sorgen, sondern lieber um uns.“ Sie hob einen weiteren Speer auf ihre Schulter. „Da sind noch eine Menge mehr Darklinge unterwegs.“
Sie stürzten zwischen den Bäumen auf das Leuchten des Freudenfeuers zu, mit ihren Speeren nach den Gleitern stechend, die durch die Luft sausten. Jeder Schritt schoss durch Rex’ verletzten Fuß und seine pochenden Rippen, was er durch einen Art bewusstlosen Nebel jedoch kaum spürte. Er hatte Melissa gefunden, und seine menschliche Hälfte war bereit, dem Biest das Feld zu überlassen.
Das Freudenfeuer vor ihnen nahm Form an, der Geruch nach Rauch wirbelte durch den Wald. Mehr vierarmige Darklinge schlugen auf die umliegenden Bäume ein, als ob sie sich das Feuer mit Prügeln unterwerfen könnten. Der Wind, den ihre Schwingen produzierten, schien es aber nur anzufachen.
Als sie näher kamen, ließen die Gleiter von ihnen ab, weil sie sich vor dem Wirbelwind aus Funken und brennenden Blättern in Acht nahmen.
„Cassie! Beth!“, rief Rex.
„Rex?“, rief es zurück. Er sah Cassies Silhouette vor den Flammen, immer noch mit der zischenden Autobahnfackel in der Hand.
„Wir kommen!“, brüllte er zurück.
„Was machen wir mit denen?“, fragte Melissa und blieb stehen.
Sie meinte die aufgeblähten Gestalten der fünf riesigen Darklinge, die sich vom Waldboden erhoben. Ihre Mäuler glitzerten, und die vielen Augen, die ihre Körper sprenkelten, schimmerten stumpf im purpurfarbenen Licht des Risses. Ihre langen, behaarten Beine verteilten sich wie Gitterstäbe eines Käfigs um das Feuer.
„Spinnen“, sagte Melissa. „Deine Lieblinge.“
„Kein Problem.“ Rex streckte die Hand aus. „Gib mir den Rucksack.“
Er öffnete den Reißverschluss und versenkte seine Hand darin, mit der er Raketen, Goldregen und an langen Seilen aneinandergebundene Kracher ertastete. „Autobahnfackeln?“
„Klar, ganz unten.“
Seine Hand stieß auf die Fackeln, und er reichte ihr drei davon, eine behielt er selbst. „Eine für jeden von uns. Wenn ich mit diesen Teilen fertig bin, zünden wir sie und flitzen zu den Schienen.“
„Die sind zu fünft, Rex. Und sie stehen nicht einfach so rum, um gemütlich ins Feuer zu glotzen. Vor dir werden sie keine Angst haben.“
Rex grinste und spürte, wie sich das Tier in ihm breitmachte. „Sollten sie aber.“
Er drehte sich um, den Speer in der einen und den Rucksack in der anderen Hand, und humpelte auf die Riesenspinnen zu. Sie blieben unbeteiligt hocken, den Widerschein des Feuers in den Augen. Sie waren alt, das konnte er jetzt erkennen. Als er näher kam, spürte Rex, wie sich ihre Geister durch ihn hindurchbewegten, auf seiner Zunge blieb ein Geschmack nach Asche und saurer Milch zurück.
Scheusal. Du wirst heute Nacht sterben.
„Warten wir es ab.“ Er fing an zu rennen, unbeholfen und unter Schmerzen.
Zuerst verließ der Speer seine Hand und schoss durch die Luft auf den nächsten Darkling zu. Zwei Arme hoben sich, um ihn abzuwehren, wie haarige Tentakel wedelnd. Abgelenkt durch einen der Arme blieb der Speer in der weichen Erde zu Füßen des Darklings stecken.
Da sauste aber schon der offene Rucksack über den Kopf des Darklings hinweg. Er beschrieb einen weiten Bogen, über Cassie und ihre zischende Flamme hinweg, und entleerte seinen Inhalt bereits im Flug, der rauchend und Funken sprühend mitten im Freudenfeuer landete.
Seht euch das an …, dachte er zu den Darklingen.
Kurz darauf explodierte ein Feuerwerkskörper nach dem anderen, Feuerräder spritzten in alle Richtungen, die aneinandergebundenen Kracher produzierten Rauchwolken, Raketen schossen zwischen den Zweigen hin und her. Die brennende Zunge eines Goldregens erwischte einen Gleiter und entzündete ihn. Das Biest schrie panisch auf, als Flammen über seine haarige Haut wanderten. Einer der beflügelten Darklinge stieß gegen eine Rakete und begann mit den Flügeln zu schlagen, dann rempelte er das Biest neben sich an, die beiden Kreaturen wanden sich umeinander wie in einer panischen, lodernden Umarmung.
Beth und Cassie ließen sich mit den Händen über den Köpfen in die nassen Blätter fallen. Die großen Spinnen bewegten sich, ihre Arme zitterten, ihr Entsetzen strömte mit einem elektrisierenden Beigeschmack durch Rex’ Gedanken.
Er rollte sich unter den nächsten Darkling, zog seinen Speer aus der Erde und stieß ihn dem Biest in den Leib. Ein fauliger Gestank ergoss sich aus der Wunde, als sich das Biest aufbäumte, das Maul weit aufriss, mit Zähnen so lang wie Messer.
Als Rex seinen Speer aufhob, schlidderte ein Raketenbataillon zufällig am Rande seines Blickfeldes über den Boden. Eine davon traf ihn an der Schulter, drehte sich, flog mit der Spitze nach unten in die Luft und schoss in das Maul des Darklings.
Die Kreatur machte ein Schluckgeräusch, während Rex sich in Richtung Feuer rollte und zu den zusammengekauerten Mädchen hinüberkroch.
„Alles in Ordnung?“
„Diese Wesen …“, schluchzte Beth.
„Keine Sorge. Sie hauen ab.“ Er sah auf. Das Biest hinter ihm versuchte, sich zu verwandeln, Schwingen wuchsen aus seinem Rücken, während die Beine im Körper verschwanden. Aber dann hörte Rex etwas puffen – die Rakete, die in den Eingeweiden explodierte – und schmeckte in seinen Gedanken, wie das Biest in Panik ausbrach. Seine glitzernden Augen wurden stumpf, und aus der Stichwunde in seinem Korpus schoss eine Flamme. Die Schwingen fingen an zu schrumpfen …
Rex hielt seine Arme über den Kopf, als die Kreatur explodierte, um sich vor dem mächtigen Schwall sengender Hitze und dem hellen Licht zu schützen, das durch seine fest verschlossenen Lider hindurch immer noch blendete. Die Erde bäumte sich unter ihm auf, ein Röhren wie von einem Düsenjäger erfüllte die Luft.
Und dann verhallte das Geräusch, bis außer den Schreien der Mitternachtswesen, die sich in alle Richtungen zurückzogen, nichts mehr zu hören war.
Als Rex die Augen aufschlug, sah er Melissa in der Nähe knien und die Autobahnfackeln an Resten des Feuers entzünden. Brennende Blätter hatten sich bis weit in die Bäume verteilt, aber außer ein paar glimmenden Teilchen und einem großen, dunklen Fleck am Boden war von Cassies Anstrengungen nichts übrig geblieben.
„Sie sind weg, Rex“, sagte sie. „Hast ihnen wohl ihren Samhain versaut.“
Er nickte, vor seinen Augen schwirrten glühende Punkte.
„Stimmt. Ich schätze, seit ihrer Zeit haben sich Freudenfeuer ziemlich hässlich entwickelt.“
„Mit dem Zeug an den Schienen können wir noch ganz anders. Und da müssen wir schnellstens hin.“ Sie erhob sich, mit zwei zischenden Fackeln in jeder Hand.
Cassie war bereits aufgestanden und zog Beth auf die Füße.
Beide waren voller Asche, Blätter hingen an ihnen, in ihren Gesichtern stand der Schock. Aber Cassie nahm die Fackel, die Melissa ihr reichte. „Sind sie alle weg?“, fragte sie.
Melissa schloss die Augen. „Nicht weit. Wir müssen rennen, Mädels.“ Sie deutete in Richtung Bahnlinie. „Da drüben wartet noch tonnenweise Feuerwerk auf uns.“
„Gib mir noch eine Minute“, sagte Rex. Sein Körper war mit Schrammen übersät, sein Knöchel tat weh. Sehfähigkeit und Gehör litten unter dem Widerhall der Explosion. Seine Lunge brannte, als ob er zu viel Rauch von dem Feuer eingeatmet hätte.
Er hörte nicht gleich, was Melissa sagte.
„Rex?“ Ihre Hand zupfte an seiner Jacke.
„Nur eine Sekunde.“
„Wir müssen jetzt gleich gehen.“
„Ich kann kaum stehen.“
„Sieh her.“ Sie streckte die Hand aus und strich ihm mit den nackten Fingern über den Hals, blitzschnell trat ihr Geist in seine Gedanken. Er sah, was kommen würde …
„Au Scheiße.“ Rex schauderte. Er war ein Idiot gewesen, all seine Pläne leeres Gehabe. „Das wusste ich nicht.“
Melissa nahm ihre Hand weg und hievte sich sein Gewicht auf die Schulter, um ihn vorwärtszuschleppen. „Jenks können wir jedenfalls helfen.“
Sie machten sich auf den Weg durch die Bäume, einmal mehr gehorchte Rex’ geschundener Körper den Befehlen seines Willens. Er sparte sich den Blick nach hinten, aber die schimmernden Zweige vor ihm zeigten, dass die Mädchen folgten, ihre Fackeln warfen wilde Schatten durch den Wald.
Die Schienen lagen wenige Minuten entfernt, aber alles schien zwecklos …
Rex schloss seine Augen und rannte ohne Rücksicht auf seine Schmerzen los, weil er das Bild auslöschen wollte, das er von Melissa bekommen hatte. Ein Flut von Darklingen, eine Woge, die den Himmel verdüsterte, eine riesige Horde jenseits aller Lehre. Ihr Feuerwerk war nichts weiter als ein kleiner Umweg vor dem Schlachtfest.
Jessica Day war ihre einzige Hoffnung.