flugstunden

11.58 Uhr nachts

16

„Also bis jetzt läuft dieser Plan unverkennbar scheiße“, sagte Melissa. „Jonathan kommt niemals vor Mitternacht hier an.“

„Wir hätten mit ihnen zusammen fahren sollen.“ Jessica gähnte und verkroch sich vor dem kalten Wind in ihren Mantel. „Ich habe Rex gesagt, dass ich keine Angst davor habe.“

„Es ist nicht deine Schuld, Jess“, sagte Melissa. „Rex wollte nicht, dass wir uns alle zusammen in Broken Arrow aufhalten.

Du hast ihn gehört.“

Jessica nickte stumm. Er hatte etwas von einer Falle der Grayfoots gefaselt, in der sie alle auf einmal landen könnten

– dem Ende der Midnighter. Ihr kam das unwahrscheinlich vor.

„Wahrscheinlich hat er gedacht, ich hätte Angst, wegen Übertretung der Sperrstunde geschnappt zu werden“, sagte sie. „Und wollte nicht, dass ich mich wie ein Weichei fühle.“

Sie seufzte. Und jetzt saßen sie hier am Straßenrand an einem kalten, windigen Rastplatz kurz hinter der Bezirksgrenze fest. Beim nächsten Mal würde sie Rex verkünden, dass sie die neue, furchtlose Jessica war, die weder offizielle noch elterliche noch schwesterliche Strafen fürchtete.

„Nein, Jess. Ich weiß zufällig, dass du es nicht warst, die er schützen wollte.“

„Wie meinst du das?“

„Ich war es.“ Melissa streckte ihre Hand aus, mit der Handfläche nach unten. Sie zitterte vor Kälte. „Bei dem Gedanken an eine schnelle Autofahrt fange ich an zu zittern.“

Jessica sah die Gedankenleserin an und fragte sich, ob die Witze machte. Natürlich wollte niemand gern zweimal mit achtzig Sachen durch eine Windschutzscheibe fliegen.

„Vielleicht sind sie tatsächlich nur deshalb nicht hier, weil sie von den Bullen geschnappt wurden“, fuhr Melissa fort.

„Und wenn das der Fall ist, dann haben wir beide Glück, dass wir nicht mitgefahren sind.“

Jessica seufzte. „Ein wirklich netter Gedanke.“ Jonathan verbrachte die geheime Stunde nicht besonders gern in einer Gefängniszelle, wo er ständig von den Wänden abprallte.

„Ich versuche bloß, dich zu trösten. Es gibt Schlimmeres als eine Verhaftung.“

„Da hast du wohl recht.“

„Will sagen, wenn Kidnapper und wilde Autojagden im Spiel sind“, fuhr Melissa fort.

„Mensch, Melissa. Wer hat dich denn plötzlich zur Miss Sonnenschein erkoren?“

„Ich wollte es bloß erwähnt haben.“ Die Gedankenleserin sah auf ihre Uhr. „Egal. In fünf, vier, drei … “

Die geheime Stunde war da und floss wie eine blaue Tintenflut über die Wüste auf sie zu. Der Holztisch erzitterte unter ihnen, die Luft wurde warm und still, und die Sterne über ihnen nahmen einen gespenstisch blassen Schimmer an.

„Uff, das tut gut.“ Melissa legte den Kopf zurück, um Witterung aufzunehmen. Wenige Augenblicke später huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Entspann dich. Es geht allen gut.“

Jessica atmete erleichtert aus. Wie gut, dass Melissa bei ihr war. Als Rex letzte Hand an seinen Plan gelegt hatte, war sie nervös geworden, weil sie irgendwo weit draußen eine ganze Stunde mit Melissa zubringen sollte. Wie sich herausgestellt hatte, war das aber gar nicht so schlimm. So eine arrogante Hexe wie früher war Melissa gar nicht mehr.

Die Gedankenleserin warf ihr einen kühlen Blick zu. „Na, besten Dank auch, Jess.“

„Huch, tut mir leid.“ Jessica ermahnte sich, ihre Gedanken unter Kontrolle zu halten, besonders jetzt, nachdem Midnight eingetreten war. „Ich meine doch bloß … es stimmt aber“, stotterte sie. „Du bist seit Neuestem viel netter.“

„Wie du meinst.“ Melissa hob mit geschlossenen Augen das Gesicht gen Himmel. „Gut. Sie sind alle beieinander, aus irgendeinem Grund weit draußen in der Wüste, meilenweit weg von der nächsten Straße. Irgendwas ist schiefgegangen –

schmeckt nach einer Auseinandersetzung zwischen Rex und Flyboy.“

„Komisch, den letzten Teil hätte ich mir denken können.“

Melissa grinste. „Jetzt ist Jonathan zu uns unterwegs. Ziemlich in Eile … “ Sie runzelte die Stirn. „Da draußen wachen welche auf.“

Jessica zog ihre Taschenlampe aus dem Mantel, die den neuen Namen Halluzination trug. „Werden sie zurechtkommen?“

„Wenn wir hier rauskommen, bevor sie irgendwas Großes anspringt.“

„Wir?“

Eins von Melissas Augen öffnete sich einen Spalt. „Das wären ich, Flyboy und du.“

Jessica wurde bewusst, dass es sich nicht lohnte, ihre Abneigung zu verbergen. „Stimmt, du wirst mit uns fliegen müssen.“

„Du sagst es, Jess. Ich will zwar nicht, aber bei diesem Plan geht es einzig darum, dass Angie und ich uns eine Weile gegenüberstehen. Und ich hatte nicht vor zu laufen.“ Melissa breitete die Arme aus. „Mach dir keine Sorgen, Jessica. Ich habe nicht vor, deinem Liebsten meinen verkrüppelten Verstand einzuflößen, okay?“

„Habe ich nie behauptet.“

„Du hast daran gedacht. Erzähl mir nicht, dieser kleine Stich hätte damit zu tun, dass du dir um deinen Zahnarzttermin Sorgen gemacht hast.“

Jessica schüttelte den Kopf. „Es ist bloß, weil Jonathan mir erzählt hat … “

„Ich weiß, was er dir erzählt hat, Jessica. Ich kann sein Mitleid schmecken. Ich weiß ziemlich genau, was Leute wie ihr von mir haltet, kapiert? Und je mehr ihr euch bemüht, mich nicht zu kränken, desto mehr weiß ich darüber. Und ehrlich gesagt will ich nichts mehr davon wissen, also legt … einfach

… mal … eine Pause ein!“

Melissas Stimme brach bei den letzten Worten, der schreckliche Klang verflüchtigte sich in die platte, echolose Wüste.

Dann seufzte sie und schüttelte den Kopf.

„Tut mir leid … “, hob Jess an.

„Ja, schon gut.“ Melissa wehrte ab. „Mir tut’s auch leid.

Wollte nicht rumschwafeln, ich dachte bloß, du wolltest zur Abwechslung mal wissen, was ich denke.“

Jessica schluckte, tausend Entschuldigungen überschlugen sich in ihrem Kopf. Von denen Melissa aber natürlich keine hören wollte. Also konzentrierte sich Jessica und versuchte, Entschuldigungen, Reue und Mitleid aus ihren Gedanken zu verbannen.

Sie klärte ihren Kopf, indem sie ans Fliegen dachte – sich vorstellte, wie bei Jonathans Berührung Schwerelosigkeit in sie hineinströmte, wie sie Bixbys Straßenpatchwork aus der Luft unter sich wegrollen sah, sich über einen perfekt getimten Sprung mit exakter Landung freute, den Wüstenboden unter sich dahingleiten sah …

Die Bilder traten in den Vordergrund und löschten den bitteren Nachgeschmack der Auseinandersetzung, und aus einem Impuls heraus streckte Jessica eine Hand aus und berührte Melissa leicht am Handgelenk.

Melissa reagierte zuerst nicht, zog den Arm aber auch nicht weg. Jessica spürte ihren inneren Kampf, unter der menschlichen Berührung nicht zusammenzuzucken, Abwehrreflexe, in jahrelanger Isolation antrainiert. Und dann hielt die Verbindung.

Bilder und Gefühle strömten aus Jessicas Erinnerung – die klare Heiterkeit, wenn man mit Höchstgeschwindigkeit über die Badlands sauste, wenn Gestrüpp und Sand und Salz zu einem Fleck verschwammen –, und Melissa holte tief Luft, voller Verwunderung über die Empfindungen, die sie teilten.

Jessica fiel auf, dass sie als einzige der Midnighter nie von der Gedankenleserin berührt worden war. Es war anders, als Jonathan erzählt hatte. Melissa hatte inzwischen nichts Verbogenes und Bemitleidenswertes mehr. Mit ihren Augen sah die blaue Welt von einer beständigen Ruhe durchdrungen aus.

Und darunter lag eine alte Traurigkeit und Sorge um Rex.

Eine ganze Weile später entzog Melissa ihre Hand.

„Fliegen … “, sagte sie leise.

Jessica lächelte. „Es macht Spaß.“

Melissa wandte sich ab und sah auf ihre Hand hinunter, als ob Jessica sie irgendwie gezeichnet hätte. Schließlich sagte sie: „Wenn wir nur schnell genug hinkommen. Rex braucht uns.“

„Hat er Angst?“

Melissa legte den Kopf auf die Seite, wie ein Hund, der auf ein entferntes Geräusch lauscht. „Eigentlich nicht. Er hat keine Angst mehr vor den Darklingen.“

Jessica runzelte die Stirn. „Wäre das nicht besser?“

Die Gedankenleserin zuckte mit den Schultern. „Das werden wir vermutlich bald erfahren.“

Jonathan kam wie ein Stein auf gefrorenem Wasser über die Wüste gehüpft. Sein Flugschild, mit dem er ein paar schnelle Gleiter abwerte, die wie gigantische Fliegen umherschwirrten, sprühte Funken.

Jessica stand da und hielt Halluzination bereit.

„Tu’s nicht, du blendest ihn“, warnte Melissa.

Seufzend senkte Jessica die Taschenlampe. Vermutlich wurde Jonathan mit den Gleitern sowieso alleine fertig. Warum sollte sie ihm den Spaß verderben?

„Ich weiß, was du meinst, Jess“, fügte Melissa hinzu. „Das macht ihm alles viel zu viel Spaß.“

Jessica sah sie an, plötzlich fragte sie sich, ob ihre Gedanken durch die kurze körperliche Verbindung auf Dauer leichter lesbar geworden waren.

Aber Melissa schüttelte den Kopf. „Es liegt auf der Hand, Jess. Ich habe das Tageslicht früher auch gehasst, wie du weißt.

Aber ich habe die Midnight nie so sehr geliebt wie dieser Knabe.“

Eine Explosion lenkte Jessicas Aufmerksamkeit wieder auf den Horizont. Einer der Gleiter war an Jonathans Schild abgeprallt. Ein blauer Funkenregen ergoss sich vom Himmel, als er fiel, und der andere drehte ab und floh. Jonathan kam kurz vor ihnen federnd zum Stehen, eine Staubwolke flog auf und erstarrte mitten in der Luft – die seltsame Magie seiner Akrobatenschwerkraft tat ihre Wirkung.

„Beeilt euch!“, rief er und streckte beide Hände aus.

Jessica bemerkte erfreut, dass er nicht zuckte, als Melissa seine Hand ergriff, sie nur ansah und sagte: „Du weißt, wie es geht?“

„Ja, Jessica hat es mir gerade beigebracht.“

Überraschung zeigte sich auf Jonathans Miene, und er warf Jessica einen kurzen Blick zu. Sie konnte nur mit den Schultern zucken. Daran hatte sie gar nicht gedacht, sämtliche Flugtechniken waren jedoch in oft verwendeten Bahnen ihres Gedächtnisses gespeichert, in all den Stunden an Jonathans Seite ausgefeilt. Selbst wenn sie nachts nicht zusammen flogen, träumte sie davon oder rätselte über der Mitternachtsphysik, wenn sie eigentlich Hausaufgaben lösen sollte.

Hatte Melissa das alles wirklich so schnell aufgenommen?

„Auf geht’s“, sagte Melissa und beugte die Knie.

Die drei sprangen gemeinsam ab, zunächst zu einem kleinen, zögerlichen Sprung. Melissa brachte sie weder ins Trudeln, noch stolperte sie drei Meter weiter bei der Landung. Sie stießen sich beim zweiten Sprung fester ab. Eine niedrige Bahn brachte sie schnell über die Wüste. Sie nahmen Geschwindigkeit auf, wichen Gestrüpp und Kakteen aus, ohne ein Wort zu wechseln, als ob Melissa schon viele Male mit ihnen geflogen wäre.

Jessica fragte sich, was sich in Jonathans Kopf abspielte, ob er glaubte, Melissa würde seine Gedanken lesen, während sie flogen. Oder erinnerte er sich an sein Entsetzen über ihren ersten Kontakt, bevor Melissa sich selbst unter Kontrolle bekommen hatte? Vielleicht war die Notlage aber auch zu groß, und er konzentrierte sich einfach aufs Fliegen …

Vielleicht war das der Trick, wie man mit der Gedankenleserin umgehen musste, vielleicht musste man seinem Hirn einfach eine Pause gönnen.

„Gleich sind wir da“, sagte Melissa schwer schnaufend.

Jessica fragte: „Geht’s ihnen gut?“

„Mit Dess ist alles in Ordnung. Rex … ist bei den anderen.“

„Bei welchen anderen?“

Melissa strauchelte bei der nächsten Landung, und alle drei flogen wieder hoch, drehten sich einmal um sich selbst, bevor sie wieder unten ankamen. Jonathan zwang sie bei der Landung, stehen zu bleiben.

Vor ihnen am Horizont stoben blaue Funken aus der Wüste auf.

„Was ist da draußen los?“, fragte er sie.

„Dess wehrt sie ab. Und wenn sie erst mal schmecken, dass der Flammenbringer unterwegs ist, werden sie sich aus dem Staub machen.“

Jessica runzelte die Stirn. „Was ist mit Rex?“

„Mach dir um ihn keine Sorgen. Volltrottel – er hatte versprochen, mich zu warnen, bevor er etwas Derartiges wagen würde.“

„Was wagt er?“

Melissa schüttelte den Kopf. „Wir sollten in Bewegung bleiben, wenn wir ankommen wollen, bevor Dess einen Kurzschluss produziert.“ Sie sah die beiden flehend an, keine weiteren Fragen zu stellen. „Sehen wir zu, dass wir weiterkommen, okay?“

Jonathan sah Jessica an, dann beugte er die Knie. „Okay.“

Sie sprangen ab. Mit langen, federnden Sprüngen kamen sie zügig voran. Melissa flog, als ob sie monatelang geübt hätte.

Eine halbe Meile vor Dess überquerten sie einen Flecken mit kleinen, gedrungenen Kakteen. Jessica entdeckte am Rand ein schwarzes Auto mit platten Reifen.

„Das ist doch nicht das von Melissa, oder?“, fragte sie.

„Nein, von den Grayfoots“, antwortete Jonathan. „Echten Grayfoots.“

„Oh.“ Kein Wunder, dass die Dinge durcheinandergeraten waren.

Am höchsten Punkt ihres nächsten Sprungs sah Jessica eine riesige schwarze Katze, die sich zwischen blauen Funken auf die Hinterläufe erhob, umkreist von einer wirbelnden Gleiterwolke. Ein dreizehnzackiger Stern aus glühenden Drähten war auf dem Wüstenboden ausgelegt. In seiner Mitte stand Dess, der Darkling direkt davor. Melissas Wagen war nicht weit weg, er sah zerbeult und kaputt aus.

„Diese Katze riecht Blut, Jess“, sagte Melissa. „Sie ist zu jung, um sich vor dir zu fürchten.“

„Blut?“, fragte Jessica, aber die Gedankenleserin antwortete nicht.

Sie sausten auf den Kampf zu. Jessica sah Dess’ langen Speer durch die Luft zischen, der Panther schlug mit der Pranke danach und traf ihn an der Spitze. Die Waffe glitt Dess aus den Händen, als das Biest aufjaulte und durch den Kontakt nach hinten in sein Gleitergefolge geschleudert wurde. Es rollte über die Wüste, Salz und Sand wirbelten in die Luft.

Die Katze sprang jedoch gleich wieder auf die Füße und bleckte die Zähne.

Dess hielt seinem Blick stand.

„Augen zu“, warnte Jessica.

Der Strahl von Halluzination schoss über die blaue Wüste und erwischte den Darkling gerade noch. Weißes Feuer tanzte über sein Fell, worauf er noch einmal wütend aufjaulte. Überall um ihn herum gingen Gleiter in Flammen auf, die abdrehten, um dem sengenden Licht zu entkommen.

Der Darkling floh jedoch nicht. Seine Purpuraugen blitzten, als er Dess ansah, gegen die er seine geballte Wut richtete.

Er machte sich zum Sprung bereit.

Im Flug hielt Jessica die Taschenlampe ruhig und fest umklammert, zwang ihren ganzen Willen in den Strahl. Das weiße Feuer wurde stärker, als der Darkling abhob, und verwandelte ihn in einen zischenden Feuerball. Jessica spürte, wie die blaue Welt unter ihnen erzitterte, die Berge in der Ferne schienen sich zu krümmen, als Halluzination mit ihrer Energie in sie eindrang.

Die Kreatur stieß einen letzten Schrei aus, als sie wie ein explodierender Meteor mitten in der Luft zerfiel und weiß glühende Kohlen über dem Wüstenboden versprengte.

„Augen auf“, sagte Jessica mit rauer Stimme. Nach dem nächsten Sprung kamen die drei rutschend in der Nähe des Rings aus verbrannter Erde und Metallstäben zum Stehen.

Dess stand mittendrin, staubig und mit verängstigtem Blick, von ihrer Stirn lief Blut.

„Bist du in Ordnung?“, rief Jessica, ließ Jonathans Hand los und rannte auf sie zu, mit großen Sätzen über die verstreuten und kokelnden Reste des Darklings hinweg.

„Ich werd’s überleben. Aber Rex ist da draußen!“, rief Dess und deutete in die Wüste. „Ich konnte ihn nicht aufhalten!“

„Ich weiß“, sagte Melissa.

„Jessica, Jonathan, holt ihn da raus!“

„Nein, tut es nicht.“

Die anderen drei sahen die Gedankenleserin ungläubig an.

Ihre Augen waren halb geschlossen, die Augäpfel, von denen man nur zwei schmale Schlitze purpurn leuchten sah, nach oben verdreht.

„Er will, dass wir hierbleiben“, sagte sie leise.

„Du hast aber nicht gesehen, was für ein Wesen ihn geholt hat!“, schrie Dess und wischte sich das Blut von der Stirn.

„Ich kann es sehen, Dess.“ Melissa bewegte ihren Kopf langsam von einer Seite auf die andere, wie ein betrunkener Klavierspieler, der zu seiner eigenen Musik schunkelt. „Es geht ihm gut. Und er wird bald wieder hier sein.“

„Er wird sterben!“, sagte Dess.

Melissa schlug die Augen auf, die blitzten, als sie Jessica direkt ansah. „Glaubt mir – geht nicht da raus. Rex ist mitten in einer Meute von bösartig-alten Darklingen. Wenn ihr sie erschreckt, werden sie ihn nur töten.“

Jessica bemerkte, dass auch die anderen sie ansahen, in Erwartung ihrer Antwort. Schließlich war sie der Flammenbringer. Nur sie konnte Rex retten.

Sie sah Melissa wieder an. Die Gedankenleserin sah absolut überzeugt aus. Jessica erinnerte sich an die Ruhe, die sie bei ihrer Berührung gespürt hatte, und an die Liebe, die Melissa für Rex empfand, und plötzlich war auch sie sich sicher, was sie zu tun hatte.

Nichts.

Melissa konnte sich noch so beschissen benehmen oder benommen haben und Dess oder irgendjemandem was auch immer angetan haben, niemals, nie im Leben würde sie Rex etwas antun. In tausend Jahren nicht.

Jessica nickte. „Okay. Wir vertrauen Melissa.“

„Jessica!“, schrie Dess. „Die ist ein Psycho!“

„Nein, ist sie nicht. Wir warten hier.“

Melissa lächelte und schloss wieder die Augen. „Es wird nicht mehr lange dauern. Sie wissen, dass der Flammenbringer in der Nähe ist, weshalb ihnen nicht nach einer langen Plauderei ist.“

„Plauderei?“, fragte Jonathan. „Reden wir hier von Darklingen?“

„Von alten. Die schlauer sind als dieser Hohlkopf hier“, sagte Melissa und versetzte den glimmenden Teilen in ihrer Nähe einen Tritt. „Übrigens, Jess, du hattest recht.“

„Womit denn? Dass du kein Psycho bist?“

„Nein. Mit dem Fliegen. Es macht Spaß.“ Sie schlug die Augen auf und drehte sich nach ihrem alten Ford um, in dessen Innenraum man Angies erstarrte Gestalt entdecken konnte, und knackte mit den Fingern. „Aber nicht so viel Spaß wie ein Blick in das Hirn dieser Hexe.“

Dess schüttelte den Kopf. „Bevor Rex gegangen ist, hat er gesagt, du sollst auf ihn warten. Er sagt, es ist überaus wichtig, dass du Angie nicht berührst, bevor er zurückkommt. Und er hat gesagt, wenn du dich anstellst, soll ich dir hiermit eins überbraten.“ Sie deutete auf Schwärmerisch Mathematische Zahlenkolonne, mit ihrer von Feuer und Ruß schwarz verklebten Spitze, die der Darkling von sich geschleudert hatte.

„Also, nur zu.“

Melissa warf Dess einen hämischen Blick zu, blieb aber, wo sie war. „Dieser Bastard. Ich habe es ihm versprechen müssen.“ Beide Hände zu Fäusten geballt, sah sie in die Wüste hinaus und fluchte. Schließlich zischte sie: „Schön. Der Seher hat immer recht, auch wenn er Blödsinn erzählt. Vielleicht kann ich’s kaum erwarten, bis noch ein paar … oh Mann. Was für eine Scheiße ist denn mit meinem Auto passiert?“