2. NOVEMBER 2009 – DER TROST DER FREMDEN
Ich habe in Ted hineingesehen.
»Einen Trinkspruch!«
Es ist Julian, der mich aus meinen Gedanken reißt, und er hat eine Flasche mitgebracht. Er humpelt auf mich zu, der Schmerz flimmert über sein Gesicht, zeigt sich in der Spannung seines Körpers, aber nicht in seiner Stimme. Ich habe angeboten, die erste Wache zu übernehmen und vielleicht alle anderen Wachen, solange ich nicht weiß, dass Ted mit Sicherheit außer Gefahr ist. Renny ist bei ihm und hat versprochen, mich sofort zu holen, wenn er aufwacht.
Zudem hatte sie die Liebenswürdigkeit, mir zu eröffnen, dass es etwa zwanzig Meter südöstlich des Lagers das schwache Glimmen einer drahtlosen Verbindung gibt.
»Einen Trinkspruch?«, frage ich und drehe mich um, um Julian anzusehen. »Worauf denn?« Er stößt an der niedrigen Stützmauer aus Beton am nördlichen Ende der Einfriedung zu mir. Immer noch riecht er nach Wasserstoffperoxyd und Reinigungsalkohol, so wie ich auch.
»Auf dich natürlich«, sagt er. »Oder auf uns! Oder – nein – auf etwas Besseres: Auf das unentdeckte Potenzial! Gott weiß, dass du welches hast.« Er nimmt einen tiefen Zug aus der Flasche. Als er sie an die Lippen hebt, sehe ich das Johnnie-Walker-Etikett aufblitzen.
»Wo zur Hölle hast du die aufgetrieben?«, frage ich und nehme die schlanke Flasche enthusiastisch entgegen. Ich brauche einen Drink.
»Von Sam gestohlen«, sagt er. »Scheiße, ’tschuldige, ich meine Dobbs.« Er schneidet eine Grimasse und nimmt mir den Whiskey wieder ab. Sein Gesicht ist verknittert, während er schluckt, und seine Lippen schmatzen vor inniger Befriedigung. Ich muss zugeben, ich fühle das Gleiche. So guten Schnaps hatte ich nicht mehr getrunken seit … seit ich mit Collin einen Drink genommen habe.
Scheiße.
»Wird er nicht angepisst sein?«
»Sicher, aber ich bin sein großer Bruder. Dafür bin ich da!«
Die Bizepssehne hält den Bizepsmuskel an der Schulter und stabilisiert das Gelenk. Vier separate Muskeln beginnen am Schulterblatt und führen hinaus und um die Schulter, wo die Sehnen sich zum Drehmuskel vereinen …
»Hallo? Allison?«, sagt er und schnippt mit den Fingern vor meinem Gesicht. »Himmel. Ich wusste nicht … Ich schätze, ich bin so ans Operieren gewöhnt. Es regt mich gar nicht mehr auf.«
»Ich dachte, ich würde ihn umbringen. Ich schätze, ich habe die ganze Zeit nicht geatmet.« Ich kann nicht aufhören, meine Hände anzustarren, das Blut, das immer noch in den Furchen klebt. Teds Blut.
»Aufgepasst.«
Ich folge Julians Hand und sehe einen verfaulenden Stöhner, der auf uns zuwackelt. Mit einem langen, tiefen Knurren trompetet er seine Ankunft geradezu heraus. Als ob er schon wüsste, dass wir bewaffnet und bereit sind. Ich ziehe die Pistole aus dem Hosenbund und lege ihn mit drei Schüssen in den Kopf um. Ich hätte es besser machen können, aber meine Hände wollen nicht aufhören zu zittern.
»Hübsch«, sagt Julian und strahlt mich an. Der Mann hat nichts Ebenmäßiges an sich, außer seinen großen, weißen Zähnen, die aus seinem Mund starren wie die Breitseite von Mobby Dicks Arsch. Schwanzflosse. Fluke. Was auch immer. »Ich sehe schon, wir sind in guten Händen.«
Prompt beruhigen sich meine Hände, sie sehen fast schön aus, wie sie da auf meinen Oberschenkeln liegen, wie zwei müde Tauben, die sich nach einem langen Flug ausruhen. Ich sehe immer noch, wie sich die Muskeln unter dem Messer teilen, das Gewebe, all das Blut …
»Danke«, murmele ich.
»Wofür denn? Du hast alles gemacht, Süße.«
»Hör auf, mich so zu nennen. Und nein, ich habe nicht alles gemacht. Das hätte ich ohne dich nicht tun können, nicht in einer Million Jahren. Also danke.«
»Gern geschehn«, sagt er und reicht mir die Flasche.
»Und danke dafür«, fahre ich fort, »dass du nett bist.«
»Ich könnte noch viel netter sein.«
Ich werfe ihm einen Blick von der Seite zu, um festzustellen, ob er scherzt. Das tut er nicht. Also sage ich: »Vergiss es«, und schüttle den Kopf.
»Roll deine Augen noch doller, und du sammelst deine Pupillen aus dem Dreck auf.«
»Hörst du jemals auf? Ich meine … überhaupt mal?«
»Nöö.«
Der Whiskey ist gut, ein brennender Mund voll Honigrauch. Ich fühle den Pfad, als er meine Kehle hinunterläuft und alles wärmt, an dem er vorbeikommt. Einen Moment sitzen wir schweigend da. Die farblose, graue Welt breitet sich vor uns aus, gekräuselt von Schmerz und Gefahr. Ich frage mich, wie viele gerade jetzt zu uns unterwegs sind, wie viele auf gebrochenen Beinen hoppeln, mit ausgerissenen Gliedern, und alle zu uns kommen. Welche Schmerzen spüren sie? Ich hoffe, sie leiden nicht. Ich hoffe, dass ihre Existenz taub ist.
»Wenn nicht Ted, wer ist es dann?«
Julian reißt mir die Flasche aus der Hand und hält auf halbem Weg zum Mund inne. Er wartet auf meine Antwort. Für einen totalen Schwachkopf sieht er gar nicht so behindert aus, physisch ohnehin nicht.
»Oh Himmel, ich kann einfach nicht mit dir, weil – Schock und Horror – ich dich nicht attraktiv finde, klar? Ich weiß, als Arzt ist man wahrscheinlich daran gewöhnt, dass die Mädels sich einem an den Hals werfen, aber das gilt nicht für mich.«
»Okey dokey«, sagt Julian, zuckt die Schultern und nickt in Richtung des Feldes vor uns. Ein weiterer Stöhner hinkt auf uns zu, und ich nehme ihn aufs Korn. »Aber wer ist er?«
»Er ist einfach … ein Kerl. Ein verheirateter Kerl. Ein blöder, verheirateter Kerl, den ich nie wiedersehen werde. Zufrieden?«
»Nicht wirklich«, sagt er und schlürft den Whiskey. »Aber es ist ein Anfang. Ich nehme an, entgegen aller Scheißwahrscheinlichkeiten ist die Ehefrau immer noch im Film?«
»Tja.« Die Pistole kracht, trifft den Stöhner genau in die Stirn.
»Ah-ha, und du kannst sie nicht gerade besonders gut leiden?«
»Nein.«
»Hast du ihm das gesagt?«
»Bist du doch kein Doktor? Wo zur Hölle sind deine Krankenbettmanieren? Was für ein Doktor bist du eigentlich? Nein, warte, lass mich raten, Gynäkologe?«
»Das würde dir gefallen, nicht wahr? Und was meine Bettmanieren angeht – ich habe schon angeboten, sie dir vorzuführen, und falls du dich erinnerst – und das tust du –, hast du mich abblitzen lassen.« Er macht eine Pause, zögert einen Moment und nimmt dann einen weiteren Schluck Whiskey. Dann, in die Ferne blinzelnd, sagt er: »Ich war Kinderarzt.«
»Wow, Kinder?«
»Kinder.«
»Das muss hart sein.«
»Das ist es.« Seine Stimme klingt jetzt tief und leise, aber sie rutscht noch ein gutes Stück tiefer, als er hinzufügt: »Wenn es gut läuft, ist es genau das, was man sein will.«
»Siehst du, das ist schön. Ich mag dich lieber, wenn du nicht so, na, du weißt schon, nicht so ein Pisser bist.«
Einen Augenblick bin ich sicher, dass er eine schnippische Retourkutsche bereit hat, aber er schweigt und reibt sich nachdenklich das Kinn. Das Licht wirkt befremdlich, ein tiefes Dunkel und dabei doch von Sternen glitzernd. Ohne die Lichter von Iowa City, die selbst den Mond verblassen lassen, hypnotisiert einen das Glühen am Himmel. Ich will erst versuchen, das in Worte zu fassen, behalte es dann aber für mich. Julian hat die Hosen gewechselt. Die einbeinige Hose ist einer abgewetzten Khakilatzhose gewichen. Er kleidet sich wie ein australischer Rinderzüchter, wie ein Raubein. Allerdings fällt es jetzt leichter, sich ihn in einem Doktorkittel vorzustellen.
»So«, sagt er nach dem langen Schweigen. »Weiß der verheiratete Kerl, dass es dich so zerreißt?«
»Das ist nicht deine Angelegenheit, wirklich.«
»Hast du heute noch dringende Termine? Nein? Ich glaube nicht.«
»Du bist ein Mann«, erkläre ich ihm zuliebe. Er gibt mir die Whiskeyflasche. »Würdest du es wissen?«
»Puh, das ist schwierig. Aber«, sagt er und vollführt eine ausholende Geste mit seiner Hand, bis sie schließlich auf seine Brust weist, »wenn es um mich ginge, vielleicht bräuchte ich jemanden, der mir mal eine Kopfwäsche verpasst und sagt: ›Hey, du Idiot, deine Frau ist eine blutsaugende Harpyie.‹«
»Das ist nicht mein Job. Ich hab auch gar nicht das Recht …« Hier sollte ich jetzt aufhören, doch der Whiskey entfaltet seine Wirkung und mir ist nach Reden. Und, zugegeben, unglücklicherweise hilft Reden. »Eine Freundin von mir hat es mal so ausgedrückt: Wenn du einen Kerl magst, der eine Freundin hat, dann ist es nur fair, es ihm zu sagen. Wenn er dich mehr mag als sie, dann hast du es geschafft, wenn nicht, hast du es wenigstens versucht. Aber mit verheirateten Leuten ist es nicht fair, so einen Samen zu säen, weißt du? Es ist bloß … zerstörerisch.«
»Vielleicht ist es das, was er braucht«, erwidert Julian strahlend, »ein bisschen Zerstörung.«
»Nein. Die Weichen sind jetzt anders gestellt … Er sollte zu ihr halten, sie ist ein Teil seines anderen Lebens, seines normalen Lebens. Und Beziehungen … Alles ist anders geworden. Freundschaften entstehen jetzt so schnell, dass man gar nicht zur Ruhe kommt, zumal das Verfallsdatum so …«
»Unvorhersehbar ist?«
»Genau.«
»Weißt du, es gibt ein lateinisches Sprichwort dafür.«
»Nein, gibt es nicht.«
»Doch, gibt es«, beharrt er.
Ich werde betrunken. Das ist die einzige Erklärung dafür, dass ich mich überhaupt auf diese Konversation einlasse. Es ist, als ob ich den Pfad vor mir sehen kann, genau erkenne, wo der Rand der Klippe ist, und weiß, dass ich darüberstolpern werde, aber irgendwie gehen meine Füße einfach weiter … Du und ich, Johnnie Walker, wir sind quitt.
»Scheiße. Also gut. Lass hören«, sage ich und werfe die Hände in die Luft.
»Carpe connubium.«
»Du wärst fast charmant, wenn du nicht so ein kompletter Kindskopf wärst.«
»Ärger auf ein Uhr«, sagt er plötzlich ernst. Es sind zwei von ihnen, leiser als die anderen. Der Geruch ihrer verwesenden Körper eilt ihnen voraus. Diesen Geruch kann man nicht vergessen. Ich behalte sie im Auge, prüfe das Magazin, um sicher zu sein, dass noch Patronen drin sind. Sie werden knapp. Ich muss sparen.
»Geht es um Sex? Ich hab es verstanden, Julian. Du bist geil. Das sind nicht wirklich romantische Vibrationen, die hier umgehen.«
»Nein«, sagt Julian, und auf einmal ist das Lächeln des weißen Wals verschwunden. Er fährt fort, sagt Sachen wie: »Es geht darum, dass du meinen Arsch aus diesem faschistoiden Höllenloch gerettet hast. Und du ›oh nein, Blut, das kann ich nicht, niemals‹ gesagt und dann eine beschissene mittelalterliche Operation an meinem Bein durchgeführt hast. Es geht um dich, cool und gefasst unter Druck, wie du deinem Freund das Leben rettest. Und es geht um dich und mich, wie wir trinken, während du Zombies in die Köpfe schießt. Ich meine … du bist schon furchteinflößend, aber na ja, niemand ist vollkommen.«
»Ich glaube, es ist Zeit, uns gute Nacht zu sagen.«
»Nein, noch zu früh dafür.«
»Du solltest dich ausruhen. Du hattest einen großen Tag«, sage ich und stelle sicher, dass er den Whiskey mitnimmt. Ich darf damit nicht allein gelassen werden. »Ich kann hier die Wache übernehmen.«
»Allison …«
»Gute Nacht, Julian.«
Ich hätte meinem eigenen Rat folgen und mir jemanden suchen sollen, der die Wache übernimmt. Aber es war wenig verlockend, auf dem harten Boden unter einer zerrissenen Plane zu schlafen oder in einem Auto voller Blutflecken. Ich leide nicht unter Schlaflosigkeit, sondern hege nur eine Vorliebe dafür, die Dämonen wach zu empfangen. Wenn man schläft, sind sie gefährlicher. Im Schlaf kann man sich nicht abwenden, was auch immer über einen kommt.
Eine halbe Stunde später sieht Renny nach mir. Ted schläft ruhig und ist, wie sie meint, außer Gefahr. Sie braucht zwei Sekunden, um den Whiskey in meinem Atem zu riechen.
»Hat der Höhlenmann dich betrunken gemacht?«, fragt sie. Sie ist hellwach für diese Zeit der Nacht, ihre dunklen Augen schimmern wie antike Juwelen. »Gewagter Versuch.«
»Ich bin nicht interessiert.«
»Nein? Bist du sicher? Der Mann kann selbst mitten in einer Operation nicht die Augen von dir lassen.«
»Was soll das heißen?«, frage ich und wünsche, ich hätte den Whiskey nicht so voreilig weggegeben.
»Ich hätte fast gesagt, dass er verknallt in dich ist, aber ich hab’s mir überlegt und halte lieber den Mund. Ich wollte nur nach dir sehen. Er ist scharf auf dich, mehr wollte ich gar nicht sagen.«
»Ich weiß das, Renny. Ehrlich. Er ist nicht gerade der König der Diskretion.«
»Ich würde es normalerweise nicht befürworten, vor einem ordentlichen Fick davonzulaufen, das ist nicht meine Art, aber ich fühle – als deine Freundin – die Verpflichtung, dir mitzuteilen, dass Julian, bei aller Freundschaft, ein Schleimscheißer ist«, sagt sie. »Und ich scheiß darauf, dass er Arzt ist oder Astronaut oder was auch immer. Ich glaube, du solltest klaren Kurs nehmen.«
»Du hast recht«, sage ich und gestatte mir ein Grinsen. »Rein zufällig gestalte ich gerade in meinem Kopf das passende Plakat. Überschrift: ZÖLIBAT – Hey, Arschlöcher, Versuch macht klug. In Times New Roman. Nur Großbuchstaben. Und genau darüber ein großes Ölgemälde von einem industriell gefertigten Keuschheitsgürtel.«
»Meinst du nicht eher ein großes, triefendes rotes Herz?«, fragt Renny ungerührt von meinem versteinerten Blick. »Sei nicht so verklemmt. Du kannst mich nicht täuschen, wenn es um diesen Mist geht.«
»Offensichtlich täusche ich niemanden. Also gut, Miss Marple, es hat nichts mit Ideologie zu tun. Jetzt zufrieden?«
»Absolut. Ich habe deinen Freund Collin kaum gekannt«, sagt sie und blickt mich eindringlich von der Seite an, »aber, um eine Phrase zu bemühen, er wirkt wie ein guter Kerl. Seine Frau dagegen …«
»Ha. Das musst du mir nicht erzählen.«
Unser Lachen erstirbt, und wir stehen verlassen in der kalten, bedrohlichen Nacht herum. In ihrem Gesicht ist etwas Offenes und völlig Neues, das mir sagt, ich kann ihr vertrauen. Ich frage mich, ob sie Geschwister hat. Kleinere Geschwister. Menschen, die zu ihr aufsehen und ihr vertrauen, sich fest verlassen auf diesen weit offenen, willkommen heißenden Blick. Ich könnte mich darin einkuscheln.
»Gibt es etwas, das du mir erzählen möchtest?«, fragt sie.
»Ich will … Vermutlich fühle ich mich schlecht, weil ich so an diesem Moralscheiß hänge. Ich weiß, logischerweise müsste ich dieses Monogamiegebot widerrufen. Es gibt neue Bedürfnisse, weißt du? Neue Maßstäbe. Wir könnten eine gefährdete Art sein. Aber etwas hindert mich daran, weiterzugehen. Ich brauche mehr Zeit, irgendwann wird es leichter, dann höre ich auf, an ihn zu denken … Nein, das werde ich nicht. Das weiß ich jetzt.« Rennys warmer und beruhigender Blick lässt mich wissen, dass sie diese Straße auch schon entlanggegangen ist.
»Du hast recht«, sagt sie. »Du wirst nicht aufhören, aber das bedeutet nicht, dass es nicht leichter wird.«
»War sie hübsch?«
»Wie ein schimmernder neuer Lippenstift.« In der Dunkelheit höre ich das Lächeln in ihrer Stimme.
»Hast du vielleicht mal daran gedacht … ich meine, was, wenn wir die letzten Menschen der Erde wären?«, sage ich. »Würdest du … Du weißt schon … ein Kind haben wollen?«
Sie wechselt das Standbein und stützt sich mit dem anderen an die Mauer, an der ich lehne. Dann lacht sie leise und atmet langsam aus, wie nach einem tiefen Zug an einer Zigarette. »Bei meinem Coming-out hat mich meine Mutter dasselbe gefragt.«
»Du verarschst mich.«
»Nein, sie hat mich das tatsächlich gefragt. Direkt beim Thanksgiving-Essen. Sie hatte wirklich Eier, diese Frau, Eier wie aus Messing, aber sie vergaß dabei, dass sie meine Mama ist und ich diese Eier von ihr geerbt habe. Also sagte ich: ›Nein, Ma, nein, das würde ich nicht. Nicht jetzt. Nicht irgendwann. Nicht am Ende der Welt oder an ihrem beschissenen Anfang. Ich würde nicht, könnte nicht, weder auf der Arche Noah noch sonst wo, also verpiss dich.‹«
»Ich wette, das kam gut rüber.«
»Sie hat danach einen Monat lang nicht mit mir geredet«, sagt Renny gackernd. »Aber jetzt? Scheiß drauf, ich würd’s wahrscheinlich machen, ich meine, wenn es wirklich eng wird. Ich habe zu meiner Mutter nein gesagt, weil ich wusste, warum sie mich gefragt hat. Sie wollte, dass ich einräume, tief drinnen doch ein gutes christliches Mädchen zu sein. Aber das bin ich nicht, und das musste sie einsehen.«
»Tu es nicht«, sage ich. »Selbst wenn du die letzte Frau auf der Welt bist.«
»Meinst du das ernst?«
»Absolut. Ich meine, wo ist der Sinn? Wenn es das ist, was du einem Kind geben kannst«, sage ich und deute über das matschige Feld mit den dampfenden Leichen. »Wenn das die Zukunft ist, in die sie blicken müssen, ist es besser, du bleibst, was du bist, und besinnst dich auf das, woran du glaubst. Das ist am Ende wertvoller, denke ich.«
Es ist eine dieser schlimmen Nächte, eine ungemütliche, einsame Nacht, und ich wünschte, ich hätte diesen Whiskey nicht davonziehen lassen. Ich wünschte, ich könnte ein wenig Mary Poppins hören, gepfiffen in der Dunkelheit.
KOMMENTARE
C in C:
2. November 2009 19:09 Uhr
Das Privileg und der Herzschmerz der Ehe sind nur das Bild, das sie für die äußere Welt darstellt. Wenn ein Stern explodiert, gibt es ein bisschen mehr Zerstörung im Universum, aber es gibt auch ein bisschen mehr Schönheit darin, richtig? Ich sollte mehr dazu sagen, aber ich weiß nicht, wie, darum lasse ich statt meiner einen Klügeren sprechen, der ausdrückt, was ich meine:
»Es gab Zeiten, in denen er in dem Gesicht nicht lesen konnte, das er so lange studiert hatte, und in denen dieses alleinstehende Frauengeschöpf für ihn ein größeres Geheimnis war als irgendein Weib in der Welt, das einen Kreis von schützenden Rittern um sich hat.«
Vielleicht wäre ein Abschied angebracht. Ich glaube aber an das Gute und sage stattdessen lieber einfach: bis später.
Allison:
2. November 2009 20:03 Uhr
Das klingt ominös, C. Mein Akku ist schwach, und ich muss Nanette fragen, ob ich ihren Generator benutzen darf, also fasse ich mich kurz. Gib nicht auf. Ich weiß, ich klinge derzeit miesepetrig, aber gib nicht auf. Hör nie auf zu kämpfen.
Isaac:
2. November 2009 20:58 Uhr
Allison weiß das eine oder andere über Hoffnungslosigkeit. Hör auf sie und auf mich, gib nicht auf, Mann. Kämpf den gerechten Kampf.