30. SEPTEMBER 2009 – FRÜHSTÜCK FÜR CHAMPIONS

»Einen fröhlichen letzten Septembertag!«

Ich erwache zu einem Frühstück im Bett. Es ist meine erste warme Mahlzeit seit Wochen: Haferbrei mit Ahornsirup und Schokostreuseln. Ein kleines Sträußchen Stoffblumen dekoriert mein Tablett, zweifellos aus einem der zahllosen Kunstblumenbouquets gezupft, die Ms Weathers’ Wohnung zieren.

»Wofür ist das?«

»Ich wollte mich bedanken, weißt du. Dafür, dass du mich vor einem schrecklichen Tod durch Golfschläger bewahrt hast.«

»Bitte sehr. Ich bin kein Fan von ungewöhnlichen und grausamen Strafen, aber durchaus von Schokostreuseln.«

»Das spricht für deinen Geschmack, würde ich sagen.«

»Wie hast du es geschafft, das aufzuwärmen?«, frage ich. In sicherem Abstand setzt sich Zack auf die Bettkante und drängelt Dapper, Platz zu machen. Der Hund blickt ihn mürrisch an, rollt sich auf die Seite und schläft weiter. Ich sollte vielleicht verlegen sein, aber wir sind ja alle so verfilzt und zerzaust, dass ich später am Tag auch nicht besser aussehen werde.

»Das ist das andere, wofür ich mich bedanken wollte … Mein Schwager, ich weiß, dass ihr ihn rausgeschafft habt. Ich konnte es nicht. Ich konnte ihn nicht anfassen, nicht ansehen«, sagt Zack und starrt in seine Handflächen. Er trägt verwaschene Jeans und ein langärmliges dunkelgrünes Thermohemd. »Ich habe einiges aus seiner Wohnung in Sicherheit gebracht, bevor die Diebe aufgetaucht sind.«

»Also, was ist passiert?«, frage ich leise.

»Sie haben alles genommen, und einer von ihnen … du hast es ja gesehen. Ich habe versucht, euch zu warnen. Ich mache mir Sorgen, dass sie zurückkehren. Sie sind in dieses Apartment nicht reingekommen, und ich wäre nicht überrascht, wenn sie es noch mal versuchen würden«, sagt er. »Jeder ist so verzweifelt. Sie tun schreckliche Dinge.«

»Wir werden uns bereithalten«, antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. »Entschuldige, dass ich dich gestern abgewürgt habe, aber ich will nicht, dass die anderen erfahren, was deinem Schwager passiert ist. Es war schon schwer genug, sie überhaupt bis hier hochzulocken – man könnte denken, es wäre ein Gang um die halbe Welt und nicht bloß ein paar Treppen rauf. Ich bin nicht sicher, wie sie so was aufnehmen würden.« Wir ergehen uns in Gemeinplätzen, beschönigendem Gefasel. Ich bin zu nervös und kann das Wort »Mord« nicht laut aussprechen. Und ich unterschlage den Umstand, dass der Umzug die Treppe hoch recht schnell ging, sobald Phil ins Spiel kam. »Das erklärt immer noch nicht den warmen Haferbrei.«

»Oh!«, sagt er und strahlt. Durch die geöffneten Vorhänge dringt milchiges Licht herein. Es taucht den Raum in ein Zwielicht, in dem man sich schläfrig, behaglich und weich fühlt. Zacks grüne Augen schimmern in der matten gelblichen Helligkeit, und er lächelt. »Ich habe einen Hibachi gerettet. Es ist nicht mehr viel Holzkohle übrig, aber noch genug für ein paar Mahlzeiten. Ich hab noch nie probiert, ihn mit Zeitungen anzuzünden, aber auch das können wir versuchen.«

»Ein Hibachi? Phil wird wahrscheinlich sterben vor Glück. Was nicht vom Grill kommt, ist seiner Ansicht nach gar keine richtige Nahrung.«

»Da würde ich ihm recht geben«, meint Zack und gackert. »Ich meine … Also gut, ich muss ein Geständnis ablegen«, sagt er dann, und sein Lächeln schwindet. Ich weiß nicht warum, aber sein Ausdruck verursacht ein Ziehen in meinem Magen. Er seufzt sehr langsam, seine Brust hebt und senkt sich wie ein Blasebalg. »Ich war zweiter Koch im L’Etoile, also stellt Haferbrei für mich nicht wirklich eine Herausforderung dar.«

»Siehst du, ich wusste schon, dass es einen Grund gab, aus dem ich mich hingesetzt habe«, erwidere ich lächelnd. Das Ziehen in meinem Bauch lässt nach. Drüben aus dem Wohnzimmer ertönen die Anzeichen für Hollianteds Erwachen. Murmeln, Knarren und Schritte, dann das Knirschen eines Dosenöffners.

»Das ist süß«, sagt Zack.

»Was?«

»Wie du dich um sie sorgst. Du bist hier die Glucke, stimmt’s?«

»Ich – oh, ist das so offensichtlich?«

»Bist du sicher, dass du ihnen nichts von den Dieben sagen willst?«, fragt er. Ich bin begierig, mir den Haferbrei reinzuschaufeln, aber das fällt schwer, während er mein Gesicht studiert. »Es fühlt sich nicht richtig an, sie im Dunkeln zu lassen.«

»Lass das meine Sorge sein. Wie du schon sagtest, ich bin die Glucke.«

»Glaubst du nicht, dass sie das Recht haben, es zu erfahren?«

Es berührt mich, dass er für Leute eintritt, die er erst ein paar Stunden kennt, aber es ist auch schwer, nicht bissig zu werden. Daran muss ich arbeiten, an dem Drang, beim ersten Anzeichen von Widerspruch einen Kampf zu beginnen. Ich weiß nicht, was mich so empfindlich macht – vielleicht ist es die Verlockung des Haferbreis, ein paar Zentimeter vor mir, den ich immer noch nicht angerührt habe. Die unmittelbare Nähe heißer Nahrung vernebelt mir das Hirn. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich sage so etwas wie: »Alles ist so beschissen, Zack. Wer weiß schon, was morgen passiert, oder übermorgen? Es ist besser, alles offen zu lassen, damit sie denken, es gibt eine Chance … ich kann ihnen einfach keine weiteren Sorgen aufbürden. Nicht jetzt. Noch nicht.«

»Also gut«, sagt er und wirft die Hände hoch. »Ich werd dich in Ruhe lassen. Du hast sie bis hier durchgebracht und wirst wissen, was du tust.«

»Danke«, sage ich. »Ich möchte nur, dass alle klarkommen.« Der Haferbrei ist perfekt, klebrig und warm und von bemerkenswert guter Konsistenz. Er schmeckt nicht, als ob er aus dem Pappkarton kommt. »Das hier«, sage ich und halte einen Löffel Brei hoch, »ist wahrscheinlich deine Eintrittskarte zu ihren Herzen.«

Zack hat nur ein paar Stunden gebraucht, um sich bestens einzufügen. Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt Sorgen gemacht habe. Es liegt daran, wie wir jetzt leben. Ein weiterer Mensch, ein anderes Lebewesen: Man lernt, es zu akzeptieren, und mag es und nimmt es in die Familie auf. Das ist kein bewusster Prozess, sondern eine unvermeidliche Überlebenstechnik. Keine der normalen Regeln des Anfreundens passt hier – es gibt keine Phase, in der man jemanden allmählich und freiwillig kennenlernt. Man haust in engen Quartieren, man schläft, isst und lebt in demselben vollgestopften kleinen Apartment, und man kriegt schnell heraus, wie man die neue Person seinem Alltag anpasst.

Zack hilft beim Abendessenmachen, und irgendwie kriegen wir eine Art Auflauf aus Wiener Würstchen, weißen Bohnen und Dosenmais hin. Jetzt unterstützt er Hollianted beim Abwaschen. Ich bin wieder in meinem Zimmer und sitze bei offenen Vorhängen auf dem Bett. Ich kann die Stadt sehen. Oder das, was davon noch übrig ist. In der Ferne liegen Rauchschwaden vor dem Horizont, die Gebäude sind schwarz und verrußt, wo sie von innen nach außen langsam ausgebrannt sind. Ich frage mich, ob alles im Feuer enden wird. Ob wir leben, bis wir die Apartments und den Laden in Flammen sehen. Und ich frage mich, wo meine Mutter ist, ob sie noch lebt, ob sie wie ich eine Gruppe gefunden hat, eine kleine zerrüttete Familie, an die sie sich halten kann.

Ich habe wieder mit dem Radio herumgespielt. Manchmal denke ich, dass ich Stimmen hören kann, nein, eine Stimme, die unter dem Rauschen murmelt. Ich hab sie für eine Minute, dann ist sie weg. Ich würde so schrecklich gern jemanden da draußen hören, dass ich fürchte, ich halluziniere manchmal den Geist einer Stimme.

UPDATE: UNGEFÄHR 1:30 UHR

Ms WeathersWeinvorräte wurden entdeckt. Ted und Zack sind jetzt beste Freunde. Wir sind jetzt alle beste Freunde. Auf dem Bett ist kein Platz mehr, überall ausgestreckte Körper. Dapper besteht auf einem Drittel für sich. Der Hund ist nicht betrunken.

Zack hat angeregt – nein gefordert –, dass ich euch ein Porträt von ihm liefere. Ich komme der Forderung nach. Bitte schön:

Mann_mit_Flasche.tif

(Für den Leser: Zack besteht darauf, dass ich Folgendes richtigstelle: Sein Haar ist in Wahrheit nicht aus Makkaroni gemacht, er hat tatsächlich ein bisschen Bartwuchs, aber keine Pocken, und er saugt glückselig an einer Flasche Chianti und nicht an einem überdimensionierten Tampon. Und seine Augen sitzen nicht so völlig schief wie im Bild.)

Noch mal. Kubistisch:

eckiger_Mann_mit_Flasche.tif

Und zum Schluss Hollys Beitrag:

Smiley.tif

Ceci n’est pas Zack.

Man sieht gleich, wer hier Kunst studiert hat.

210304.jpgKOMMENTARE

Mom:

30. September 2009 22:27 Uhr

Allison, Süße, bist du das wirklich? Hör auf, dich zu betrinken, und antworte, bitte. Ich muss wissen, ob du in Ordnung bist. Deine Tante ist bei mir und die Nachbarn auch. Ich fürchte, es gibt nicht mehr viel zu essen, und wir müssen bald hier weg. Können wir zu dir kommen? Glaubst du, es gibt einen sicheren Weg? Oh, Gott sei Dank, dass du in Sicherheit bist. Ich liebe dich so sehr, ich möchte zu dir kommen.

Allison:

30. September 2009 22:57 Uhr

Heilige Scheiße, ich bin die schlimmste Tochter der Welt. Mom? Bist du da? Wie hast du mich gefunden? Wie auch immer, ist ja auch egal. Sind bei euch alle wohlauf? Könnt ihr die kleinen Seitenstraßen nehmen? Ich schätze, ihr solltet die Hauptstraße meiden, sie ist völlig verstopft von Autos und diesen Dingern. Versucht es nur, wenn ihr sicher seid, dass ihr es schafft. Ich liebe dich auch. Ich liebe dich, und schreib mir bald.

Mom:

30. September 2009 23:08 Uhr

So machen wir’s. Wir kommen zu euch. Gib uns drei Tage. Das sollte mehr als genug sein. Wenn du bis dahin nichts von uns gehört hast … dann weiß ich auch nicht, aber komm uns nicht suchen, Allison. Ich will dich sicher und gesund wissen. Wir werden uns bald sehen. Küsschen.