16. Kapitel

Er schien genauso heftig zu erschrecken wie sie, als ein lautes Klingeln aus seiner Jackentasche drang; als ob er vergessen hätte, dass auch er ein Handy besaß.

Sie bekam die Gelegenheit, nach Luft zu schnappen. Nach Luft zu schnappen und zu überlegen. Was konnte sie nun noch erwarten? Sie konnte ihm die Zahlenkombination nicht nennen, außer, sie würde ihren Mann anrufen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass er ihr das erlauben würde – und ohnehin unwahrscheinlich, dass sie es schaffen würde, im Moment auch nur einen klaren Satz von sich zu geben.

Sie war ihm von keinem Nutzen mehr. Vielleicht wollte er auf ihren Mann warten – ihn dazu bringen, den Tresor zu öffnen. Dann wäre sie womöglich noch für etwas gut gewesen: Die Zahlenkombination im Tausch gegen das Leben der Ehefrau. Doch sie war sich nicht sicher.

Er ging an das Handy ran, versuchte, so wenig wie möglich zu sagen und antwortete lediglich mit einsilbigen Antworten.

Er hatte ihr bereits einmal gedroht, sie umzubringen. Versuchte er nur, ihr etwas vorzugaukeln, oder meinte er es ernst? Erneut war sie sich nicht sicher.

Da öffnete sich plötzlich ein Schlupfloch; nun musste sie sich entscheiden. Er war in den Flur getreten, um das Gespräch fortzusetzen, sie folgte ihm – sah, dass er nach links ging, dorthin, wo der Flur zum Gästezimmer und die Tür zum Garten hinausführten. Nach rechts lag der Gang am Wohnzimmer vorbei in die Eingangshalle – der Weg zum Ausgang.

Sie hörte, wie sich der Klang seiner Stimme etwas entfernte, er war wahrscheinlich noch ein paar weitere Schritte den Flur hinuntergegangen; ging davon aus, dass sie sich in der kleinen, fensterlosen Kammer ruhig verhalten würde.

Wie ein Tier im Käfig.

Sie dachte an ihren Mann, der auf dem Weg zum Flugzeug war; auf dem Weg nach Hause. Was würde er ihr in dieser Situation raten? Es war mit Sicherheit die einzige Gelegenheit, die sich ihr bieten würde. Sollte sie sie ergreifen oder warten und hoffen?

Wahrscheinlich gab es nicht nur einen Aspekt, der ihre Entscheidung beeinflusste; der Instinkt schien die Überhand zu nehmen.

Sie spähte kurz in den Flur hinaus. Er drehte ihr den Rücken zu. Das war die Gelegenheit. Sollte sie rennen und die Aufmerksamkeit auf sich lenken oder schleichen?

Sie trat in den Flur; er hatte sie noch nicht bemerkt. Sie ging rasch, aber dennoch geräuschlos – noch hörte sie niemanden sich nähern.

Ihr Herz schlug wie wild, und sie war sich sicher, dass er ihren Herzschlag hören musste, so laut kam es ihr vor.

Sie schaffte es um die Ecke, aus seinem Blickfeld, und nun waren es nur noch wenige Schritte bis zur Tür. Sie wusste, dass die Tür verschlossen war, sie brauchte zwei Handgriffe, um sie zu öffnen – abgestimmte Bewegungen, sichere Hände.

Und dann hörte sie es. Er hatte es bemerkt. Sie sprang in einem Satz auf den Türgriff zu. Doch ihre Hände ließen sich nicht beherrschen, sie verhedderte sich, verlor wertvolle Sekunden. Sie wusste, dass es ihn nur wenige Augenblicke kosten würde, um sie zu erreichen.

Sie unternahm einen weiteren Versuch.