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Das Haus war leer, als er eintrat, die Verandatür unverschlossen.

Er war wieder über die Baumwipfel gekommen. Niemand war in der Nähe. Das Haus wurde nicht überwacht, keine Suchtrupps durchkämmten die Gegend. Alles war vollkommen still. Reuben konnte nicht einmal Stimmen hören.

Das Schlafzimmer hinten im Haus lag genauso da, wie er es in Erinnerung hatte, inklusive der Gerüche, die ihm so ans Herz gewachsen waren.

Auf dem großen Eichenbett lag eine kunstvoll geschneiderte Patchworkdecke. Eine kleine Messinglampe auf dem Nachttisch brannte und verbreitete mit ihrem Pergamentschirm ein warmes Licht. Zwischen den Kissen eines Schaukelstuhls saß eine alte, selbstgemachte Lumpenpuppe mit aufgestickten mandelförmigen Augen, rosaroten Lippen und langem gelbem Haar aus Wollfäden. In einem kleinen Bücherregal standen mehrere Bücher von Harper und Jacob Dennys und sogar eins von L. J. Dennys über die Wildblumen des Mount Tamalpais.

Das Schlafzimmer grenzte an eine einfache, rustikale Küche mit großem schwarzem Herd und blau-weißem Porzellan in offenen weiß lackierten Regalen.

Auf dem Fensterbrett hinter der Spüle standen Töpfe mit kleinen weiß blühenden Pflanzen, auf dem Tisch in der Mitte der Küche eine blaue Vase mit Margeriten. An der Wand hing ein Bild mit einer impressionistischen Landschaft, die an einen eingezäunten Rosengarten grenzte. Die Signatur lautete «Collette D.».

Hinter der Küche lag ein geräumiges Badezimmer mit einem alten Eisenofen, einer riesigen Dusche und einer freistehenden Badewanne auf Pfoten. Auf der anderen Seite führte eine enge Treppe ins Obergeschoss.

Hinter dem Badezimmer lag ein großes Esszimmer mit einem runden alten Eichentisch, massiven Holzstühlen und einer Truhe mit noch mehr antikem blau-weißem Porzellan. Das Zimmer ging in ein Wohnzimmer mit bequemen alten Sesseln über, auf denen kunstvolle Quilts und Wolldecken lagen. Die Sessel standen vor einem Kamin und waren so arrangiert, als wollten dort gleich Leute Platz nehmen, um sich miteinander zu unterhalten. Im Kamin brannte ein kleines Feuer, das von einem Gitter in Schach gehalten wurde. Eine Stehlampe aus altem Messing verbreitete ein weiches, freundliches Licht.

Überall im Haus hingen farbenfrohe Blumenbilder von Collette D., was vielleicht ein wenig eintönig war, aber die leuchtenden Farben hatten etwas Aufheiterndes. Und dann gab es überall Fotos. Auf vielen war das wettergegerbte Gesicht von Jacob Dennys zu sehen, der schon als junger Mann weiße Haare bekommen haben musste.

Im Wohnzimmer gab es einen Flachbildfernseher, und in der Küche stand ein kleiner Fernseher auf der Arbeitsplatte. Neben dem Wohnzimmerkamin lagen aktuelle Zeitungen. «Wolfsmensch befreit die entführten Kinder», titelte der San Francisco Chronicle. Ein Lokalblatt aus Mill Valley bevorzugte: «Kinder wohlbehalten in Mill Valley aufgefunden – Zwei Tote». In beiden Zeitungen fanden sich ähnliche Zeichnungen von diesem Wolfsmenschen – eine menschenähnliche Gestalt mit Wolfsohren, aufgerissener Schnauze und furchterregendem Raubtiergebiss.

Das Haus hatte viele Fenster, an denen die Regentropfen glitzerten. Die Wände waren in warmen, erdigen Farben gestrichen, die Möbel aus Holz.

Reuben stand gerade am Wohnzimmerkamin, als Laura zur Hintertür hereinkam. Schnell schlüpfte er in den Hausflur. Er sah, wie sie in der Küche eine braune Einkaufstüte auf den Tisch stellte und eine gefaltete Zeitung danebenlegte.

Das Haar hatte sie mit einem schwarzen Band im Nacken zusammengebunden. Sie zog ihre schwere Cordjacke aus und hing sie über eine Stuhllehne. Darunter trug sie einen weichen grauen Rollkragenpullover und einen langen dunklen Rock. Irgendwie wirkte sie unzufrieden und enttäuscht. Langsam breitete sich ihr süßlicher Geruch im ganzen Haus aus. Reuben war sich sicher, dass er ihn überall wiedererkennen würde – diese Mischung aus menschlicher Wärme und einem Hauch Zitrus.

Wie gebannt beobachtete er sie, ihre schlanken Hände, ihre glatte Stirn, ihr weißes Haar, das weich ihr Gesicht umrahmte, ihre eisblauen Augen, mit denen sie den Blick wie abwesend durch den Raum schweifen ließ.

Vorsichtig näherte er sich der Küchentür.

Sie wirkte nervös und unsicher. Niedergeschlagen ging sie an den weißen Küchentisch und wollte sich gerade hinsetzen, als sie ihn im Hausflur stehen sah.

«Laura, meine Schöne», flüsterte er. Was siehst du? Den Wolfsmenschen, ein Monster, das seine Opfer brutal zerfleischt?

Erschrocken schlug sie die Hände vors Gesicht und sah ihn durch die schmalen, langen Finger an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann schluchzte sie auf und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.

Mit ausgebreiteten Armen lief sie auf Reuben zu. Er kam ihr entgegen, nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.

«Laura, meine Schöne», wiederholte er und hob sie hoch, wie er es schon einmal getan hatte. Er trug sie ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett.

Zuerst löste er das Band in ihrem Haar, sodass es ihr wellenförmig über die Schultern fiel, ganz weiß, mit einzelnen Strähnen, die im Licht der Nachttischlampe gelblich schimmerten.

Reuben musste sich beherrschen, um ihr nicht die Kleider vom Leib zu reißen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie alle Knöpfe und Haken geöffnet hatte. Dann endlich war sie nackt. Rosa und weich präsentierte sie sich ihm, die Brustwarzen wie Blütenblätter, das Schamhaar wie Rauch. Reuben bedeckte ihren Mund mit Küssen und hörte das tiefe Stöhnen aus seiner Brust kommen, dieses animalische Geräusch, das kein Mensch von sich geben konnte. Er konnte nicht aufhören, sie von Kopf bis Fuß zu küssen, ihren Hals, ihre Brüste, ihren Bauch und die Innenseite ihrer seidigen Schenkel.

Er nahm ihren Kopf zwischen die Pfoten, und sie fuhr zärtlich mit den Fingern über sein Gesicht, wobei sie sie tief in sein weiches Unterfell drückte.

Sie weinte immer noch, aber in Reubens Ohren klang es wie der Regen an den Fenstern, wie ein schönes Lied.