Kapitel 24
Zwei Wochen zuvor
Meine Güte, was versteckt der Mann hier? Die Goldreserven des Landes? Bei seinem ersten Versuch, mit Cornelius Strecker zu reden, hatte man ihn direkt am Tor abgefertigt und verscheucht. Jetzt aber öffneten sich die massiven, eisernen Flügel und gaben den Blick auf einen wirklich hässlichen Betonklotz frei, der so gar nicht zu der rustikalen Einfahrt passen wollte. Wahrscheinlich sah diese Ansammlung von ineinander geschachtelten grauen Würfeln für seinen Besitzer hochmodern aus. Für Paul MacKenzie war es der Inbegriff des Wortes »abstoßend«. Eine lange Auffahrt führte hinauf zu dem, was man nur mit viel Fantasie als Haus bezeichnen konnte. Bunker hätte es eher getroffen.
Paul hatte in die Videosprechanlage am Eingang gesagt, dass sein alter Freund ihn hierher verwiesen hat, aber er nicht glauben würde, dass es was bringt und dass wahrscheinlich auch Strecker nicht weiterhelfen könne. Das war es. Diese Worte kamen einer Eintrittskarte gleich. Doch als das Tor sich elektronisch gesteuert, nach innen hin öffnete, kamen sogleich zwei uniformierte und sehr finster dreinblickende Gestalten angelaufen. Sie erwiesen sich als äußerst wortkarg und wenig intelligent. Das klassische Klischee eines Türstehers zeichnete sich vor Pauls innerem Auge ab. Es hätte nur noch gefehlt, dass einer der beiden Gorillas gesagt hätte: »Ey, du kummst hier net rein.« Allerdings war die Reaktion während der Durchsuchung des unbekannten Gastes nicht viel besser.
Er nahm MacKenzie seinen achtunddreißiger Revolver ab und fragte: »Wozu Waffe?«
Paul verkniff sich das Lachen und zeigte den Wachleuten seinen Ausweis.
»Ist der echt?«
»Nein, aber tolle Photoshop-Arbeit, oder nicht?«
Dummerweise schien es bei den Höhlenmenschen noch nicht angekommen zu sein, dass so etwas wie Humor auf diesem Planeten existierte und sich größter Beliebtheit erfreute. »Willst du uns verarschen, ey? Wir können deinen Arsch auch wieder nach draußen befördern.«
»Hey Jungs, entspannt euch doch mal, alles gut. Ich habe nur einen kleinen Spaß gemacht. Ihr wisst schon, das, wo die Mundwinkel sich nach oben bewegen sollten. Aber ich sehe schon, das ist nicht euer Ding. Okay, okay. Bringt mich einfach zu eurem König und ich halte die Klappe.«
Mit der Antwort »Grmmm.« konnte Paul zwar nicht viel anfangen, aber da die beiden Hünen sich in Bewegung setzten, war seine Botschaft wohl irgendwie durchgesickert.
Das Grundstück war übersät mit Kameras und Bewegungssensoren. Weitere Angestellte der Sicherheitsfirma liefen mit Schäferhunden umher. Alles hier ähnelte mehr einem Gefängnis, als einem Wohnhaus.
Im Inneren angekommen, meldete sich der größere der beiden Helden wieder zu Wort. »Warten.«
Im selben Moment betrat der Eigentümer die großzügige Eingangshalle mit dem dekadenten Marmorboden. »Schon gut, Hector.«
Jetzt musste Paul doch lachen. »Hector? Ich fasse es ja nicht. Ja Hector, ist schon gut, mach schön sitz.«
Der Kleiderschrank antwortete nicht, sondern sah MacKenzie nur hasserfüllt an und ging dann mit seinem Kollegen hinaus. Cornelius Strecker reichte dem Detektiv die Hand und schien seinen Humor ebenfalls nicht zu teilen.
»So, Fregman schickt Sie also zu mir. Lebt der alte Bastard immer noch? Was führt Sie zu mir, abgesehen von der Leidenschaft mein Personal zu beleidigen?«
»Hören Sie, das war nur ein Spaß. Ich wollte ihre Jungs einfach mal zum Lachen bringen, nachdem sie so grimmig geschaut haben.«
»Sie lachen, wenn sie dafür bezahlt werden. Aber lassen wir das. Wobei konnte Albert Ihnen nicht weiterhelfen, dass er so weit geht, Sie ausgerechnet zu mir zu schicken?« Streckers Gesichtsausdruck stand dem seiner Wachleute in nichts nach. Reichtum war wohl nicht so witzig, wie man es sich als Normalsterblicher ausmalte. Tiefe Sorgenfalten umrahmten seine Mundwinkel. Seine Haut wirkte wie altes, gegerbtes Leder, das zu lange in der Sonne lag, und seine Haare hatten sich scheinbar schon vor Jahren verabschiedet. Er fixierte Paul mit seinen glasig-grauen Augen und wartete auf eine Antwort.
MacKenzie erzählte dem unsympathischen Mann die ganze Geschichte von dem Killer und seiner Jagd auf das mysteriöse schwarze Buch des Marquis de Sade. Cornelius ging dem Privatdetektiv voran in seine Bibliothek. Albert hatte recht behalten. Dieser Strecker musste wahrscheinlich jeden übertrumpfen. Die Sammlung war gigantisch und überhaupt kein Vergleich zu der, welche Paul kurz zuvor bei Albert Fregman bestaunen durfte. Sie füllte einen Raum von der Größe einer Turnhalle, und das auf drei Etagen. In der Mitte waren unzählige Glaskästen mit besonders wertvollen Exponaten aufgestellt. Zwischen den Regalen waren Bilder an den Wänden angebracht. Paul erfuhr, dass es sich dabei ausschließlich um Originale der alten Meister handelte. Als er mit seinen Ausführungen über das schwarze Buch zum Ende kam, begann Strecker laut zu lachen. Er konnte es also doch.
»Das ist doch Mumpitz. Völliger Schwachsinn.«
Der Detektiv sah ihn irritiert an. »Wie bitte?«
»Na das hier. Ihr ganzer Besuch und die Tatsache, dass der alte Albert Sie hergeschickt hat.«
»Ich verstehe nicht.«
»Natürlich verstehen Sie nicht. Wie sollten Sie auch? Albert, dieser gerissene Schweinehund, ist der europaweit führende Experte für das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert.«
»Ja und? Das bedeutet jetzt was?«
»Na eine Koryphäe auf Ihrem Gebiet sind Sie ja nicht. Das bedeutet, dass er Sie reingelegt hat. Er wusste genau, dass ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann, denn mein Fachgebiet ist eher das Vorchristliche und die Moderne. Natürlich greife ich als Sammler auch bei anderen seltenen Werken gerne zu, jedoch hält sich mein Wissen da in Grenzen. Man muss sich spezialisieren, sonst weiß man irgendwann nicht mehr wohin mit all den Schätzen.«
»Das heißt also, Sie wissen nichts über das schwarze Buch?«
»Nein, ich habe noch nie davon gehört und kann Ihnen auch nichts über de Sade erzählen, was nicht ohnehin hinreichend bekannt ist. Aber wenn Albert Sie damit zu mir geschickt hat, dann nur um Zeit zu gewinnen. Womöglich hat er dieses Buch selbst in seinem Besitz und lässt es jetzt gerade verschwinden. Zumindest weiß er etwas. Wenn nicht er, dann niemand sonst.«
»Verdammter Mist. Ich Idiot!« Paul klatschte sich mit der flachen Hand an die Stirn. Er verabschiedete sich und wartete auf den Türsteher, der ihn zurück zur Einfahrt begleitete und ihm seine Waffe wiedergab. Jetzt hieß es schnell sein. Vielleicht war es ja noch nicht zu spät.