Kapitel 3

Im gleichen Ort, sechs Stunden zuvor

 

 

Der Friedhof lag abseits aller neugierigen Blicke am Rande der Kleinstadt. Das einzige Haus in der Nähe war das des Totengräbers am Gottesacker. Doch es brannte kein Licht. Und selbst wenn, es wäre viel zu weit entfernt, um eine Sicht auf die vier düsteren Gestalten zu erlauben, die sich ihren Weg vom kleinen Parkplatz des Friedhofs zu einem von ihnen gezielt ausgewählten Grab bahnten. Große Vorsicht brauchten sie nicht walten zu lassen. Der verhangene Himmel verschluckte das wenige Licht, das der Halbmond hätte spenden können. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Regen auf die vier Gestalten in ihren schwarzen Kapuzenumhängen herniederprasselte. Das erste Donnergrollen begleitete sie bereits, als sie den dunklen Van verlassen hatten. Doch gerade das drohende Unwetter bildete den perfekten Schutz. Wer sonst würde sich bei einem Gewitter, auf einem alten, schauerlichen Friedhof herumtreiben? Und selbst wenn dies der Fall sein sollte, konnte man davon ausgehen, dass so ziemlich jeder die Flucht ergreifen würde. Das Bild, welches die Vier boten, war einfach zu unheimlich, ja geradezu grotesk und hätte eine Szene aus einem Mittelalterfilm darstellen können. Die Vermummten schienen keine Gesichter zu besitzen. Alles an ihnen fügte sich wie ein Puzzleteil in die finstere Nacht ein. Nicht einmal ihre Hände, die einen seltsamen flachen Karren die schmalen Wege entlang zogen, waren zu erkennen. Weder die Unbekannten noch das vierrädrige Gefährt mit seiner entsetzlichen Fracht machten die geringsten Geräusche. Schattengleich huschten sie, wie von einem unsichtbaren Windhauch getrieben, zu ihrem Ziel. Ein Grab in einer Reihe mit fünf weiteren. Doch dieses war frisch. Erst am letzten Morgen war es zugeschüttet worden. Jetzt wurde es wieder geöffnet.

Drei der unheimlichen Gestalten hievten das merkwürdige Behältnis von dem Rollwagen. Das Holz knarzte, als sie das Gebilde auf dem Boden abstellten.

Der Vierte im Bunde machte keinerlei Anstalten, sich zu körperlicher Arbeit herabzulassen. Stattdessen befahl er gebieterisch: »Fangt an!«

Er öffnete den ungewöhnlichen Sarg, den seine Kameraden abgestellt hatten.

 

In ihrer Grundform glich die Kiste jedem handelsüblichen Sarg, doch dieser hier war etwas höher gebaut worden. Als der Deckel geöffnet wurde, kam eine junge Frau zum Vorschein. Ihr nackter Körper steckte in einer Zwangsjacke aus schwerem Leinenstoff. Da man sie betäubt hatte, bekam sie nichts von dem Grauen mit, welches sich anbahnte. Allerdings würde sich das bald ändern.

François betrachtete sein Werk. Die ehemals lange, blonde Mähne hatte man dem armen Mädchen gänzlich abrasiert. An ihren Beinen klafften unzählige Stellen, an denen man ihr die Haut aufgeschnitten hatte. Diese hing nun, wie alte ausgediente kleine Vorhänge, von den offenen Wunden. Dass keine Blutspuren um die Verletzungen herum zu erkennen waren, zeugte davon, dass sie dementsprechend behandelt wurden, um sicherzustellen, dass das Opfer nicht ausblutete. Mit ihren nicht mehr vorhandenen Zehennägeln wurde offenbar genauso verfahren. Die Riemen der Zwangsjacke zogen sich so eng durch ihren Schritt, dass sie sich tief in ihre Vagina gedrückt hatten und damit die Schamlippen betonten.

Der Anblick erregte François aufs Neue. Er und seine Anhänger hatten sich zwei Tage lang mit der Neunzehnjährigen auf ihre ganz eigene Art und Weise vergnügt. Eigentlich sollten seine Bedürfnisse für eine Weile gestillt sein, doch beim Blick auf sein wehrloses Opfer und dem Gedanken an das, was gleich geschehen würde, wurde ihm heiß und kalt zugleich.

»Beeilt euch, sie wird bald aufwachen«, trieb er seine Leute an, die bereits eifrig dabei waren, das frische Grab erneut auszuheben.

Im Grunde gab es keinen Anlass zur Eile. Denn selbst wenn sein Opfer zu früh aufwachte, hätte dies keinen Einfluss auf ihr Schicksal. Weglaufen würde sie ebenso wenig können wie schreien. François selbst hatte ihr den Mund zugenäht, bevor sie in den Sarg gelegt wurde. Seine Blicke wanderten zwischen den anderen drei Gestalten und dem Mädchen hin und her. Für ihn war dieser Moment immer wieder etwas ganz Besonderes. Auch wenn er dieses letzte Ritual schon unzählige Male vollzogen hatte, erregte es ihn über alle Maßen. Er nahm es selbst gar nicht wahr, dass seine Hand unter die schwarze Kutte gewandert war, um sein erigiertes Glied zu massieren. Die Vorstellung an den bevorstehenden Weg des Opfers, die letzte und grausamste aller Qualen, brachte den Enddreißiger fast um den Verstand.

 

Die Erdhügel an den Seiten des Grabes wuchsen schnell an. Seine Begleiter waren mittlerweile geübt darin, Gräber in Rekordzeit auszuheben und kurz darauf den Ort wieder so zu verlassen, als wären sie niemals da gewesen. François hatte sich die Handschuhe ausgezogen und masturbierte ungeniert, während er die Frau mit seinen Blicken malträtierte.

Als eine tiefe Stimme verkündete: »Wir haben es«, öffnete Linda ihre Augen. Der Schrecken, der sich in ihrem Inneren abspielte, war deutlich in ihren geweiteten Pupillen zu lesen. Grenzenlose Panik und Hysterie ergriffen Besitz von ihr, als sie in den nächsten Sekunden realisierte, dass sie sich weder bewegen noch artikulieren konnte. Sie wand sich hin und her. Trampelte wie von Sinnen gegen die Holzkiste und versuchte zu schreien. Doch abgesehen von ein paar dumpfen, nicht zu deutenden Lauten, war das vergeblich. Die vielen Wunden mussten ihr unglaubliche Schmerzen bereiten, aber sie war nicht in der Lage, diesen Schmerz hinauszuschreien.

François sagte etwas. Seine Stimme erreichte jedoch ihre mit Wachs versiegelten Ohren nicht. Natürlich war er sich dessen bewusst. Es handelte sich mehr um einen Monolog, als um den Versuch, sich verständlich zu machen.

Hätte sie ihn hören können, wären die Worte nur weitere Qualen gewesen, denn er hatte ihr soeben angekündigt, was nun mit ihr geschehen würde. Instinktiv wusste Linda es. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, aber nachdem ihr klar wurde, wo sie sich befand, in was sie gerade lag, gab es im Grunde keinen Zweifel mehr, dass ihr Leben heute endete. Sie würde ihren zwanzigsten Geburtstag, der so kurz bevorstand, nicht erleben. Die Tränen schossen ihr aus den Augen und sie zerrte mit aller Kraft an der Zwangsjacke. Das Einzige, was sie damit jedoch erreichte, war, dass der Riemen ihr noch tiefer in die Scham schnitt.

 

François erblickte den feinen Blutstrom, der aus ihr herauslief und wurde er fast wahnsinnig vor Lust. Seine Beine zitterten vor Erregung und er musste sich zusammenreißen, um nicht sofort auf sie abzuspritzen. »Nein. Noch nicht«, flüsterte er sich selbst zu und ließ von sich ab.

Die drei anderen hatten derweil das Grab freigelegt und den darin befindlichen Sarg herausgehoben. »Wir wären dann so weit, Meister.«

Er nickte zustimmend, als sie den Sarg öffneten und die starre Leiche eines alten, grauhaarigen Mannes anhoben. Von Ekel, Abscheu oder Skrupel war ihnen dabei nicht das Geringste anzumerken. Sie legten den Mann zur Seite und stellten den leeren Sarg auf den Rollwagen. Dann war es so weit. Die Männer bauten sich um Linda auf und hoben sie mitsamt ihrem letzten Bett an.

Sie begriff sofort, was geschehen würde. Die Furcht in ihren Augen war unbeschreiblich. Sie zappelte wie besessen, stieß weiter ihre stummen Schreie aus, doch alles war vergebens. Als ob die Aussicht, lebendig begraben zu werden, nicht schon grausam genug gewesen wäre, geschah nun etwas, das ihr endgültig den Verstand raubte. Sie wurde neben dem offenen Grab abgestellt und plötzlich war die Leiche des alten Mannes über ihr. Noch ehe sie begriff, was auf sie zukam, presste sich das Gewicht des Toten auf sie. Völlig panisch schrie sie ihre Todesangst und ihren Ekel hinaus. Dieses Mal schaffte sie es. Die Naht an ihrem Mund platzte auf und das Blut der offenen Wunden lief ihr die Kehle hinunter. Im Zusammenspiel mit dem Geruch des Toten löste das sogleich einen heftigen Würgereiz aus. Die kalte Stirn des leblosen Körpers presste sich gegen die ihre und sie schrie wie eine Furie.

Die Männer reagierten schnell. Der Deckel schloss sich und drückte damit den Leichnam noch fester auf die junge Frau, deren Hilferufe deutlich leiser wurden. Der Sarg wurde fest versiegelt. François musste nun doch mit anfassen, um die schwere Kiste an den mitgebrachten Gurten in die Tiefe zu lassen. Und als die anderen damit begonnen hatten, das Grabmal wieder zuzuschütten, ejakulierte er auf den Teil, der noch nicht mit Erde bedeckt war. Während der Himmel seine Schleusen öffnete, schrie er, begleitet von einem epischen Orgasmus, »Amen!« in die Nacht.