Der innere Schweinehund
EIN GEFÄHRLICHER MANN NAMENS GILBERT
In diesem Kapitel möchte ich mit Ihnen über den inneren Schweinehund sprechen. Wir alle kennen ihn, er ist ein guter Bekannter, ein täglicher Begleiter unseres Lebens, und er ist so ziemlich an allem schuld. Ob wir nun zu dick, zu besoffen, zu faul, zu feige oder zu ungelenkig sind - an allem ist irgendwie der innere Schweinehund schuldig, jene andere unangenehme, unbequeme Seite in uns.
WIR MÜSSEN UNS IHM STELLEN - GERADE WIR ALTEN SÄCKE -, DENN ER WIRD IM ALTER MÄCHTIGER UND GEFÄHRLICHER.
Wir wollen dem inneren Schweinehund jetzt schon einmal ein bisschen was Bedrohliches nehmen, indem wir ihm einen anderen Namen geben. Das hilft ja manchmal: den Dingen, die uns unangenehm sind, die wir nicht mögen, einen Namen zu geben. Vielleicht einen harmlosen, aber doch ein bisschen sonderbaren Namen, so dass er auch nicht zu anheimelnd und fröhlich wirkt.
ICH HABE BESCHLOSSEN, DEM INNEREN SCHWEINEHUND DEN NAMEN GILBERT ZU GEBEN.
Wir müssen uns mit Gilbert auseinandersetzen. Schon morgens wachen wir mit ihm auf. Gilbert ist derjenige, der sagt: »Oh, ungeil, ist das früh, ich bin so müde, und im Bett ist es so schön warm, draußen ist so ein Scheißwetter. Jetzt lass uns noch mal ein kleines bisschen liegen bleiben.«
Schon zu diesem Zeitpunkt ist es eigentlich nötig, Folgendes zu sagen: »Mensch, Gilbi, bleib du noch ein bisschen liegen, ich stehe auf. Was soll’s, hinterher geht die Hetzerei los, und ich fühle mich wieder scheiße und bin genervt, wenn ich mit dem Auto im Stau stehe und nicht rechtzeitig ins Büro komme oder die Bahn verpasse.«
Gilbert ist es auch, der uns am frühen Morgen leise zuraunt: »Ich weiß, du wolltest laufen, dich bewegen, ein bisschen Sport treiben, das soll auch endlich losgehen. Aber heute nicht, irgendwie ist nicht so richtig der Tag, und man soll ja auch nicht übertreiben und das Ganze zu wild angehen - nächste Woche, Alter.«
Gilbert sagt auch: »Ach, komm, die Bahn kriegst du nicht mehr. Laufen? Nee, das lass mal, das ist nur anstrengend, nehmen wir die nächste.«
Und Gilbert steht auch an der Essensausgabe in der Kantine neben uns, unsichtbar, leicht übergewichtig, unrasiert, mit fettigen Haaren und richtig schöner Wampe und sagt: »Salat essen ist freudlos, aber die Haxe hier mit Rotkohl und Pommes, das ist es heute, das brauchst du, tu dir auch mal was Gutes.«
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GILBERT FLÜSTERT, GILBERT RÄT, GILBERT RAUNT, GILBERT IST VERDAMMT GEFÄHRLICH.
Schon am Nachmittag ist er derjenige, der uns dazu bringt, die Schwarzwälder Kirschtorte zum verdienten Kaffee in der Pause zu nehmen und nicht nur einen Keks oder einfach mal gar nichts. Und Gilbert ist auch derjenige, der, »vergisst«, sich einen Apfel mitzunehmen aus der Kantine für den Nachmittag, wenn der kleine Hunger zwischendurch kommt.
AM ABEND DANN ÜBERNIMMT GILBERT GELEGENTLICH FAST GANZ DIE MACHT ÜBER UNS.
Denn er ist es, der sagt: »Ach, das war so ein stressiger Tag, lass uns heute mal ein Bierchen trinken oder ein Gläschen Wein.«
Tja, aber dabei bleibt es meist nicht. Gilbert bringt uns dazu, noch ein Bier aufzumachen und dann vielleicht noch einen kleinen Kurzen hinterher. Denn - hey - auf einem Bein kann man nicht stehen. Schließlich ist Gilbert zufrieden - und wir leicht bräsig. Man schläft dann einigermaßen sediert ein, um dann nachts um drei aufzuwachen und sich zu sagen, äh, wieso schlafe ich so schlecht und warum jodelt mir die Birne?
Gilbert schweigt dann, seine Aufgabe ist erledigt. Diese Aufgabe ist es, all das, was uns schadet, nicht guttut, aber dennoch angenehm ist und Spaß macht - einen trinken, morgens liegen bleiben, zu viel fressen -, also all das durchzusetzen gegen den kernigen, rationalen, gesunden, der Körperertüchtigung zugeneigten Teil unseres Ichs.
DIESEN TEIL, ICH MÖCHTE IHN DIETMAR NENNEN - BRAUCHEN WIR ALTEN SÄCKE DRINGEND.
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UND WIR MÜSSEN DEN DIETMAR IN UNS STÄRKEN.
Denn der Verfall kommt. Wir können ihn verzögern und verdammt lange fit bleiben und auch lange einigermaßen okay aussehen, wenn wir Gilbert im Griff behalten. Er muss ja nicht ganz verschwinden, er kann bei uns sitzen. Gelegentlich, freitags, sonnabends können wir ein Bier mit ihm nehmen, Currywurst mit Fritten essen, und er kann auch mal in der Woche gewinnen und ein halbes Stück Schwarzwälder kriegen. Aber wir sollten versuchen, ihn im Zaum zu halten, was zugegeben ziemlich schwer ist.
ABER WIE KRIEGEN WIR DAS JETZT HIN?
Ohnehin merken wir im Frühherbst unseres Lebens, dass die großen Kicks irgendwie nicht mehr kommen. Und dann sollen wir uns auch noch das Bier verkneifen? Nun - wie so häufig im Leben gilt es, einen Kompromiss zu finden.
WENN WIR GILBERT IN JEDER WEISE NACHGEBEN, SIND WIR IM ARSCH.
Wenn wir Gilbert aber fesseln, knebeln und im Keller wegsperren, werden wir irgendwann depressiv und lustlos und auch ein bisschen langweilig, denn Gilbert gehört zu uns, und er muss ja auch da sein. Aber er darf nicht der King werden - jener fette, unrasierte, rülpsende Zeitgenosse, der das Sinnliche, Vergnügungssüchtige in uns bedient.
MEIN VORSCHLAG: AKZEPTIEREN SIE ERST MAL GRUNDSÄTZLICH DEN GILBERT IN SICH UND MACHEN SIE EINEN DEAL MIT IHM.
Du kriegst ab und an dein Bier und dein Stück Sachertorte, du kannst auch mal eine Stunde auf dem Sofa liegen, aber dafür wird regelmäßig gejoggt, der Fernseher auch mal ausgelassen und die Treppe statt des Fahrstuhls genommen. Wir müssen Gilbert integrieren. Im Grunde müssen wir so mit ihm umgehen, wie einst mit unseren Kindern, als sie noch klein waren - wir müssen ihm liebevoll, aber dennoch mit Festigkeit und Konsequenz den richtigen Weg weisen. Amen.
Alter Sack, was nun
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