Restlaufzeit?
WIE VIELE UND WAS FÜR JAHRE BLEIBEN MIR NOCH?
013
Jeder, der fünfzig wird, stellt sich irgendwann mal diese Frage. Verständlich, aber gänzlich für den Arsch, um es mal deutlich zu sagen. Denn, wenn man sich zu oft, zu intensiv mit dieser Frage beschäftigt, muss man zwangsläufig schlecht drauf kommen. Mir als Zwangscharakter und neurotisches Nervenbündel ist das selbstverständlich passiert. Ich malte mir aus, dass es ab jetzt nur noch bergab gehen wird, sah mich schlurfend und sabbernd im Altenheim herumtapern und stellte mir vor, ich würde als Alzheimerpatient jeden Tag neue Leute kennenlernen - nämlich meine Familie. Es war grauenhaft. Man muss das lassen. Ganz konsequent verdrängen, so was. Ich versuche das jetzt auch. Geht irgendwie immer besser. Denn mir wurde sozusagen kürzlich der Kopf gewaschen.
»WIE WÄR’S ZUR ABWECHSLUNG MAL MIT EIN WENIG DANKBARKEIT«, SAGTE MIR ZU DIESEM PROBLEMFELD EIN GUTER FREUND, DER NOCH ÄLTER IST ALS ICH.
014
»Denk doch mal dran, was du alles schon erlebt hast. Du hast ‘ne tolle Frau und zwei gesunde Söhne. Du bist - mal abgesehen von deiner grundsätzlichen Vollklatsche - gesund. Hast einen guten Job. Was willst du denn noch vom Leben?«
»Dass es immer so weitergeht«, sagte ich.
»Das wäre total ätzend«, antwortete er. »Stell dir vor, du und deine Lieben, ihr wäret unsterblich. Dann wäre alles irgendwie egal. Alles könnte man auch morgen noch machen. Der Augenblick, der glückliche Moment, wäre nichts mehr wert. Nur weil wir sterblich sind, und das immer bewusst oder unbewusst ›wissen, können wir die Dinge wirklich schätzen. Unsterblichkeit würde uns das alles nehmen.
ALSO MACH DEINEN FRIEDEN DAMIT, DASS DU EINES TAGES VON DIESER ERDE VERSCHWINDEN MUSST. IST EH NICHT GENUG PLATZ DA.«
Ich fand das etwas krass formuliert. Aber im Grunde hatte er ja Recht. Mir ging es gut. Klar, mir schien nicht jeden Tag die Sonne aus dem Arsch. Aber so insgesamt - was die echten »basics« betrifft, die wirklich wichtigen Dinge - war alles in Butter. Ich hoffe, dass es noch lange so weitergehen wird. Aber immer geht eben nicht. Alles ändert sich: meine Familie und meine Freunde, die Welt, und ich selbst ändere mich, und am Ende ist das ja auch okay so. Hauptsache, es ändert sich nicht immer nur zum Schlechten. Aber daran kann man ja (mit-)arbeiten.
Und dann gab mir mein alter Kumpel noch etwas auf den Weg: »Ich bin jetzt 57«, sagte er und goss sich einen Whisky ein. »Und glaub mir, in diesem Alter sieht man vieles so viel lockerer als mit fünfzig. Man hat einiges hinter sich und hoffentlich noch einiges vor sich. Aber die Weisheit ist da. Vor allem, wenn es um Sachen geht, über die man sich früher geärgert hat.
WEISST DU, EINER DER UNTERSCHÄTZTEN VORTEILE DES ALTERS IST, DASS MAN SICH IN KRISENSITUATIONEN SOZUSAGEN INNERLICH ›UMDREHEN UND ZURÜCK-SCHAUEN KANN. MAN KANN SICH FRAGEN: HEY, WIE OFT IN DEINEM LEBEN WARST DU SCHON IN EINER SOLCHEN ODER EINER ÄHNLICHEN SITUATION?
Was hast du damals gedacht und gemacht? Was hast du dir alles ausgemalt, und wie wichtig hast du das damals alles genommen? Und was war dann wirklich vier Wochen später los? War das alles wirklich so wichtig? Gab es Grund zur Aufregung? Musstest du gleich handeln? Sofort mit dem Holzhammer los auf die Baustelle? Oder hätte man das Ganze auch gelassener angehen können? War das alles wirklich ein so großes Problem?« Ich nannte diesen, meinen älteren Kumpel, von diesem
Tag an Dalai Lama. Eigentlich hätte ich ihn Horst Lama nennen müssen, weil er so heißt, aber das hätte den wirklich spirituellen Wert seiner Einlassungen geschmälert. Denn er hatte verdammt Recht. Ich habe dieses »Umdrehen« und Zurückschauen mehrfach in Krisensituationen ausprobiert - und es hat geholfen.
015
WEITERSAGEN!
Alter Sack, was nun
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