Das Theater
EINE HERAUSFORDERUNG FÜR DEN ALTEN
SACK
Ich möchte in diesem Kapitel einmal eine Lanze für
das Theater brechen. Ins Theater zu gehen ist für viele Leute ja
unfassbar out. Über so was liest man Unverständliches in den
Feuilletons. Theater - das klingt für die allermeisten Leute
anstrengend und ist eigentlich nicht relevant. Die gehen dann
lieber ins Kino. Mein Vater sagt immer: »Früher, Junge, da gab es
gutes Theater. Aber heute? Da pinkelt ein Nackter bei ›Hamlet in
SS-Uniform vom Panzerwagen und spricht dann den berühmten Monolog
auf Serbisch. Das ist nicht mehr meine Welt.«
Ich sage hier meinem Vater (und auch Ihnen, falls
Sie seiner Meinung zuneigen): Papa, das ist übertrieben.
ES GIBT IMMER NOCH EINE MENGE ZU ENTDECKEN IM
THEATER.
Okay, die nackten, pinkelnden oder spuckenden
Schauspieler auf der Bühne sind heute sozusagen Standard.
Allerdings werden seit einigen Jahren statt Nackter vermehrt Leute
mit E-Gitarren und Hartz-Vier-Empfänger eingesetzt. Aber zugegeben
- in etwa jeder zweiten Aufführung zieht eine/r blank, rotzt,
pinkelt oder wird unflätig. Aber, hey, wen stört das noch?
IN JEDER RTL-TALKSHOW GEHT ES HEUTE HÄRTER
ZU.
Schluss mit den Klischees. Fangen wir besser mal
ganz von vorne an. Warum sollte man wieder ins Theater gehen? Ich
gehe mal von mir und meiner Frau aus. Wir haben durchaus Freude
daran, uns schön was im Fernsehen anzugucken, den »Tatort« zum
Beispiel. Das unterhält (ab und zu), das berieselt, das ist auch
völlig in Ordnung, dazu gibt es Bier und Schnittchen, und man will
am Wochenende ja auch, dass es nicht allzu anstrengend ist.
Aber wir wollen uns eben nicht nur berieseln
lassen, sondern die Birne am Laufen halten, ohne gleich
Gehirnjogging-Freaks zu werden. Und dabei können Theaterbesuche
helfen.
THEATER HAT EINFACH WAS BESONDERES.
Man hat dieses einzigartige Live-Erlebnis, man
sitzt mit anderen Menschen gemeinsam zusammen, in gespannter
Erwartung, was da jetzt passieren wird. Vorne auf der Bühne findet
etwas statt, man beobachtet das, man muss es nicht mögen, aber man
lässt es auf sich wirken, versucht es zu verstehen. Das ist heute
im Theater gar nicht so einfach. Aber bevor ich jetzt zu den
Problemen komme, erst mal zu den positiven Dingen.
Ich habe gerade neulich in einem Artikel eines
Hirnforschers gelesen, dass es nicht nur darum geht zu lesen,
sondern über das Gelesene
auch zu reden, sich mit anderen auszutauschen, zu überlegen, wie
man das Ganze findet und wie man es interpretiert etc. Das alles
aktiviert mehrere Gehirnregionen. Das Theater bietet uns die
gleiche Möglichkeit. Wenn man denn will.
ERST EINMAL SETZT MAN SICH HIN, ZIEHT SICH DAS
REIN UND MUSS IM GRUNDE VORERST GAR NICHTS MACHEN.
Man kann auch einschlafen, wegdösen - oder denken
»Mann, was für eine Scheiße«. Oder aber, man versucht sich zu
fragen, was soll das Ganze hier? Was will mir der Regisseur sagen?
Was der Autor? Wie ist das umgesetzt - schlecht oder gut? So was
lässt die grauen Zellen arbeiten. Und das vor allem dann - wie wir
gerade gelernt haben -, wenn wir mit anderen darüber reden. Kann ja
entspannt bei einem Glas Wein sein.
DARÜBER HINAUS IST SO EINE VORSTELLUNG IM
GÜNSTIGSTEN FALL AUCH NOCH EIN BEEINDRUCKENDES, SINNLICHES
ERLEBNIS.
Jetzt ist es aber im Theater so, dass man, sagen
wir, rund zehnmal hingehen muss, um vielleicht ein, zwei gute
Stücke zu sehen. Es ist also ratsam, sich vorher mehrere Kritiken
durchzulesen. Aber ich meine, dass auch ein misslungenes Stück und
die Diskussion darüber,
warum man es denn nun so beknackt findet, durchaus lohnend sein
können. Egal, wie wir das Stück am Ende finden: anregend ist ein
Theaterbesuch fast immer. Und wenn er uns nur anregt, uns begründet
aufzuregen.
Man sollte als Theaterneuling oder
Wiedereinsteiger keine Berührungsängste haben, sondern beherzt
einfach wieder bei null anfangen. Sinnvoll ist auf jeden Fall, sich
mit dem jeweiligen Stück vorher vertraut zu machen. Denn in
Theatern der großen Städte wird heute fröhlich an den Stücken
herumgebaut, auf wildeste Weise interpretiert und so manches auf
den Kopf gestellt.
DIE REGISSEURE GEHEN GRUNDSÄTZLICH DAVON AUS,
DASS DER ZUSCHAUER DAS STÜCK KENNT, UND DANN WEISS, WO ETWAS
GEBROCHEN, VERÄNDERT, IRONISIERT, ODER WAS AUCH IMMER,
WIRD.11
Also, machen Sie vorher Ihre Hausaufgaben, und
dann rein ins Theater.
Ach, eines noch - wenn man sich dann doch
langweilt in dem Stück und Angst hat, da jetzt so peinlich
wegzunicken: keine Panik - irgendwer fängt auf der Bühne nach ein
paar Minuten immer an zu brüllen oder zu schießen oder schmeißt
einen vollen Bierkrug quer über die Bühne. Da werden Sie sofort
wieder wach. Hab ich erst gestern Abend gesehen (und gehört - hat
ordentlich gekracht). Das ganze Theater roch nach Bier. Ich hab
dann richtig Durst bekommen.