Rüstige Rentner
DAS JOPI-HEESTERS-SYNDROM
Im letzten Urlaub waren wir wandern auf La Palma.
Eine großartige Insel. Für jeden Wanderfreund ein Volltreffer.
Moment, ehe ich weitermache und zum Kern dieses Kapitels komme,
muss ich ein bisschen was zum Wort »wandern« sagen. Es klingt
ziemlich blöd und spießig, vor allem in Kombinationen wie
»Wanderfreunde«, »Wanderlieder«, »Wanderführer« oder »Wanderniere«.
Aber es gibt leider kein anderes Wort in der deutschen Sprache, das
das sportliche Gehen in der Natur angemessen umschreibt. Oder
wissen Sie eines? Das englische »to hike« wäre eine
Ausweichmöglichkeit. Das klingt aber bemüht cool und irgendwie auch
doof: »Leute, wir waren neulich auf La Palma hiken. War echt
klasse.«
Geht nicht, oder?
Nee, man muss leider »wandern« sagen, und das will
ich jetzt auch weiter tun.
ALSO, ICH FINDE, DAS WANDERN IST EINE GANZ
GROSSARTIGE SACHE FÜR ALTE SÄCKE UND IHRE GATTINNEN.
Man sieht atemberaubende Landschaften, hat
größtenteils seine Ruhe, hält sich fit und kommt bei guten,
ausgiebigen Touren in eine Art Flow, der einen beinahe beseelt ins
Ferienquartier zurück schweben lässt. Klar, oft ist das
anstrengend, aber so soll das ja auch sein. Man kann sich ja
schließlich nicht mit dem Bus zu einem Wasserfall irgendwo in den
Bergen fahren lassen. Und wenn das geht, ist das da so überfüllt,
dass man weinen möchte.
Also, wir sind da auf La Palma gewandert. Nach
etwa einer Woche fühlten meine Frau und ich uns schon ziemlich fit
und machten
immer längere und exotischere Touren. Bei einer durch eine Art
Urwald war ein Höhenunterschied von fünfhundert Metern zu
bewältigen. Es ging mächtig steil einen steinigen Pfad hinauf.
Anfangs ging es noch, aber dann, so nach zehn Minuten, kam ich
nicht mehr so richtig mit. Die Beine waren wie Blei. Ich schwitzte.
Der Atem ging kurz und röchelig. Ich wurde langsamer. Auch meine
Frau war nicht mehr so dynamisch wie am Anfang. Wie zwei Soldaten
auf dem Rückzug nach einer verlustreichen Schlacht schleppten wir
uns zu der angeblich so traumhaften Aussichtsplattform weiter oben
- viel weiter oben. Ein Schritt nach dem anderen. Es wird schon
irgendwie gehen. Wasser. Ich will Wasser.
Dann ertönte hinter uns ein Pfeifen!
Es war ein Lied. Jemand pfiff »Raindrops keep
falling on my head«. Ich sah mich um und sah zwei Gestalten zügig
näher kommen.
Na ja, dachte ich. Wahrscheinlich zwei junge
Bergsteiger. Um die zwanzig. Knackig und fit wie Mungo - und
schleppte mich weiter. Das Pfeifen kam näher.
Komisch, dachte ich. Dass junge Leute so einen
alten Gassenhauer pfeifen …
Dann waren sie direkt hinter uns.
»’tschuldigung«, ertönte eine feste,
befehlsgewohnte Stimme. Man wollte also, dass wir zur Seite traten
und Platz machten.
Das taten wir dann auch.
Und an uns vorbei eilte ein rüstiges Rentnerpaar.
Mindestens siebzig. Mit stahlharten Waden, ruhigem Atem, grauem
Haar und lustigen Lachfalten - all over their faces!
ES WAR SO DEMÜTIGEND.
Wir - fünfzig und vierundvierzig Jahre alt -
standen da, keuchend. Mit zittrigen Beinen und sahen rund zwanzig
Jahre ältere Menschen zügig davonziehen. Schon nach wenigen Minuten
waren sie nur noch eine undeutliche Silhouette in der Ferne.
»Ich brauche einen Zivi«, stöhnte ich und fiel in
mich zusammen.
DAS WAR ZU VIEL. ES HÄTTE NUR NOCH GEFEHLT,
DASS AUCH NOCH JOPI HEESTERS TRÄLLERND AN UNS VORBEI-GROOVT UND
DABEI »ICH WERDE HUNDERT JAHRE ALT« TRÄLLERT.
Tja, und was heißt das jetzt?
Dass wir alle schlaff, alt und voll ungeil
sind?
Nein, eigentlich will ich Ihnen und mir nur Mut
machen. Später nämlich traf ich die Rentner oben auf dem Berg
wieder und verwickelte sie in ein Gespräch. Ich beschloss ehrlich
zu sein und gestand meine Gefühle von Scham und Wut.
»Grämen Sie sich nicht, junger Mann«, sprach der
agile Altvordere und legte mir seine braungebrannte, wenngleich
etwas faltige Hand auf die Schulter.
Und dann erzählte er mir, dass er selber mit
fünfzig ebenso »fertig und untrainiert« gewesen sei wie ich. Ich
überlegte kurz, ob ich ihm ob dieser drastisch formulierten
Unverschämtheit eine in seine Best-Ager-Visage semmeln sollte, aber
dann besann ich mich und beschloss, dem alten Herrn weiter
zuzuhören. Also er erzählte, dass er mit dreiundsechzig Jahren
frühzeitig in Rente gegangen sei und dann angefangen habe, zu
wandern. Immer wieder, immer öfter. Und schließlich seien er und
die Gattin immer fitter geworden.
BERGAUF, BERGAB - IMMER AN DER FRISCHEN LUFT,
SOLIDE ERNÄHRUNG. DA BLÜHE MAN AUF. DAS GÄBE ORDENTLICH »TINTE AUF
DEN FÜLLER«, WAS IMMER DER JOVIALE GREIS DAMIT AUCH
MEINTE.
Ausgedehnte Fahrradtouren würden sie übrigens auch
noch machen. Das hat mich am Ende dann doch sehr getröstet. Also,
dass man es mit der nötigen Disziplin auch in fortgeschrittenem
Alter Jüngeren noch zeigen kann. Ausreichend Zeit, ein paar
finanzielle Rücklagen, gutes Schuhwerk, Kartenmaterial und eine
gleichgesinnte Partnerin - und in fünfzehn Jahren würde ich beim
Wandern auf La Palma auch Typen abhängen, die glauben, sie hätten’s
voll drauf mit dem Hiken.
PLATZ DA, IHR LUSCHEN, OPA SCHLENZ
KOMMT!