»Sei unser Glutsbruder«
GRILLEN MIT THEORETISCHEM UNTERBAU - DIE LÖSUNG FÜR KOCHLEGASTHENIKER
Der reife Mann von heute sollte Essen zubereiten können. Das wird erwartet auf dem gesellschaftlichen Parkett. Kochen ist der nicht enden wollende Megatrend unserer Tage. Sätze wie »Setzt euch schon mal und trinkt einen Prosecco - Frank beizt gerade noch in der Küche«, sind heute selbstverständlich, wenn man Gäste geladen hat. Kochen ist ein Muss! Wenn Sie nun dazu überhaupt keine Lust haben, aber irgendwie auch nicht außen vor sein wollen, dann spezialisieren Sie sich. Brechen Sie die Essenssache auf das Archaische herunter. Werden Sie der Grillmaster. Was, das können Sie schon? Ich soll Ihnen mal nix erzählen über optimales Wurstgaren und Ablöschen mit Bier? Klar, jeder Mann grillt. Das wird nur nicht ausreichend gewürdigt. Hier muss eine neue Wertedebatte her. Sie brauchen einen theoretischen Unterbau.
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WIE SEHR KÖNNTEN SIE PUNKTEN, WENN SIE DAS GRILLEN, IHRE LUKULLISCHE KERNKOMPETENZ, AUCH MIT EINEM INTELLEKTUELLEN THEORIEGEBÄUDE QUASI ÜBERHÖHEN UND RHETORISCH BRILLANT RÜBERBRINGEN KÖNNEN?
Das geht so: Ein lauer Sommerabend. Wenn Sie auf der Terrasse oder dem Balkon stehen und am Grill hantieren, wird garantiert eine der anwesenden Frauen gütig lächelnd zu einer anderen sagen: »Nein, diese Männer. Warum haben sie nur so einen ungeheuren Spaß daran zu grillen?« Halten Sie dann inne. Unterbrechen Sie mit großer Geste Ihre Vorbereitungen, wie das Erhitzen oder Befächeln der Kohle, und sagen Sie mit fester Stimme. »Luise und Gerlinde. Ich will es euch erklären. Ich musste erst fünfzig Jahre alt werden, um es in aller Klarheit zu begreifen: Es geht nicht um Spaß. Die Antwort ist: Wir müssen grillen. Etwas zwingt uns. Wir können nicht anders. Es ist ein Trieb. Sigmund Freud hat die menschliche Seele ja als Haus beschrieben.
DER MÄNNLICHE GRILLTRIEB SITZT IM KELLER, IM ›ES‹, DORT, WO ES DUNKEL, LÜSTERN, HAARIG UND WILD IST.
Gleich neben dem Sexualtrieb und dem Hang zum Heimwerken.
SOBALD ES DRAUSSEN WÄRMER WIRD, ERWACHT SIE, DIE FEURIGE LUST.
Wir werden unruhig, zerbröseln fahrig Holzkohle zwischen den Fingern, schnüffeln an der Flasche mit dem Brandbeschleuniger, sehen blutigen Fleischsaft vor unserem inneren Auge. Und wie die Frösche und Schwanzlurche, die ab März in der Dämmerung tapfer zu ihren Laichplätzen wandern, treten wir heraus auf die Terrassen und Balkone, säubern die Grills und freuen uns darauf, alle möglichen Sorten rohen Fleisches eigenhändig auf einer offenen Feuerstelle zu garen. Das war schon immer so. Der Satz: ›Ich kümmere mich um das Fleisch, Schatz. Mach du den Rest, wird in unseren Breiten auch schon vor 30 000 Jahren in irgendeinem indogermanischen Dialekt vor einer Wohnhöhle gefallen sein.«
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Luise und Gerlinde werden fasziniert sein. Andere Frauen und Männer werden hinzukommen und Ihnen lauschen. Und falls dann ein Schlauberger sagt: Dieser Mann faselt, der Witz sei doch gerade, dass Männer früher gejagt haben, und das Fleisch dann den Frauen zur Zubereitung brachten. Insofern sei das Grillen als Zubereitungsform also im Grunde eine typisch weibliche Aufgabe, die die Männer den Frauen entrissen haben. Wenn das also jemand einwirft, dann entgegnen Sie kühl und überlegen: »Mitnichten! Erst einmal spricht schlichte Empirie dagegen: Frauen verspüren keinerlei Drang zum Grillen. Zwar essen sie gern draußen und lassen für sich grillen. Selbst jedoch treten sie nur äußerst ungern ans offene Feuer, um Muskelgewebe etc. zu garen und Rauch einzuatmen. Außerdem kann der heutige Mann in den modernen Industriegesellschaften selbst kein Wild mehr erlegen, sofern er nicht Jäger oder ein rücksichtsloser Autofahrer ist. Also hat zwangsläufig eine Verschiebung stattgefunden.
DER TRIEB SUCHT SICH ANDERE WEGE. DER GANG ZUM SCHLACHTER ERSETZT DIE JAGD.
Der Mann tritt entschlossen an die Fleischtheke, deutet auf Pute, Rind oder Schwein und grunzt: ›Einpacken! Und: Er kauft zu viel. Immer. Schließlich will er, wie seine Vorfahren, die Sippe als großartiger Versorger beeindrucken.
Es gibt so etwas auch im Tierreich. Einen Vogel, der protzt. Der Raubwürger piekst in der Balz Unmengen von Insekten auf Dornen oder spitze Äste, um seiner potenziellen Partnerin zu zeigen, was er für ein klasse Typ ist. Wer die meiste Beute ›ausstellt, vögelt als Erster. Der menschliche Raubwürger kauft zu viele Würstchen.
UND SCHLUSSENDLICH IST JA AUCH DAS GRILLEN SELBST EINE AUFGABE, DIE DEN GANZEN MANN FORDERT.
Allein das offene Feuer. Und das Knistern der rotglühenden Kohle. Die Hitze! Der weiße Aschebelag, der dem Kenner signalisiert: Es kann losgehen!
JEDER MANN IST AUCH PYROMANE.
Schon als Kind zündelt er, spielt mit Kerzen, verbrennt sich die Finger und erlernt so spielerisch die Grundbegriffe des Grillens, wie etwa ›Beachte den richtigen Abstand zwischen Fleisch und Flamme. Ja, ihr Lieben, es macht einen Riesenspaß, Holzkohle in einen Behälter zu schütten, eine entflammbare Flüssigkeit darüberzugießen, dann das Ganze abzufackeln, um schließlich mit anderen Männern darüber zu fachsimpeln, ob die ›Kohle jetzt schon so weit ist‹.«
DIE ANDEREN MÄNNER WERDEN NICKEN.
Und dann am Schluss ziehen Sie das Ganze dann nochmal poetisch hoch: »So hört: Schon am nächsten Wochenende, wenn am Abend von irgendwoher der Duft frisch entfachter Holzkohle herüberweht, spüren wir ihn wieder, den uralten Ruf unserer Vorfahren. Der tapferen Jäger in den endlosen Savannen und dunklen Wäldern. Sie raunen uns zu: Kommt, Männer, seid wie wir. Ergreift das Fleisch, entfacht das Feuer. Möge die Gattin Mozzarella auf Tomaten anrichten und das Brot brechen. Du aber, Mann, wirst Teil der großen Grillgemeinschaft sein. Du bist einer von uns. Im Bund der Feuermänner. Sei unser Glutsbruder!
SO WAR ES, UND SO WIRD ES IMMERDAR SEIN. DIE KOHLE SEI MIT DIR!«
Applaus, Schulterklopfen, Frau stolz. So wird das Grillen zum Triumph! Und niemand fragt mehr, warum Sie kein dreigängiges Menü können.
Alter Sack, was nun
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