25. KAPITEL

„Also, bequem und warm“, hatte Pavel Faith angewiesen, als sie über ihre Verabredung für Samstag gesprochen hatten. Die Kinder würden über Nacht bei Lydia bleiben, sodass Faith nicht zu einer bestimmten Zeit zurück sein musste.

Sie hatte nachgefragt und die Auskunft erhalten, dass er mit „bequem“ nicht die Art von Garderobe meinte, in der man auf der M Street Pizza essen ging. Solche Kleidung hielt er für förmlich. Mehr hatte sie aus ihm nicht herausbekommen. Ihr Ausflugsziel sollte ein Geheimnis bleiben. Wenigstens musste sie am Samstagnachmittag, als sie sich umzog, nicht ewig darüber nachdenken, was sie anziehen sollte. Sie schlüpfte in ein Paar Jeans, das noch nicht zu sehr kniff, und in ihren grünen Lieblingsrollkragenpullover.

Als sie gerade ihr Haar bürstete, kam Alex ins Schlafzimmer, um sich zu verabschieden. Sie umarmte ihn und erkundigte sich: „Habt ihr alles, was ihr braucht?“

„Mo-om“, stöhnte er. „Ich nehme meine Legosteine mit und Remy bestimmt ihre Barbie-Puppen.“

„Sehr witzig. Ich will doch nur, dass ihr euch nicht langweilt.“

„Heute Abend gehen wir ins Kino, und morgen fahren wir zu einer Pferdeschau in Maryland.“

Sie wusste selbst nicht, warum sie so einen Aufstand machte. Joe war übers Wochenende in Richmond, und ihre Mutter würde sich gut um Alex und Remy kümmern. Selbst Remy schien sich mit dem Besuch abgefunden zu haben. Immerhin hatte sie in Great Falls keinen Hausarrest.

Faith ging im Geiste noch einmal alles durch. „Hast du deine Schlafzimmertür geschlossen, damit Gast Lefty nicht auffrisst?“

Alex verdrehte die Augen fast so gekonnt wie seine Schwester. Faith verkniff sich den Rat, seine Zahnbürste und frische Unterwäsche einzupacken. „Vergiss nicht, dass ich mein Handy dabei habe, falls ihr mich dringend erreichen müsst.“

„Ich warte draußen.“

„Ist Remy schon fertig?“

„Keine Ahnung.“

In letzter Zeit wich Alex immer aus, wenn Faith sich bei ihm nach Remy erkundigte. Er, der normalerweise nichts für sich behalten konnte, schien jetzt mit etlichen Dingen hinter dem Berg zu halten. Aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

„Viel Spaß – und bis morgen.“ Sie drückte ihn noch einmal, und diesmal erwiderte er ihre Umarmung, bevor er im Flur verschwand und die Treppe hinunterlief.

Als sie gerade ihre goldenen Ohrstecker anlegte, bemerkte sie, dass Remy in der Tür stand und sie beobachtete.

„Brauchst du noch was, bevor ihr aufbrecht?“ fragte Faith.

„Zum Beispiel? Saubere Windeln und einen neuen Teddybär?“

„Ich weiß nicht, wann ich heute Abend nach Hause komme. Es könnte spät werden. Deshalb ist es so besser.“

„Klar, ich kann ja nicht die halbe Nacht allein bleiben, während du ein Date hast.“ Das Wort „Date“ sprach sie so verächtlich aus, als wäre es etwas besonders Ekelhaftes.

Faith befestigte den zweiten Stecker an ihrem Ohr. „Ich möchte dir gern wieder vertrauen können.“

Remy wandte sich ab. „Amüsier dich gut. Denk bloß nicht an uns.“

Faith überlegte, wie Remy – ohne Zutun der Menschen, die sie liebten – zu einer wahren Meisterin des Sarkasmus hatte werden können.

Kurz darauf schlug die Haustür zu. Faith hoffte, dass ihre Mutter eintreffen würde, bevor die Kinder sich in die Wolle bekämen. Ihr Wunsch ging in Erfüllung; sie hörte, wie ein Auto auf der Straße anhielt. Dann lief sie zum Fenster und öffnete es. Lydia rief ihr einen Gruß zu. Faith winkte, aber das sahen die drei schon gar nicht mehr, weil sie mit dem Wagen davonbrausten.

Sie schloss das Fenster, drehte sich um und lehnte sich dagegen. Sie war frei. Heute Abend musste sie für niemanden mehr da sein. Pavel kümmerte sich um alles, sie brauchte nur noch zu ihm gehen. Nein, nicht einmal das, denn er wollte sie ja abholen.

Sie musste ihn nur ins Haus lassen.

Faith ertappte sich bei einem Lächeln. Doch es handelte sich nicht um das gehorsame Lächeln, das sie als Kind gelernt hatte, oder um das unnahbare Lächeln ihrer Jugendzeit. Nicht einmal um das Perfekte-Ehefrau-und-Vorbild-Lächeln, das sie während ihrer Jahre mit David so gut beherrscht hatte. Es war irgendwie strahlender und hatte mehr mit ihren wahren Hoffnungen und Ängsten zu tun. Es wirkte durch und durch echt.

Als Pavel eintraf, war sie fertig. Das Erste, was ihr auffiel, als sie ihm aufmachte, war, wie gut seine Beine in engen Jeans zur Geltung kamen. Er trug ein rotes „Scavenger“-Sweatshirt mit marineblauem Kragen und Logo. Aus dem Fehlen von Flecken und Knitterfalten schloss sie, dass es nagelneu war. Wahrscheinlich besaß er Hunderte davon.

„Neues Modell.“ Mit einer Hand zupfte er an seinem Sweatshirt herum, mit der anderen hielt er eine Einkaufstüte hoch. „Hier habe ich noch ein paar davon, für dich und die Kinder.“

Faith war gerührt. Zwar würde Remy ihr Sweatshirt wahrscheinlich als Staub- oder Schuhputzlappen benutzen, aber Alex würde begeistert sein. „Das ist wirklich lieb. Wenn es nicht so furchtbar nach Partnerlook aussähe, würde ich meines am liebsten gleich anziehen.“ Als sie bemerkte, dass sie noch in der Tür standen, nahm sie ihm die Tüte ab und bat ihn herein. „Die Kinder sind schon weg.“

„Besteht die Hoffnung, dass deine Mutter Remy bei sich behält?“

Sie grinste. „Mutter ist alles Mögliche, aber bestimmt keine Masochistin.“

„Steht ihr euch sehr nahe, deine Mutter und du?“

„Na ja, so nahe, wie sie es zulässt.“

„Ich habe sie nur flüchtig kennen gelernt, aber sie ist ganz anders als du, nicht? Du bist herzlich und großzügig. Ich bezweifele, dass man das auch von ihr behaupten kann.“

Dass Pavel sie so wahrnahm, tat Faith gut. „Sie arbeitet an sich. Es ist verrückt: Seit wir hergezogen sind, ist sie schon viel offener geworden. Dabei hätte ich eher das Gegenteil erwartet.“

„Vielleicht sind in diesem Haus nicht nur schlimme Dinge passiert. Immerhin war es das erste gemeinsame Zuhause deiner Eltern.“ Er schien ihre Gedanken lesen zu können. „Was aber nicht heißt, dass es eine schöne Zeit gewesen sein muss ...“

„Vielleicht hast du Recht.“ Sie wechselte das Thema. „Wie auch immer: Wohin geht’s? Was hat es mit der Überraschung auf sich?“

„Du bist furchtbar neugierig, was?“

„Ich habe mich fast mein ganzes Leben in Geduld geübt. Ich glaube, deshalb bin ich jetzt so ungeduldig.“

„Dann schnapp dir einen Mantel, und wir brechen auf.“

„Aber es ist doch draußen gar nicht kalt.“

„Man weiß ja nie.“

Sie hängte sich eine Wolljacke um die Schultern und verließ mit ihm das Haus. Als sie die Tür hinter sich abschloss, fühlte sie, wie die Last des Alltags von ihr abfiel. „Ich bin zu allem bereit.“

„Ich werde dich beizeiten daran erinnern.“ Er lächelte, als er das sagte, warf ihr jedoch einen zweideutigen Blick zu. Sie wusste nicht, was er ihr zu verstehen geben wollte, aber das würde sie schon noch herausfinden.

Auf West-Virginia war sie nicht gefasst. Nicht auf die Interstate 80, die zu dem Cottage führte, das David für sie gekauft hatte. Nicht auf die Abzweigung zu „Granger’s Food and Gas“ und am allerwenigsten darauf, dass Pavel hier Halt machen würde.

Irgendwo auf der langen Fahrt war sie eingeschlafen. Aus dem Radio war Softjazz gedrungen, und sie hatte die Augen geschlossen. Als sie die Lider wieder aufschlug, erkannte sie entsetzt, dass sie sich ganz in der Nähe jenes Ortes befanden, an dem sie ihren Gatten in den Armen eines anderen Mannes ertappt hatte.

Während sie noch nach den richtigen Worten suchte, um Pavel das beizubringen, bog er auf den Parkplatz von „Granger’s“ ab. Als er bemerkte, dass sie nicht mehr schlief, sagte er: „Hey, Dornröschen. Bleib im Auto und schlaf weiter.“

Sie rutschte auf dem Sitz etwas tiefer und hoffte inständig, dass niemand herauskäme und sie erkannte. „Was tun wir hier?“

„Hab nur was vergessen.“ Er stieg aus.

Faith hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst.

Er brauchte ewig. Sie saß im Auto und fragte sich, ob sie ihm die Wahrheit erzählen sollte: dass ihr schon das bloße Hiersein, die Luft von West-Virginia, der vertraute Anblick der Berge höllisch wehtaten. Als ein Auto neben dem von Pavel zum Stehen kam, rutschte sie noch ein bisschen tiefer in den Sitz und drehte den Kopf zur Seite. Die Tür schlug zu, und sie hörte Schritte. Als sie kurz in diese Richtung schaute, sah sie Tubby, der sie durchs Fenster anstarrte.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte, bis sie begriff, dass er von ihr erwartete, das Fenster zu öffnen. Sie drückte auf den Knopf, aber da der Motor nicht lief, tat sich nichts. Sie verfluchte insgeheim das einundzwanzigste Jahrhundert, öffnete die Tür und stieg aus.

„Tubby.“ Sie rang sich ein Lächeln ab und lehnte sich steif gegen das Auto. „Mrs. Bronson.“ Tubby strahlte über beide Ohren. „Was für eine Freude.“

„Danke gleichfalls.“ Im Stillen bat sie um Vergebung für diese Lüge.

„Diese Leute, die Ihr Cottage gekauft haben, kommen alle ein, zwei Wochen her, aber es ist nich dasselbe wie früher. Der redet nich mit mir wie Ihr David. Schert sich nich drum, was ich von allem denk.“ Tubby zog einen Träger seiner Latzhose hoch, um sein Bedauern zu unterstreichen.

Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm antworten sollte, und rettete sich in einen Gemeinplatz. „Wir haben uns immer gerne mit Ihnen unterhalten.“

„Geht’s Ihnen halbwegs?“

„Ja, danke. Ich wohne jetzt in Washington D. C. In einem alten Haus in Georgetown.“

„Und der Mister?“

„Mit David ist auch alles in Ordnung.“ Sie war sich unschlüssig, wie viel sie ihm verraten sollte. Sie befand sich im Herzen des konservativen Amerika. Von ihrer Scheidung und deren Ursache hatte er bestimmt gehört. Auch wenn sie Tubby sehr mochte, so vermutete sie doch, dass er Homosexualität für eine ziemlich schlimme Sache hielt.

„Hat er wieder Arbeit?“

Ihr Rücken wurde steif; sie befürchtete, dass Tubby sie gleich beschimpfen würde. „Es ist nicht leicht für ihn, das Richtige zu finden.“

„Also, das macht mich aber traurig. Er ist ein guter Mann – und ein cleverer.“ Er seufzte. „Oh, ich habe gehört, was passiert ist, und ich kann mir vorstellen, was für ein furchtbarer Schock das für Sie gewesen sein muss. Wissen Sie, zuerst bin ich auch sauer gewesen. Warum hat er diese Sache geheim gehalten und so getan, als wäre er ein anderer? Aber dann habe ich lange nachgedacht. Wir leben nich in einer Welt, wo ein Mann so einfach sagen kann, was er is, nich? Haben wir ihm denn eine Chance gegeben?“

Faith staunte. „Sieht so aus, als hätten Sie sich wirklich viele Gedanken gemacht.“

„War nötig.“

Sie guckte hoch und bemerkte Pavel, der auf sie zukam. Anscheinend konnte sie Tubby einen weiteren Schock nicht ersparen. „Tubby, darf ich Ihnen einen Freund vorstellen: Pavel Quinn.“

Tubby drehte sich um. „Hey, Pavel. Schön, dass Sie mal wieder vorbeischauen. Vertreib mir hier nur die Zeit mit Mrs. Bronson. Wir sind alte Kumpel.“

Pavel wirkte überrascht. „Tatsächlich?“

„Haben Sie ihr schon Ihr Haus gezeigt?“

„Wir sind gerade auf dem Weg dorthin.“

„Tja, dann will ich Sie nich aufhalten.“ Tubby wandte sich wieder Faith zu und zwinkerte. „Sie passen auf ihn auf, ja? Er hätte nämlich seinen Palast neulich fast in Schutt und Asche verwandelt, weil der Wind gedreht hatte.“

„Ich habe Abfall verbrannt“, erläuterte Pavel. „Ein bisschen zu dicht am Haus.“

„Gut, dass nix passiert is“, meinte Tubby. „Das schönste Haus in der Gegend.“ Er machte einen Schritt rückwärts. „Schauen Sie mal wieder vorbei, Mrs. Bronson. Ich werd dafür sorgen, dass immer ein paar von den grünen Äpfeln da sind, die Sie so mögen. Nur für den Fall.“

Faith winkte, als sie losfuhren. Sie hatte sich noch nicht wieder nach vorne gedreht, als Pavel fragte: „Woher kennst du Tubby?“

Dein Haus, Pavel? Du hast hier ein Haus?“

„Ja, und dort fahren wir jetzt hin.“ Er legte ihr die Hand aufs Knie – nur ganz kurz, aber es war klar, dass er sie beruhigen wollte. „Okay. Und jetzt du.“

„David und ich hatten ein Cottage, nur ein Stück die Straße runter. Und genau da habe ich ihn in den Armen von Abraham Stein ertappt.“

„Du liebe Güte.“ Es hatte den Anschein, als wolle er auf der Stelle kehrtmachen.

Sie berührte seinen Unterarm. „Wage es nicht, umzukehren.“

„Die Gegend kommt dir verdammt bekannt vor, was?“

„Ja, aber es ist okay.“ Sie zögerte. „Na ja, noch nicht ganz, aber ich arbeite daran.“

„Du hast also nicht das Gefühl, dass dich ein Albtraum einholt?“

Nein. Der erste Schock war verflogen, und jetzt fühlte sie sich erleichtert. „Tubby hat mich wie einen alten Freund begrüßt und mir keine Vorhaltungen gemacht. Er scheint nicht einmal David etwas vorzuwerfen. Zwar hat David seine Position und Macht eingebüßt, aber Tubby nimmt uns als das wahr, was wir sind: als Menschen, Menschen mit Schwächen. Wir waren wohl bei weitem nicht so außergewöhnlich, wie ich geglaubt habe. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das erleichtert.“

„Wir können immer noch nach Hause fahren.“

„Ja, in dein Zuhause in den Bergen.“ Sie hielt inne. „Das hoffentlich nicht in der Seward Road liegt?“

„Ich residiere zwei Hügel weiter.“

„Gut. Das wäre mir jetzt wirklich zu viel gewesen.“ Sie lachte und fühlte sich befreit.

Er hatte es geahnt: Das Haus gefiel ihr. Pavel war ungemein stolz auf sich. Offiziell gehörten das Grundstück und alles darauf „Scavenger“, und manchmal zogen sich der Vorstand oder einige Mitarbeiter hierher zurück. Aber Pavel war derjenige, der jederzeit über das Haus verfügen konnte.

Das Haus war aus grauem Zedernholz gebaut und hatte große Fenster, durch die man auf die Berge und einen riesigen Teich blickte, der zum Grundstück gehörte. Außer Sichtweite, aber noch auf dem Gelände, stand ein weiteres Cottage, eine Miniaturausgabe des Haupthauses, in der das Verwalterehepaar wohnte. Er kümmerte sich um alles, was anfiel, und sie war eine erstklassige Köchin. Pavel hatte Lolly gebeten, ein Abendessen vorzubereiten, und als er mit Faith durch die Tür trat, hießen Wohlgerüche sie willkommen.

Obwohl das Esszimmer eine unvergessliche Aussicht zu bieten hatte, aßen sie – im Schneidersitz auf dem Boden hockend, mit den Tellern auf dem Schoß – vor einem großen Kamin. Lolly trug Schweinebraten sowie Nudeln mit Gemüse und Zitronenbuttersauce auf, und zum Nachtisch gab es einen so leckeren Obstsalat, dass Faith drohte, sich an die Veranda zu ketten, bis Lolly ihr das Rezept verriet.

Pavel hatte zum Braten einen ungarischen Rotwein ausgewählt, und nach dem Essen bemerkte er zu seiner Freude, dass Faith sich ein zweites Glas einschenkte.

„Wie heißt der noch mal?“ fragte Faith und hielt das Glas vor das Kaminfeuer.

„Bikavér. Stierblut.“

„Daran könnte ich mich gewöhnen. Ich sollte kleinere Schlückchen nehmen, damit ich länger etwas davon habe.“ „Keine Angst, die Quelle versiegt nicht so schnell.“

„Nach dem angenehmen Summen in meinem Schädel zu urteilen werde ich kein weiteres Glas mehr benötigen.“

„Das ist ein besonders guter Jahrgang. Während des Kommunismus ist der Weinbau in Ungarn ziemlich vor die Hunde gegangen. Jetzt kommt er langsam wieder in Gang.“

„Du kennst dich ja ziemlich gut mit Weinen aus. Ich habe davon keine Ahnung.“

Er lehnte den Rücken gegen eine Ottomane und streckte die Beine aus, um sie am Feuer zu wärmen. „Ich weiß einiges über Weine, aber sehr wenig über Ungarn.“

„Du warst nie da?“

„Bei meinen beruflichen Kurzreisen nach Europa hat es mich nie so weit nach Osten verschlagen. Eines Tages hole ich das nach. Ich habe mir eigentlich schon seit Jahren vorgenommen, mehr zu verreisen, aber ,Scavenger‘ ist mir stets in die Quere gekommen.“

„Und du hast ernsthaft vor, dich von ,Scavenger‘ zu verabschieden? Um ferne Länder zu besuchen?“

„Überrascht dich das?“

„In der Welt, aus der ich komme, geben die Leute nicht freiwillig wichtige Positionen auf. Sie versuchen ständig beruflich aufzusteigen – bis ihnen ein Skandal das Genick bricht.“

„Wollte dein Vater Präsident werden?“

Sie schwenkte den Rest ihres Weins im Glas. „Als er jünger war. Vor seinem Herzinfarkt. Aber er hat vor langer Zeit einen schweren Fehler begangen: Er ist Demokrat geblieben, als die meisten Konservativen die Partei verließen, und hat sich so um die Chance gebracht, Karriere zu machen. Ich habe nie ganz verstanden, wieso er nicht ebenfalls aus der Partei ausgetreten ist. Vermutlich aus einer Art verknöchertem Idealismus. Wenn Joe Huston für die Konföderierten gekämpft hätte, hätte er sich niemals ergeben.“

„Vielleicht ist er nicht so politisch, wie du glaubst.“

Sie schaute ihn an. „Ach, täusch dich da mal nicht. Er ist furchtbar politisch, aber auch furchtbar stur. Er steht sich selbst im Weg – Gott sei Dank, zum Glück für unser Land! Joe Huston sollte wirklich kein verantwortungsvolles Amt innehaben.“

Er fragte sich, ob der Wein ihr derart die Zunge gelöst hatte. „Du magst ihn nicht besonders, was?“

„Das hat nichts mit mir zu tun. Ich glaube einfach, dass Politiker seines Schlags im Weißen Haus nichts zu suchen haben. Er ist zwar bei den Demokraten, aber von Demokratie hält er eigentlich nichts. Er ist ein unverbesserlicher Hinterzimmer-Pitbull. Er mag sich wie ein Populist geben, aber in Wirklichkeit kann er die einfachen Leute nicht leiden. Er meint, er wisse besser als sie, was für sie gut ist.“

„Was für eine flammende Anklage!“

„Das ist das Stierblut in meinen Adern.“

„Ich verstehe das nicht ganz. Du warst mit einem Mann verheiratet, der noch konservativer war als dein Vater, und schwingst solche Reden?“

Sie legte den Kopf schräg. „Davids Konservativismus ist sowohl aufrichtig und leidenschaftlich als auch intellektuell. Er mag und respektiert die Leute wirklich. Und er findet, dass die Regierung nicht mehr als unbedingt nötig in ihr Leben eingreifen sollte.“

„Und was ist mit dir?“

„Ich bin so durcheinander, dass ich nicht einmal weiß, wen ich nächsten Monat wählen soll. Dieses Jahr bin ich vollauf damit beschäftigt, alle Dinge zu vergessen, an die ich einmal geglaubt habe. Und dann werde ich selber denken.“ Sie lächelte, obwohl ihr gerade eher melancholisch als fröhlich zu Mute war. „Und du?“

„Ich habe schon entschieden, wem ich meine Stimme gebe. Ich bin so liberal, dass Joe McCarthy mich ganz oben auf seine Abschussliste gesetzt hätte.“

„Mein Vater hält es für eine Ehre, Joe zu heißen.“ Sie prostete ihm zu. „Hut ab, Pavel. Wir schweifen dauernd von deinem Leben ab und reden über meins. Bist du einfach ein besonders guter Zuhörer, oder sprichst du so ungern über dich? Ich weiß kaum etwas über dich.“

„Aber ein bisschen habe ich dir schon erzählt. Erinnerst du dich?“

Sie überlegte. „Ein Test, hm? Du bist in der Nähe von Washington geboren worden, aber in Kalifornien aufgewachsen. Und du hast irgendwo im mittleren Westen studiert.“

„Chicago.“

„Dann bist du zu Besuch in die Hauptstadt gekommen und geblieben, um ,Scavenger‘ aus der Taufe zu heben. Du warst nie verheiratet, weil du keine Langzeitbeziehungen eingehen willst.“

„Augenblick! Jetzt äußerst du nur Vermutungen.“

„Aber ich liege richtig, oder?“

Das konnte er nicht leugnen.

„Dann ist da noch dieses Haus“, fuhr sie fort. „Das könnte man mit Fug und Recht eine Langzeitbeziehung nennen.“

„Ich fange schnell an, mich zu langweilen. Ich brauche ein Haus, das mich dauernd auf Trab hält.“

„Aber keine Frau?“

„Kennst du irgendeine Frau, die das kann?“

Er bereute seine Worte, kaum dass er sie ausgesprochen hatte, aber Faith lachte bloß. „Brauchst du eine Frau, die mit dir Achterbahn fährt? Dir mal die Hölle heiß macht und mal den Himmel zu Füßen legt?“

„Bei einer solchen Frau bin ich aufgewachsen. Sie hat mich tatsächlich auf Zack gehalten, aber das war gar nicht lustig.“

„Tut mir Leid. Das klingt nicht gut.“

Es tat ihr wirklich Leid. In ihrer Stimme und ihrem Blick lag Mitgefühl. Während sie ihn so anguckte, dachte Pavel, dass sie genau der Typ Frau war, dem er immer aus dem Weg gegangen war.

„Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch klein war, und ich habe meinen Vater nie wiedergesehen. Meine Mutter hat zur Flasche gegriffen und so viele Depressionsschübe gehabt, dass ich irgendwann aufhörte, sie zu zählen.“

„Du hast gesagt, sie ist gestorben, bevor du Kalifornien verlassen hast?“

„Sie hatte sich längst aufgegeben. Ihr Leben war verpfuscht.“

„Verpfuscht? Sie hatte einen Sohn.“

„Ab und zu fiel ihr das wieder ein, und dann war das Leben ein Weilchen wunderbar. Bis sie wieder dem Alkohol verfiel.“

„Keine leichte Jugend.“

So war es wohl, auch wenn er sich schon vor Jahren jedes Selbstmitleid abgewöhnt hatte. „Diese Zeit hat mir auch Gutes gebracht. Ich habe so viel Zeit wie möglich in der Schule verbracht, um nicht nach Hause zu müssen. Aus demselben Grund habe ich gelernt, leicht Freundschaften zu schließen. Beides hat mir geholfen, ,Scavenger‘ zum Erfolg zu führen.“

„Das glaube ich.“ Sie nahm den letzten Schluck Wein und setzte das Glas ab. Dann sprach sie weiter. „Hast du irgendwelche Erinnerungen an deinen Vater?“

„Nur dass er nicht da war, um sich um mich zu kümmern.“

„Manchmal kommt es mir so vor, als wäre die Welt ein großer Club für Menschen mit unglücklicher Kindheit.“

Sie guckte ihn so traurig an, dass er lachen musste. „Faith, mach dir keine Sorgen. Jetzt bin ich nicht mehr unglücklich.“

„Ich frage mich gerade, was ich meinen Kindern antun werde. Oder schon angetan habe. Oder vielleicht wird ihnen das Wissen, dass ihr Vater schwul ist, immer im Wege stehen.“

„Nein, denn du spielst in ihrem Leben eine wichtige, positive Rolle, und nach allem, was du erzählt hast, gilt für ihn dasselbe.“

„Du wärst ein guter Vater.“

„Meinst du?“ Das erstaunte ihn. Noch mehr überraschte ihn, dass er sich noch nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht hatte. Weil sein eigener Erzeuger stets abwesend gewesen war, hatte er eine Vaterschaft nie ernsthaft in Erwägung gezogen.

„Du kommst fantastisch mit Alex zurecht“, sagte sie. „Sogar mit Remy gehst du richtig um, und das ist der Härtetest.“

„Dir hat es gefallen, dass ich ihr angedroht habe, sie übers Knie zu legen?“

Sie ließ ihr aufregendes Marlene-Dietrich-Lachen hören. „Mir hat gefallen, dass du die Drohung nicht wahr gemacht hast.“

Pavel stellte sein Glas ab und widerstand der Versuchung, es noch einmal zu füllen. Denn das nächste Glas Wein würde seine Libido so sehr anregen und seine Hemmschwelle so weit herabsetzen, dass er sich vorstellen konnte, was er als Nächstes versuchen würde.

Er stand auf und streckte sich; dann hielt er ihr die Hand hin. „Lass uns einen Spaziergang machen.“

„Die Sonne geht schon unter, oder?“

„Wenn wir uns beeilen, kriegen wir den Sonnenuntergang noch mit.“

„Das wäre schön. Und auf dem Rückweg würde ich gerne ein paar Sterne sehen.“

„Vielleicht lässt sich das einrichten. Du wirst deinen Mantel brauchen.“

Sie ergriff seine Hand und ließ sich hochziehen. Als sie schließlich stand, schwankte sie ein wenig. Er legte den Arm um sie. „Hoppla.“

„Keine Sorge, das liegt nicht am Wein. Mein eines Bein ist eingeschlafen.“ Sie schaute ihn an. Helle Wimpern umrahmten ihre himmelblauen Augen. „Das Essen war großartig, Pavel. Danke.“

Er überlegte, ob es sich bei dem Spaziergang tatsächlich um eine gute Idee handelte. Faith war jahrelang verheiratet gewesen. Er vermutete, dass sie sich die Abwehrstrategien allein stehender Frauen erst wieder aneignen musste. Wahrscheinlich hatte sie keine Ahnung, was ihr offener Blick und das Gewicht ihres Körpers in seinen Armen bei ihm auslösten.

Andererseits konnte es sein, dass sie sich dessen sehr wohl bewusst war.

„Wie schön, dass es dir gefallen hat.“ Er ließ sie los und guckte sie prüfend an, weil er sichergehen wollte, dass ihre Füße sie wieder trugen. „Und auch die frische Luft wird dir gut tun.“

„Dann los.“

Sein Blick fiel wieder auf die großen, weichen Kissen, mit denen sie es sich auf dem Perserteppich vor dem Kamin gemütlich gemacht hatten, in dem immer noch Flammen loderten. Die Stereoanlage hauchte eine sinfonische Dichtung von Liszt, die den Raum mit Sinnlichkeit erfüllte.

Er riss sich zusammen und ging zum Garderobenschrank im Flur. „Ich hole meinen Mantel.“

„Meiner hängt in der Nähe der Haustür. Ich treffe dich draußen.“

Er wühlte eine volle Minute im Schrank herum und hoffte inständig, dass diese Frau – wie alle anderen – in seinem Leben keine zu wichtige Rolle spielen würde.

Faith war bester Laune und versuchte zu ergründen, ob sie dieses Hochgefühl dem Wein, dem Essen, der klaren Bergluft oder einfach Pavels Gegenwart zu verdanken hatte. Das herauszufinden erschien ihr wichtig – dass sie es nicht auf Anhieb sagen konnte, ebenfalls. Irgendwo am Rande ihres Bewusstseins keimte die Gewissheit auf, dass die Antwort – wie auch immer sie lautete – der Schlüssel zu einem Teil ihrer Zukunft war.

„Es ist so schön, wie ich es mir vorgestellt habe“, meinte sie nach langem Schweigen.

Sie waren am Ufer des Teiches entlangspaziert, zu einem schlichten Pavillon, von dem aus man das ganze Tal überblicken konnte. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon Seite an Seite auf dieser alten hölzernen Hollywoodschaukel saßen, die Füße auf einem Teppich aus Koniferennadeln. Lange genug, um das Purpurrot des Sonnenuntergangs verblassen zu sehen. Lange genug, um zu erleben, wie der Herbstmond am Horizont aufstieg und die ersten Sterne am Himmel schimmerten.

Pavel hatte einen dicken Wollpullover angezogen, und jetzt schlug er den Kragen hoch. „Wenn die Blätter sich verfärben und die Luft so frisch wird, versuche ich, möglichst jedes Wochenende herzukommen.“

„Ich hätte dich nie für einen solchen Naturburschen gehalten. Allein dieses Anwesen wäre schon Grund genug, ,Scavenger‘ nicht aufzugeben.“

„Wenn ich die Firma verlasse, kann ich das Ganze hier einfach kaufen. Steht in meinem Vertrag.“

Sie konnte sich vorstellen, dass er – wenn er aus der Firma wirklich ausscheiden würde – genügend Geld hätte, um ganz West-Virginia zu kaufen. „Du benimmst dich nicht wie ein reicher Mann, Pavel. Ich hätte nie vermutet, dass du so viel Geld besitzt.“

„Du bist ja auch wirklich nicht von selbst darauf gekommen.“

„Die Rolex mit den Mörtelspritzern hätte mich eigentlich stutzig machen müssen. Nicht, dass es eine große Rolle spielen würde. Nur ziehen sich reiche Leute manchmal in ihre eigenen, abgehobenen Welten zurück, und du wirkst so ganz und gar nicht abgehoben.“

„Weil ich einen zerbeulten Subaru fahre und mein Haus selbst renoviere?“

„Weil du mit Hühnchen-Curry und thailändischem Essen in braunen Papiertüten vorbeikommst und unter meine Spüle kriechst, um undichte Stellen zu finden.“

„Hast du eine Ahnung, wie viele Internetfirmen jedes Jahr Pleite gehen? ,Scavenger‘ war eine gute Idee, aber davon gibt es Tausende. Ich hatte Glück. Ich wüsste nicht, warum mich das in einen anderen Menschen verwandeln sollte.“

Sie piekste ihn in den Arm. „Ein Ausbund an Bescheidenheit.“

„Hey, ich bin schon ziemlich bescheiden zur Welt gekommen. Im ,D. C. General‘ nämlich, und meine Eltern konnten die Krankenhausrechnung nicht bezahlen. Ich bin mit Kartoffeln und Kohl großgefüttert worden, wegen Moms irischer Wurzeln. In dieser Hinsicht habe ich mich allerdings verändert: Ich esse keinen Kohl mehr. Ich ertrage nicht einmal den Geruch, wenn jemand Kohl kocht.“ Er lächelte. „Nur für den Fall, dass du mich wirklich mal zum Essen einlädst.“

„Der Köchin hier kann ich nicht das Wasser reichen.“

„Deine Gesellschaft ist mir aber allemal lieber.“

Seit sie aus dem Haus getreten waren, hatten sie einander nicht berührt. Sie war Pavel dankbar, dass er sich ihr nicht aufdrängte und auf ihre Unentschlossenheit Rücksicht nahm – oder vielleicht auf seine eigene. Gleichzeitig sehnte sie sich danach, wieder seine Haut zu spüren.

Sie nahm all ihren Mut zusammen und legte ihre Hand auf seine. „Ich genieße deine Gesellschaft auch sehr. Und ich verspreche dir, dich bald einmal zu bekochen. Ich bin sogar bereit, meine Lieblingskohlsuppe von der Speisekarte zu streichen.“

„Mein ewiger Dank ist dir gewiss.“ Er drehte seine Hand um und hielt die ihre fest. „Sollen wir uns auf den Rückweg machen? Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns.“

Obwohl ihr klar gewesen war, dass ihr Ausflug einmal zu Ende gehen musste, spürte sie eine Enttäuschung, die ihr nur zu vertraut war. Sie hatte in ihrer Ehe so viele Situationen erlebt, in denen sie gehofft hatte, ihrer Liebesbeziehung zu David zu neuem Schwung zu verhelfen, und in denen er sie freundlich, aber bestimmt abgewiesen hatte. Jetzt verhielt sich die Sache natürlich ganz anders. Bei Pavel handelte es sich nicht um ihren Mann, auch nicht um ihren Geliebten. Ihre Beziehung war noch jung und ungeklärt und würde womöglich nie etwas anderes werden als eine gute Freundschaft.

Trotzdem war sie traurig, dass der Abend sich dem Ende zuneigte.

„Du hast Recht.“ Sie stand auf und hielt dabei weiter seine Hand. „Nehmen wir denselben Weg zurück?“

„Anders herum ist es kürzer.“

Sie vermutete, kürzer hieß besser. „Sie werden sich schon selbst aufraffen müssen, Mister. Ich kann Sie nicht hochziehen.“

Ihre Blicke trafen sich, und er seufzte. Statt aufzustehen, zog er sie mit einer geschickten Bewegung zu sich herunter. Einen Atemzug später saß sie schon auf seinem Schoß, und im nächsten Augenblick küsste er sie.

Er hielt ihr Gesicht zwischen den Händen, seine Lippen waren zugleich weich und fest. Verschreckt holte sie Luft; dann schäumte das Verlangen, das sich den ganzen Abend über aufgestaut hatte, plötzlich über, und eine nie gekannte Leidenschaft erfüllte sie.

„Faith ...“

Sie erwiderte seinen Kuss. Das Denken setzte schlagartig aus. Wie eine Verhungernde sich auf einen Laib Brot stürzen mochte, so stürzte sie sich auf ihn: ohne jeden Anstand, ohne Rücksicht auf andere, ohne zu überlegen, was danach kommen würde. Sie küsste ihn, als würde er sich in Luft auflösen, sobald sie aufhörte. Sie atmete seinen männlichen Duft ein, nahm die Wärme auf, die durch mehrere Stofflagen drang, und lauschte begierig dem Stöhnen, das seiner Kehle entwich.

Er schob sie fort. „Wir sollten das nicht hier ...“

Aber sie hatte keine Lust, zum Haus zurückzukehren. „Dein Fehler.“ Wieder küsste sie ihn, und er legte seine Arme um sie und hielt sie fest umschlungen.

Selbst wenn sie jetzt zum Haus hätte gehen wollen, es wäre ihr nicht möglich gewesen: Sie hatte völlig die Orientierung verloren. Im Moment hätte sie nicht einmal den Ausgang einer Telefonzelle gefunden. Und Pavel war keine Hilfe. Auch er schien außer Stande, etwas anderes zu tun, als ihren Mund mit seiner Zunge und ihren Rücken mit seinen Fingern zu erkunden. Er öffnete ihren BH, und als sie seine Hände auf ihren Brüsten spürte, verabschiedete sich ihre Zurechnungsfähigkeit endgültig.

Wo er ihre Haut entblößt hatte, merkte sie, wie eisig die Luft war. Doch das störte sie nicht. Als sie sich auf den Boden warfen, nahm der Teppich aus Koniferennadeln sie weich und trocken in Empfang. Sie machten sich an ihrer Kleidung zu schaffen, sie wühlten sich durch die Schichten, sie schoben und zerrten aneinander herum.

Ein Mann, der ihr die Kleidung vom Leibe riss wie lästiges Geschenkpapier, war ihr noch nie begegnet. Pavel hatte große, kräftige Hände, die er aber verblüffend präzise zu gebrauchen wusste. Sie knöpften ihre Jeans auf, ihre Lederturnschuhe flogen durch die Gegend. Sie spürte, wie der grobe Jeansstoff über ihre Haut glitt, und die kühle Luft an den Beinen. Der grüne Pullover landete am Fuß einer mächtigen Fichte.

Sie roch Harz und Kaminrauch und den unvergleichlichen, erdigen Duft von Pavels Haut. Mit vereinten Kräften rückten sie seinem Pullover und dem „Scavenger“-Sweatshirt zu Leibe. Im schwachen Licht des Mondes erkannte sie, dass seine breite, feste Brust behaart war. Unter ihren Händen erbebten seine Muskeln, und sie entdeckte, dass seine Haut glühte, als säßen sie noch immer vor dem lodernden Kamin.

Als er ganz entblößt war und sich über sie beugte, hatte sie einen klaren Moment. Einen Augenblick, in dem sie sich wunderte, was sie hier eigentlich tat und wie schnell und unbedacht sie sich in diese Lage manövriert hatte. Sie hatten kein Wort gesprochen: kein Wort der Liebe oder auch nur der Leidenschaft. Sie war nicht der Meinung, dass das hier viel mit Liebe zu tun hatte. Sie begehrte ihn. Sie wollte sich als Frau fühlen.

Sie brauchte ihn, um wieder ganz Frau zu werden.

Er wühlte in einer Tasche seiner Jeans herum, und die eben noch so geschickten, graziös sich bewegenden Hände schienen nun ihren Dienst zu versagen. Er murmelte etwas Unverständliches und wirkte frustriert. Noch immer fluchend, zog er schließlich ein Plastiktütchen hervor, das ihr bekannt vorkam.

Jetzt verstand sie, warum er bei „Granger’s Store“ gehalten hatte.

Obwohl das wieder aufwallende Verlangen ihr bereits alle Hemmungen und jeden Verstand zu rauben drohte, musste sie lachen. „Oh Pavel, das hast du bei ,Granger’s‘ geholt?“

„Ertappt.“ Er beugte sich wieder über sie, zögerte dann aber. „Möchtest du es wirklich? Bist du dir sicher, Faith?“

„Sicher bin ich mir gar nicht – aber mach weiter!“

Die wenigen Sekunden, in denen er das Kondom überstreifte, erschienen ihr unendlich lang. Dann war er wieder über ihr und zog sie an sich.

„Ich bin mir absolut sicher, dass ich dich will“, meinte er.

Sie streckte die Arme aus und genoss seinen schweren Körper und die festen Stöße seiner Lenden. Sie ergab sich ihrer ungestümen Lust, die sich schon kurz darauf in tiefe Entspannung verwandelte.