21. KAPITEL

Die Küche war im Großen und Ganzen endlich fertig. Während Alex die neue Arbeitsfläche mit seinen Fingernägeln strapazierte, schaute sich Faith vollkommen verzückt und begeistert im Raum um.

„Alex, das bedeutet, dass wir kochen können.“ Auf dem Weg zur Spüle küsste Faith Alex’ Lockenkopf. Sie musste einfach den Hahn noch einmal aufdrehen. Es schien Jahre her zu sein, seit sie das letzte Mal fließendes Wasser in der Küche gehabt hatte. Sie war in der Zwischenzeit so daran gewöhnt, ihre paar Teller im winzigen Waschbecken der Gästetoilette zu spülen, dass ihr das neue Becken noch etwas groß vorkam.

„Heute Abend?“

„Nichts Aufwändiges. Die Schränke sind ja noch nicht eingeräumt.“ Sie sah, wie seine Mundwinkel nach unten sackten. „Omeletts? Mit Schinkenspeck und englischen Muffins?“

„Wie willst du die denn zubereiten? Uns fehlen doch die Zutaten.“

„Dafür gibt es ja Lebensmittelgeschäfte.“ Sie ließ noch einmal das Wasser laufen.

„Es ist schon ziemlich spät.“ Dieser Tage schien Alex immer kurz vorm Verhungern zu stehen; es war erst fünf Uhr nachmittags.

„Pass auf, ich fahre schnell zu ,Safeway‘, und du findest heraus, in welcher dieser Kisten unsere Bratpfannen stecken. Es wäre schön, wenn du den Toaster finden würdest und ihn ...“ Sie blickte sich um und zeigte auf eine Steckdose in der Arbeitsfläche rechts vom Kühlschrank. „... dort anschließen könntest. Ich bin gleich wieder da. Such ein paar Teller. Remy kann dir helfen.“ Sie griff nach ihrer Handtasche und einer leichten Jacke und ging zum Auto.

Vor dem Laden schlängelte sie sich zwischen Autos und Einkaufswagen hindurch und nahm voller Schwung im Vorübergehen ein Wägelchen mit. Die neue Küche wollte schließlich gefüllt und ausprobiert werden.

„Faith?“

Sie konzentrierte sich vollkommen darauf, niemanden anzurempeln, sodass sie den Mann, dem sie gerade ausweichen wollte, gar nicht richtig beachtet hatte. Jetzt blieb sie neben ihm stehen. „Pete?“

„Was tust du denn hier?“ fragte er.

Pete Conley war Abgeordneter des Tidewater-Gebietes in Virginia. Er hatte alles, was ein Politiker brauchte: Intelligenz, Charisma und ein Profil, das an den jungen Ronald Reagan erinnerte. Vor ein paar Jahren war seine Frau nach zwanzig Ehejahren bei einem Unfall auf dem Potomac ums Leben gekommen, und nachdem das Trauerjahr verstrichen war, galt Pete als die beste Partie von Washington.

„Ich wohne jetzt in Georgetown“, erklärte sie ihm. Sie glaubte sich vage daran zu erinnern, dass auch er hier lebte.

„Faith, es tut mir so Leid, dass ...“ Er hielt es für klüger, seine Mitgefühlsbekundung mit einem stummen Schulterzucken zu beenden.

„Mir auch. Wie geht es dir?“ Sie zwang sich, nicht auf die Uhr zu gucken oder an ihren armen, ausgehungerten Sohn zu denken.

„Das Leben geht weiter. Du weißt, wie das ist.“

Wenn man dem Klatsch und Tratsch Glauben schenken durfte, war sein Leben sogar ziemlich gut weitergegangen. Sie hatte Pete immer geschätzt. Er war geistreich und mitfühlend, wenn auch für ihren Geschmack eine Spur zu ehrgeizig. Sie war sich sicher, dass andere Frauen – die meisten sogar – ihn ebenfalls mochten.

„Jemanden zu verlieren, den man geliebt hat, ist immer hart.“ Sie lächelte ihn an, um ihm zu zeigen, dass sie nicht vorhatte, auf der Stelle neben ihm zusammenzubrechen.

„Gehst du manchmal aus? Das hilft.“

Ihr Lächeln wurde etwas wärmer. „Einen ersten Anlauf habe ich schon unternommen.“

Sie plauderten über ihre Familien; dann trat er ein Stück näher an sie heran. „Darf ich dich anrufen?“

Einen Augenblick lang verschlug es ihr die Sprache. Pete Conley wollte sie anrufen? Sie trug Jeans und hatte ihr Make-up den ganzen Tag nicht aufgefrischt – weil sie gar nicht geschminkt war. Sie hatte sich nicht einmal gekämmt, bevor sie aus dem Haus geeilt war.

Sie wusste zwar, dass dieser Supermarkt als „Kontaktbörse“ galt, da hier viele junge Singles einkauften, aber dass sie selbst einmal davon profitieren würde, hätte sie niemals für möglich gehalten.

Schnell riss sie sich zusammen. „Natürlich, Pete.“ Sie fragte sich, ob er mit ihr über seine Frau reden wollte. Ob er vermutete, dass gerade sie seinen Schmerz verstehen würde.

Er hatte bereits seinen Palm Pilot gezückt. „Wie erreiche ich dich?“

Sie nannte ihm die neue Telefonnummer und meinte: „Jetzt muss ich aber los. Alex wartet. Er hat derzeit dauernd Hunger.“

Pete, der zwei erwachsene Töchter hatte, nickte wissend. „Hör mal, am Freitagabend gibt die französische Botschaft eine Cocktailparty. Ich weiß, dass das etwas kurzfristig ist, aber meine Schwester, die mich begleiten wollte, ist am Freitag nun doch nicht in Washington. Möchtest du nicht mitkommen? Wir müssen nicht lange bleiben; danach können wir in ein Restaurant gehen.“

Als sie zögerte, machte er einen weiteren Schritt auf sie zu. „Bitte sag Ja.“

„Also gut, ja.“

Er strahlte. „Gut. Wegen der Uhrzeit ruf ich dich noch an.“ Ein wenig benommen verabschiedete sie sich von ihm und ging weiter. Erst nach einer halben Regalreihe begriff sie wirklich, was geschehen war: Pete Conley hatte sie um ein Date gebeten, und sie hatte zugesagt. Pete war ein Freund, sie kannten sich seit Jahren. Sie sprang für seine Schwester ein, weiter nichts. Wirklich nichts? Ihr Selbstbewusstsein mochte an einem seidenen Faden hängen, aber sie hatte noch alle Sinne beisammen. Er schien an ihr interessiert zu sein, nicht an einer beliebigen Ersatzbegleiterin. An ihr, trotz des strähnigen Haars, des ungeschminkten Gesichts und der Jeans, die im Moment nicht besonders gut saßen.

Spannender war die Frage, warum sie eingewilligt hatte. Die Gründe lagen auf der Hand. Erstens war sie noch nicht tot: ein gutes Zeichen. Zweitens würde sie so vielleicht herausfinden, ob ihre Reaktion auf Pavel Quinn etwas Besonderes war. Drittens bot ihr die Cocktailparty Gelegenheit, sich erhobenen Hauptes in ihren alten Kreisen blicken zu lassen.

Viertens konnten ihr diese Kontakte womöglich beim Berufseinstieg nützlich sein. Es wurde Zeit, dass sich in der Hauptstadt herumsprach, dass sie mehr war als David Bronsons Exfrau und Joe Hustons Tochter – dass man sie gerade deshalb bedenkenlos engagieren konnte, weil sie eine Enttäuschung überwunden hatte und gestärkt daraus hervorgegangen war.

Faith stand im Gang mit den Milchprodukten, und ihr fiel auf, dass sie lächelte.

Bei Omelett, englischen Muffins und – zur Feier des Tages – Traubensaft schlug Faith ihrer Tochter einen Einkaufsbummel vor. „Ich bin zu einer Party in der französischen Botschaft eingeladen und will am Freitag ein Kleid kaufen. Kommst du mit?“ Alex und Remy hatten an dem Tag frei.

Die Kinder schwiegen; dass ihre Mutter zu einem Fest eingeladen war, konnten sie offenbar kaum fassen. Dann verzog Remy das Gesicht. „Du hast doch einen ganzen Schrank voll mit Kleidern. Trag eins von denen. Sie sehen sowieso alle so ziemlich genauso aus wie jedes andere, das du kaufen würdest.“

„Was für eine charmante Würdigung meines Geschmacks.“

„Geschmack? Du ziehst dich an wie eine alte Tante. Billies Mom trägt engere Shorts als ich.“

„Ich glaube nicht, dass heiße Shorts beim Botschaftsempfang das Richtige wären.“

„Haa-haa.“

Faith versuchte es noch einmal. „Remy, du könntest auch ein paar neue Sachen gebrauchen. Und zu zweit macht es mehr Spaß.“

Alex redete mit vollem Mund. „Und warum fragt mich keiner?“

„Weil du ein Junge bist“, erwiderte Remy. „Er kommt doch nicht mit, oder, Mom?“

Das klang schon besser. Die Rivalität zwischen ihren Kindern war eine der wenigen Konstanten in Faith’ Leben, auf die man sich wirklich verlassen konnte. „Nicht weil du ein Junge bist, Alex. Sondern weil du es hasst, Klamotten zu kaufen. Außerdem hast du am Freitag eine Verabredung mit deinem Dad.“

„Ach ja.“ Er war besänftigt.

„Also, was meinst du?“ fragte Faith Remy. „Die Party ist Freitagabend. Sollen wir am Nachmittag shoppen gehen?“

„Ich habe ja sonst nichts zu tun.“ Bis zum Freitag hatte Faith bereits ein Dutzend Mal bereut, dass sie Pete zugesagt hatte. Förmliche Empfänge hatte sie noch nie gemocht. Gut, einige der besten Leute des Landes waren Politiker, aber bei solchen Partys hatte sie immer das Gefühl, in einen Schwarm befrackter Haie und dieser grässlichen kleinen Fische geraten zu sein, die von deren Abfällen lebten. Sie wusste, was sich neben dem Cocktailgeplauder noch abspielte: Deals wurden vereinbart, Schicksale besiegelt.

Während Remy sich für den Einkaufsbummel bereitmachte, saß Faith auf glühenden Kohlen. Sie wollte die Shoppingtour genießen und sich – wenigstens für ein paar Stunden – gut mit ihrer Tochter verstehen. Früher hatte sie nie groß darüber nachgedacht, worüber sie sich mit ihr unterhalten sollte. Heute musste sie sich jedes Wort gut überlegen.

Als Remy schließlich auftauchte, trug sie einen sehr kurzen Faltenrock und ein noch kürzeres T-Shirt. Faith verkniff sich jeden Kommentar. „Was hältst du davon, wenn wir auf der Wisconsin Avenue anfangen?“

„Da wirst du nichts finden, was dir gefällt.“

„Bin ich wirklich so eine graue Maus? Ich suche etwas Flottes.“

„Mit wem gehst du überhaupt aus? Großmutter? Wenn du was wirklich Flottes anhast, lässt sie dich gar nicht ins Auto.“

Faith erzählte Remy, dass sie Pete bei „Safeway“ getroffen hatte. Remy runzelte die Stirn; dass ihre Mutter schon wieder mit einem Mann ausging, passte ihr offenbar nicht. Zumindest war Faith erleichtert, dass ihre Tochter nicht nur Pavel, sondern jeden neuen Mann an der Seite ihrer Mutter ablehnte.

„Seine Frau ist gestorben, erinnerst du dich noch?“ fuhr Faith fort. „Wir sind alte Freunde. Mehr nicht.“

„Du wirst all diese Leute wiedersehen! Alle, die über uns Bescheid wissen.“

Faith merkte, dass das Gespräch in die falsche Richtung lief, wollte diese Bemerkung ihrer Tochter aber trotzdem nicht unkommentiert lassen. „Schämen müssen sich nur Leute, die sich weigern, zu verzeihen.“

„Bist du fertig?“

„Ja, aber meine Äußerung scheint dich nicht besonders beeindruckt zu haben.“

Die beiden starrten einander an, dann legte Faith Remy die Hand auf die Schulter. „Noch einmal von vorn. Wollen wir uns zuerst auf der Wisconsin Avenue umschauen? Wenn wir da nichts Tolles finden, fahren wir zu ,Tyson’s‘.“

„Ich hab sonst nichts vor.“

Schweigend liefen sie zur Wisconsin Avenue. Faith fragte sich, wo Billie heute steckte, denn die beiden Mädchen schienen unzertrennbar, aber als sie sich nach ihr erkundigte, zuckte Remy nur mit den Schultern. Letzte Woche hatte Faith darauf bestanden, dass Remy ihre Freundin einmal mit in die Prospect Street brachte, weil sie sich ein Bild von Billie machen wollte. Das Mädchen, das älter, aber zugleich unreifer wirkte als Remy, hatte die verabredete eine Stunde ausgeharrt und war dann mit Remy im Schlepptau nach Hause gegangen. Faith konnte sich nicht vorstellen, was die beiden die ganze Zeit bei Billie trieben, und fing an, sich ein bisschen Sorgen zu machen.

Eine Stunde und einen Pullover für Remy später hatten sie sich zu einer Boutique vorgearbeitet, deren Schaufenster mit knallbunten Kleidern dekoriert war. Faith wollte weitergehen, nachdem sie einen flüchtigen Blick darauf geworfen hatte, aber Remy zog sie am Ärmel. „Das orangefarbene Kleid. Guck doch mal.“

Faith kam zurück und blinzelte. Orange hatte sie noch nie getragen. Pfirsich, ja. Koralle, wenn sie sich mutig fühlte. Aber dieses Orange war rein und unverfälscht, die Mutter aller Orangetöne, klar und frisch, ein Apfelsineneis an einem heißen Sommertag. Das Kleid selbst war aus feiner, seidiger Baumwolle und hatte einen simplen Schnitt, aber wenn man eine gute Figur besaß, sah es sicher umwerfend aus.

„Hast du je diese Farbe getragen?“ fragte sie. „Dein Haar ist heller als meins, aber wir haben denselben Hautton.“

Remys Stimme klang nicht mehr so scharf wie vorhin, als sie antwortete; das Mädchen hatte wohl vergessen, dass es mit seiner Mutter im Clinch lag. „Ich finde, du solltest es anprobieren. Du hast doch gesagt, du willst etwas Besonderes.“

Etwas Besonderes war das Kleid ganz sicher. Nicht dezent, worauf Faith sonst immer Wert legte. Nicht richtig klassisch – und ganz gewiss nicht langweilig. Es strahlte Selbstvertrauen und Esprit aus. Es war wie geschaffen für ihren Wunsch nach Veränderung, und sie fühlte sich wie gelähmt.

„Mom ...“

Diesen höhnischen Tonfall kannte Faith. „Genau das Richtige“, meinte sie und stieß die Ladentür auf. „Ich versuch’s.“

„Was hat der Wind uns denn da hereingeweht?“ Der Mann, der sie in Empfang nahm, war fast zwei Meter groß, hatte schmale Schultern und einen Körper, der wirkte, als passe er in ein einziges Hosenbein. Er hatte eine blondierte Igelfrisur, trug eine Brille mit schwarzem Rand und wirkte außer sich vor Freude, sie begrüßen zu dürfen.

„Wir, äh, haben dieses Kleid im Schaufenster gesehen. Ich dachte, ich probier es mal an.“

Der Mann legte einen Finger an seine vollen Lippen und begutachtete sie. „Oh Süße, Sie sind’s, ja, genau Sie. Ihr wahres Selbst! Was für einen Lumpen tragen Sie da?“ Er schüttelte den Kopf. „Kauft Ihre Mutter für Sie ein, armes Ding?“

Faith prustete los. Sie hätte gekränkt sein sollen, weil dieser Mensch kein Blatt vor den Mund nahm, aber sie musste einfach nur lachen. „Vielleicht sollte ich Ihnen diese Aufgabe übertragen.“

„Oh Gott, Sie retten meinen Tag!“ Dann sauste er geschäftig zwischen den Kleiderständern hin und her und suchte allerlei Sachen zusammen. Faith war froh, dass sich sonst niemand im Laden aufhielt; sonst wäre ihr das peinlich gewesen.

Remy betrachtete das Geschehen mit weit offenem Mund. Jemand wie dieser Verkäufer, der seine Homosexualität sicher seit Jahren stolz vor sich her trug, war ihr in ihrem behüteten Leben noch nicht begegnet. Als sein Blick auf sie fiel, drückte er ihr einen Stapel Kleidungsstücke in die Arme. „Hier, Herzchen, mach dich nützlich.“

Faith sah den Stapel auf Remys Armen wachsen. Ein regenbogenfarbener Seidenschal, ein weiteres Kleid in strahlendem Türkis. Ein drittes war fleischfarben und bestand aus abwechselnd blickdichten und transparenten Streifen. Das würde sicher nicht in die engere Wahl kommen.

„Und jetzt los, husch-husch“, ordnete er an und wies auf eine Umkleide mit handbemaltem Vorhang. „Schätzchen, du gehst mit und passt auf, dass sie wirklich alles anprobiert. Jedes einzelne Stück, und ich heiße Ralph. Fragt nach mir.“

Remy fand ihre Stimme wieder. „Sie sind doch der Einzige im ganzen Laden.“ Sie verschwand in Richtung der Kabine, als hätte ein Wirbelwind sie erfasst.

„Buh“, machte Ralph und schaute Faith an.

„Bitte. Sie machen mir keine Angst – die Preise schon.“

„Ja, wir sind Kredithaie. Probieren Sie die Sachen trotzdem an – für Onkel Ralphie.“

Eine Stunde später spielte Faith noch immer das Model für Ralph, der an Ärmeln zupfte, Reißverschlüsse gerade rückte und die obersten beiden Knöpfe von allem öffnete, was überhaupt Knöpfe hatte.

„Was meinst du, Remy?“ fragte er schließlich. Inzwischen waren die beiden alte Freunde, vereint in dem Wunsch, Faith ein neues Image zu verpassen.

„Das orangefarbene. Eindeutig das orangefarbene.“

„Faith?“

„Gut, das orangefarbene.“

Er legte einen Finger an die Lippen, offenbar seine liebste Pose.

„Jetzt zur Frisur, Darling. Du bekommst das Kleid nur, wenn du was mit deinem Haar machst. Es verdirbt alles, wie eine Ziege in der Suppe.“

„Fliege.“

Er sah an sich herunter und tat so, als schließe er seinen Hosenstall. Dann blickte er auf und zwinkerte. „Erwischt!“

Faith musste grinsen. „Tja, um fünf habe ich einen Termin zum Nachschneiden. Ich weiß, dass es etwas zu lang ist. Ich ...“

„Wo?“

„Bei einem Friseur in der Nähe des Capitol, zu dem meine Mutter immer geht. Ich ...“

Er legte sich die Hände um den Hals und röchelte.

„Keine gute Idee?“ fragte sie.

„Ich rufe Mitch an. Ich werde ihm sagen, dass er dich heute Nachmittag dazwischenschieben soll, weil ich dir sonst mein Kleid vom Leib reißen muss. Kapiert? Du bekommst es nicht. Du kannst unmöglich ...“ Er wählte bereits eifrig eine Nummer.

Remy machte schon wieder große Augen. Faith hatte den Eindruck, dass Ralph die permanente Verwirrung, in die er seine Zuschauer stürzte, genoss.

Ralph redete auf irgendjemanden ein und sprach dann lauter – offenbar mit dem großen Mitch persönlich. Es ging ordentlich zur Sache; er bezweifelte, dass Mitch tatsächlich der Sohn seiner Eltern war. Schließlich legte Ralph auf. „Jemand hat kurzfristig abgesagt. Er nimmt euch beide gleich dran. Remy, auch du musst tapfer sein. Geh deiner Mutter mit gutem Beispiel voran – sonst wirst du womöglich noch wie sie.“

Remy legte sich die Hände um die Gurgel, wie er es getan hatte. Er nickte weise.

Faith war ein wenig besorgt. Wenn Mitch Ralph das Haar geschnitten hatte, war sie in Gefahr. „Dieser Mitch, ist er gut? Ich will nicht wie ein gerupftes Huhn aussehen.“

„Kauf das Kleid, lass dir das Haar schneiden, sei ein ganzer Kerl.“ Er salutierte. Dann ging er hinter die Ladentheke und machte die Rechnung fertig.

Faith warf einen Blick auf ihre Tochter. Remys Augen glänzten. Wie viel dieser Nachmittag sie kosten würde, war Faith im Augenblick egal. Zumindest hatte sie ein Weilchen ihre Tochter wieder.

Sie schlenderten zu Mitchs Frisiersalon, der ganz in der Nähe in einer Seitenstraße lag. Alles in dem Laden war in Weiß gehalten, nur Mitch nicht. Er war so bullig wie ein Football-Spieler, hatte kohlrabenschwarze Haut und einen goldenen Ohrring, der ihm fast bis auf die Schulter baumelte. Da die beiden anderen Friseure hinter ihm bereits an zwei Kunden herumschnippelten, begutachtete er Remy und Faith, ganz wie Ralph es getan hatte.

„Strähnchen“, sagte er unvermittelt. „Wissen Sie denn nicht, dass Ihr Haar heller werden muss? Strähnchen. Heilige Muttergottes, gute Frau, was glauben Sie, warum Sie blond zur Welt gekommen sind?“ Er trat hinter dem Tresen hervor und nahm ihr Haar einfach in die Hände. „Zu viel von dem Zeug. Warum so viel? Kleines Gesicht, langes Haar: schlechte Idee.“ Er ließ ihr Haar los und wandte sich Remy zu. „Besser.“ Er nickte. „Bereit für etwas Radikales?“

„Ich? Was?“

Er blickte sich im Raum um, ging dann zielstrebig auf ein Plakat zu und zeigte mit seinem Wurstfinger auf eines der Modelle. „Das.“

Remy lief zu ihm hinüber. Es handelte sich um einen Kurzhaarschnitt. Sehr kurze Fransen reichten knapp über den Haaransatz im Nacken, fielen in die Stirn und über die Oberkanten der Ohren des Models. Ihre Augen wirkten dadurch doppelt so groß und ihre Wangenknochen wie gemeißelt, als könne man Brot damit schneiden.

„Merk dir eines“, erklärte er Remy. „Du wirst immer hübsch sein, aber das heißt nichts. Nichts! Besser, du bist umwerfend. Diese Frisur sorgt dafür.“

Remy zögerte. Faith mischte sich nicht ein. „Werde ich nicht wie ein Junge aussehen?“ fragte Remy.

„Glaub mir, die Gefahr besteht nicht.“

Remy lächelte. „Also los.“

Zwei Stunden später starrten Remy und Faith einander an. Der Unterschied war gigantisch. Faith’ Haar war blonder, kürzer und luftiger, sodass es ihr Kinn umspielte, sobald sie sich bewegte. Der Pony war fransig und betonte ihre Augen. Sie sah jünger und aufregender aus, und sie fühlte sich fantastisch.

Remy hatte sich sogar noch stärker verwandelt. Der Kurzhaarschnitt betonte ihr hübsches Gesicht. Im Gegensatz zu ihrer Mutter wirkte sie nun älter, eher wie eine Frau als ein Kind. Man konnte sie ohne weiteres für eine College-Studentin halten. Faith hatte den Verdacht, dass sie in den nächsten Jahren alle Hände voll zu tun haben würde, die Verehrer ihrer Tochter abzuwimmeln.

„Wow“, sagte Faith. „Ich muss zugeben, Mitch hat mich überzeugt. Du schaust umwerfend aus.“

Remy guckte wieder in den Spiegel. „Findest du? Wirklich?“

„Völlig verändert, aber zu deinem Vorteil.“

„Du siehst auch gut aus.“ Das klang sogar aufrichtig. „Glaubst du, Ralph lässt mich das Kleid jetzt behalten?“

Remy kicherte. „Er wollte es bestimmt selbst tragen.“

Faith lachte mit und war sich sicher, dass auch Ralph eingestimmt hätte. Sie bezahlte, gab Mitch ein üppiges Trinkgeld, das sie sich nicht leisten konnte, und folgte ihrer Tochter in den Sonnenschein. Sie fühlte sich leichter, jünger und entspannt. „Lass uns noch etwas herumlaufen, bevor wir nach Hause gehen.“

Remy blickte sich lange um, bevor sie nickte, fast als halte sie nach jemandem Ausschau.

„Treiben sich deine Freunde hier herum?“ fragte Faith. „Welche Freunde?“

„Kids aus der Schule.“

„Weiß ich nicht.“

„Kommst du manchmal mit Billie her, um Schaufenster anzugucken?“

„Dürfen wir das nicht?“

Faith trat sofort den Rückzug an. „Ich dachte nur, du kennst vielleicht noch einen Laden, in dem wir uns umsehen könnten.“

An der Ecke zur Wisconsin Avenue blieb Remy plötzlich stehen. Faith hatte sich die Geschäfte auf dieser Straßenseite nie genauer angeschaut. Wenn sie zur Bibliothek ging, lief sie normalerweise auf der anderen Seite. Diese Läden waren zu trendy für sie, auf eine junge Kundschaft ausgerichtet, wie ihre Tochter zum Beispiel.

„Möchtest du sonst noch irgendwohin, bevor wir nach Hause gehen?“

„Nein, machen wir uns gleich auf den Heimweg.“

„Bist du sicher? Ich hatte dir versprochen, dass wir auch für dich ein paar Sachen suchen.“ Aus den Lautsprechern über dem offenen Eingang des nächsten Ladens dröhnte Musik. Faith warf einen Blick hinein. Schwarze Wände, Inventar aus rostfreiem Stahl. Die Klamotten sahen aus, als stammten sie aus der Requisite eines billigen Science-Fiction-Films.

Ein junger Mann mit langem schwarzen Haar und stechendem Blick stand rauchend im Eingang. Als er Remy bemerkte, warf er die Zigarette auf den Boden und trat sie mit dem Absatz seines Schlangenlederstiefels aus.

„Hi du.“

„Hi.“ Remy guckte kurz ihre Mutter an.

„Schicke Frisur.“

Verlegen berührte Remy ihren geschorenen Kopf. „Yeah?“ „Yeah.“ Er grinste, drehte sich um und verschwand im Geschäft.

„Remy, wer ist das?“ fragte Faith. „Kennst du den?“

„Ich kenne ihn nicht. Er arbeitet hier, das ist alles.“

„Er scheint dich wiedererkannt zu haben.“

„Ja?“ Remy wandte sich um.

„Ich hatte den Eindruck.“ Faith versuchte, nicht besorgt zu klingen.

„Billie und ich waren ein paar Mal kurz hier. Ich glaube, sie kennt ihn.“

Der Mann war erheblich älter als Remy oder Billie. Faith gefiel es nicht, dass ihre Tochter sich nach der Schule in diesem Laden herumtrieb, auch wenn sie nur etwas Zeit totschlagen wollte. Auch wenn ihre Tochter einen anderen Geschmack haben durfte, hatte dieser junge Mann etwas an sich, das Faith nicht gefiel.

Vor allem die Art, wie er ihre Tochter angeschaut hatte.

„Ich kann mir vorstellen, dass du das nicht hören willst, aber sei vorsichtig, okay? Du könntest diesen Typen auf falsche Gedanken bringen. Vielleicht kapiert er nicht, wie jung du bist.“

„Hältst du mich für blöd? Ich weiß Bescheid.“

„Schatz, du bist erst vierzehn. Du solltest nichts überstürzen.

Pass auf dich auf. Das ist alles.“

„Gehen wir?“

Faith verstummte. Sie wollte die Stimmung der letzten Stunden nicht verderben, aber sie konnte auch nicht einfach des Thema wechseln.

„Ich liebe dich“, sagte sie schließlich. „Ich hoffe, du verstehst, dass ich mir gerade deshalb Sorgen mache.“

Remy ließ sich nicht zu einer Antwort herab.

Als Faith zu ihrer Verabredung mit Pete aufbrach, hatten Marley und Alex es sich mit einem Haufen Brettspielen im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Remy, die sauer war, weil Faith Marley gebeten hatte, auf die Kinder aufzupassen, hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und hörte die Sorte Musik, die Tipper Gore dazu gebracht hatte, sich für CD-Warnaufkleber stark zu machen.

Als Faith von der Botschaft zurückkehrte, saß Lydia im Wohnzimmer und schaute fern. Marley war verschwunden.

Lydia stand auf und winkte ab, noch bevor Faith ihre Frage formulieren konnte. „Ich habe mich schon wieder von einer Party verdrückt und bin hergekommen, um Marley abzulösen.“

Faith, die gerade ihre Ohrringe und den Schmuck abnahm, hielt in der Bewegung inne; ihre Uhr hing offen an ihrem Handgelenk. „Das wird allmählich zur Gewohnheit, Mutter.“ Sie hoffte, dass Joe nicht wieder hier auftauchen würde, um seine Frau mitzunehmen.

„Diese furchtbare Zeitverschwendung.“ Lydia wirkte erschöpft. Sie erinnerte Faith an einen Windhund: zu dünn, zu schnell, ständig im Kreis einem unechten, uneinholbaren Ziel nachjagend. Das Tempo forderte offenbar seinen Tribut.

„Geht es dir auch gut?“ Faith ging zu ihrer Mutter.

Lydia schaltete den Fernseher aus. „Ich schlafe schlecht. Seit Jahren. Das bleibt nicht ohne Folgen.“

„Bist du deswegen beim Arzt gewesen?“

„Was? Damit er mich mit Pillen betäubt, die mir tags noch mehr zu schaffen machen? Dann lieber Schlaflosigkeit.“

„Er könnte die Ursache des Problems aufspüren.“

„Ich kenne die Ursache. Mein Leben ist aus dem Gleis geraten, bevor du geboren wurdest. Diese Tatsache raubt mir den Schlaf.“

Wenn eine Frau nie über ihre Gefühle spricht, meint man irgendwann, sie hätte keine. Faith begriff, dass sie in diesem Punkt falsch gelegen hatte, wie in so vielem. „Du meinst Hopes Entführung?“

Lydia schien ihre Offenheit schon zu bereuen. „Manche Frauen verstehen sich darauf, einen neuen Weg einzuschlagen, wenn der alte versperrt ist. Ist es das, was du heute Abend versucht hast? Einen neuen Weg zu gehen?“

„Mit Pete Conley?“ Faith legte ihre Uhr ab. Es war eine Piaget, keine von den ganz teuren, aber doch ein kostspieliges Geschenk, das David ihr zum dreißigsten Geburtstag gemacht hatte. Seit sie ihn im Cottage ertappt hatte, hatte sie die Uhr nicht mehr getragen – bis heute.

„Ist es gut gelaufen?“ hakte Lydia nach.

„Pete ist ein netter Kerl. Und die Botschaft ist immer einen Besuch wert.“ Faith fand die französische Botschaft mit ihren großartigen modernen Gemälden und Skulpturen einfach fantastisch, aber heute hatte sie sich den größten Teil des Abends gelangweilt, obwohl zur Unterhaltung der Gäste sogar Zirkusartisten aufgetreten waren.

„Es gibt eine Reihe Frauen in dieser Stadt, die Pete mit leidenschaftlicheren Worten beschreiben würden als ,ein netter Kerl‘.“

„Und sie hätten Recht.“

„Aber für dich ist er nicht der Richtige?“

Als eine sehr viel jüngere Faith ihre Verlobung mit David angekündigt hatte, war sie von Lydia nicht so intensiv befragt worden. „Er ist charmant, gebildet und klug, aber zwischen uns funkt es ungefähr so heftig wie in einem leeren Feuerzeug ohne Zündstein.“

„Eines kann ich dir versichern: Es liegt nicht an deinem Aussehen. Mir gefällt, was du mit deinem Haar angestellt hast. Und das Kleid steht dir umwerfend gut.“

Faith ließ sich in einen Sessel fallen, und nach kurzem Zögern nahm auch Lydia wieder Platz.

„Vielleicht ist es vermessen, die Latte diesmal höher zu legen“, meinte Faith, „aber genau das tue ich. Ich habe viele Jahre mit David verbracht und mir dabei eingeredet, es liege an mir, dass es zwischen uns nicht richtig knistert. Das will ich nicht noch einmal durchmachen, um keinen Preis. Dann bleibe ich lieber allein.“

„Das Risiko, dass der Blitz zum zweiten Mal an derselben Stelle einschlägt, ist doch wohl ziemlich gering.“

„Es gibt eine Menge Gründe für Larifari-Sex, nicht nur einen Mann, der sich etwas vorlügt.“

„Ist das jetzt das Gespräch, das wir schon vor langer Zeit hätten führen sollen?“

Faith lachte. „Ich kann kaum fassen, dass wir es jetzt in Angriff nehmen.“

„In der Küche ist mir eine Flasche Scotch aufgefallen. Warum machst du uns nicht einen Drink?“

„Wenn mich das Reden über Sex nicht umbringt, das gibt mir sicher den Rest.“ Faith stand auf und kam mit zwei Gläsern mit Eis und Dottie Lees Glenfiddich zurück. „Also, warum haben wir darüber noch nie gesprochen? Was hat dich daran gehindert, das Thema anzuschneiden?“

„Ich wollte dir die Enttäuschung ersparen. Darüber, wie profan das alles ist. Das Eheleben. Sex. Liebe.“ Lydia nippte an ihrem Glas.

„Ich habe dich und Dad all die Jahre beobachtet und mir vorstellen können, was du von diesen Dingen hältst.“ Faith fühlte sich mutig. Lydia schien in der Stimmung zu sein, ihrer Tochter Einblick in ihre Seele zu gewähren. „Warum bist du bei einem Menschen geblieben, den du nicht geliebt hast?“

„Bist du sicher, dass ich ihn nicht liebe?“

Faith dachte nach. Es gab viele Arten von Liebe. Vielleicht hatten David und sie eine davon erlebt, die ihm aber nicht ausreichte. Und sie hatte auf sein sexuelles Desinteresse reagiert, indem sie sich die Schuld dafür gegeben hatte. Ihr Selbstvertrauen als Frau war in diesen vielen einsamen Nächten allmählich geschrumpft, bis es nicht mehr vorhanden gewesen war.

„Ja, ich bin mir sicher, dass du ihn nicht liebst“, meinte sie schließlich. „Und ich glaube, du bist bei ihm geblieben, weil du nicht wusstest, wie es sonst weitergehen sollte.“

Lydia stritt es nicht ab. „Die Macht der Gewohnheit.“

Faith legte ihr die Hand auf die Schulter. „Was, wenn die Zeitungen nicht hinter Davids Affäre gekommen wären? David fühlte sich so schuldig, dass er vielleicht bei mir geblieben wäre, wenn ich ihn angefleht hätte. Aber wäre das richtig gewesen?“

„Das kann man nicht vergleichen. Die sexuelle Orientierung deines Vaters stand nie in Frage.“

„Seine Leidenschaft für dich und seine Zuneigung zu dir schon.“

„Faith, Joe Huston ist dein Vater. Wenn auch sonst nicht viel: das immerhin.“

Faith spürte, dass sie Lydia besser nicht noch stärker bedrängte. Außerdem wusste sie selbst nicht genau, worauf sie hinauswollte. Lydia und Joe hatten ihr Verhältnis vor langer Zeit geklärt, wahrscheinlich schon vor ihrer Geburt. Sie hatte kein Recht, sich da einzumischen.

„Ich verrate dir etwas“, fuhr Lydia fort. „Der wichtigste Grund, aus dem sich eine Frau für einen Mann entscheiden sollte, ist die Leidenschaft. Ich wünschte, ich hätte dir das gesagt, als du David heiraten wolltest, denn sie ist das Entscheidende. Respekt ist auch wichtig. Leidenschaft ohne Respekt ist nichts. Aber letztlich ist es die Leidenschaft, die eine Beziehung am Leben hält. Und wenn dir beim Anblick von Pete Conley nicht heiß und kalt wird, lass die Finger von ihm.“

Faith dachte an den einen Mann in ihrem Leben, bei dem ihr heiß und kalt wurde. Pavel Quinn, der sich von David und Pete so stark unterschied, wie es einem intelligenten amerikanischen Mann nur möglich war. Dieser Abend hatte ihr gezeigt, dass ihre Zuneigung zu Pavel mehr war als eine Folge ihrer langen sexuellen Abstinenz, denn Pete hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie heute alles von ihm haben könnte, und sie hatte nicht das geringste Interesse verspürt.

„Die Anwesenden waren sehr angetan von mir. Ich bin unter anderem deshalb zu dieser Party gegangen, um herauszufinden, ob die Leute mich schneiden würden oder freundlich zu mir sind.“

„Du hast es deinen Freunden nicht gerade leicht gemacht. Die meisten waren so klug, sich zurückzuhalten, bis du mit dem Lecken deiner Wunden fertig warst.“

„Jetzt beginnt mein neues Leben.“ Faith lächelte. „Es fühlt sich noch ungewohnt an.“

„Und gut.“ Das war keine Frage.

„Und gut.“

„Überstürze bitte nichts. Lebe so, wie du es möchtest. Such dir den Mann, den du verdienst.“

„Oder bleib allein.“

Lydia spülte den Rest ihres Drinks herunter, stellte das Glas auf den Tisch und stand auf. „Eine Möglichkeit, die meine Generation noch als Versagen empfunden hätte. Wir haben uns geirrt.“

Ihre Tochter begleitete sie zur Tür. „Hier kann man besser mit dir reden, Mutter. Ich weiß, dass dieses Haus für dich mit entsetzlichen Erinnerungen verknüpft ist, aber immer wenn du hier bist, habe ich das Gefühl, dich etwas besser kennen zu lernen.“

„Mit einer entsetzlichen Erinnerung und vielen angenehmen. Sie wiegen einander nicht auf, aber vielleicht lerne ich allmählich, sie alle zu akzeptieren.“ Lydia beugte sich vor und küsste Faith auf die Wange: eine ungewöhnliche Geste.

Faith blieb in der Tür stehen und sah zu, wie ihre Mutter davonfuhr. Sie dachte über diese Frau nach, die auf Leidenschaft verzichtet hatte, um ihre vertraute Welt nicht verlassen zu müssen, und die diesen Kuhhandel jetzt, mit sechsundsechzig, offenbar bereute.

Was Pavel wohl gerade tat?