13. KAPITEL
Dank Marleys und Lydias Hilfe leerten sich die Kartons zügig, und im Reihenhaus breitete sich eine Vorform von Ordnung aus. Alex kam still und bedrückt vom Essen zurück, aber er erzählte Faith, dass David und er am Freitag zusammen ins Kino gehen wollten. Remy war auch eingeladen. Faith ahnte, dass der Platz ihrer Tochter leer bleiben würde.
Am späten Nachmittag kamen sie zu dem Schluss, genug ausgepackt zu haben. Marley wurde von ihrer Tochter abgeholt, und auch Lydia schickte sich an, nach Hause zu fahren.
Der Herd war eingeweiht worden, als Faith eine Kanne Tee gekocht hatte. Zwei der vier Platten funktionierten noch halbwegs.
„Ich will dir etwas zeigen, bevor du gehst, Mutter.“ Sie reichte Lydia eine Tasse Oolong-Tee und schenkte dann sich selbst ein. „Etwas auf dem Dachboden. Außerdem hast du die Kätzchen noch nicht gesehen.“
„Der ganze Tumult hier im Haus hat die Katzenmutter nicht vertrieben?“
„Sie scheint an Menschen gewöhnt zu sein. Ob deine letzten Mieter sie hier gelassen haben?“
„Das würde mich nicht wundern, obwohl ich ihnen nicht erlaubt habe, Haustiere zu halten. Allerdings habe ich ihnen auch nicht gestattet, das Haus zu verwüsten.“
Im ersten Stock steckte Remy den Kopf zur Tür heraus. „Es tut mir Leid, dass ich dir Kummer bereitet habe. Kann ich rauskommen?“
„Darf ich herauskommen“, korrigierte Lydia.
„Du bist doch schon draußen.“
„Du darfst.“ Faith hielt Remys Lächeln, obwohl es nicht so rasend echt wirkte, für ein gutes Zeichen. „Möchtest du uns zu den Kätzchen begleiten?“
„Gern.“
Faith klopfte an Alex’ Tür, und zu viert gingen sie die Treppe hoch und schlichen sich zum Kätzchen-Versteck. Faith bedeutete ihrer Mutter, sich vorzubeugen, um einen Blick erhaschen zu können.
„Wisst ihr, wie viele es sind?“ flüsterte Lydia.
„Zwei, vielleicht drei. Die Mutter liegt immer über ihnen, wenn wir sie besuchen.“
„Gott sei Dank funktioniert der Ventilator, sonst würden die armen Kleinen vor Hitze umkommen. Er ist relativ neu. Ich erinnere mich an die Rechnung.“
„Offensichtlich haben viele Nachbarn ihre Dachböden als Wohnfläche ausgebaut. Eine gute Isolierung und eine Klimaanlage, und wir hätten eine richtige dritte Etage.“
„Meine Mutter hat nach ihrer Heirat nicht mehr hier gewohnt, aber sie erzählte mir, dass mein Großvater beabsichtigte, den Speicher in einen Schlafsaal für die vielen Söhne umzuwandeln, die er zu zeugen gedachte. Tja, keine Söhne, kein ausgebauter Dachboden.“
„Und als du mit Dad hier gelebt hast?“ erkundigte sich Faith.
„Ich glaube, Joe wollte nicht so lange hier bleiben, dass es sich gelohnt hätte.“ Lydia streckte sich. „Er hat das Haus nie gemocht.“
„Und du?“
Lydia machte ein ernstes Gesicht. „Ich war ganz verrückt danach, bis ...“
Faith wusste, wie der Satz weitergehen sollte.
„Ich wollte dir zeigen, was wir letzte Nacht entdeckt haben.“ Sie trat zur Seite und zeigte auf den Balken, in den Millicent ihren Namen geritzt hatte. „Kennst du das?“
Lydia fuhr mit einer Fingerspitze über die Buchstaben. „Daran habe ich seit Jahren nicht gedacht.“
„Dottie Lee hat es nicht vergessen.“ Alex gesellte sich zu ihnen, nachdem er seine Katzenbegutachtung beendet hatte, weil er vom Muttertier angefaucht worden war. „Sie hat uns erzählt, dass es hier ein Geheimnis gibt.“
„Ein schönes Geheimnis“, beeilte sich Faith zu ergänzen. „Ich glaube, sie wollte uns ein wenig aufmuntern.“
„Ich vermute, euch bleibt gar nichts anderes übrig, als euch hin und wieder mit Dottie Lee zu unterhalten, denn schließlich ist sie eure Nachbarin. Aber wirklich, Faith, anfreunden solltet ihr euch nicht mit ihr. Diese Frau hat einen Ruf ...“ Lydias Gesicht verriet, welcher Art dieser Ruf war.
„Ich mag sie, und sie scheint eine Menge über das Haus zu wissen.“
„Was die Schnitzerei angeht, ist das kein Wunder. Meine Mutter war nur vier oder fünf Jahre älter als sie. Dottie Lee war wie eine kleine Schwester für sie.“ Lydia legte den Kopf schräg. „Aber ihr habt nur einen Teil des Geheimnisses entdeckt, wenn sie überhaupt die Schnitzerei mit ihrer Äußerung meinte.“
„Und was gibt es da noch zu entdecken?“ fragte Alex.
„Hier ist es zu heiß, um darüber zu reden.“
Faith sah, dass selbst Remys Interesse geweckt zu sein schien. „Willst du noch etwas Tee, Mutter? Dann kannst du uns davon erzählen.“
„Vielleicht.“
Sie stiegen in eine angenehmere Klimazone hinab und tranken den Tee, der inzwischen ziemlich kalt geworden war, was bei dieser Hitze aber niemanden störte. Lydia genoss es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, und zögerte die Spannung gekonnt hinaus – eine Fähigkeit, die ihr Faith nie zugetraut hätte. Lydia weigerte sich, auch nur ein Wort zu sagen, bis sie bequem saß, sich von der Hitze erholt und ihre Tasse zur Hälfte geleert hatte.
„Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann das Haus gebaut worden ist. Vieles habe ich vergessen. Was ich aber weiß, ist, dass mit dir, Faith, die fünfte Frauengeneration unserer Familie hier einzieht. Ich habe gerade mal durchgezählt.“
Faith hatte sich ihren Verwandten nie wirklich nahe gefühlt. Was vom väterlichen Zweig noch lebte, wohnte im Südwesten Virginias, und die Familienzusammenkünfte waren im Laufe der Jahre immer seltener geworden, obwohl sich Joe dieser Verwandten in den Wahljahren immer noch gerne bediente. Die Familie ihrer Mutter war ihr sogar noch fremder. Faith’ Großeltern und Urgroßeltern waren vor ihrer Geburt gestorben. Sie hatte nie Verwandte von Lydia kennen gelernt, auch keine entfernten.
„Mit Remy also die sechste Generation“, sagte Faith, um ihre Tochter einzubinden.
Remy rümpfte die Nase. „Ich zähle nicht. Ich bin nicht freiwillig hier.“
Lydia beschränkte sich darauf, ihrer Enkelin einen strengen Blick zuzuwerfen. „Nicht alle haben lange hier gelebt. Ich kam erst nach meiner Heirat hierher und bin nicht lange geblieben. Meine Mutter wohnte hier nur vor ihrer Hochzeit. Aber meine Großmutter Violet ist in diesem Haus geboren worden und auch hier gestorben. Sie hat achtzig Jahre unter diesem Dach verbracht.“
„Sie ist hier gestorben? Wo?“ Alex, der nur halb bei der Sache gewesen war, hörte auf, mit dem Kaminbesteck zu spielen.
„Im Zimmer deiner Mutter. Sie wollte nicht ins Krankenhaus. Mein Großvater war im Jahr zuvor gestorben, und sie schien bereit zu sein, ihm zu folgen. Sie hatte immer alles im Griff und war sehr willensstark.“ Lydia lächelte schwach; offenbar hing sie ihren Erinnerungen nach. „Sie war eine begabte Klavierspielerin. Wenn ich als Kind hier übernachtet habe, hat mich morgens ihr Spiel geweckt.“
Auch wenn sie ein wenig vom Thema abgeschweift waren und das Geheimnis aus den Augen zu verlieren drohten, ergriff Faith die Gelegenheit zu einer weiteren Frage. „Dottie Lee hat mir erzählt, dass du eine begabte Musikerin sein sollst, Mutter. Aber ich kann mich nicht entsinnen, dich je Klavier spielen gehört zu haben.“
„Ich habe aufgehört, bevor du geboren wurdest.“
„Warum?“
Einen Augenblick schien Lydia mit sich zu ringen. Dann schaute sie Faith in die Augen. „An dem Nachmittag, als ich mit Hope aus dem Krankenhaus kam, habe ich sie ins Bett gelegt, und sobald sie eingeschlafen war, bin ich heruntergekommen, um mich auszuruhen. Damals gab es eine Glastür zwischen diesem Raum und dem Esszimmer. Ich habe sie zugezogen, um meine kleine Tochter nicht aufzuwecken. Dann setzte ich mich ans Klavier und spielte. Klavier spielen hat mich immer entspannt. Bis heute weiß ich nicht recht, wie viel Zeit damals verstrichen ist – nicht viel, glaube ich –, bis dein Vater von einer Sitzung nach Hause kam. Als er hier war, wollte ich Hope holen ... Sie war verschwunden.“
Lydia nickte, als sie erkannte, dass Faith begriffen hatte. „Wenn ich damals nicht von der Musik abgelenkt gewesen wäre, hätte ich den Eindringling gehört, und Hope könnte heute hier bei uns sitzen.“
Pavel stand vor dem Haus an der Prospect Street und sah zum Giebel hinauf. Für hiesige Verhältnisse war das Haus recht gewöhnlich. Es war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts für eine Arbeiterfamilie gebaut worden. Das wusste er, weil er sich viel mit der Geschichte von Georgetown beschäftigt hatte. Zwar gab es in der Prospect Street auch ein paar regelrechte Villen, die Werfteigentümern und Tabakplantagenbesitzern gehört hatten, aber die Reihenhäuser in diesem Block waren für die Arbeiter in diesen Unternehmen errichtet worden.
Dennoch konnte das Reihenhaus als anmutiges Architekturjuwel in einer malerischen Straße gelten, wenn man heutige, weniger strenge Maßstäbe anlegte.
Auf dem Weg hierher hatte er auf der Wisconsin Avenue im Blumenladen einen Strauß Astern und bei seiner Lieblings-Imbissbude etwas zu essen für Faith Bronson gekauft. Da es schon nach neun war, ging er eigentlich davon aus, dass sie schon gegessen haben würde, aber er hatte noch nie einen Menschen getroffen, der diesem grünen Hühnercurry widerstehen konnte. Der Geschmack tanzte auf der Zunge. Schon der Geruch reichte, um Pavel in Ekstase zu versetzen.
Er war ein Georgetown-Experte und mit diesem Haus gut vertraut. Er wusste, dass es im ersten Stock einen verformten Fensterladen gab, der aus den Angeln fiel, und dass Rost am eisernen Treppengeländer nagte. Er kannte das schmale, mittlerweile fast blumenlose Beet am Gehweg. Im Laufe der Jahre hatte er den allmählichen Verfall des Hauses beobachtet.
Er klopfte vorsichtig an die Haustür und hoffte, dass Faith noch nicht schlief. Er vermutete, dass sie nach all der Auspackerei erschöpft sein musste. Gerade, als er aufgeben und nach Hause gehen wollte, öffnete sie die Tür.
„Pavel.“ Sie fuhr sich durchs Haar, als wolle sie die schlimmsten Schäden beseitigen.
In seinen Augen war ihre Frisur völlig in Ordnung, aber auf diesem Sektor kannte er sich eigentlich nicht allzu gut aus. Alles in allem wirkte sie nur ein ganz klein wenig aufgelöst.
„Ist es zu spät für eine Kücheninspektion?“ fragte er.
Sie lehnte sich an den Türrahmen. „Sie halten jedenfalls Wort.“
„Ich steckte bis gerade eben in einer Telefonkonferenz, aber ich habe unsere Verabredung nicht vergessen.“
„Alex ist schon im Bett.“
Er bedauerte das. Faith’ Sohn war ein aufgeweckter Bengel. Pavel wusste genug über David Bronsons konservative Moralvorstellungen und Joe Hustons rückwärtsgewandten Patriotismus, um sich zu wundern, woher Alex sein helles Köpfchen hatte.
„Ich kann wiederkommen, aber das hier hält sich nicht so lange.“ Er streckte ihr die Imbisstüte entgegen.
Ihr Blick wanderte zu den Blumen in seiner anderen Hand und dann zu seinem Gesicht. „Ich warne Sie. Mich zu verwöhnen kann Nebenwirkungen haben.“
„Welche und wie stark?“
„Ich könnte ins Quasseln geraten.“
„Oder über dem Curry einschlafen.“
„Curry?“ Ihre Augen leuchteten auf.
„Wenn ich Ihnen verrate, wo ich es gekauft habe, werden Sie dort garantiert Stammkundin. Man wird süchtig nach dem Zeug. Wenn Sie schon gegessen haben, stellen Sie es für morgen kalt.“
Ihr Lachen klang ganz anders, als er erwartet hatte. Ihr Gesicht erinnerte an das eines Cheerleaders, aber sie hatte das tiefe, erotische Lachen einer Marlene Dietrich.
Faith machte einen Schritt rückwärts und ließ ihn hinein. „Wir müssen es wohl gleich essen. Der Kühlschrank kommt erst nächste Woche. Teilen wir uns die Portion?“
Was für eine Frage! Pavel war ständig hungrig. „Ich habe eine Flasche Weißwein dazu gekauft.“ Sie reagierte nicht gleich, und ihm fiel wieder ein, aus was für einer Familie sie stammte. „Aber wahrscheinlich trinken Sie keinen Alkohol.“
„Ich mag Wein, aber wir müssen ihn leider aus Wassergläsern trinken.“
Er verkniff sich jeden Kommentar. Offenbar brauchte man Faith nicht daran zu erinnern, dass ihr Leben für jeden ein offenes Buch war. Außerdem hatte David Bronsons Enthaltsamkeitsphilosophie seine Frau möglicherweise ohnehin nie überzeugt.
Sie lief durch das Haus, und er heftete sich an ihre Fersen. Möbliert und um etliche Kisten ärmer, sah es schon etwas freundlicher aus. „Die Blumen sind schön“, meinte sie. „Wie nett von Ihnen.“
Auf dem Küchentisch entdeckte er einen extravaganten Strauß. „Andere waren schneller.“ Er nickte in Richtung des Bouquets.
„Die sind von meiner Mutter, auch wenn sie behauptet, mein Vater hätte sie geschickt.“ Sie streckte die Hand nach Pavels Blumen aus. „Ihre sind wunderschön – ganz frisch und natürlich. Solche mag ich am liebsten.“
Er überließ ihr die Astern und stellte das Curry auf den Tisch. Ein kurzer Blick verriet ihm, wie viel Arbeit ihr noch bevorstand. „Schöne Dielen.“
Faith, die Wasser in eine Kristallglasvase laufen ließ, schaute ihn kurz an und las offenbar die ganze Wahrheit in seinen Augen. Sie lachte. „Pavel, wenn Sie nicht gleich aufhören, fängt Ihre Nase an zu wachsen.“
Er fasste sich ins Gesicht. „Wenn das so ist, gehe ich besser in ein anderes Zimmer.“
„So klein ist die Küche gar nicht. Für ein bis zwei Lügen reicht sie völlig.“
„Die Dielen sind schön.“
„Ja, nicht wahr? Kiefernkernholz. Aber alles andere – ein Trauerspiel.“
„Wenn Sie gerne kochen, muss ich Ihnen leider Recht geben.“
Faith stellte die Vase auf die Arbeitsplatte und kramte in einem der drei Wandschränke, aus dem sie nach einem Gefecht mit einem Stapel Geschirr triumphierend zwei Gläser hervorzog. „Ich bin eine leidenschaftliche Köchin. Seit meiner Trauung habe ich noch keine einzige Mahlzeit zubereitet, an der die Ernährungswissenschaft etwas hätte aussetzen können.“
„Klingt ja furchtbar.“
Sie hörte auf, mit den Gläsern zu gestikulieren. „Und wohin hat es mich gebracht? Nicht, dass es was geändert hätte, aber wenn ab und zu einfach ein paar Dosen von mir aufgemacht worden wären, dann hätte ich wenigstens mehr Freizeit gehabt.“
Pavel bemerkte, wie gern er Faith anschaute. Sie entsprach eigentlich nicht seinem Typ. Seine Frauen waren exotischer, nicht so sehr der amerikanische Durchschnitt. Sie sah zu mädchenhaft aus, um schön zu sein. Ihre Züge waren ebenmäßig, wirkten aber irgendwie langweilig.
Nichtsdestoweniger blickte er Faith gerne an. Er vermutete, dass es weniger ihr Gesicht als vielmehr der Ausdruck darauf war, der ihn fesselte. Ein Teil Ehrlichkeit, zwei Teile Zurückhaltung, drei Teile Intelligenz. Alles leicht zu übersehen, aber trotzdem für ihn erkennbar.
„Sie sind noch jung.“ Er zog die Flasche aus der Tüte. „Sie haben noch reichlich Zeit für die Freuden des Lebens.“
Sie lächelte entspannt. „Das vergesse ich manchmal.“
„Betrachten Sie diesen Abend als einen Wendepunkt.“
Sie neigte den Kopf leicht, als denke sie über seine Bemerkung nach. Sie hatten über Ernährung gesprochen. Einfach über Essen. Und auf einmal schien von etwas ganz anderem die Rede zu sein.
„Eigentlich weiß ich nichts über Sie, außer dass Sie gerne helfen und in der Nähe wohnen. Erzählen Sie mir etwas über sich.“
„Verraten Sie mir erst mal, ob Sie einen Korkenzieher haben.“
Sie starrte ihn an. „Jetzt haben Sie mich ertappt, was?“
„Ich habe schon vermutet, dass Sie wenig Bedarf an so etwas hatten.“
„Mal gucken, ob ich etwas finde, das uns weiterhilft.“ Sie durchwühlte eine Schublade und brachte einen Flaschenöffner zum Vorschein, in den seitlich ein äußerst schlichter Korkenzieher eingelassen war. „Voilà.“ Sie reichte ihm den Öffner.
„Das bekomme ich hin.“
„Ich werde mal fragen, ob meine Tochter uns Gesellschaft leisten möchte.“
Er kannte die Antwort bereits. Remy Bronson hatte ihn auf Anhieb nicht leiden können.
Als Faith verschwunden war, bemühte er sich, den Korkenzieher einzudrehen, ohne dass der Korken zerbröselte. Er zog ihn vorsichtig heraus, als sie zurückkam. „Remy hat gerade das Licht ausgemacht, und Alex ist vor einer halben Stunden schlafen gegangen. Der Umzug hat die beiden ganz schön geschafft.“
„Kisten auspacken vermag einen Menschen nur eine begrenzte Zeit zu fesseln.“
„Remys Feindseligkeit ist Ihnen sicher aufgefallen. Sie will hier nicht leben.“
Da er sich aus seinen Beziehungen zu verabschieden pflegte, bevor Feindseligkeit entstehen konnte, hatte er dazu wenig Kluges zu sagen. „Aber Kinder kommen über so was hinweg.“
„Haben Sie Kinder?“
„Ich war nie verheiratet.“ Er bemerkte, wie sie ihn musterte, und begriff, was ihr durch den Kopf gehen musste. „Nicht, dass ich Frauen nicht mag, Faith. Nur um das gleich klarzustellen.“
Sie hatte helle Haut, die bei jeder kleinen Provokation errötete. „Tja, lassen Sie mich es so ausdrücken: Niemand würde mich in dieser Frage für eine große Expertin halten.“
Endlich war die Flasche entkorkt, und er füllte ihre Gläser fast bis zum Rand. Diesen Pinot Grigio kannte und schätzte er, genau die richtige Reife und gewiss kein billiger Tropfen. Er reichte ihr ein Glas und beobachtete, wie sich ihre Augen angesichts der Menge weiteten.
„Ich finde, dass niemand von Ihnen erwarten konnte, darin Expertin zu sein. Die Karten hätten offen auf dem Tisch liegen sollen.“
Sie machte ein Gesicht, das sie zehn Jahre jünger aussehen ließ. „Das habe ich auch früher gedacht. Aber manche Leute belügen sich selbst genauso gut wie die Menschen, die sie angeblich lieben.“
Er kam zu dem Schluss, dass David Bronson in diesem Fall ein Weltmeister der Verdrängung gewesen sein musste. „Sie hatten sich nach meinem Leben erkundigt.“
„Danke. Habe ich.“ Sie prostete ihm zu.
Er präsentierte ihr die Kurzfassung. „Ich verdiene meine Brötchen mit Computern. Bin in Kalifornien aufgewachsen, in Chicago zur Schule gegangen, nach der Ausbildung hierher gezogen, um mein Glück zu machen. Die Hauptstadt hat es gut mit mir gemeint.“
„Warum hierher?“
„Ich bin hier zur Welt gekommen, war aber später nie mehr in der Gegend. Eigentlich wollte ich mich hier nur umschauen, aber dann bin ich geblieben. Die Computerbranche ist nicht so übervölkert wie im Silicon Valley, und ich nahm an, dass ich hier bessere Erfolgschancen hätte.“
„Und? War es so?“
„Ich bin mein eigener Boss, genauso wie ich es mir erhofft hatte.“
„Erzählen Sie mir von Ihrem Haus.“
Er spürte, wie er sich entspannte, und bemerkte erst dadurch, wie nervös er gewesen war. „Es ist eine echte Schönheit. Als ich es zum ersten Mal sah, wusste ich, dass wir zwei zusammengehören. Die Marktlage war noch nicht so angespannt wie heute. Zwar hatten schon einige Leute sein Potenzial erkannt, aber niemand war bereit, so viel Arbeit oder Geld hineinzustecken.“
„Außer Ihnen?“ Faith nahm die Kartons aus der Tüte und stellte sie auf den Herd. „Das ist nicht bloß Curry, Pavel.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ein bisschen Reis. Ein bisschen Chutney. Und Fladenbrot als Löffel-Ersatz.“
„Ich bin überwältigt. Danke.“
„Ist es noch warm?“
„Lauwarm, und ich habe leider keine Mikrowelle.“
„Ich esse es auch kalt.“
Der Gedanke schien ihr nicht zu gefallen.
„Funktioniert der Herd?“ erkundigte er sich deshalb.
„Das werden wir ja sehen.“ Sie drehte den Knopf auf die richtige Temperatur. „Das Brot kommt in die Röhre, und das Curry wärme ich im Topf auf. Es gibt nur eine halbwegs schnelle Platte und eine, die man zum langsamen Aufwärmen benutzen kann. Der Reis lässt sich auch kalt essen.“
„Das selbst gekochte Abendessen, das Sie mir versprochen haben, wird wohl noch ein Weilchen auf sich warten lassen, was?“
Sie lachte. „Sie haben Ihr Haus also gekauft, obwohl klar war, dass die Restaurierung sehr aufwändig werden würde?“
„Was Ihnen hier bevorsteht, ist schlimm genug, aber wenigstens müssen Sie nicht ein Jahrhundert voller schlechter Renovierungen ungeschehen machen.“
Sie schaufelte den Reis in eine Schale und legte das Brot auf ein Stück Backpapier. Dann füllte sie das Curry in einen Topf um und schaltete die Platte ein, bevor sie sich wieder ihrem Wein widmete. „Was für Probleme hatten Sie?“
„Zimmer, die mit billigen Zwischenwänden unterteilt worden waren. Abgehängte Decken. Zugemauerte Kamine. Die Fassade war am schlimmsten. Irgendjemand hatte Arts and Crafts schöner gefunden als Queen Anne und alles umzumodeln versucht. Jemand anderes hat das alles mit Asbestplatten verkleidet. Ich bin nie ganz dahinter gekommen, wieso die Stadt das hat durchgehen lassen.“
Normalerweise lösten seine Renovierungsgeschichten gelangweilte Blicke aus, aber Faith wirkte interessiert. Dennoch wollte er sein Glück nicht herausfordern. „Wie auch immer, ich habe mit der Fassade angefangen. Die meisten Leute finden das unklug, da ich die ganze Zeit mit und in dem verkorksten Inneren leben musste. Aber wenn Sie sehen, was ich daraus gemacht habe, werden Sie mich vielleicht verstehen.“
„Sie haben doch nicht alles selbst gemacht, oder?“
„Das meiste schon, außer der Asbest-Entsorgung natürlich. Wenn Sie mich erst besser kennen, werden Sie schon bemerken, wie hoch meine Chaos-Toleranz ist.“
Inzwischen schaute sie nicht mehr bloß interessiert an, sondern schien fasziniert zu sein. Faith Bronson war eine höchst außergewöhnliche Frau. „Genug davon“, meinte er. „Das war’s.“
„Spielverderber.“ Sie warf einen Blick in den Ofen und wirkte zufrieden. „Ich räume den Esszimmertisch frei. Der hier kommt ja wohl kaum in Frage.“ Sie deutete auf den Tisch am Fenster, auf dem sich Teller und Töpfe türmten.
„Ich kann mich ja so lange ein bisschen hier umgucken und herausfinden, was alles gemacht werden muss. Dazu bin ich ja hier.“
„Fantastisch. Klingt, als wäre ich in guten Händen.“ Ihre Blicke trafen sich, sie kicherte, und ihre Wangen röteten sich schon wieder. „Äh, ich meine natürlich: Meine Küche ist in guten Händen.“
Er erkannte, dass er gerade die Transformation einer Frau von der Ehefrau zum Single erlebte. Faith unternahm erste Gehversuche in ihrer neuen Rolle.
„Keine Panik, sowohl Sie als auch Ihre Küche können sich auf mich verlassen.“
„Also, ich kümmere mich um den Tisch.“
Solange sie im Esszimmer war, versuchte er, ein Bild von der Lage zu gewinnen. Allerdings gab es nicht viel zu sehen. Ein Blick auf den Kabelsalat in der Vorratskammer, und ihm standen die Haare zu Berge. An einem selbst gebastelten Spleiß war die Isolierung durchgeknabbert, sodass die Katastrophe nur noch eine Zeitfrage war.
„Hier gab’s Ratten oder Mäuse“, rief er ihr zu. „Und diese Leitungen sind tödlich.“
Sie kam zurück in die Küche. „Müssen wir evakuiert werden?“ Er bemühte sich, den Verlauf der Kabel zurückzuverfolgen.
„Nein, aber benutzen Sie auf keinen Fall diese Steckdose.“ Er zeigte rechts neben den Ofen. „Wenn Sie irgendwo Klebeband haben, würde ich sie am liebsten sofort zukleben, damit Sie es nicht vergessen.“
„Mal schauen, was ich finden kann.“
Als sie ein paar Minuten später mit einer Rolle wieder auftauchte, steckte er unter dem Waschbecken und begutachtete die Wasserleitungen.
„Ich klebe die Steckdose zu“, sagte sie.
„Sie brauchen einen Elektriker, Faith. Dieser Raum ist eine Zeitbombe. Sobald Sie den neuen Kühlschrank anschließen, kann das Ganze in die Luft fliegen. Hier ist seit sehr, sehr langer Zeit nichts mehr gemacht worden.“
„Meine Mutter hat es nicht ertragen, sich um das Haus zu kümmern.“
„Um den Schauplatz des Verbrechens? Die Entführung muss Ihnen allen sehr zu schaffen gemacht haben.“
„Über das Haus wurde so gut wie nie gesprochen. Und über die Entführung erst recht nicht. Was ich darüber weiß, habe ich von anderen erfahren. Und was die wussten, hatten sie vermutlich aus den Zeitungsberichten.“
„Das wundert mich.“
„Würde es nicht, wenn Sie meine Eltern kennen würden.“
Den letzten Satz hatte sie so leise gesprochen, dass er nicht sicher war, ob er ihn richtig verstanden hatte. „Politiker wissen besser als alle anderen, wie man ein Geheimnis wahrt.“
Sie wechselte das Thema. „Ich nehme an, das ist eines von den Problemen, die ich nicht selbst angehen sollte.“
Er zog den Kopf zurück, der eben noch unter dem Waschbecken gesteckt hatte. „Es sei denn, Sie sind Elektroingenieurin.“
„Aber man kann es reparieren?“
„Ja, sicher.“ Er hockte auf dem Boden und blickte zu ihr hinauf. „Genau wie die Wasserleitungen.“
„Sagen Sie mir die ganze Wahrheit.“
„Die gute Nachricht: Die Wasserleitung kann das Haus nicht in Brand setzen. Die schlechte: Sie könnten eine Arche brauchen.“
„Wie viel Zeit bleibt mir, um sie zu bauen?“
„Eine Weile. Kümmern Sie sich erst um die Kabel. Aber bevor Sie sich einen Fachmann ins Haus holen, müssen Sie genau wissen, was Sie wollen. Möchten Sie einen Geschirrspüler anschaffen? Einen Müllschlucker? Wollen Sie den Grundriss beibehalten?“
Sie wirkte wie erschlagen. „Ich habe noch nicht einmal ganz ausgepackt.“
„An Ihrer Stelle würde ich gar nicht weiter auspacken. Nur das Allernötigste. Wenn die Renovierungen erst einmal angefangen haben ...“
„Ich kann mir nicht viel leisten. Wasser- und Stromleitungen, okay, aber mit diesen Schränken werde ich noch eine Weile leben müssen.“
Pavel gefiel es, zu ihr aufzuschauen. Der Blickwinkel machte viel aus. Aus dieser Perspektive konnte er die sanften Kurven unter ihrer konturlosen Bluse und Hose besser erkennen. „Wir sollten beim Essen einfach ein paar Ideen entwickeln und diskutieren.“ Widerstrebend stand er auf. „Ich muss mir die Hände waschen.“
Als er aus dem Bad kam, teilte sie im Esszimmer alles in zwei gleich große Portionen. Er sog den Duft ein, und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. „Ich habe um sechs gegessen, aber ich kann schon wieder.“
„Es ist göttlich. Ich musste kosten, um festzustellen, ob es heiß genug ist.“
„Ich werde Ihnen eine Liste mit den besten Imbissbuden machen. Bis die Küche fertig ist, sind Sie auf solche Läden angewiesen.“ Er setzte sich auf den freien Stuhl und griff zur Gabel.
„Also, das ist furchtbar nett von Ihnen. Alles. Dabei bin ich praktisch eine Wildfremde für Sie.“
„Gerade wild genug.“
Wieder erklang ihr sinnliches Marlene-Dietrich-Lachen. „Dass wir eine Ratte haben, wusste ich übrigens. Remy hat sie gesehen.“
„Haben Sie Fallen aufgestellt?“
„Nein, aber der Kammerjäger ist bestellt, und wir haben eine Katze.“
Er guckte sie an. „Und das genügt?“
„Keine Ahnung. Aber ich habe Angst, dass die Katze in die Falle geraten könnte. Sie ist klein und nicht zahm.“
„Sie haben eine streunende Katze im Haus?“
„Auf dem Speicher, aber ich vermute, sie schleicht überall herum, wenn wir schlafen. Sie muss ihre Jungen ernähren.“
„Junge?“
„Toll, was? Als ich verheiratet war, konnten die Kinder wegen David keine Haustiere haben. Jetzt ist das ganze Haus voll: Ratten, Katzen, Kätzchen ...“
„Ihr Mann hat den Kindern verboten, Haustiere zu halten?“ Aus einer Reihe von Gründen war er David Bronson gegenüber voreingenommen. Bronsons scheinheilige Versuche, die Welt nach seinen Wünschen umzugestalten. Eine Ehe voller Lügen, die seine Frau am Boden zerstört haben musste. Aber das mit den Tieren hörte sich irgendwie noch schlimmer an, es klang nach Tyrannenherrschaft.
Offenbar hatte sie seine Gedanken erraten, denn sie lachte schon wieder. „Pavel, David leidet unter diversen Allergien. Was auch immer er mir erzählt beziehungsweise verschwiegen hat, er ist ein großartiger Vater. Er hat es sogar mit Spritzen versucht, um einen Hund anschaffen zu können. Aber sie haben nicht geholfen.“
„Sind Sie immer so gut im Gedankenlesen?“
Sie aß den größten Teil ihres Currys, bevor sie antwortete. „Das passiert, wenn man das einzige Kind ungeduldiger Eltern ist. Ich musste immer erahnen, aus welcher Richtung der Wind wehte.“
„Das ist eine ziemlich gute Erkenntnis.“
„Ich stecke voller solcher Erkenntnisse. Mehr als Sie je hören wollen. Alle frisch aus den letzten paar Monaten.“
„Wie es für Ihre Kinder ist, hier zu leben, weiß ich schon. Aber wie steht es mit Ihnen? Heute früh sind Sie ausgewichen.“
Sie nippte an ihrem Wein und ordnete ihre Gedanken. „Sie haben gesagt, dass Sie etwas mit Computern machen. Sie sind aber kein Journalist oder so?“
„Ob ich für einen Artikel über die Bronson-Familienkrise recherchiere?“
„So in der Art.“
„Nein.“ Er war mit dem Essen fertig und lehnte sich zurück. „Wir sind im Internet-Geschäft. Und wann immer es in meinem Büro ums Schreiben geht, lasse ich anderen den Vortritt.“
Sie entspannte sich sichtlich. „Dann werden Sie also kein Buch über mich verfassen.“
„Nur, wenn Sie eine neue Programmiersprache oder einen Virus erfunden haben. Ich bin nichts weiter als ein Nachbar.“ Er fühlte sich unwohl bei dieser Halbwahrheit. Wäre er nur ein Nachbar, würde er jetzt nicht hier sitzen. Er hätte sich nicht seit Jahren bei „Booeymonger“ herumgetrieben, er wäre nicht an diesem Haus vorbeigekommen, als Faith’ Klavier in Not geriet, und er hätte ihr keine Blumen und kein Abendessen gebracht.
Wäre er einfach nur ein Nachbar, dann säße er jetzt nicht in dem Haus, in dem Hope Huston entführt worden war.
„Ein guter Nachbar.“ Sie lächelte, drehte dann den Kopf und starrte in die Küche. Im nächsten Moment sprang sie auf und rannte durch die Tür.
Er war nur einen Schritt hinter ihr.
Die Küche füllte sich rasch mit Rauch. Faith riss die Ofentür auf, und von der unteren Heizspirale schossen Flammen in die Höhe. Pavel schob sie beiseite, und die Tür schnappte wieder zu.
„Nicht öffnen!“ Er schirmte sie mit seinem Körper ab, beugte sich vor, schaltete den Herd aus und zog sie dann weg.
Faith war vollkommen aus dem Häuschen. „Ich habe ihn auf Warmhalten gestellt. Im Ofen war nichts außer dem restlichen Brot. Wie konnte sich das entzünden?“
Pavel beobachtete durch das Fenster im Ofen, wie die Flammen allmählich erstarben. „Das war nicht das Brot. Die Spirale ist durchgeschmurgelt. Vielleicht ist der Thermostat hinüber gewesen. Das Ding ist mindestens dreißig Jahre alt.“
„Das darf doch nicht wahr sein!“
Seine Hände lagen noch auf ihren Armen. Sie zitterte, und ihre Augen glänzten. „Alles in Ordnung“, versicherte er. „Das Feuer erstickt allmählich. Niemand ist in Gefahr, solange Sie das Ding nicht mehr einschalten.“
„Schade eigentlich. Ich bin gut versichert, und ich könnte das Geld gebrauchen.“
Er versuchte vergebens, sich das Lachen zu verkneifen. Auch seine nächste Reaktion hatte er nicht unter Kontrolle: Er zog sie an sich und umarmte sie. „Faith, das geht in Ordnung. Öfen sind nicht so teuer. Ich kann mit Ihnen einen kaufen gehen, wenn Sie Hilfe brauchen.“ Er löste sich von ihr. „Okay?“
Sie wirkte verwirrt. Erst jetzt ging ihm auf, was er getan hatte. Sie waren mehr oder weniger Fremde, auch wenn er alles über sie wusste. Aber er hatte sie an sich gedrückt wie eine alte Freundin. Oder Geliebte.
„Tut mir Leid“, sagte er ohne einen Anflug von echter Reue. „Sie sahen einfach so aus, als könnten Sie eine Umarmung vertragen. Umarmungen sind meine große Schwäche.“
„Sind Sie sicher, dass von dem Herd keine Gefahr mehr ausgeht?“
„Ehrenwort. Ich kann ihn aber auch vom Netz nehmen, wenn Sie das beruhigt.“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern packte den Herd und ruckelte ihn vor, bis er das Kabel erreichen konnte. Ein Blick hinter den Ofen, und er schüttelte den Kopf. „Rufen Sie gleich morgen den Elektriker, Faith. Ich bringe Ihnen in der Frühe eine Liste von Bauunternehmen vorbei. Sie brauchen jemanden, der weiß, wie man die nötigen Genehmigungen am schnellsten bekommt.“
„Vielleicht hätte ich mit den Kindern wirklich nicht hierher ziehen dürfen.“
„Wenn Sie die Sicherheitsmängel erst mal behoben haben, können Sie sich mit dem Rest der Renovierung ruhig noch etwas Zeit lassen.“
„Es wird irgendwann besser, oder?“
Er wusste nicht genau, worauf sie hinaus wollte; sie spielte jedoch offensichtlich nicht auf die Renovierung an. „Gut Ding will Weile haben. Der Weg ist das Ziel. Kosten Sie es aus.“
„Bis jetzt, Pavel, war es nicht gerade ein Vergnügen.“
Er war nicht gerade sehr einfühlsam oder ein großer Tröster, aber in diesem Fall fiel ihm die Antwort leicht. „Die Welt wird sich Ihnen auf tausend neue Weisen erschließen.“
„Manche davon werden mir nicht gefallen.“
„Das stimmt. Aber das ist eher die Ausnahme.“
„Sie sind ein echter Optimist, was?“
„Ich bin zu oberflächlich, um mich auf dieser Skala irgendwie einstufen zu können. Ich bin nur zwei Zentimeter tief.“
„Oder Sie lassen die anderen nur zwei Zentimeter tief blicken.“ Das überraschte ihn. Es schien auch sie zu überraschen. Sie gab sich jedoch sofort wieder bedeckt. „Nochmals vielen Dank für das Essen. Für die Blumen. Für den Feuerwehreinsatz.“
Es war Zeit zu gehen. Er streckte die Hand aus. „Morgen früh bringe ich Ihnen die Liste, von der wir sprachen.“
Sie ergriff seine Hand nur kurz. „Dann auch dafür schon einmal vielen Dank im Voraus.“
Schweigend liefen sie zur Haustür. Erst als er auf der Vortreppe stand, ergriff er wieder das Wort. „Schlafen Sie gut. Vergessen Sie alle Sorgen, bis es wieder hell ist.“
„Gute Nacht, Pavel.“ Sie schloss die Tür hinter ihm.
Pavel stieg die Stufen hinab.
„Pavel Quinn?“
Er schaute zum ersten Stock des Nachbarhauses hinauf. Dottie Lee Fairbanks stand am offenen Fenster. Sie sprachen kein Wort. Sie schüttelte nur langsam den Kopf und trat dann vom Fenster zurück.