33. KAPITEL
Taylor erwartete nicht, dass sie wie eine Heldin empfangen würde. Das wollte sie auch gar nicht. Sie wollte einfach ins CJC schlüpfen und den Wolff-Mörder schnappen. Und sie wollte, dass Aiden aus ihrem und Baldwins Leben verschwand.
Stattdessen war die Straße gesäumt von Übertragungswagen. Reporter und Kameramänner drängelten sich auf der Suche nach dem besten Winkel für ihre Aufnahmen. Die Wagen der überregionalen Sender standen auf der 2nd Avenue dicht an dicht, ihre Satellitenschüsseln erinnerten an Fischreiher, die auf einem Bein standen und ihre Köpfe in den mittäglichen Himmel reckten.
„Zumindest wissen wir jetzt, dass du die Sympathien der Bevölkerung genießt“, sagte Baldwin.
„Ja, das ist toll. Ich will die Presse auf meiner Seite. Das wird Delores noch wütender machen. Und wenn die Oompa wütend wird, rächt sie sich. Ich bin sicher, dass sie sich schon all die Arten überlegt, auf die sie mir mein Leben vermiesen kann. Ich schätze, wir werden hinten herumfahren und uns über den Nachbarparkplatz hineinschleichen müssen.“
„Nein. Ich denke, du solltest den Weg durch die Menge nehmen.“
„Machst du Witze?“
„Nein. Geh hocherhobenen Hauptes wie die Queen, lächle, winke und sage in deinem schönsten Südstaatenakzent ‚kein Kommentar‘. Das ist ein guter PR-Schachzug für dich.“
„Ich will nicht mehr im Fernsehen sein. Außerdem bin ich dann ein perfektes Ziel für Aiden, und das willst du doch ganz sicher nicht.“
„Du bist verleumdet worden, und sie wollen das wiedergutmachen. Lass sie. Aiden wird dir inmitten dieser Menschenmenge garantiert nichts tun, vertrau mir.“
„Die Presse will es wiedergutmachen? Bist du betrunken? Sie schneiden mir eher ein Bein ab, als mich in gutem Licht dastehen zu lassen.“
Aber sie stellte das Auto auf dem Kiesplatz an der Hintertür ab. Die Menge wuchs an, Mikrofone erhoben sich wie schwarze Pilze über die Köpfe. Taylor entfernte sich ein paar Schritte vom Auto und war geblendet von den Blitzen. Einen Moment lang dachte sie, dass sich so das Leben eines Prominenten anfühlen musste, und entschied, dass so viel Aufmerksamkeit grässlich war.
Sie winkte, lächelte, ignorierte die Fragen, die ihr zugerufen wurden. Baldwin hielt ihr die Tür auf. Drinnen war es angenehm ruhig. Sie folgten den grünen Pfeilen auf dem Linoleumfußboden, der zum Büro der Mordkommission führte. Fitz, Marcus und Lincoln waren alle versammelt. Es gab Umarmungen und wohlmeinende Klapse auf den Rücken, dann zeigte Fitz auf ihr Büro.
„Die Oompa war vor wenigen Minuten da. Sie sucht dich. Beeil dich, ja? Wir haben eine ganze Menge mit dir zu besprechen. Lincoln steht kurz vor dem großen Durchbruch.“
„Okay, okay.“ Mit einem Lächeln verschwand Taylor in ihrem Büro. Auf ihrem Tisch lag eine handgeschriebene Notiz. Die Schrift war erstaunlich unleserlich.
Kommen Sie sofort zu mir. Captain Norris.
Taylor schaute Baldwin an. „Lass mal sehen, was die böse Hexe will.“
Auf ihrem Stuhl wirkte Delores größer, und Taylor fragte sich, ob sie wohl auf einem Telefonbuch saß. Die Chefin der Internen Ermittlung sprach seit fünf Minuten, aber nachdem sie gesagt hatte, dass alle Vorwürfe der Zeugeneinschüchterung fallen gelassen worden waren, hatte Taylor ihre Stimme ausgeblendet. Es gab nichts, was die Oompa ihr jetzt noch antun konnte – Taylor war sowohl intern als auch öffentlich von der Beschuldigung, ihren Kollegen kaltblütig umgebracht zu haben, rehabilitiert worden. Doch die kleine Frau redete immer noch über professionelle Verantwortung, Vorsichtsmaßnahmen, die man im Leben treffen musste, bla, bla, bla.
Taylor hörte erst wieder ernsthaft zu, als sie das Wort „Marke“ hörte. Sie schaute auf Oompas lächerlich kleine Hand und nahm das goldglänzende Stück mit Anmut entgegen. Doch so richtig komplett fühlte sie sich erst wieder, nachdem Norris ihr auch ihre Glock zurückgegeben hatte. Nicht, dass sie unbewaffnet herumgelaufen wäre, aber diese spezielle Waffe an der Hüfte zu tragen bedeutete ihr etwas.
Sie wandte sich zum Gehen, aber die Oompa räusperte sich noch einmal. Taylor schaute in ihr erwartungsvolles Gesicht hinunter.
„Ja?“
„Wollten Sie nicht noch etwas sagen?“
Taylor fühlte sich um Jahre zurückversetzt. Ihre Mutter hatte das immer zu ihr gesagt, als Taylor noch ein Kind gewesen war. Der leise Tadel in der Stimme hatte sie darauf aufmerksam gemacht, wenn sie sich bei einem freundlichen Fremden nicht ausreichend für eine Gefälligkeit bedankt hatte.
Taylor schaute Norris einen Augenblick lang ruhig in die Augen. Dann sagte sie nur „Nein“ und verließ das Büro.
Baldwin wartete auf dem Flur auf sie. Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Taylor tippte sich nur gegen die Hüfte, wo sie Waffe und Marke bereits wieder angebracht hatte. Sie sprachen nicht, sondern gingen gemeinsam durch das Treppenhaus nach draußen. Dort fing Taylor an zu lachen.
„Meine Güte, der herablassende Blick der Frau schafft mich jedes Mal. Sie denkt wirklich, sie ist die Bienenkönigin.“
„Du solltest in ihrer Gegenwart trotzdem vorsichtig sein, denn sie hat einen bösen Stachel.“
„Den kann sie sich sonst wo hinschieben. Ich weiß, dass sie es auf mich abgesehen hat, aber ich kann nicht ändern, wer ich bin oder wie ich arbeite, nur damit sie mit mir zufrieden ist. Ich habe schon vorher mit Frauen wie ihr zu tun gehabt. Sie sind so unglaublich beschäftigt damit, sich selbst zu beweisen, dass sie jeglichen Respekt für ihre Mitmenschen vergessen. Sie wird sich noch selbst ein Bein stellen, da bin ich mir sicher. Ich gehe ihr einfach von jetzt an aus dem Weg.“
Sie hatten sich alle wieder eingerichtet und an die Arbeit gemacht, als der Anruf kam.
Die Tür zu Taylors Büro stand offen. Taylor saß an ihrem Schreibtisch und wurde von Marcus darüber informiert, was er und Lincoln in der Zwischenzeit über die Wolffs in Erfahrung gebracht hatten. Die Filme, das Geld, das Doppelleben. Wenn Taylor an Marcus vorbeischaute, sah sie Lincolns Bein nervös zucken. Er hatte Corinne Wolffs Computer auf seinem Schreibtisch und den von Todd Wolff auf dem Tisch daneben. Er flog nur so durch die Dateien, nickte und sagte alle paar Minuten laut „Ja, ja, ja“.
Fitz war zum Schauplatz eines Mordes gerufen worden, hatte aber versprochen, so schnell wie möglich zurückzukommen und zu helfen. Marcus fing gerade an, über die Benzinquittungen zu sprechen, von denen Wolff so schockiert gewesen war zu hören, wie einfach sie nachzuverfolgen waren, als ein externer Anruf einging. Taylor griff zum Telefon und war überrascht darüber, Fitz’ Stimme zu hören. Er war erst zwanzig Minuten weg und hatte noch nicht viel Zeit gehabt, irgendetwas am Tatort zu unternehmen.
„Hey, was ist los?“
Seine Stimme klang so düster, wie sie es noch nie gehört hatte. „Ich brauche dich.“
Sie fragte nicht, warum, sondern nur, wo er war.
„Am Parthenon. Bring Baldwin mit. Ich habe hier etwas, das ihr beide sehen müsst. Jemand schickt euch eine Nachricht.“