6. KAPITEL
Taylor stand in Corinne Wolffs schönem begehbaren Kleiderschrank und hörte sich an, was Tim Davis zu erzählen hatte. Der Duft von Zedernholz kitzelte ihre Nase.
„Ich habe mich gerade ein wenig oberflächlich umgeschaut, da fiel mein Blick auf einen Blutspritzer an einer Schublade. Als ich sie öffnete, war er da – lag einfach inmitten der Kleidung. Er war zugedeckt worden, aber man konnte die Umrisse ganz genau erkennen. Das Blut war in den Schal gesickert, mit dem er zugedeckt war. Ich schätze, wer auch immer ihn da versteckt hat, hat nicht damit gerechnet, dass wir dort suchen würden.“
Tim spielte noch einmal alles ganz genau nach und zog die mit ‚Tücher und Schals‘ markierte Schublade auf. Dort, verborgen von einem bunt gemusterten Seidentuch, lag ein Tennisschläger. Er war verbogen und eingedellt und hatte sichtbare Blut- und Gewebespuren an den Rändern.
Taylor dachte an die Wunden an Corinnes Körper. Sams Autopsie würde es noch bestätigen müssen, aber sie dachte, dass ein Tennisschläger gut zu den Verletzungen passte, die sie gesehen hatte. Mit ausreichender Kraft dahinter konnte fast alles zur tödlichen Waffe werden. Sie fragte trotzdem. Tim hatte schon alles gesehen.
„Meinst du, der Schläger kann so viel Schaden anrichten?“
„Sicher. Er ist schön stabil. Ein Kopf ist wie eine reife Melone. Wenn man hart genug zuschlägt, platzt er auf. Und Sie wissen, wie stark Kopfwunden bluten. Sie hatte Unmengen von offenen Rissen, daher das ganze Blut. Genug, damit sich das kleine Mädchen von Kopf bis Fuß damit besudeln und es im ganzen Haus verteilen konnte. Da war jemand ziemlich wütend auf die Frau.“
„Was du nicht sagst.“ Taylor warf einen Blick zurück zu dem Fleck im Schlafzimmer, wo Corinne aus Dutzenden Wunden blutend gelegen hatte. Kein schöner Tod. Sie wandte sich wieder an Tim.
„Gut gemacht, Tim. Das wird uns eine große Hilfe sein. Mach ein paar Fotos und guck, ob du Fingerabdrücke findest. Wäre das nicht schön? Dann könnten wir den Fall innerhalb eines Tages lösen.“
„Ich werde ihn mir ganz genau anschauen, Lieutenant. Ich liebe es, wenn der Kriminelle so dumm ist, Beweise am Tatort zu hinterlassen.“
„Da sagst du was. Es scheint sich um eine zufällig ausgewählte Waffe zu handeln. Ihre Sporttasche lag auf dem Bett; der Schläger muss irgendwo in der Nähe gewesen sein. Ich frage mich, ob der Täter gestört worden ist und den Schläger in seiner Eile, das Haus zu verlassen, in die Schublade gesteckt hat.“
„Das könnte sein. Oder er hat gedacht, wir würden hier drinnen nicht suchen. Sie wissen, wie die Menschen sind. Sie vergessen zu gerne, dass wir auch etwas Grips haben.“
„Wahre Worte, mein Freund. Sag mir Bescheid, wenn du noch etwas findest.“
Taylor war froh, dass so viele Puzzleteile an ihren Platz fielen. Ihr Job war zur Hälfte getan – sie hatten ein Opfer, die Tatwaffe und Augenzeugen, die bestätigten, dass es im Haushalt der Wolffs Unstimmigkeiten gegeben hatte.
Jetzt brauchten sie nur noch den Ehemann.
* * *
Ein dunkler Geländewagen bog in die Straße am Jocelyn Hollow Court ein und hielt direkt vor dem Absperrband, das über die Einfahrt der Wolfs gespannt worden war. Als Taylor aus dem Haus trat, hörte sie das Getuschel der Nachbarn und das Schnappen der Kameras. Die Presse war vor einiger Zeit eingetroffen und berichtete aus sicherer Entfernung. Aber ihre hochauflösenden Objektive reichten ganz schön weit. Und das hier war 1a-Material. Der Ehemann des Opfers war gekommen.
Taylor beobachtete, wie Todd Wolff leicht zitternd aus dem Lincoln Navigator stieg. Er ließ die Tür offen stehen und den Schlüssel stecken; der Achtzylinder schnurrte weiter wie ein Löwe. Mit schweren Schritten ging er zur Beifahrerseite hinüber. Seine Schultern waren gebeugt, die Nase vom Weinen rot und geschwollen. Er starrte sein Haus an, als hätte er es nie zuvor gesehen. Es war sechs Stunden her, seitdem man ihm erzählt hatte, dass seine Frau und sein ungeborener Sohn tot waren.
Fitz gesellte sich zu ihr. „Wolff muss gefahren sein wie der Teufel persönlich, um so schnell hier zu sein. Ich hatte ihn frühestens um sechs erwartet.“
Er reichte Taylor eine Wasserflasche, die sie dankbar annahm. Sie drehte den Verschluss auf und nahm einen großen Schluck, um den Geschmack des Mordes herunterzuspülen. Während sie die Flasche wieder zuschraubte, murmelte sie leise: „Er sieht ziemlich aufgelöst aus.“
„Das ist eine Untertreibung. Der Kerl sieht aus wie das Leiden Christi.“
Wolff starrte immer noch auf sein Haus. Er machte ein paar wackelige Schritte darauf zu. Taylor ging schnell zu ihm und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Todd blieb stehen und drehte sich um, schaute sie aus großen, ausdruckslosen Augen an.
„Wer sind Sie?“, fragte er monoton.
„Ich bin Lieutenant Taylor Jackson, Mordkommission. Das hier ist Sergeant Peter Fitzgerald. Warum unterhalten wir uns nicht eine Minute, Mr Wolff?“
Sie lenkte ihn zurück zu seinem Wagen, doch er versuchte, sich ihr zu entziehen.
„Nein, ich möchte reingehen. Ich will Corinne sehen. Ich will zu Hayden.“
„Mr Wolff, Ihre Frau ist nicht hier. Sie wurde bereits in die Rechtsmedizin gebracht. Warum kommen Sie nicht hierher und setzen sich für einen Augenblick?“
Taylor schaute auf und sah, dass sich erneut Nachbarn auf der anderen Straßenseite zusammengetan hatten und die Journalisten ihre Kameras auf den trauernden Ehemann gerichtet hielten. Verdammt.
Sie schaute sich einen Moment um. Sie brauchten Privatsphäre, doch sie wollte nicht mit ihm ins Haus gehen, bevor die Kriminaltechniker ihre Arbeit erledigt hatten.
„Lassen Sie uns nach nebenan gehen und dort miteinander reden, okay?“
„Zu Mrs Manchini? Sie mag mich nicht.“ Aber er senkte den Kopf und ging geradewegs und ohne weitere Klagen auf das Haus seiner Nachbarin zu. Taylor warf einen kurzen Blick über ihre Schulter und folgte ihm dann. Fitz, der direkt neben Wolffs Wagen stand, schaute unauffällig durch die offen stehende Fahrertür ins Innere des Autos. Er schüttelte den Kopf, und Taylor setzte ihren Weg zum Haus der Manchinis fort. Fitz hatte nichts Ungewöhnliches entdeckt. Noch nicht.
Um halb vier hatte man der Familie Harris erlaubt, sich nach Hause zu begeben. Sie hatten die Adresse ihres Häuschens in Sylvan Park hinterlassen sowie Telefon- und Mobilnummern, unter denen sie zu erreichen waren. Hayden Wolff hatten sie mit sich genommen. Taylor sah keinen Grund, deswegen irgendwelche Umstände zu machen. Es war ja schließlich nicht so, dass sie ihr das Kind entziehen wollten oder so.
Wolff blieb an der Grenze seines Grundstücks stehen. Er drehte und wendete den Kopf, atmete in kurzen, abgehackten Zügen. „Wo ist Hayden? Wo ist meine Tochter?“ Er wandte sich wieder seinem Haus zu. Taylor griff erneut seinen Arm.
„Ganz ruhig, Mr Wolff. Ihre Tochter ist immer noch bei Ihren Schwiegereltern … Ihren Großeltern. Ihr geht es gut. Sie war ein wenig hungrig und müde, aber sie ist in Sicherheit. Sie müssen sich um sie keine Sorgen machen.“
„Ich will sie sehen. Ich will sie auf der Stelle sehen. Ich will meine Tochter sehen!“ Seine Stimme wurde immer lauter, und das letzte Wort klang wie das Heulen eines verletzten Tieres. Taylor hörte Fotoapparate auslösen, als Wolff auf dem Rasen zwischen den beiden Häusern auf die Knie sackte und anfing zu schluchzen. Die Videokameras filmten, nahmen die gesamte Szene auf. Es war ein herzzerreißender Anblick, der einen Höhepunkt in den Fünfuhrnachrichten bilden würde.
Taylor ging neben ihm in die Hocke, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Verdammt, sie wollte nicht in den Nachrichten gezeigt werden, wie sie versuchte, den trauernden Ehemann aufzurichten.
„Mr Wolff“, sagte sie so liebevoll es ihr möglich war. „Sie müssen aufstehen und mit mir kommen, Sir. Lassen Sie sich von mir ins Haus Ihrer Nachbarin bringen, wo wir ein wenig reden können. Je eher wir das hinter uns haben, desto eher können Sie zu Ihrer Tochter.“
„Mein Sohn“, schrie er. „Mein Sohn ist tot, und Sie halten meine Tochter fest. Das ist nicht richtig. Das ist nicht fair!“
Fitz kam zu ihr. Sie fing seinen Blick auf und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihr zu helfen. Hysterische Anfälle würden ihnen jetzt nicht weiterhelfen. Sie packten beide je einen Arm und zogen Wolff daran auf die Füße. Er weinte heftig. Tränen und Schnodder vermischten sich und rannen über sein Gesicht, aber wenigstens hatte er aufgehört zu schreien. Das war ein Schritt in die richtige Richtung. Sie schafften es, ihn ohne weitere Vorfälle in das Haus der Manchinis zu geleiten.
Taylors Telefon klingelte. Sie trat ein paar Schritte beiseite und ließ den verstörten Mann von Fitz zu der inzwischen schon vertrauten Chintz-Couch führen. Carla Manchini stand in der Mitte des großen Zimmers; ihre Augen hinter der Brille leuchteten. Das war mehr Aufregung, als diese Frau seit Jahren erlebt hatte.
Da Taylor die Nummer des Anrufers nicht erkannte, ließ sie die Mailbox rangehen und gesellte sich wieder zu Fitz, Mrs Manchini und Todd. Es war vermutlich sowieso nur ein Reporter gewesen.
„Mrs Manchini, wäre es möglich, dass wir das Zimmer für ein paar Minuten für uns haben könnten? Wir würden gerne allein mit Todd sprechen.“
Ein Ausdruck der Enttäuschung huschte über Mrs Machinis Gesicht, doch sie nickte wie ein kleiner Vogel. „Es ist eh gleich an der Zeit, dass ich mich zu meinem Buchklub aufmache. Ich brauche mindestens dreißig Minuten zur Buchhandlung. In der Küche steht eine frische Kanne Tee. Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie hinter sich abschließen, Lieutenant? Normalerweise mache ich mir darüber keine Gedanken, aber jetzt …“
„Natürlich, Ma’am. Wir wissen Ihr Entgegenkommen heute sehr zu schätzen. Sie waren uns eine große Hilfe.“
Geschmeichelt nahm Mrs Manchini ihre Handtasche und ein zerlesenes Exemplar von Tasha Alexanders ‚A Fatal Waltz‘ und verließ das Haus. Ihr Lesekreis würde heute Abend einige aufregende Geschichten zu hören bekommen.
Todd Wolff war auf dem Sofa zusammengesackt. Er hatte aufgehört zu weinen, schniefte aber immer noch und wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab.
Taylor setzte sich in den chintzbezogenen Sessel neben ihn. Sie wartete, bis er sich gefasst hatte, und reichte ihm ein Taschentuch aus der umhäkelten Box auf dem kleinen Beistelltischchen. Er trocknete sich die Augen und räusperte sich.
„Mr Wolff, darf ich fragen, wo Sie gewesen sind?“
Als er nicht sofort antwortete, schaute Taylor ihn sich genauer an. Er war ein gut aussehender Mann mit dichten schwarzen Haaren, blitzenden schwarzen Augen und dunklen Stoppeln auf seinem gespaltenen Kinn. Während sie ihn so anschaute, dachte Taylor kurz an die hellhaarige Hayden. Zwei dunkelhaarige, dunkeläugige Eltern haben ein blondes Kind mit blauen Augen. Aus genetischer Sicht sehr interessant.
Mit einem tiefen Schluchzer fing Wolff zu sprechen an. „Ich stehe kurz vor der Eröffnung einer Wohnanlage in Savannah, Georgia. Ich war dort, um die letzten Arbeiten zu überwachen. Es gibt noch tausend Dinge zu tun, und ich bin derjenige, der die Schecks ausstellen muss.“
„Sie bauen Häuser? Wolff Construction?“
„Ja.“
„Wann sind Sie nach Georgia abgereist?“
„Freitag gegen Mittag. In dieser letzten Phase des Projekts fahre ich alle zwei Wochen dorthin.“
„Immer mit dem Auto?“
„Ja. Ich bin ein erfolgreicher Bauunternehmer, aber ich habe auch keine endlosen finanziellen Mittel. So ist es billiger.“
„Das klingt nach einer langen Fahrt“, warf Fitz ein.
„Ich mag das. Das macht den Kopf frei.“
„Bleiben Sie immer übers Wochenende?“, fragte Taylor.
„Ja. Ich komme Montagnachmittag zurück.“
„Wann haben Sie das letzte Mal mit ihrer Frau gesprochen?“
Wolff schwieg einen Augenblick. „Samstagmorgen.“
„Das war das letzte Mal?“
„Ja.“
„Haben Sie noch mal versucht, sie anzurufen, nachdem Sie am Samstag mit ihr gesprochen haben?“
„Ja. Ich wollte Hayden am Samstagabend eine Geschichte vorlesen. Das war eine Tradition zwischen uns.“
„Doch es ist niemand rangegangen?“
„Nein.“ Wolffs Stimme zitterte, doch er schaffte es, die frischen Tränen zurückzuhalten.
„Haben Sie sich keine Sorgen gemacht, als sie Corinne nicht erreichen konnten?“
Todd zuckte bei der Erwähnung des Namens seiner Frau. „Ich habe es gar nicht wirklich registriert. Gott hilf mir, ich war so mit den Problemen auf der Baustelle beschäftigt, dass ich ihr einfach eine Nachricht hinterlassen habe, als ich sie nicht erreichen konnte. Ich dachte, sie wäre mit ihren Schwestern unterwegs. Wenn ich nicht in der Stadt war, hat sie sich öfter mit ihren Freundinnen getroffen oder gemeinsam mit Michelle und Nicole Filme angeschaut. Manchmal nahm sie sich einen Babysitter für Hayden und genoss ein wenig freie Zeit allein für sich. Ich habe noch einmal gegen zehn angerufen, aber als der Anrufbeantworter dranging, habe ich aufgelegt und es auf ihrem Handy versucht. Dann bin ich ins Bett gegangen. Sie mochte es nicht, wenn ich ihr hinterherspionierte.“
„Und am Sonntag?“
„Am Sonntag habe ich gegen Mittag angerufen, aber sie hat nicht abgenommen. Auch das hat mich nicht beunruhigt. Sie ist sehr unabhängig und braucht mich nicht, damit ich sie den ganzen Tag unterhalte. Da ich so oft außerhalb der Stadt zu tun habe, hat sie sich daran gewöhnt. Wie ist sie, wie wurde sie …“
Er fing wieder an zu weinen. „Wer hat das getan, Lieutenant? Ich liebe meine Frau. Wir haben uns gut verstanden, haben zusammen ein wunderschönes Mädchen, erwarteten unseren Sohn. Wir waren glücklich. So etwas passiert glücklichen Menschen doch einfach nicht.“
Oh, wenn es nur so leicht wäre, dachte Taylor. Die guten und glücklichen Menschen leben ein normales Leben, und böse Dinge geschehen nur bösen Menschen. Ja, genau. „Unglücklicherweise kann ich Ihnen da im Moment noch keine Antwort geben, Mr Wolff. Kommen wir noch einmal auf ihr Projekt in Savannah zurück. Wo übernachten Sie, wenn Sie dorthin fahren?“
„In der Straße, in der ich baue, gibt es ein Hampton Inn. Meine Sekretärin kann Ihnen die Einzelheiten sagen.“
„Und da wohnen Sie jedes Mal?“
„Ja. Es ist bequem und sauber. Und nicht zu teuer. Ich muss meine Kosten im Blick behalten, verstehen Sie?“
„Ihre Firma hat sich einen guten Ruf aufgebaut. Wie sind Sie zu diesem Gewerbe gekommen?“
„Auf dem ehrlichen Weg. Ich habe in den Sommern für meinen Dad gearbeitet. Er war Schwerlastkranführer für einen Typen drüben in Ashland City. Ich hatte die Möglichkeit, ein wenig von allem zu tun. Ich liebe das Zimmermannshandwerk, liebe es zu sehen, wie aus dem Nichts ein Haus entsteht. Ich habe ein gewisses Talent für Zahlen. Es war die natürliche Weiterentwicklung meiner Laufbahn. Warum ist das so wichtig?“
Taylor schlug die Beine übereinander. „Wir unterhalten uns einfach nur, Mr Wolff. Laufen die Geschäfte gut?“
„Besser, als ich es verdient habe.“
„Keine Geldprobleme? Finanziell geht es Ihrer Familie gut?“ „Lieutenant, ich glaube kaum …“ Er hielt inne, als ihm bewusst wurde, was Taylors Frage implizierte. „Sie glauben, ich habe es getan.“
„Ich versuche nur, ein Gefühl für Ihr Leben zu bekommen, Mr Wolff. Ich impliziere gar nichts. Erzählen Sie mir von Ihren Finanzen. Sie erwähnten, dass Sie fahren, anstatt zu fliegen, weil es billiger ist. Haben Sie geschäftliche Probleme?“
Er wurde ganz ruhig. „Lieutenant, was ist hier geschehen? Was ist mit meiner Frau passiert? Niemand sagt mir irgendetwas.“
Die Ungeschütztheit seiner Gefühle berührte Taylor. Sie fing Fitz’ Blick auf. Entweder der Mann war ein unglaublich guter Schauspieler, oder er wusste wirklich nicht, auf welche Weise seine Frau gestorben war.
„Mr Wolff“, setzte Taylor neu an. „Haben Sie und Ihre Frau sich gestritten?“
Er erwiderte ihren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Augen waren tiefe Seen des Schmerzes. „Natürlich haben wir uns gestritten. Wir sind nicht perfekt. Wir haben unsere Kabbeleien, wie jedes verheiratete Pärchen auf der Welt. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich meine Frau getötet habe, lautet die Antwort: nein.“
Taylor schaute ihn noch einen Moment länger an. Nun, es war immer gut, die Reaktion auf die Wahrheit zu überprüfen. Sie entschied sich, es zu probieren. Irgendetwas an Wolffs Verhalten ließ sie ihm Glauben schenken. Ein schneller Blick zu Fitz bestätigte, dass ihre Entscheidung berechtigt war.
„Wir haben im Moment eine ganze Menge zu tun, Mr Wolff. Beweise werden gesammelt, die Ermittlungen laufen an. Was ich Ihnen jedoch sagen kann, ist, dass Ihre Schwägerin heute Morgen kam, um Corinne zum Tennis abzuholen. Ihre Frau wurde schwer zusammengeschlagen im Schlafzimmer gefunden. Ihre Tochter scheint unverletzt zu sein.“
„Und das Baby?“
Seine Stimme brach, und Tränen rannen über seine Wangen; stumme, silberne Spuren. Die Stimme eines Verdammten, eines Mannes, der die Antwort auf seine Frage wusste, aber sich trotzdem zwang, sie zu stellen.
„Ihr Sohn hat den Angriff nicht überlebt, Mr Wolff. Zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung war Ihre Frau bereits einige Zeit tot. Es tut mir sehr leid.“
Wolff bekam einen Schluckauf. Er stand auf und rannte dann aus dem Zimmer. Taylor hörte, wie er sich im Gästebad übergab. Dann drehte er das Wasser an, um die Geräusche zu übertönen.
Fitz hatte während ihrer Unterhaltung die ganze Zeit schweigend danebengesessen. „Meinst du, wir müssen ihn mit aufs Revier nehmen?“, fragte er leise.
Das Wasser im Badezimmer lief immer noch. Taylor schüttelte den Kopf und antwortete flüsternd: „Ich denke, er hat im Moment genug auf seinem Teller. Das war eine ziemlich instinktive Reaktion für jemanden, der wusste, was kommen würde. Vielleicht hält er uns zum Narren, aber ich neige dazu zu glauben, dass er uns die Wahrheit erzählt. Entweder er ist ein wahres kriminelles Genie – arrangiert es so, dass er nicht in der Stadt ist, heuert jemanden an, der seine Frau umbringt –, oder er weiß wirklich nicht, was passiert ist. Lassen wir ihm diese Nacht mit seiner Tochter und befragen ihn morgen früh noch mal. Wir haben noch eine ganze Menge zu überprüfen, zum Beispiel ihre Finanzen und die ganzen Beweise, die Tim gesammelt hat. Ich denke, wir packen jetzt hier zusammen und machen Schluss für heute.“
„Denke ich auch. Ich bring ihn zu den Harris’ und seiner Tochter.“
„Das klingt gut. Ich fahre ins Büro, lege schon mal das Mordbuch an und schließe mich mit dem Captain kurz. Wir sehen uns dann dort.“
Die Toilettenspülung wurde betätigt und das Wasser ausgestellt. Wolff kam zurück ins Wohnzimmer, die Augen blutunterlaufen. Er wirkte etwas verlegen. „Tut mir leid, dass ich so die Kontrolle verloren habe.“
„Ist in Ordnung. Wir verstehen das. Ich denke, es ist an der Zeit, für heute Schluss zu machen. Die Autopsie Ihrer Frau beginnt morgen früh, und wir würden dann auch gerne noch einmal mit Ihnen sprechen. Aber jetzt bringen wir Sie erst einmal zu Hayden und Ihrer Familie.“
Als sie gingen, warf Taylor noch einmal einen Blick zum Haus der Wolffs. Was war dort passiert? War es ein Einbruch, der schiefgegangen war? Es sah allerdings nicht danach aus, als ob etwas gestohlen worden wäre. Nein, es fühlte sich definitiv nach etwas Persönlichem an, und Todd war der offensichtliche Tatverdächtige.
Irgendwas an ihm stimmte nicht. Bislang hatte er stets die angemessene Reaktion gezeigt, doch Taylor musste immer wieder an Corinnes Familie, insbesondere ihren Vater, denken, der darauf beharrt hatte, dass Todd irgendwie Schuld am Tod seiner Frau war.
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass man sie angelogen hatte.