32. KAPITEL
Taylor saß in ihrem Wagen und schrieb die Informationen nieder, die sie gerade von Thalia erhalten hatte. Sie musste Fitz die Namen der anderen Mädchen zukommen lassen und Marcus bitten, sie aufzuspüren. Außerdem mussten gegen Todd Wolff neue Klagen wegen Kinderpornografie eingereicht werden. Mit etwas Glück würde er alles gestehen und ihnen verraten, an wen er die Filme verkauft hatte, damit sie den ganzen Ring sprengen konnten.
Fitz ging nach dem ersten Klingeln ran. Taylor sprach schnell. Es dauerte nur wenige Minuten, um die notwendigen Informationen zu übermitteln und den Anruf zu beenden. Sie konnten es nicht riskieren, dass er Ärger mit den Oompas bekam. Um den Fall nicht zu gefährden, würde Fitz den Spuren ihrer morgendlichen Arbeit folgen und die Informationen bestätigen, die Taylor erhalten hatte.
Irgendetwas mit dieser Geheimgesellschaft fühlte sich nicht richtig an. Der Gedanke an eine Gruppe von Highschoolmädchen, die versuchten, in der Pornoindustrie Fuß zu fassen, und dazu ihre Freundinnen rekrutierten, schien ihr ein bisschen zu weit hergeholt. Taylor nahm an, dass es einen Außenstehenden gab, einen Profi, der die Mädchen manipulierte. Der es Geheimloge nannte, die Unsicherheiten der Mädchen ausspionierte, ihre Ängste, ihren kindlichen Wunsch, etwas Besonderes und berühmt zu werden. Der sie glauben ließ, dass sie dieses Leben wollten, der es als glamourös, lustig … als ein Spiel darstellte. Definitiv eine Position, in der sie sich Todd Wolff vorstellen konnte.
Taylor hatte auf den Filmen keine Hinweise auf andere Männer finden können, aber falls Corinne Sex mit bisher ungesehenen Teilnehmern gehabt hatte, könnte das ihre Panikattacken bezüglich der Schwangerschaft erklären. Ihre Mutter vermutete eine Affäre, Dr. Ricard hatte gesagt, Corinne wäre von jedem um sie herum manipuliert worden, und hatte in ihrer Aufzählung das Wort Liebhaber erwähnt. Sam musste an dem Fötus einen Vaterschaftstest durchführen. Taylor machte sich eine entsprechende Notiz und kehrte dann zu ihren Gedanken zurück.
Thalia hatte erwähnt, dass Todd Wolff einen Chef hatte. Sie wäre nicht überrascht, wenn Geld den Besitzer gewechselt hätte, das nichts mit dem Gewinn aus den Verkäufen zu tun hatte. Wolff war ein Zuhälter, schlicht und einfach. Jetzt mussten sie nur noch herausfinden, bei wem er in Diensten stand.
Oh, sie hätte Thalia nach Drogen fragen sollen. Sie klappte ihr Telefon auf und rief das Mädchen an.
Der Anrufbeantworter ging ran, und Taylor hinterließ eine Nachricht.
Sie fühlte sich gut. Sie spürte, dass sie kurz vor einem Durchbruch standen. So war es immer mit diesen Fällen. Entweder man fand sofort einen Faden, der sich schnell aufribbelte, oder man lief monatelang gegen Wände. Es wäre nur nett, wenn sie noch ihre Marke hätte und ihren Job richtig ausüben könnte.
Die Wut kochte erneut in Taylor hoch, und sie schlug mit beiden Fäusten auf ihr Lenkrad, wobei sie sich Delores’ Gesicht vorstellte. Das war schon besser. Sie beruhigte sich, atmete tief durch und entspannte ihre Schultern. Im Moment konnte sie nichts mehr tun. Sie musste einfach durchhalten. Die Wahrheit würde bald ans Licht kommen.
Mit dem Gefühl, den Morgen gut verbracht zu haben, blieb sie in ihrem Auto sitzen und versuchte zu entscheiden, was sie als Nächstes tun würde. Verdammt, das nervte. Sie konnte nicht arbeiten gehen, konnte aber auch nicht nach Hause fahren und dort tatenlos herumsitzen. Vielleicht sollte sie eine kleine Ausfahrt machen und Sam besuchen. Das war immer ein probates Gegenmittel, wenn es ihr schlecht ging. Lange bevor sie Baldwin kennengelernt hatte, war Sam stets ihr erster Resonanzboden gewesen.
Nur um sicherzugehen, rief sie Baldwin an und sagte ihm, wohin sie fuhr. Er sagte ihr, dass er sich gerade gegenüber von Sam im Büro des Tennessee Bureau of Investigation befand und sie in einer Stunde in der Rechtsmedizin treffen würde. Und er ermahnte sie, weiter auf sich achtzugeben.
Sie startete den Wagen und gab ihren Beschützern einen Moment Zeit, sich ebenfalls für die Abfahrt zu rüsten. Dann bog sie links auf die Charlotte, kurz danach rechts auf die 46th und fuhr von dort auf den Highway. Innerhalb von fünfzehn Minuten erreichte sie die Rechtsmedizin. Sie sah niemanden, der ihr gefolgt war, und nahm an, dass die Jungs an der Gass Street Stellung bezogen hatten. Falls Aiden irgendwo in der Nähe war, konnte sie ihn ebenfalls nirgends entdecken. Sie fragte sich kurz, wie das FBI einen Mörder fangen wollte, der es schaffte, unerkannt durch Länder und Zuständigkeitsbezirke zu reisen, dann schob sie die Sorgen beiseite und stieg aus. Ein Druck auf die Fernbedienung verschloss ihr Auto. Taylor ging zum Eingang, zog ihre Karte durch den Schlitz und betrat das Gebäude.
Hinter dem Empfang saß Kris und begrüßte sie wie üblich mit einem warmherzigen Lächeln und einem Winken. „Hey, LT, wie geht’s?“
War es möglich, dass Kris keine Nachrichten gesehen hatte? Taylor trat an den Tresen und fing an, mit einem der Stifte zu spielen, die dort lagen.
„Hey Kris. Mir geht’s gut. Kannst du mir einen Gefallen tun? Lass bitte niemanden, den du nicht kennst, ins Gebäude, während ich hier bin, ja? Ich werde von so einem komischen Typen verfolgt und würde ihm lieber nicht begegnen.“
„Dein Freund hat vor ein paar Minuten angerufen und mich vorgewarnt. Ganz ehrlich, Taylor, ich weiß nicht, warum du den Jungen nicht heiratest. Das ist ein ganz feiner Kerl, falls du verstehst, was ich meine.“ Kris warf ihr einen gespielt lüsternen Blick zu. Taylor errötete und verdrehte die Augen. Sie enthielt sich einer Antwort und winkte stattdessen nur, dann eilte sie durch die zweite Sicherheitsschleuse, die zu Sams Büro führte.
Guter Gott. Kris stand normalerweise eher auf die bösen Jungs. Taylor hatte sie mal zufällig in einer Kneipe getroffen. Kris hatte mit zwei Typen, die aussahen wie Hells Angels, Billard gespielt und Whisky getrunken und war schon ziemlich betrunken gewesen. Einen der bärtigen Männer hatte sie Taylor als ihre aktuelle Affäre vorgestellt. Nun fragte Taylor sich, ob Baldwin auch solche Schwingungen ausstrahlte und sie es nur nicht merkte, weil sie ihn so gut kannte. In Sams Büro angekommen setzte sie sich, legte die Füße auf eine Ecke des Schreibtischs und wartete.
Fünf Minuten später war sie tief in einen Tagtraum darüber versunken, wie Baldwin wohl auf einem Motorrad aussehen würde, als Sam hereinkam und sich die Hände mit einem Papierhandtuch abtrocknete. Nach einem Blick auf Taylor wechselte ihr Gesichtsausdruck von sonnig zu stürmisch.
„Geht es dir gut?“, fragte sie ohne Vorrede.
„Nicht wirklich, aber ich habe ja keine große Wahl.“
Sam umarmte sie kurz, dann setzte sie sich ebenfalls hin.
„Haben deine Leute schon irgendeine Ahnung, was da gespielt wird?“
„Baldwin arbeitet daran. Er hat eine Freundin, die beweisen kann, dass das Video der Schießerei gefälscht wurde. Den Rest aufzuklären dauerte ein wenig länger. Wer auch immer die Website betreut, er hat sie gut gesichert. Und ich stehe hier draußen in der Kälte und kann nichts tun.“
„Wo warst du den ganzen Morgen über?“ Sams Augen glitzerten, und Taylor musste lächeln.
„Okay, ich habe ein wenig gegraben. Ich kann nicht einfach nur herumsitzen und nichts tun. Ich habe die Namen der Mädchen von dem Video mit Todd Wolff herausgefunden. Wie sich herausstellte, gehen sie alle auf die Highschool und gehören einem Geheimklub an, der Amateurpornos herstellt. Kannst du dir das vorstellen?“
„Sehr ambitioniert“, witzelte Sam.
Taylors Handy klingelte. Sie sah Thalia Abbotts Nummer auf dem Display. „Sam, warte eine Sekunde. Hallo? Hi, Thalia … Ja, illegale Drogen … Okay. Danke noch mal für deine Hilfe.“ Sie klappte das Telefon zu, holte ihr Notizbuch heraus und sprach laut, während sie schrieb.
„Ecstasy, Kokain und Hasch. Nicht notwendigerweise nur von Todd Wolff zur Verfügung gestellt. Schockierend.“
„Die Kinder heutzutage. Ich mache mir Sorgen um die Zwillinge. Was mach ich nur, wenn sie das Alter erreichen? Wenn sie alles wissen wollen über Sex und Trinken und Drogen? Ich bin sicher, die Eltern dieser Mädchen haben ihnen auch beigebracht, was richtig und falsch ist. Aber schau sie dir an.“
„Darauf habe ich auch keine Antwort. Meine Mutter hat mir so viel Aufmerksamkeit gewidmet wie eine Katzenmutter in der Wildnis, und aus mir ist trotzdem was geworden.“
„Darüber lässt sich streiten.“
„Ha, ha.“
Nun klingelte Sams Telefon. Sie ging ran, hörte eine Minute lang zu und legte wieder auf. „Diese Information wirst du lieben.“
„Lass mich raten. Du bist suspendiert, weil du mit mir befreundet bist.“
„Besser. Wir haben die Bestätigung, dass an dem Samen, den wir in Corinne Wolffs Vagina gefunden haben, ein DNA-Test durchgeführt werden kann.“
„Echt? Wessen Sperma war es?“
„Jetzt stellt sie die richtigen Fragen. Ich habe die Probe zur Analyse geschickt.“
„Das kann Monate dauern.“ Taylor sackte in ihrem Stuhl zusammen.
Sam schob sich die Ponyfransen aus der Stirn und schenkte Taylor ein entschuldigendes Lächeln. „Nun, vielleicht auch nicht. Weißt du noch, dass wieder über ein neues Labor hier bei uns abgestimmt werden soll? Dafür brauchen sie ein paar Proben, um der Verwaltung zu zeigen, wie das alles genau funktioniert. Ich habe einfach Corinnes Proben mit reingeschmuggelt. Die Ergebnisse sollten heute am späten Nachmittag zurück sein. Der ganze Zweck der Übung war es ja, um wie viel schneller und effektiver wir arbeiten und Verbrechen lösen könnten, wenn wir unser eigenes Labor hätten. Tod Wolffs DNA ist jetzt im System, also wenn es eine Übereinstimmung gibt, werden wir es erfahren. Genauso, wenn es keinen Treffer gibt.“
„Ich drück die Daumen für einen Treffer. Wenn nicht, hätten wir einen weiteren Tatverdächtigen. Jemand, der mit dem Opfer geschlafen hat. Als ob wir noch weitere Komplikationen brauchen könnten.“ Ein Gedanke nagte an ihr, aber sie fand keinen Zugriff darauf.
„Sieh es doch mal so: Die Ergebnisse werden uns einige Fragen beantworten. Falls die DNA nicht die von Wolff ist, könnte sie die vom Mörder sein. Auch wenn ich zugeben muss, dass Wolff als Täter schon gut passt. Hast du gehört, dass wir das Blut von der Werkzeugkiste Corinne Wolff zuordnen konnten? Es gibt noch keinen zuverlässigen Test, der uns verrät, wann das Blut dort hinterlassen wurde; ein Punkt, den ein guter Verteidiger auszuschlachten weiß. Aber immerhin wissen wir, dass es ihr Blut ist.“
„Nein, das habe ich nicht gehört. Verdammt. Wie kann die blöde Norris mir das nur antun? Ich will diesen Fall bearbeiten. Alle diese Details tauchen auf, und ich habe nicht das volle Bild. Wie soll ich einen Fall lösen, wenn mir nicht erlaubt ist, an ihm zu arbeiten?“
„Ich weiß, Süße. Die Oompa ist eine alte, vertrocknete Hexe, die neidisch auf deinen Erfolg ist. Das Schöne ist, du bist unschuldig. Baldwin wird das bald bewiesen haben, und dann müssen sie dich wieder einsetzen. Also, halt noch einen Moment die Füße still und warte ab. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber du kannst nicht so halb gar herumlaufen wie heute Vormittag. Was hast du da überhaupt gemacht?“
„Ich habe mich mit Corinnes Psychotherapeutin getroffen. Nachdem du das Benzodiazepin in ihrem Blutkreislauf gefunden hast, hab ich nachgeforscht, wer es ihr verschrieben hat. Es war ihre Gynäkologin. Sie gab ihr Lorazepam, schickte sie aber auch zur Therapie, in der Hoffnung, dass sie ihre Probleme auf diese Weise lösen könnte.“
„Was für Probleme waren das?“
„Es scheint, dass Miss Corinne in jemand anderes Pool geschwommen ist, falls du verstehst, was ich meine. Irgendeine Chance, dass du einen DNA-Test an dem Fötus gemacht hast? Sie reagierte auf das Baby irgendwie total hysterisch und litt unter ausgeprägten Panikattacken.“
„Natürlich. Wir bekommen alle Ergebnisse gleichzeitig zurück. Das mit Corinnes Krankheitsbild ist interessant. Ich habe im Studium von einem ähnlichen Fall gehört. Die Frau war davon überzeugt, den Antichrist in sich zu tragen. Sie mussten sie unter Beruhigungsmittel stellen, weil sie immer versucht hat, den Fötus aus ihrem Bauch herauszuschneiden.“
„Sie hatte eine Affäre mit dem Teufel?“
„Nicht, dass ich wüsste. Außer der Teufel wohnt in New Jersey und heißt Dave. Sie waren ein komplett normales Paar. Diese Schwangerschaftspsychose hat sie erst entwickelt, nachdem herausgekommen ist, dass sie auch mit dem Bruder des Ehemanns geschlafen hatte und nicht wusste, von wem das Kind nun ist. Ich denke, die Fallstudie kam zu dem Schluss, dass sie einfach meschugge war.“
„Was für ein netter, allumfassender medizinischer Begriff. Meschugge.“
„Tja, ich bin Pathologin, nicht Psychiaterin. Wenn man vom Teufel spricht.“
Taylor drehte sich um. Baldwin stand in der Tür, seine Statur füllte die Lücke komplett aus. Mit verschränkten Armen lehnte er sich links an den Türrahmen. Taylor lächelte ihn an. Er grinste zurück.
„Du bist ein sehr böses Mädchen. Hi, Sam.“
„Ach menno, wieso kann ich nicht mal das böse Mädchen sein?“ Sam zog eine Schnute und warf ein zusammengeknülltes Blatt Papier nach Baldwin, der es auffing und in einer fließenden Bewegung in ihren Papierkorb beförderte.
„Angeber“, sagten Taylor und Sam gleichzeitig, was sie in einen Lachanfall ausbrechen ließ.
Baldwin fiel mit ein. Sein gutmütiges Lachen hallte durch den Raum. Als sie mit dem Gekicher fertig waren, setzte er sich neben Taylor.
„Gute Neuigkeiten. Sherry hat die Videos auseinandergenommen und das Stück gefunden, das eingefügt worden ist. Es handelte sich um eine ziemlich ausgefeilte Tonspur, also nichts, was jeder an seinem Heimcomputer zusammenbasteln könnte. Wer auch immer das getan hat, ist ein Experte im Drehen und Schneiden von Filmen, so viel ist mal sicher. Die Beweise sind gerade per Kurier zu deiner Freundin Delores Norris und in Kopie an Price und den Polizeichef geschickt worden.“
Er ließ sich tiefer in den Sessel sinken und schlug die Beine über. Taylor fiel auf, dass seine Socken nicht zueinanderpassten. Einen dekorierte ein Muster aus kleinen Uhren, und den anderen verzierten winzigen Diamanten. Sie verkniff sich das Lachen. Er war ziemlich durcheinander gewesen, als er sich angezogen hatte. Vielleicht würde er den Rest des Tages überstehen, ohne dass es außer ihr noch jemandem auffiel.
Sie schaute auf und sah, dass er sie beobachtete. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Er wusste das mit den Socken. Er machte eine Geste mit der rechten Hand, die sie nur zu gut kannte und mit der er wortlos ausdrückte, dass es nicht so wichtig war.
„Ein paar Kopien sind vielleicht durchgerutscht und könnten eventuell in den örtlichen und nationalen Fernsehsendern auftauchen.“
Taylor erfasste eine Welle der Erleichterung. „Gott sei Dank.“
„Dank nicht ihm, dank mir.“
„Du weißt, was ich meine. Natürlich dir vielen Dank. Glaubst du, dass sie mich wieder in Dienst nehmen werden?“
„Sie haben keine andere Wahl. Wenn sie sich nicht innerhalb einer Stunde bei dir melden, habe ich für heute Nachmittag um fünf ein Live-Interview mit Sherry auf Channel 5 angesetzt.“
Taylor drückte dankbar seine Hand. „Also müssen wir nur warten?“
„Genau. Worüber habt ihr gerade gesprochen?“
„Über den Wolff-Fall. Sam hat einen coolen Trick vollführt und ein paar DNA-Proben ins System geschmuggelt. Corinne Wolff hat mit jemandem Sex gehabt, und wir finden hoffentlich raus, mit wem. Der Ehemann hat erst ausgesagt, mindestens eine Woche vor Corinnes Tod nicht mehr mit ihr geschlafen zu haben, dann erinnerte er sich später dran, es, direkt bevor er die Stadt verlassen hat, noch mal mit ihr getan zu haben. Aber wenn ich mir die Zeitachse so anschaue, wenn es ausreichend aktives Sperma für eine DNA-Analyse gegeben hat, muss sie noch mit jemand anderem Sex gehabt haben, nachdem Todd am Freitagmorgen abgereist ist. Glaubst du, das kommt zeitlich so hin, Sam?“
„Nun, wenn sie Samstagmorgen gestorben ist und wir bei der Obduktion am Dienstagvormittag bewegliches, aber nicht erkennbares Sperma gewinnen können … Es ist schwer, den genauen Zeitpunkt zu bestimmt, aber ich schätze, sie hatte sehr spät am Freitagabend oder Samstagmorgen bevor sie starb Geschlechtsverkehr.“
„Und Todd Wolff ist früh am Freitagmorgen weggefahren.“
„Frag Baldwin nach der Schwangerschaftspsychose“, drängte Sam.
„Ich muss ihm erst eine Zusammenfassung geben – wir haben bisher noch nicht über den Fall gesprochen. Er war bis gestern in Virginia.“ Ein Stromschlag rauschte durch den Raum, als wenn sie in eine Steckdose gefasst hätte. Aiden. Oh Gott, sie hatte ganz vergessen, dass er irgendwo da draußen war. Sie wollte jedoch keine Erklärung abgeben, und auch Baldwin sagte nichts. Sam bemerkte das unangenehme Schweigen, war aber klug genug, nicht danach zu fragen.
Taylor wandte sich an Baldwin. „Ich gebe dir einen kurzen Überblick über den Fall. Corinne Wolff, sechsundzwanzig, im siebten Monat schwanger mit einem Sohn, ihrem zweiten Kind. Der Ehemann ist angeblich nicht in der Stadt. Sie ist Montagmorgen gefunden worden, wurde in ihrem Schlafzimmer mit einem Tennisschläger erschlagen. Sie war seit zwei Tagen tot.“ Sie schaute zu Sam und sah den Schatten in ihren Augen. Der Tatort der Wolffs ging ihnen beiden immer noch nahe.
„Zwei Tage tot, während ihre achtzehn Monate alte Tochter durch das Haus gewandert ist und überall Blutspuren hinterlassen hat. Der Ehemann ist Freitag weggefahren und hat das ganze Wochenende über nicht mit ihr gesprochen. Die Temperaturmessung zeigt, dass sie früh am Samstagmorgen getötet worden ist.
Bei einer zweiten Begehung des Hauses wurde ein Sexkeller entdeckt, in dem die Wolffs Amateurvideos gedreht haben. Die Berichte, die mir vorliegen, deuten darauf hin, dass Corinne erst relativ spät zur aktiven Teilnehmerin wurde. Sie hat zuvor immer die Kamera bedient. Ich habe gerade erst herausgefunden, dass die Mädchen auf den Videos minderjährig sind. Mitglieder eines ziemlich verdrehten Klubs, der sich durch alle möglichen Privatschulen der Stadt zieht.
Corinne hatte hohe Mengen an Lorazepam in ihrem Blut, und jetzt kommt die Nachricht, dass sie bewegliche Samen in sich hatte. Wir haben Spuren von ihrem Blut im Wagen ihres Mannes gefunden, also haben wir ihn festgenommen. Ihre Schwester ist überall im Fernsehen und klagt unsere Unfähigkeit bei der Lösung des Falles an. Dank Miss Sam hier wird, während wir uns unterhalten, eine DNA-Analyse durchgeführt.“
Sam verbeugte sich auf ihrem Stuhl.
„Ich habe mit Corinnes Frauenärztin und mit ihrer Psychologin gesprochen. Außerdem hatte ich eine kleine Unterhaltung mit ihrer Mutter. Die Mutter denkt, sie hatte eine Affäre, die Ärztinnen behaupten, sie hätte Probleme mit der Schwangerschaft gehabt und wegen des Babys in ihrem Bauch unter einer Art Klaustrophobie gelitten. Es war so schlimm, dass sie ihr Benzo verschreiben mussten, um sie zu beruhigen. Das ist eine kleine Unstimmigkeit in dem Fall, denn nach allem, was ich gehört habe, war die Frau ein totaler Gesundheitsapostel. Sie war im siebten Monat schwanger und nahm trotzdem noch an den Turnieren ihres Tennisklubs teil. Im Haus gab es nur Biosachen, egal ob Lebensmittel oder Putzzeug. Im Keller hingegen war dieses bizarre Sexzimmer, vollgestopft mit Kameras und Sexspielzeug. Ganz ohne Zweifel führte Corinne ein Doppelleben.“
„Glaubst du, dass ihr Mann den Mord begangen hat?“, fragte Baldwin.
„Es schien die logischste Schlussfolgerung zu sein. Zumindest am Anfang. Jetzt sind diese ganzen Faktoren dazugekommen, die alles noch komplizierter machen. Für meinen Geschmack ist er ein bisschen zu schnell von seiner Reise zurückgekommen und war auch alles in allem ein wenig zu lässig. Jetzt wo wir ihn wegen weiterer Sexverbrechen anklagen können, taut er vielleicht etwas auf. Er beharrt drauf, dass er seine Frau nicht umgebracht hat, aber es gibt sehr viele Beweise, die auf das Gegenteil hindeuten.“
„Das Baby ist nicht von ihm“, sagte Baldwin.
Taylor sah ihn an. „Was?“
„Das Baby. Das war nicht von ihrem Ehemann. Ich wette, dass sie von jemand anderem schwanger war. Das würde ihr launisches Verhalten erklären, die plötzliche Abhängigkeit von Medikamenten, die psychosenbasierte Klaustrophobie. Es passt alles zusammen. Und wenn ich recht habe, hat ihr Ehemann sie entweder in flagranti mit ihrem Liebhaber oder kurz danach ertappt und sie in einem Wutanfall getötet. Ziemlich klassisches Szenario.“
Taylor lächelte. „Genau darauf zielten unsere Theorien auch. Als ich Corinnes Psychiaterin interviewt habe, hat sie erwähnt, dass Corinne vielleicht einen Liebhaber hatte. Nach allem, was ich bisher weiß, gibt es vielleicht sogar zwei Leichen. Wolff hat sie mit einem anderen im Bett erwischt, sie erschlagen, den Lover getötet und die Leiche weggeschafft. Das würde auf jeden Fall erklären, wie Corinnes Blut in seinen Wagen gekommen ist.“
Baldwin nickte zustimmend. „Du bist da an was dran, Taylor. Haben die Kriminaltechniker am Tatort mehr als nur eine Blutgruppe gefunden?“
Taylor schaute Sam an. „Die diesbezüglichen DNA-Befunde kommen wohl nicht auch heute schon mit, oder?“
Sam schüttelte den Kopf. „Ich habe nur die Proben von der Autopsie reingelegt, nicht die Beweise, die am Tatort gefunden wurden. Tut mir leid.“
Taylor zuckte die Schultern. „Dann kann ich dir diese Frage nicht beantworten, Baldwin. Ich bin seit über vierundzwanzig Stunden raus aus dem Fall. Vielleicht hat Fitz ihn in der Zwischenzeit schon gelöst.“
„Davon hättest du gehört“, sagte Sam. Taylor schickte ihr einen bösen Blick.
Sams Gegensprechanlage summte. Kris’ körperlose Stimme erfüllte das Büro.
„Dr. Loughley, der Polizeichef, ist auf der Suche nach Lieutenant Taylor Jackson. Kann ich ihn auf Ihre Leitung durchstellen?“
Mit einem Blick, der besagte: Ich hab’s dir doch gesagt, erwiderte Sam: „Aber natürlich.“
Das Telefon piepte zweimal, dann klingelte es. Sam nahm ab und reichte den Hörer direkt an Taylor weiter.
„Lieutenant Jackson“, sagte sie. Der Chef begrüßte sie mit seiner tiefen, stark vom Südstaatenakzent gefärbten Stimme. Nach wenigen kurzen Worten hatte sie ihr Leben zurück. Er hatte sogar eine Entschuldigung eingeworfen. Sie legte lächelnd den Hörer auf, blinzelte Sam zu und wandte sich an Baldwin.
„Gehen wir. Ich habe eine Menge Arbeit aufzuholen.“