25. KAPITEL

Taylor saß auf ihrer hinteren Terrasse und beobachtete die Glühwürmchen. Das war ihre liebste Tageszeit, diese wenigen Minuten zwischen Abend und Nacht. Gedankenverloren nahm sie einen Schluck aus ihrer Bierflasche.

Das war vermutlich der beschissenste Tag, den sie seit Langem gehabt hatte.

Sie und Sam hatten sich eine Portion Quesadillas und Nachos geteilt, dann war Sam los, um ihre Zwillinge abzuholen, und Taylor hatte die Mädchen, die ihre Hütte gemietet hatten, angerufen. Die beiden würden erst in zwei Stunden wieder zu Hause sein und hatten zugestimmt, sich um neun Uhr abends mit Taylor am Haus zu treffen. Daraufhin hatte sie beschlossen, nach Hause zu fahren, zu duschen und ein wenig nachzudenken.

Sie musste mit Thalia Abbott über diesen Teenager-Sexklub reden. Sie musste sichergehen, dass Todd Wolff wirklich nur ein Sexfanatiker war und nicht ein Irrer, der seine Frau und seinen ungeborenen Sohn umgebracht hatte.

Freitag früh würde sie sich mit Corinne Wolffs Therapeutin treffen und herausfinden, was eine gesunde, starke Frau zu Amateurpornos, Psychopharmaka und Panikattacken getrieben hatte. Die gegensätzlichen Aspekte von Corinnes Persönlichkeit fand sie unglaublich faszinierend.

Sie musste auch eine Entscheidung treffen, was sie bezüglich ihrer eigenen Videos unternehmen wollte.

Sie war erschöpft. Die Massage war sowohl ein Segen als auch ein Fluch gewesen. In den ruhigen Augenblicken zwischen Jasmines Fragen hatte sie Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was sie mit Tony Gorman gemacht hatte. Nachdem der Adrenalinrausch des Nachmittags verflogen war, war Taylor nicht mehr sonderlich stolz auf sich. Gorman hatte ihr keine Wahl gelassen, aber sie hatte noch nie zuvor einen Verdächtigen offen bedroht. Mist. Er war noch nicht mal ein Verdächtiger gewesen, sondern einfach nur jemand, von dem sie wusste, dass er ihr Antworten geben würde. Sie musste wirklich verzweifelt gewesen sein. Was, wenn er zurückkäme und sie wegen irgendetwas beschuldigte?

Nein, das würde er nicht tun. Er war ein Schisser. Was das anging, war sie sicher. Gar nicht sicher hingegen war sie, wie lange sie die Geschichte noch vor Price geheim halten konnte. Oder vor Baldwin.

Lincoln hatte die Firma in Kalifornien aufgespürt, die auf den Rechnungen für die Selectnet.com -Website aufgeführt war. Aber da war die Spur dann versandet. Selbst Lincoln, der ein seltenes Talent für das Aufspüren von Informationen aus dem Nichts besaß, war hier in einer Sackgasse gelandet. Trotz der Informationen, die sie von Gorman erhalten hatten, brauchten sie mehr Ressourcen. Was gleichzeitig bedeutete, die Untersuchung auszuweiten.

Sie war versucht, Lincoln zu bitten, ihre Videos einfach von dem Server zu nehmen. Wenn sie ehrlich war, war sie sogar mehr als versucht. Das würde ihre Haut retten. Aber wie viele Frauen gab es noch in den Filmarchiven, die sich dessen nicht bewusst waren? Konnte sie die mit gutem Gewissen im Stich lassen?

Die Antwort darauf wusste sie. Sie hatte jetzt keine Wahl mehr. Nach einem weiteren Schluck Bier stellte sie die Flasche genau in den feuchten Ring, den das Kondenswasser auf dem dunklen Holz der Brüstung hinterlassen hatte. In der Luft lag immer noch ein Hauch von Wärme, ein willkommener Gegensatz zu dem frostigen Start, den sie in den Tag gehabt hatte. Sie massierte sich ihren Nacken und wählte dann eine Nummer auf ihrem Handy. Baldwin nahm nach dem ersten Klingeln ab.

„Hey Babe, wie geht es dir?“

Sie atmete tief durch. „Ging schon mal besser. Hast du eine Minute Zeit?“

„Zufällig ja. Was ist los?“

„Ich brauche einen professionellen Rat.“ Sie legte ihm die Fakten mit so unbeteiligter Stimme dar wie möglich. Als sie geendet hatte, hörte sie ihn schwer atmen.

Nach einem Moment fluchte er unterdrückt. „Elender Mistkerl.“

Ja, das trifft es ziemlich gut.

Er fuhr mit angespannter Stimme fort. „Mein Gott, Taylor. Das ist wirklich nicht das beste Timing.“

„Glaub mir, ich bin auch mehr als nur ein wenig verstört. Aber das ist nicht das Problem. Abgesehen von der Peinlichkeit für mich weiß ich nicht, wie viele Videos von nichts ahnenden Frauen es dort noch gibt. Nach dem, was ich trotz der Firewall erkennen konnte, sind die meisten der Videos so wie die von mir. Dunkel, grobkörnig, von schlechter Qualität. Mit versteckten Kameras aufgenommen. Lincoln ist noch nicht in ihre höheren Sphären vorgedrungen, vielleicht ist dort der bessere Kram versteckt.“

Er schwieg.

„Um Himmels willen, jetzt sag doch was.“

„Was soll ich sagen, Taylor? Das ist alles ein wenig überwältigend. Bist du sicher, dass es nicht noch mehr Videos von dir gibt?“

„Nein. Ich bin mir überhaupt nicht sicher. Ich weiß nur, dass es da eine Reihe von Filmen von mir gibt, in denen ich einen Kerl vögele, den ich nicht leiden kann. Einen Kerl, den ich verdammt noch mal getötet habe.“ Ihre Stimme wurde lauter. „Was ist los, Baldwin. Bist du eifersüchtig auf einen verdammten Geist?“

„Fang gar nicht erst an, mich anzugreifen. Ich bin …“

„Du hast ja keine Ahnung, wie demütigend das alles für mich ist. Mein Team hat das Video gesehen. Lincoln und Marcus haben mich gesehen. Und Gott weiß wie viele andere Menschen. Also ja, ich bin ein wenig wütend. Und du bist nicht gerade hilfreich.“

Wieder schwieg er. Als er erneut sprach, hatte seine Stimme einen gefährlichen Unterton.

„Ich bin einfach nur nicht sonderlich begeistert davon, dass meine Verlobte im Internet zu sehen ist, wie sie einen anderen Mann vögelt, wie du es so nett ausgedrückt hast.“

Taylor hielt den Atem an. „Es ist ja nicht so, als hätte ich das arrangiert oder auch nur mein Einverständnis gegeben. Komm schon, Baldwin, was soll das?“

Sie wollte gerade auflegen, als er sagte: „Okay. Es tut mir leid. Du hast recht. Das war gemein von mir. Alles in Ordnung mit dir?“

„Natürlich nicht“, gab sie genervt zurück. „Aber ich habe keine Wahl. Ich muss mir überlegen, was ich meinem Boss sage.“

„Tu das noch nicht. Mein Gott, Taylor. Dieses Mal geht es um dich. Lass mich das Ganze erst einmal untersuchen. Es erinnert mich sehr an einen Fall, den wir vor ein paar Jahren hatten. Da haben wir einen Amateurpornoring auffliegen lassen. Eine Gruppe Motorradfreaks, die Videos von nichts ahnenden Frauen unter der Dusche gepostet haben. Ich werde ein paar Anrufe tätigen und sehen, was ich herausfinde.“

„Was, jetzt tut es dir auf einmal leid, und du willst helfen?“ Ihr scharfer Ton überraschte sie selbst. Das war nicht fair von ihr. Er seufzte schwer, und sie wünschte, sie könnte das Gesagte zurücknehmen.

„Ich habe es nicht so gemeint. Ich wollte nur …“

„Ich weiß, was du gemeint hast“, unterbrach Taylor ihn. Gott. Sie hätte es ihm nicht erzählen sollen. Sie wusste, dass sie es für sich hätte behalten sollen.

„Hör auf, okay? Glaub mir, derzeit toben ungefähr vierzehn verschiedene Gefühle durch meinen Körper. Ich würde David Martin gerne umbringen, aber das geht ja nicht mehr. Ich würde dich auch gerne umbringen, aber du bist zu weit weg.“ Sie hörte etwas Seltsames in seiner Stimme. Was war da los? Würde wegen diesem verdammten David Martin jetzt ihr ganzes Leben zusammenbrechen?

„Nun ja, dann bin ich wohl froh, dass du da bist und ich hier bin. Ich würde mein Leben gerne weiter genießen, solange ich noch kann.“ Sie streckte die Hand nach ihrem Bier aus.

„Ich werde mich mal umhören. Ich … ich ruf dich später an.“

Dieser abrupte Wunsch, das Gespräch mit ihr zu beenden, tat mehr weh als seine Kälte. Sie verabschiedete sich und legte auf, wobei sie sich wünschte, sie hätte ein altmodisches Telefon, bei dem sie den Hörer auf die Gabel knallen könnte, damit er es hörte. Der Knopf, um den Anruf zu beenden, war nicht annähernd so mitfühlend oder befriedigend.

Die Dunkelheit war inzwischen hereingebrochen. Taylor schaute auf ihre Uhr. Noch nicht ganz neun. Sie hatte ein paar Minuten, bevor sie zur Hütte hinausfahren musste. Sie ging ins Haus und schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab. Das Bier machte sie müde. Sie setzte sich auf die Couch und schaltete den Fernseher an. Er hatte nicht „Ich liebe dich“ gesagt. Sie hatte sich noch nie mit Baldwin gestritten, zumindest nicht so. Es machte sie nervös. Sorgte dafür, dass ihr auffiel, wie sehr sie ihn liebte. Ihr war es wichtig, was er über sie dachte. Und das machte ihr am meisten Angst.

Eine unbekannte Ruhe überfiel sie, und sie kämpfte gegen den Drang an, einfach einzuschlafen. Sie hatte zu viel zu tun.

Aber im Zimmer war es so schön warm und gemütlich. Auch wenn ihr Kopf es nicht wollte, gewann ihr Körper, der unter dem Schlafmangel der letzten Tage litt, den Kampf.

* * *

Er stand auf der hinteren Veranda und beobachtete sie durch einen Spalt in den Gardinen. Sie war fest eingeschlafen. Der Arm lag über ihrem Kopf, die Füße in den Cowboystiefeln auf dem Couchtisch. Wie sehr er sich danach sehnte, das Haus zu betreten. Doch für den Moment war er zufrieden, ihr einfach nur beim Schlafen zuzusehen. Das sanfte Heben und Sinken ihrer Brust, der kleine Pulsschlag in der Kuhle an ihrem Hals.

Sie war bezaubernd.

Perfekt.

Seine.