4. KAPITEL
Die Familie Harris hatte bei den Nachbarn der Wolffs Zuflucht gefunden.
Fritz nickte Taylor zu, als sie hereinkam. Fünf Leute saßen in dem Zimmer, starrten vor sich hin, weinten. Father Ross, der Polizeikaplan, hielt eine Frau im Arm, die Anfang fünfzig zu sein schien und rötliche Haare hatte. Die Frau schluchzte an seiner Schulter. Das war wohl die Mutter. Abgesehen von ihrem Weinen war es in dem Zimmer totenstill.
Eine dunkelhaarige junge Frau fing Taylors Blick auf. Eine Mischung aus Abscheu und Sehnsucht huschte über ihr Gesicht, wurde aber sofort von einer undurchdringlichen Ausdruckslosigkeit ersetzt. Taylor kannte diesen Blick. Die Leute hassten es, sie zu sehen; sie war der Herold des Todes. Aber sie hatte auch die Antworten, die Hinweise, die Gründe. Sie brauchten sie. Taylor schätzte die Frau auf achtundzwanzig, vielleicht dreißig. Sie sah die Ähnlichkeit mit dem Opfer.
Und sie sah noch etwas anderes in ihren Zügen, schob es jedoch beiseite.
Sie war das absolute Gegenteil von dieser Frau. Taylor war groß, honigblond, mit grauen Augen, vollen Lippen und breiten Schultern; die andere Frau war zwischen eins sechzig und eins fünfundsechzig groß, dunkelhaarig und sehr athletisch. Ihr Körper strahlte etwas unglaublich Gesundes, Vitales aus. Sie war nicht wirklich hübsch, aber Männer würden ihr Gesicht sicherlich als interessant bezeichnen. Sie schenkte Taylor einen weiteren Blick, dessen Bedeutung dieses Mal schwerlich zu überlesen war.
Taylor war beunruhigt. Sie mochte es gar nicht, das Objekt der Aufmerksamkeit einer anderen Frau zu sein. Diese Frau machte sie zwar nicht direkt an, aber sie ließ sie ihr Interesse spüren. Entzückend. Was sollte das?
„Ich bin Lieutenant Taylor Jackson von der Mordkommission der Metro Police. Mein herzliches Beileid zu Ihrem Verlust, Ma’am.“
Die dunkelhaarige Frau lächelte nicht, reichte ihr aber die Hand. „Ich bin Michelle Harris. Corinne ist meine Schwester.“
Taylor war überrascht; die Stimme der Frau war tief und rauchig, mit diesem sexy Knistern, auf das Männer so abfuhren. Beinahe so wie Taylor selbst.
Michelle deutet auf die weinende Frau bei Father Ross. „Das ist meine Mutter, Julianne Harris.“ Dann stellte sie die weiteren Anwesenden vor.
„Mein Vater Matthew Harris. Meine Schwester Nicole Harris. Carla Manchini, Corinnes Nachbarin. Wir warten noch auf meinen Bruder Derek, er müsste in Kürze eintreffen. Wissen Sie, wer meiner Schwester das angetan hat?“
„Unglücklicherweise noch nicht. Wir stehen noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen, Mrs Harris.“
„Miss, bitte.“
Taylor neigte kurz den Kopf und wiederholte dann: „Miss Harris. Tut mir leid. Wo ist die Tochter Ihrer Schwester?“
Nicole, die kleinere der beiden Schwestern, antwortete. Ihre Stimme war kräftiger, als Taylor erwartet hatte. „Sie macht im Gästezimmer ein Nickerchen. Das arme Ding war total erschöpft. Als die Sanitäter sagten, mit ihr wäre alles in Ordnung, haben wir sie gebadet, gefüttert und hingelegt. Körperlich scheint bei ihr alles okay zu sein.“
„Warum, Lieutenant? Hayden hatte doch gar nichts damit zu tun.“ Michelles Ton war scharf, herausfordernd. Taylor verzieh ihr, immerhin war gerade ihre Schwester gestorben. Dennoch ignorierte sie die Frau für den Augenblick und wandte sich der anderen Schwester zu.
„Nicole, richtig?“
Das Mädchen nickte.
„Haben Sie die Kleidung des Kindes der Polizei übergeben? Wir müssen sie als Beweisstücke behandeln.“
Sie nickte. „Der Kriminaltechniker war bei uns, als wir sie umgezogen haben. Wir haben alles genau so gemacht, wie er es gesagt hat.“
„Das ist gut. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Sergeant Fitzgerald wird mir helfen, Ihre Aussagen aufzunehmen. Mrs Manchini, ich würde gerne allein mit Ihnen sprechen. Können wir in ein anderes Zimmer gehen?“
„Wollen Sie nicht zuerst mit mir sprechen?“, fragte Michelle.
Taylor schaute ihr direkt in die Augen. Sie waren genauso seltsam wie Taylors; ein klares Blau, das beinahe transparent wirkte. Taylors Augen waren so Grau wie ein wolkenverhangener Himmel und eines etwas dunkler als das andere.
„Ich möchte mit jedem sprechen, der hier anwesend ist. Ich brauche für den Anfang nur ein paar Informationen von Mrs Manchini. Bitte haben Sie noch etwas Geduld. Ich fürchte, es wird ein langer Tag. Mrs Manchini?“
Die Frau stand auf, behielt aber eine leicht gebückte Haltung bei. Sie konnte sich anscheinend nicht ganz gerade aufrichten. Sie zeigte in Richtung Flur, und Taylor folgte ihr aus dem Zimmer. Als sie die tiefe Stimme von Corinnes Vater hörte, blieb sie kurz stehen.
„Alles okay, Liebes?“
Taylor machte einen Schritt zurück in Richtung offener Wohnzimmertür, wobei sie darauf achtete, außer Sichtweite zu bleiben. Sie lauschte. Von ihrem Standort aus hatte sie einen perfekten Blick in den Raum, denn auf der anderen Seite hing ein Spiegel über dem kleinen Sekretär und zeigte ihr alles, was in dem Zimmer vor sich ging. Fitz hatte ihr den Rücken zugewandt und sprach mit Father Ross.
Michelle Harris drehte sich um und hielt sich an ihrem Vater fest. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, wie aus einem Rasensprenger in der Hitze eines Sommerabends. „Oh, Daddy. Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich jemals das Bild von Corinne vergessen kann, wie sie da voller Blut auf dem Boden liegt … und Hayden neben ihr.“
„Ich weiß, Honey. Das muss grausam gewesen sein.“ Er zog sie an sich, und Michelle ließ sich in seine Arme sinken. Taylor verspürte einen kleinen Stich der Eifersucht. Michelles Vater war ihr Retter, ihr Beschützer.
„Hast du immer noch nichts von Derek gehört?“
„Er ist bis Mittag in irgendeinem Laborkurs. Ich fahre jetzt zur Vanderbilt rüber und warte dort auf ihn. Ich will nicht, dass er es von einem Außenstehenden hört. Ich bringe ihn dann mit hierher. Kommst du eine Weile allein klar?“
„Ja, das geht schon, Daddy. Wenn ich mit den Detectives gesprochen habe, kümmere ich mich um Mom. Lass dir Zeit mit Derek. Er wird am Boden zerstört sein.“
„Ja, das ganz bestimmt. Danke für dein Verständnis. Du warst immer mein gutes Mädchen. Ich liebe dich, Shelly. Kümmere dich auch um Nicki. Sie ist nicht so stark wie du und deine Mom.“ Er drückte sie noch einmal an sich. Taylor wandte sich ab. Eine trauernde Familie. Warum hinterließ das in ihr so ein leeres Gefühl?
* * *
Mrs Manchini hatte Taylor in ihr Schlafzimmer geführt. In ihr plüschiges Schlafzimmer. Anders als der eher kühl und zurückhaltend eingerichtete Rest des Hauses wimmelte es hier nur so von handgemachtem Kitsch.
Das Schlafzimmer war klein, vielleicht halb so groß wie der Raum nebenan. Ein Himmelbett mit buntem Baldachin und rüschenbesetzten Spitzenkissen nahm einen Großteil des Platzes ein. Was für ein Klischee, dachte Taylor und schalt sich dann gleich für diesen Gedanken. Allerdings wirkte das Haus der Manchinis wirklich wie eine Karikatur seiner selbst und die Frau, die es besaß, nur wie der Schatten eines echten Menschen, irgendwie wesenlos. Carla Manchini konnte alles zwischen fünfundvierzig und fünfundsechzig sein mit der altmodischen Metallbrille, der dünnen, blonden, halb herausgewachsenen Dauerwelle und den leicht schiefen Zähnen. Ihre Eltern schienen gedacht zu haben, dass es nicht schlimm genug war, um in eine Zahnspange zu investieren. Als Folge davon blitzte nun beim Sprechen oben rechts immer ein kleiner Zahn hervor, um den sich ihre Lippen schlossen, als wenn sie nicht sicher wären, was sie damit tun sollten.
Taylor merkte, dass Carla sprach, und konzentrierte sich.
„Ich bin mir nicht sicher, was sie von mir wollen, Lieutenant. Ich kannte die Leute nebenan nicht sonderlich gut, nein, das kann man wirklich nicht sagen. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten hier im Casa Manchini, ja, das tue ich. Ich spioniere nicht, ich schaue nicht in den Garten meiner Nachbarn, wirklich, so bin ich nicht.“
Taylor schaute die Frau an und fragte sich, warum sie so unerbittlich wirkte. Sie schaute Taylor nicht in die Augen, sondern saß auf ihrem Bett und ließ den Blick durch den Raum schweifen, während sie unruhig ihre Hände knetete.
„Mich interessiert nur, Ma’am, ob Ihnen in den letzten Tagen etwas Merkwürdiges aufgefallen ist.“
Die Frau schüttelte feierlich den Kopf. „Ganz sicher nicht.“
„Gar nichts?“
Mrs Manchini überlegte einen Moment. Sie schloss die Augen und versuchte, sich zu erinnern. „Die Lichter waren an. Mrs Wolff schaltet sie morgens immer ab, aber sie haben das ganze Wochenende über gebrannt.“
„Und das war ungewöhnlich?“
Ah, ein weiterer Punkt, der den Zeitrahmen eingrenzte. Perfekt.
„Wann haben Sie Mrs Wolff das letzte Mal gesehen?“
„Oh. Nun, ich kann mich nicht genau erinnern. Heute ist Montag, und am Montag ist mein Buchklub. Ja, das stimmt. Ich kann mich nicht erinnern, Corinne heute gesehen zu haben, und ich sehe sie normalerweise in ihrem Garten, wenn sie die Begonien gießt. Sie hat so einen schönen Garten, ja, den hat sie. Es ist ein bisschen zu früh für diese Blumen, aber was weiß ich schon? Ich habe sie am Freitag gesehen. Freitag ist mein Gartenklub, ja, der ist freitags.“ Sie rang weiter ihre Hände.
Ihr Wiederholungstick ging Taylor langsam auf die Nerven. Außerdem würde die Frau sich noch ein Handgelenk verstauchen, wenn sie ihre Hände nicht langsam mal stillhielt. „Um welche Uhrzeit am Freitag, Ma’am?“
„Oh, nun. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Irgendwas gegen zwanzig nach drei am Nachmittag, wenn ich mich erinnern müsste, aber ich möchte Sie auf keine falsche Fährte führen, falls ich nicht hundertprozentig richtig liege, nein, das möchte ich wirklich nicht.“
„Sie machen das sehr gut.“
Die Frau nickte einmal, und ein scheues Lächeln huschte angesichts des Kompliments über ihr Gesicht. Taylor hatte das Gefühl, dass die Frau nicht sonderlich oft Komplimente bekam, und sprach in sanfterem Ton weiter.
„Was hat Corinne am Freitag um zwanzig nach drei getan, Mrs Manchini?“
„Mit der kleinen Hayden gespielt. So ein hübsches Kind, ja, das ist sie.“
„Im Vorgarten oder hinter dem Haus?“
„Oh, ja, natürlich. Sie waren in dem seitlichen Garten. Ich glaube, Mrs Wolff hat eine Wildblumenmischung ausgestreut; sie wollte die Stelle um die Abfalleimer etwas hübscher gestalten, ja, das wollte sie.“
Aber Mrs Manchini beobachtete ihre Nachbarn nicht, alles klar. „War noch jemand bei ihr?“
„Außer Hayden? Nein, ich habe niemanden gesehen.“
„Wie steht es mit Mr Wolff?“
Das brachte Taylor einen direkten, wenn auch flüchtigen Blick ein.
Die Frau rieb nun ihre Hände aneinander. Die Unterhaltung machte sie nervös. Und Nervosität war immer interessant.
„Oh, ich kenne ihn nicht sehr gut. Ein attraktiver Mann, ja, das ist er. Aber er ist zu unsereinem nicht sonderlich offen, nein, das ist er wirklich nicht.“
„Hatten die beiden Ihres Wissens irgendwelche Probleme?“
„Was? Nein. Nein, überhaupt keine. Sie schienen sehr glücklich zu sein. Sehr zufrieden, ja, das waren sie.“
„Und Sie haben niemanden in der Nähe des Hauses gesehen. Was ist mit Samstag?“
„Nein, ich habe am Samstag niemanden gesehen. Ich würde jetzt gerne zu meinen Gästen zurückgehen, wenn ich darf.“
„Nur noch ein paar Fragen, Mrs Manchini. Sind sie tagsüber hier im Haus?“
„Ja, ja, das bin ich. Ich bin vor langer Zeit aus dem Postdienst ausgeschieden. Heutzutage bleibe ich gerne für mich. Ich lese und gucke fern und gehe zu meinem Buchklub und arbeite ein wenig im Garten, ja, das mache ich. Ich habe viele Freunde … viele Freunde.“
„Das ist schön, Mrs Manchini. Laden die Wolffs oft Gäste ein?“
„Oh, natürlich. Sie sind jung und beliebt, das sind sie wirklich.Aber nicht mehr als alle anderen in dieser Straße auch. Ich lebe hier seit vierzig Jahren, ja, das tue ich, und ich habe die Nachbarn kommen und gehen sehen. Alle scheinen hier sehr glücklich zu sein, ja, das sind sie.“ Sie hörte auf, ihre Hände zu reiben, und legte sie in ihren Schoß. Die Knöchel waren ganz rot und knotig. In Verbindung mit der wehmütigen Aussage schien nun ihr wahres Alter durch. Mrs Manchini war eine einsame alte Frau.
„Okay, Ma’am, gehen wir zu den anderen zurück. Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie Ihr Haus so bereitwillig zur Verfügung stellen. Ich bin mir sicher, dass die Harris’ Ihre Hilfe sehr zu schätzen wissen. Ich habe später vielleicht noch ein paar Fragen an Sie. Wäre das okay?“
Die Frau erhob sich langsam vom Bett; die Sprungfedern quietschten.
„Sicher, natürlich. Wann immer Sie mich brauchen, ich bin gleich hier, ja, das bin ich.“
Taylor folgte der mausgrauen Mrs Manchini zurück in das große Zimmer. Hier hatte sich nicht viel verändert, abgesehen davon, dass Michelle Harris jetzt in einem mit blumigem Chintz bezogenen Sessel saß und einen blonden Engel in den Armen hielt. Das kleine Mädchen hatte porzellanblaue Augen, einen Mund wie eine Rosenknospe und elfenbeinfarbene Haut mit roten Apfelbäckchen. Das musste Hayden sein. Das Kind schaute sie an, und Taylor entdeckte eine unergründliche Dunkelheit in der kornblumenblauen Tiefe ihrer Augen. Hayden sah Taylors Pistole, starrte sie einen Augenblick lang an und fing dann an zu weinen, wobei sie ihr Gesicht an der Brust ihrer Tante verbarg.
Taylor und Michelle Harris saßen am Küchentisch in Mrs Manchinis Haus. Das Licht der spätnachmittäglichen Sonne fiel durch die nach Süden gerichteten Fenster. Michelle hielt sich tapfer, wenn man bedachte, dass Taylor sie erneut über den traumatisch verlaufenden Morgen befragte.
Der Vater des Opfers war mit dem jüngeren Bruder zurückgekehrt, der die Nachricht vom Mord an seiner Schwester nicht sonderlich gut aufgenommen hatte. Fitz war mit Derek Harris draußen auf der rückwärtigen Veranda und sprach mit onkelhaft geneigtem Kopf zu dem jungen Mann. Über Michelles Schulter hinweg konnte Taylor die beiden durch das Fenster sehen, vor dem kurze, rüschenbesetzte Gardinen hingen. Taylor konnte sich nicht vorstellen, tagein, tagaus auf dieses bunte Durcheinander aus Mustern und Farben zu schauen.
Zumindest hatte sie den unbekannten Duft aus Corinnes Haus identifiziert. Es war das Parfüm von Corinnes Schwester, ein schwerer Duft aus Iris und Jasmin. Er roch erstickend süß und war viel zu stark aufgetragen, als wenn Michelle Duschgel, Bodylotion und Parfüm aus einer Serie benutzt hätte.
Mit zuckender Nase führte sie das Interview fort. „Okay. Erzählen Sie es mir noch einmal von vorne. Fangen Sie dort an, wo sie das letzte Mal mit Ihrer Schwester gesprochen haben.“
Michelle war blass, sie sah ausgelaugt und erschöpft aus. Immer wieder schaute sie über ihre Schulter zu ihrem kleinen Bruder, als wenn sie ihm den Rücken stärken, ihn trösten wollte.
„Michelle?“, hakte Taylor nach.
„Tut mir leid, Lieutenant. Sie wissen, wie es unter Geschwistern ist.
Manchmal möchte man sie davor beschützen, verletzt zu werden.“
„Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, ich bin ein Einzelkind. Also bitte, erzählen Sie noch einmal. Sie und Corinne hatten eine Verabredung zum Tennisspielen?“ Sie lehnte sich auf dem Holzstuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete geduldig ab.
Michelle spielte mit ihrem Pferdeschwanz. Sie schlang ihn auf eine Art um ihren Hals, die auf Taylor zwanghaft wirkte. „Das stimmt. Wir spielen im Richland. Die letzten paar Wochen haben wir die Meisterschaft mitgespielt. Wir sind schon seit Jahren Doppelpartner. Ich habe mal darüber nachgedacht, im Einzel zu spielen, aber Corinne wollte davon nichts wissen. Wir sind, waren, ein fantastisches Team. Irgendetwas passiert auf dem Spielfeld mit uns, wir können die Bewegungen der anderen spüren, schätze ich.“
„Und Ihre Schwester hat trotz ihrer Schwangerschaft gespielt?“
„Das ist richtig. Bei Hayden hat sie bis zur Woche vor der Geburt gespielt und nur aufgehört, weil Todd sie darum gebeten hat. Dieses Mal hatte sie eine so leichte Schwangerschaft, dass sie sagte, sie würde direkt von einem Match aus in den Kreißsaal gehen. Und ich wette, das hätte sie auch getan. Corinne konnte ihren Körper immer an ihre Anforderungen anpassen. Ein verstauchter Knöchel heilte genau rechtzeitig zum nächsten Event, und sie musste nie irgendwo aussetzen. Sie ist eine echte Wonderwoman.“
„Wann war der Stichtag?“
„In acht Wochen“, antwortete Michelle mit belegter Stimme. „Wow. Sie wirkte nicht besonders rund für jemanden im siebten Monat.“
„Das war bei Hayden auch schon so. Sie hat nur acht Pfund zugenommen, und Hayden hat sechseinhalb gewogen. Ihr Körper hat sofort zu seiner alten Form zurückgefunden. Dieses Mal schien es ihr genauso zu gehen. Das arme Baby. Was werden sie mit ihm tun?“
Tränen stiegen ihr in die Augen. Taylor schaute weg, während Michelle versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie wollte im Moment auch nicht gerade über Totenscheine für Föten nachdenken.
„Lassen Sie uns später darüber sprechen. Bleiben Sie noch einen Moment bei mir. Sie sind also hergekommen, um sie abzuholen …“
„Mir ist gleich aufgefallen, dass sie das Außenlicht nicht ausgeschaltet hatte. Das war ungewöhnlich. Corinne war sehr … eigen mit einigen Sachen. Sie schaltete diese Lampen immer sofort nach dem Aufstehen aus, was normalerweise Punkt 5.30 Uhr war. Das war auch ein wenig, um Todd zu ärgern. Sie hatten sich über die Art der Lampen gestritten, aber das ist nicht wichtig, tut mir leid. Also sie steht normalerweise auf, macht die Lampen aus, setzt Kaffee auf, geht für eine halbe Stunde auf ihren Hometrainer und weckt dann Todd, zumindest an den Tagen, an denen er zu Hause ist.“
„Wann schaltet sie die Lampen abends ein?“
„Wie bitte?“, fragte Michelle.
„Die Außenbeleuchtung. Wann hat Corinne die normalerweise angeschaltet?“
„Oh.“ Michelle schürzte die Lippen und überlegte. „Wissen Sie, da bin ich mir nicht so sicher. Ich schätze, bei Einbruch der Dunkelheit.“
„Okay, also brannte das Licht, als Sie auf die Einfahrt fuhren. Was ist Ihnen noch aufgefallen?“
„Ich bin ausgestiegen und in Richtung Haus gegangen. Die Tür war nicht abgeschlossen, aber das ist nichts Neues. Niemand hier schließt ab. Es ist dumm, aber sie fühlen sich alle so sicher. Ich wette, jetzt werden sie anfangen, ihre Türen zu verriegeln.“ Ein verträumter, losgelöster Ausdruck legte sich über Michelles Gesicht, als sie mit abwesender Stimme weitersprach. „Ich ging ins Haus, sah das Blut, rannte die Treppe hinauf, sah Corinne, sah Hayden, flippte aus, packte Hayden und rannte.“
„Sie haben 911 angerufen.“
„Ja, das habe ich. Tut mir leid, Lieutenant, ich bin immer noch so durcheinander. All das Blut zu sehen, Hayden zu sehen …“ Ihre Stimme verebbte, und in ihren Augen schwammen Tränen. „Ich glaube nicht, dass ich diesen Anblick je aus meinem Kopf kriegen werde. Ist Ihnen das schon mal passiert? Ich würde denken, bei all den Leichen, die Sie gesehen haben, können Sie sich einfach abschotten und nicht weiter darüber nachdenken. Ich hingegen werde mich noch sehr lange an das Schlafzimmer erinnern.“
„Sie machen das sehr gut, Michelle. Nur noch ein paar Fragen, okay? Erzählen Sie mir von Todd.“
„Was gibt es da zu erzählen? Todd ist …“
„Was es da zu erzählen gibt?“ Matthew Harris stürmte in die Küche. „Ich sage Ihnen, was es da zu erzählen gibt. Todd ist nicht hier, und meine Corinne ist tot. Genauso gut hätte er sie selbst erschlagen können. Er mit seinen ganzen Reisen und dem Drang, seinen Namen bekannt zu machen. Wenn er zu Hause gewesen wäre und Corinne beschützt hätte, wie es sich gehört, wäre das alles nicht passiert. Dann wären meine Tochter und mein Enkelsohn jetzt nicht tot.“