7. KAPITEL

Auf der Rückfahrt in die Stadt ließ Taylor sich Zeit und dachte über den Nachmittag nach. Die Mordwaffe, schnell in eine Schublade gestopft. Todd Wolffs ehrlich wirkende Hysterie. Es war noch viel zu früh, ihn als Tatverdächtigen auszuschließen. Ein solches Ausmaß an Gewalt, noch dazu im Haus des Opfers, war meistens das Ergebnis eines aus dem Ruder gelaufenen häuslichen Streits. Und es gab genügend Ehemänner, die den besten Ermittlern etwas vorgemacht hatten. Ihr fiel Mark Hacking ein. Er hatte vor laufender Fernsehkamera geweint und gebettelt, um Gerechtigkeit für seine schwangere Frau gefleht, obwohl in Wahrheit er sie erschossen und ihre Leiche auf die Müllkippe geworfen hatte. Er hatte sogar die Matratze im Ehebett ausgetauscht und wäre so beinahe ungestraft davongekommen. Scott Peterson war ein weiteres gutes Beispiel. Es war eine traurige Statistik: Der Hauptgrund für den Tod schwangerer Frauen war häuslicher Mord.

Aber wenn er es getan hatte, war er ein kaltblütiger Bastard. Seine Frau umzubringen, sein ungeborenes Kind zu töten und die Tochter tagelang allein im Haus herumlaufen zu lassen? Jesus. Dafür musste man ganz schön abgebrüht sein. Oder verzweifelt.

Es war nach sechs Uhr abends, und Taylor fuhr über den Nine Mile Hill. Sie war einen kleinen Umweg über Bellevue gefahren, um sich bei McDonald’s was zu essen zu holen, bevor sie in die Stadt weiterfuhr. Den ganzen Tag hatte sie am Tatort verbracht und keine Möglichkeit gehabt, etwas zu sich zu nehmen. Sie knabberte während der Fahrt an ihrem Chicken-Sandwich und war stolz, dass sie den Pommes frites widerstanden hatte.

Nine Mile Hill war so kreativ benannt worden, weil es genau neun Meilen von Downtown Nashville entfernt lag. Von hier hatte man einen herrlichen Blick über den Cumberland River und die Stadt. Die Sonne ging in Taylors Rücken unter und spiegelte sich im Lifeway-Warenhaus. Die Wolkenkratzer und das Capitol Building wurden in zartrosa-kupferfarbenes Licht getaucht und schimmerten wie eine Fata Morgana. Taylor hatte ihr ganzes Leben in Nashville verbracht, aber so hatte sie die Stadt noch nie gesehen. Es war ein wunderschöner Anblick, bei dem sie sich seltsam glücklich und erfüllt fühlte. Sie war versucht, anzuhalten und weiter zuzusehen, doch in dem Moment wanderte die Sonne das entscheidende Stückchen am Abendhimmel. Die Fata Morgana verschwand und wurde von der Innenstadt ersetzt, wie Taylor sie kannte.

Die kleinen Dinge wurden so wichtig. Sie hatte immer schon ein Talent dafür gehabt, Schönheit an den unwahrscheinlichsten Orten zu finden. Und wenn sie ihr unerwartet begegnete, fühlte es sich wie ein Segen an.

Auf ihrer Fahrt durch Belle Meade dachte sie an Corinne Wolff. Dieser Mord würde die Aufmerksamkeit von ganz Nashville erregen. Verbrechen in den Vororten waren sowieso schon faszinierend, doch wenn es dann noch eine erneut schwangere Mutter betraf, würde die ganze Stadt einfach durchdrehen. Sie machte sich in Gedanken eine Notiz, mit Dan Franklin zu sprechen, dem Pressesprecher des Departments, damit er eine angemessene Erklärung verfasste. Wenn sie nicht gleich zu Beginn einen brauchbaren Verdächtigen präsentieren würden, könnte diese Geschichte große Kontroversen auslösen. Taylor hatte jedoch keine Lust, dass die nationalen Nachrichtensender jeden ihrer Schritte verfolgten. Das hatte ihr schon bei ihrem letzten großen Fall gereicht.

Gerüchte, Klatsch, versteckte Anspielungen. Die besten Freunde eines Mordermittlers waren die Unterströmungen, die wechselnden Allianzen, die falschen Anschuldigungen, die in den Raum geworfen wurden. Man brauchte schon ein gewisses Talent, um sich durch die ganzen Lügen zu wühlen und schließlich die Wahrheit zu finden. Taylor war normalerweise ein sehr akkurater Mensch. Doch wenn die Medien sich an einen Fall hefteten, gab es im Kampf um die Einschaltquoten kein Halten mehr, was Vermutungen und Verdächtigungen anging. Eine schöne neue Welt, würde Aldous Huxley sagen.

Sie hatte erst zweimal Ärger mit der Presse gehabt. Einmal vor einigen Jahren, das andere Mal vor nur einem Monat. Der Schneewittchenmörder, lange Zeit untätig in Nashville, hatte sich wie Phönix aus der Asche erhoben und angefangen, erneut zu morden. Die Art, wie die Medien sich in diesem Fall verhalten hatten, war ihr immer noch unangenehm. Wie leicht man sie und ihre Abteilung durch den Dreck gezogen hatte. Stets war alles hinterfragt worden, und jetzt, im Nachhinein, da wussten es natürlich alle besser. Zwei Monate später lag Taylor nachts wach im Bett und schaute sich endlose Wiederholungen des Falles in den Nachrichten an und fragte sich, ob das Interesse jemals enden würde. Die Reporter der nationalen Nachrichten hatten in den Straßen Nashvilles kampiert wie Hippie-Bands, die über den Überresten der Trauer einer jeden Familie feierten. Das kleinste Anzeichen einer Lösung, und sie würden sofort wieder darüber herfallen.

Sie hatte keine Lust, über den Ärger der Vergangenheit nachzudenken.

Doch die Gedanken kamen schnell, wirbelten durch ihren Kopf wie ein Sommerwind. Schneewittchen. Sein selbst ernannter Thronanwärter, der Pretender, ein Mann ohne Namen und Skrupel, wenn es darum ging zu morden. Er war immer noch da draußen, verborgen in den dunkelsten Tiefen. Was sie auf Baldwin brachte.

Baldwin würde als Erstes erfahren, wenn es etwas Neues in dem immer noch sehr offenen Fall gäbe. Er hatte versprochen, sich in seiner Zeit in Quantico die Akten des FBI anzusehen.

Wenn sie ehrlich zu sich war, hoffte sie, dass er etwas Frisches, Konkretes finden würde. Etwas anderes als die flüchtigen, ihr die Haare im Nacken zu Berge stehen lassenden Gefühle, die Taylor hatte. Gefühle waren gut und schön. Sie vertraute sich selbst, traute ihren Instinkten. Ab und zu kribbelte ihre Haut, und sie spürte Blicke im Rücken. Sie nahm an, dass der Pretender ihre Ermittlungen über seinen Aufenthaltsort hinweg sehr genau verfolgte und ihr zu diesem Zweck manchmal folgte. Sie konnte es beinahe spüren, wenn er in der Nähe war. Er ließ alle Alarmsirenen anschlagen, auch wenn sie ihn nie wirklich gesehen hatte.

Sie brauchten konkrete Beweise, mussten den Namen des Killers wissen, der sich in die emotionalen Gewänder anderer Mörder kleidete. Denn bisher hatten sie nichts.

Blinkende Polizeilichter brachten sie in die Gegenwart zurück. Sie war überrascht, sich schon am Criminal Justice Center wiederzufinden. Autokoma nannte Baldwin das immer. Das passierte ihr zu oft. Sie verlor sich in Gedanken und stellte dann fest, dass sie ohne auf den Weg zu achten zu ihrem Ziel gefahren war. Sie war zu stark abgelenkt. Sie musste sich besser konzentrieren. Nach ihrem Urlaub war es umso wichtiger geworden, dass sie sich wieder voll und ganz auf das Hier und Jetzt in Nashville fokussierte und gut auf sich achtgab.

Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und ging zum Hintereingang des Gebäudes. Zwei Stufen auf einmal nehmend lief sie die Treppe hinauf, zog ihre Karte durch den Kartenleser am Eingang und ging hinein. Die Tür führte direkt zu dem Flur vor der Mordkommission. Die zweite Schicht war bereits da; Stimmengewirr drang aus den Büros.

Der Flur wurde von einer jungen Streifenpolizistin aus der ersten Schicht versperrt, die sich vornübergebeugt hatte und einen Stapel grünes Kopierpapier aus einem Karton nahm. Ihre Stabtaschenlampe baumelte gefährlich nah an ihrem Kopf. Sie richtete sich auf und schaute die Zettel an der Pinnwand durch – die übliche Mischung aus Anzeigen, Terminankündigungen und Kalendern. Sie brauchte nur wenige Minuten, um die Pinnwand neu zu ordnen und neue Stellenausschreibungen und Aufrufe anzuheften. Als sie fertig war, trat sie einen Schritt zurück und musterte zufrieden ihr Werk. Dann schob sie die Plexiglasscheibe zu und schloss sie mit einem kleinen Schlüssel ab. Sie bemerkte Taylor und schob mit einem gemurmelten „Entschuldigung“ den Karton beiseite. Nachdem Taylor an ihr vorbei war, ging sie zu dem nächsten Glaskasten, in dem die aktuellsten Fahndungsplakate hingen. Sie schloss ihn auf, griff in ihre kleine Kiste und zog mehrere Poster heraus, die sie nach Priorität ordnete. Die höchste Priorität hatte ein berüchtigter „kalter Fall“, für den es offenbar eine neue Spur gegeben hatte.

Das Cold-Case-Team. Taylor beneidete die Kollegen kein bisschen um ihre Arbeit. Sie konnte es sich nicht vorstellen, sich Vollzeit mit kalten Spuren zu beschäftigen, mit den Schmerzen und dem Leid anderer Menschen zu leben. Taylor war überzeugt davon, dass eine Familie wissen musste, was genau passiert war, um die Tat verarbeiten zu können. Für die Angehörigen der Vermissten, der Ermordeten, deren Mörder nie gefunden worden waren und für die es keine Antworten gab, war das Warten unerträglich. Nashville hatte viele Fälle, auf die diese Beschreibung zutraf, und sechs oder sieben davon wurden derzeit aktiv bearbeitet.

Mit einem kurzen Winken zu zwei Detectives von der B-Schicht betrat sie ihr Büro und schloss die Tür hinter sich.

Absolut erstaunlich. Beim Blick auf ihren Schreibtisch fühlte Taylor sich an die Folgen eines Tornados erinnert. Als sie am Abend zuvor das Büro verlassen hatte, war alles an seinem Platz gewesen; die Ein- und Ausgangkörbe waren leer und die Schreibtischplatte komplett freigeräumt gewesen. Jetzt quollen sie schon wieder über. Taylor erblickte mindestens vier Berichte über den Tatort des Wolff-Falls, ein paar gerichtsverwertbare Gegenstände, einen leeren Ordner, den eine gute Seele in dem Wissen bereitgestellt hatte, dass sie darin alle Informationen sammeln und somit ein Mordbuch über den Wolff-Fall erstellen würde. Ein paar bunte Post-its, eine volle Anrufliste, ein kleines Durcheinander aus Stiften und Kulis. Ein Streifen Mondlicht fiel durch die offenen Vorhänge direkt auf eine Liste mit Basketballspielen mit einem pinkfarbenen Zettel darauf, der sie daran erinnerte, vor Donnerstagmittag ihre Tipps abzugeben, wenn sie an der jährlichen NCAA-Wettrunde teilnehmen wollte. Kaum einen Tag nicht da, und schon erblühte der Schreibtisch wie eine Forsythie – in der einen Minute nackt und leer, in der nächsten voller widerspenstiger Blüten. Mit einem Seufzer ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken und fing an, Ordnung zu schaffen. Sie konnte im Chaos nicht arbeiten und hatte Unordnung in ihrer Umgebung noch nie geduldet.

Das Lämpchen ihres Anrufbeantworters blinkte. Sie hörte die Nachrichten ab. Die einzig interessante kam von Lincoln Ross. Den Göttern sei Dank. Es tat so gut, seine Stimme zu hören.

Ihr fiel nie auf, wie sehr sie vermisste, bei ihrem Team zu sein, bis es so weit war. Die ganze Zeit über, als sie mit Baldwin unterwegs gewesen war, hatte sie ihre Jungs vermisst. Und nach ihrer Heimkehr hatte sie erfahren müssen, dass Lincoln Ross zu einem Sondereinsatz abkommandiert worden war. Mehr war ihr nicht gesagt worden. Sie konnte nur raten, welche Fälle wichtig genug waren, um einen Detective der Mordkommission Vollzeit dafür abzustellen. Sie hatte ein paar Anläufe gemacht, ihrem Chef, Captain Mitchell Price, mehr zu entlocken, doch er hatte bei jeder ihrer geäußerten Vermutungen nur gelächelt und mit dem Kopf genickt, ohne ihr die Befriedigung zu gönnen, zu erfahren, welche ihrer Annahmen richtig war.

Sie schob einen Stapel Papier beiseite, klappte ihr Handy auf und wählte die Nummer. Lincoln ging nach dem ersten Klingeln ran; in seiner tiefen, honigwarmen Stimme schwang ein Hauch Ironie mit.

„Gott sei Dank, dass du es bist, Lieutenant. Ich habe ein Problem“, sagte Lincoln.

„Sprich mit mir. Ich vermisse dich übrigens. Wirst du jemals von diesem Projekt zurückkehren?“

„Ich hoffe doch. Wir stehen kurz vor dem Durchbruch. Dieser dumme informelle Informant hat mich in eine Welt des Schmerzes mitgenommen, und ich musste die Grenzen etwas überschreiten. Was Teil meines Problems ist.“

„Was ist passiert?“

Sie hörte, dass er einen tiefen Atemzug nahm. „Ich musste teilnehmen.“ Er spuckte die Worte aus, als würde sie auszusprechen helfen, den schlechten Geschmack im Mund loszuwerden.

„Oh Lincoln. Du weißt, dass das nicht …“

Die Verzweiflung in seiner Stimme brach ihr das Herz. „Verdammt, LT. Ich weiß. Vertrau mir, das ist mir tausendmal eingeimpft worden, bevor ich zu diesem Fall abberufen wurde. Ich hatte keine Wahl. Die Sache wird langsam brenzlig. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

„Um was ging es?“

„Um was schon. Crack. Hat mich ganz schön durcheinandergebracht, obwohl ich kaum etwas genommen habe. Gott, LT, es war fürchterlich. Glaubst du, dass sie mich feuern werden?“

Taylor lachte. „Nein, das glaube ich nicht. Meine Güte, Linc, du bist einer der besten Officer, die wir hier haben. Ich glaube dir – und Price wird es auch tun. Er würde für dich durchs Feuer gehen. Wie hast du dich nur in diese Situation hineinmanövriert?“

„Ich musste den Informanten in so einem ekelhaften Hotel treffen. Dort wollte er mir die Informationen geben. Einige seiner Kumpane sind ihm zu unserem Treffen gefolgt. Wir hatten keine andere Wahl, wenn wir nicht auffliegen wollten. Gott sei Dank haben sie mich nicht erkannt, das hätte allem gleich vor Ort ein Ende gesetzt, und zwar mit mir in einer Blutlache auf dem Boden. Aber sie waren alle nur high und wollten weiterfeiern. Ich habe dem Informanten Drogen besorgt, damit er die an sie weiterverkaufen kann. Sie haben darauf bestanden, gleich eine Probe zu nehmen. Ich habe Nein gesagt, der Anführer hat Ja gesagt. Dann hat er mir einen Revolver ins Gesicht gehalten, was meine Entscheidungsfreiheit doch erheblich eingeschränkt hat. Ich habe das Rauchen so gut es geht vorgetäuscht, aber irgendetwas musste ich ja schließlich auspusten, sonst wäre ich aufgeflogen.“

Das war der Fluch der verdeckten Ermittlungen. Vor allem wenn das Zielobjekt sich in der Drogenszene herumtrieb. Polizist zu bleiben und trotzdem seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen war ein unglaublicher Balanceakt. Lincoln war jedoch kein verdeckter Ermittler, und sie wollte ihn nicht noch mehr aufregen, indem sie ihm sagte, dass er vermutlich mit einer Disziplinarstrafe rechnen musste. Eine unbezahlte Suspendierung vielleicht. Doch das konnte warten, bis er wieder hier bei ihr war.

„Du musst vorsichtig sein, mein Freund. Schreib die ganze Sache ins Protokoll, dann kümmern wir uns später gemeinsam darum, okay?“

„Okay. Danke. Ich muss los. Wir haben in zwanzig Minuten ein Treffen. Bis dann.“

Es gefiel ihr gar nicht, dass Lincoln durch die Dummheit eines anderen in so eine Situation gebracht worden war.

Sie hatte noch eine weitere Nachricht, diesmal von Baldwin. Er wollte nur kurz Hallo sagen. Er klang gestresst. Damit konnte sie sich gut identifizieren. Sie rief ihn zurück, erreichte ihn jedoch nicht. Also legte sie den Hörer wieder auf und machte sich an die Arbeit. Sie hatte einen Mörder zu fassen.

Über Quantico, Virginia ging die Sonne unter.

Dr. John Baldwin stand auf. Er hatte die ganze Zeit auf einem Stuhl gesessen, der für seine langen Beine zu niedrig war und der nun unter der plötzlichen Entlastung empört aufquietschte.

„Verdammt. Es gefällt mir gar nicht, sie anzulügen.“

„Das weiß ich, Baldwin. Ich hätte dich auch nicht darum gebeten, wenn es nicht absolut notwendig wäre, das weißt du.“ Garrett Woods klang freundlich, doch Baldwin ließ sich nicht täuschen. Er kannte den Mann lange genug, um diesem versöhnlichen Ton nicht zu trauen.

„Dein Karma wird dich dafür in den Hintern beißen, dass du Herzprobleme vorgetäuscht hast.“

Garrett lächelte. In den Winkeln seiner dunklen Augen bildeten sich kleine Falten. „Ich hätte auch in ein diabetisches Koma fallen können. Wäre das realistischer gewesen? Immerhin bin ich Diabetiker.“

„Du solltest auf jeden Fall besser auf dich achtgeben. Und ich sag es dir gleich: Wenn er sich irgendwie in Richtung Nashville bewegt, bin ich raus. Wie zum Teufel konnte er euch durch die Finger schlüpfen?“

„Wir sind immer noch dabei, das herauszufinden. Und hör auf, dir Sorgen um deine Prinzessin zu machen. Sie kann gut auf sich selbst aufpassen. Mach dir nichts vor, mein Junge, sie hat es die ganze Zeit auch ohne dich ziemlich gut hinbekommen. Sie ist kein zartes, schwaches Kätzchen, das deines Schutzes bedarf. Du wirst schon bald genug wieder zurück sein. Aber erst mal haben wir hier einiges an Arbeit zu erledigen.

Baldwin drehte eine Runde in dem kleinen Raum und blieb vor dem Fenster stehen, von dem aus man einen Blick auf den Exerzierplatz vor dem Eingangstor zu dem Komplex hatte. Garrett hatte ihn in einem Gebäude außerhalb des National Center for the Analysis of Violent Crimes getroffen, zu dem sowohl die Behavioral Science Unit, also die Abteilung für Verhaltenswissenschaften, als auch die Behavioral Analysis Unit gehörten, die sich um die Analyse von Verbrechen kümmerte. Das war klug von ihm gewesen; dort hätte es nur so von scharfsinnigen Menschen gewimmelt, doch ihre Unterhaltung konnte keine Zuhörer gebrauchen.

Nachdem er das letzte Jahr in Nashville verbracht hatte, graute ihm vor dem Gedanken, sich wieder innerhalb der Wände der BSU zu bewegen. Er hatte es noch nie gemocht, an den Schreibtisch gefesselt zu sein. Er arbeitete viel lieber draußen. Er liebte seine Arbeit, aber er hasste es, seinen Arbeitsplatz mit vierzig anderen Menschen teilen zu müssen.

Garrett hatte ihn in letzter Zeit immer öfter nach Quantico zurückgeholt. Nachdem er die aktuellen Neuigkeiten gehört hatte, wusste er, dass er für eine Weile bleiben musste. Dabei war Quantico der letzte Ort auf der Welt, an dem er zurzeit sein wollte.

„Ich könnte ihr eine generelle Warnung geben. So nach dem Motto, falls etwas Seltsames passiert, lass es mich wissen. Damit sie im Fall der Fälle nicht ganz unvorbereitet ist.“

Garrett schüttelte den Kopf. An seinem Haaransatz hatte sich ein feiner Schweißfilm gebildet. „Nein. Noch nicht. Erst brauchen wir eine Bestätigung. Vielleicht passiert es ja auch nicht. Wir können deine Deckung nicht wegen eines ‚könnte sein‘ riskieren. Das würde Langley überhaupt nicht gefallen.“