Der Kampf, den Angelina und Francesco atemlos aus der Ferne verfolgt hatten, war vorüber. Die Menge war mit einem Triumphgeheul abgezogen, den Prior von San Marco in ihrer Mitte. Die drei Mönche wurden von einem Spalier von Soldaten geschützt. Francesco wandte sich an den Pförtner des Klosters, der mit ausdrucksloser Miene vor sich hin starrte.
»Wohin bringen sie Savonarola und die beiden anderen?«, fragte er.
Der Mönch blickte mit Tränen in den Augen auf.
»Sie haben gesagt, sie bringen sie in den Palazzo della Signoria und sperren sie in eine Zelle.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Wie ist es dazu gekommen?«, wollte Angelina wissen. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt, denn es war bereits gegen zwei Uhr morgens.
»Diese wilde Schar Bewaffneter ist einfach in das Kloster eingedrungen und hat unsere Anhänger bedroht. Der Signore Doffo Spini selbst hat 1000 Florin auf Savonarolas Ergreifung ausgesetzt. Die wollten die Florentiner sich natürlich nicht entgehen lassen!«
»Das hat Savonarola nicht verdient«, sagte Francesco. »Dass er auf diese Art aus dem Kloster geprügelt wird.«
»Seid Ihr ein Fürsprecher?«, fragte der Mönch.
»Ich habe für Sandro Botticelli gearbeitet«, versetzte Francesco ausweichend. »Dürfen wir mit den Mönchen sprechen?«
»Die sind jetzt alle zu Bett gegangen. Die, die überlebt haben. Kommt morgen wieder.«
Die Augen des Mönches starrten wieder ins Leere.
|353|Zur Mittagszeit kehrten Francesco und Angelina zurück. Der Pförtner meldete sie an und geleitete sie durch den Kreuzgang ins Parlatorium. Alles war noch schwarz von dem Brand, es roch nach Asche und Blut. Ein Mönch mit weißer Tunika, über die ein schwarzer Kapuzenmantel geworfen war, erwartete sie. Seine Kleidung war beschmutzt.
»Wir können Euch vertrauen, hat uns der Bruder Pförtner gesagt«, begann der Mönch. »Ihr habt für Botticelli gearbeitet. Und wer ist die Frau an Eurer Seite?«
»Sie ist mein Modell«, antwortete Francesco.
»Frauen haben üblicherweise keinen Zutritt zu diesem Kloster«, sagte der Mönch missbilligend. »Aber in diesen Zeiten ist nichts mehr so, wie es einmal war.«
»Wir suchen einen Mönch Eures Klosters, der sich für das Porträt dieser jungen Frau eingesetzt hat«, fuhr Francesco fort.
»Er ist untersetzt, aber sonst wissen wir nicht, wie er aussieht«, fügte Angelina hinzu.
»Ach, das könnte fast jeder von uns sein«, meinte der Mönch. »Kommt nachher in die Kirche, da wird ein Bittgottesdienst für Savonarola und seine Gefährten Domenico und Silvestro abgehalten.«
»Wessen sind sie denn verdächtig?«, fragte Angelina.
»Sie werden verdächtigt, Hochverrat gegen den Papst und Verrat am florentinischen Volk begangen zu haben. Dabei wollten sie immer nur das Beste für die Menschen. Savonarola war uns von Gott gesandt!«
Francesco und Angelina warteten im Parlatorium, bis der Pförtner sie zum Gottesdienst holte. Er wies ihnen einen Platz auf der Empore zu, von dem aus sie nicht gesehen werden konnten. Ein Priester stand vor dem Altar, welcher verbrannt und übel zugerichtet war. Er hatte schon mit dem Bittgebet angefangen. Die anderen sprachen ihm die Worte nach.
|354|»Herr, tue meine Lippen auf,
dass mein Mund deinen Ruhm
verkünde!
Denn du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte dir’s
sonst wohl geben; und Brandopfer gefallen dir nicht.
Dann werden dir gefallen die Opfer der Gerechtigkeit,
die Brandopfer und ganzen Opfer; dann wird man
Farren auf deinem Altar opfern.«
»Psalm 51«, flüsterte Francesco Angelina zu.
»Der Priester, der das Bittgebet spricht, muss es sein«, flüsterte Angelina aufgeregt zurück.
»Wir werden ihn aufsuchen, aber erst, wenn der Gottesdienst vorüber ist«, raunte Francesco.
»Ich halte es nicht mehr aus, ich muss hier raus!«, sagte Angelina leise. Einen Herzschlag lang dachte sie, der Priester habe zu ihr hinaufgeschaut. Francesco folgte ihr, als sie sich, behutsam Schritt vor Schritt setzend, entfernte. Draußen atmete Angelina erleichtert auf.
»Mir wurde drückend heiß da drinnen«, sagte sie wie zur Entschuldigung. »Und wie es da aussah! Hast du die Rauchfahnen an der Wand gesehen? Es muss das reinste Fegefeuer gewesen sein!«
»Ich stelle mich vor die Kirchentür«, entschied Francesco. »Derweil kannst du dich im Hof oder im Kreuzgang verstecken.«
Angelina sah ein, dass sie anders nicht weiterkommen würden. So drückte sie Francescos Hand und eilte in den Kreuzgang. An einer Wand waren hohe, geschwärzte Grabplatten angelehnt, dahinter verkroch sie sich. Wenn sie vorsichtig hinausschaute, hatte sie die Kirchentür im Auge. Eine Ewigkeit verging. Dann kamen die Mönche aus der Kirche, hintereinander und ohne ein Wort zu sprechen. Francesco lehnte neben der Tür an der Wand und schaute jedem Mönch ins Gesicht. Die Brüder schien das nicht zu stören, hatten sie doch in den letzten Tagen genügend fremde Herren in ihrem Kloster erlebt. Auch Angelina schaute sich jeden der Mönche |355|genau an, aber sie konnte den, den sie suchte, nicht entdecken. Als die Mönche fort waren, kam Francesco zu Angelinas Versteck.
»Du kannst herauskommen«, meinte er. »Der Gesuchte war nicht dabei.«
»Gewiss ist er geflohen«, sagte Angelina. »Ich traue dem Frieden nicht. Wir sollten in der Kirche nachsehen.«
»Das ist zu gefährlich, Angelina! Wenn wir entdeckt werden, was dann?«
»In der Kirche ist niemand mehr. Der Priester muss ja irgendwohin gegangen sein.«
»Vielleicht kniet er noch vor dem Altar und betet?«, vermutete Francesco.
»Ich muss in die Kirche, du kannst ja derweil nach Hause gehen«, sagte Angelina schnippisch. »Oder zu Botticelli, um ihm in der schweren Stunde beizustehen.«
»Du solltest ebenfalls nach Hause gehen, Angelina«, bemerkte Francesco. »Hast du nicht deinen Eltern und Geschwistern versprochen, sie zu besuchen? Sie sind ja wieder zurück aus dem Kloster.«
»Es macht mir Angst! Ich sehe meine Mutter vor mir, wie sie all ihre Wertgegenstände aus den Verstecken holt, jetzt, nachdem Savonarola verhaftet ist. Ihr ist es doch nie um uns gegangen, sondern nur um ihren Vorteil. Mein Vater ist ein Humanist, aber er hat sich weiß Gott auch nicht immer anständig verhalten!«
Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Francesco folgte Angelina zur Kirche. Sie betraten das düstere Schiff, dessen Wände mit Fresken bemalt waren. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine kleine Pforte offen.
»Da siehst du, wohin unser Vogel verschwunden ist«, bemerkte Francesco. »Lass uns von hier weggehen.«
Sie traten ins Freie. Ein Schwarm von Spatzen erhob sich tschilpend in die Höhe. Die Piazza San Marco lag im hellen Frühlingslicht. Es war, als habe sich ein dunkler Schleier von der Stadt gehoben und gemahne sie an ihre alte Pracht. Francesco fasste nach Angelinas Hand.
|356|»Warum willst du diesen Priester unbedingt finden?«, fragte er.
Sollte sie es ihm sagen? Er hatte mehr als andere das Recht dazu, es zu erfahren.
»Ich glaube mit ziemlicher Gewissheit, dass er derjenige ist, der mich in meiner Kindheit in einem Weinbergkeller gefangenhielt.«
»Du meinst das dunkle Geheimnis, von dem du uns damals im Garten erzählt hast?«
»Ich muss herausfinden, was damals geschehen ist und warum ich mich seitdem schuldig fühle.«
»Warum sollte gerade er es gewesen sein?«
»Vieles in seiner Haltung und in seiner Statur erinnert mich an ihn. Auch seine Stimme, wenn er sie auch verstellt haben mag, als er mich bedrohte.«
»Er ist Angehöriger dieses Klosters.« Francesco fiel etwas ein und er verzog das Gesicht. »Könnte uns nicht Botticelli Auskunft darüber geben, um wen es sich handelt? Schließlich hat er Beziehungen mit Savonarolas Anhängern unterhalten.«
Das war ein Hoffnungsschimmer für Angelina. Die beiden durchquerten die Stadt. Die Menschen waren immer noch sehr aufgeregt, überall standen Gruppen beieinander und disputierten. Aber aus den Backstuben strömte der Geruch nach frischem Brot, aus den Wirtshäusern ertönten fröhliche Stimmen. Schon waren auch wieder geschminkte Mädchen mit hohen Absätzen zu sehen. Sie hatten ihre Schellen abgelegt.
In der Via Nuova roch es wie ehedem nach Beize, und aus Botticellis Werkstatt kam ihnen der Geruch nach Temperafarben entgegen. Sandro Botticelli saß jedoch untätig herum, während seine Gehilfen eifrig malten und grundierten. Der Meister war auffallend blass. Francesco bat ihn, mit ihnen nach draußen zu kommen. Botticelli willigte widerstrebend ein. Sie begaben sich zum Ufer des Arno. Schwäne und Enten schwammen im Wasser, das ruhig dahinfloss. Das Spiegelbild der Uferweiden wurde von den Wellen verzerrt.
»Verzeih mir, Sandro, dass ich dich so wütend verlassen habe. Ich |357|denke, die jetzigen Ereignisse hatten ihre Schatten vorausgeworfen.«
»Ich habe dir schon längst verziehen, du Hitzkopf«, winkte Botticelli ab.«Aber ihr werdet verstehen, dass ich unter diesen Umständen nicht mehr malen kann. Es ist nicht nur Girolamo Savonarola, dessen Schicksal mir den Angstschweiß auf die Stirn treibt, ich weiß auch nicht, wie es jetzt mit mir weitergeht.«
»Was wirst du unternehmen?«, fragte Francesco.
»Ich kann nur hoffen und beten, dass mein Ansehen groß genug ist, dass ich unbehelligt bleiben werde. Aber genau werde ich es erst wissen, wenn das alles vorbei ist.«
»Ihr bleibt also hier und setzt auf die Rückkehr der Medici, so wie alle anderen auch«, sagte Angelina sanft. Botticelli seufzte beschämt und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Du wirst auch wieder andere Dinge malen, dich mit anderen Themen beschäftigen«, warf Francesco ein.
»Nie im Leben!«, fuhr der Meister auf. »Was mit Savonarola geschieht, ist die größte Ungerechtigkeit, die mir in meinem Leben begegnet ist! Aber ihm wird Gerechtigkeit widerfahren, das schwöre ich euch. Eines Tages wird er noch heiliggesprochen werden. Ich hoffe nur, dass sie mich nicht zwingen, seiner Hinrichtung beizuwohnen.«
»Glaubt Ihr denn, dass es wirklich dazu kommt?«, fragte Angelina.
»Der Papst kann gar nicht anderes, als ihn zum Tod zu verurteilen. Zu sehr hat sich Savonarola gegen die Kirche aufgelehnt. Das Volk will ihn brennen sehen! Und wenn er nicht brennt, wird sich die Wut der Bürger gegen die Compagnacci wenden, diese Bürgersöhne, die inzwischen im Stadtrat sitzen. Entweder sie töten Savonarola oder sie werden selbst von der aufgebrachten Masse getötet.«
Sie setzten sich auf ein paar Steine, die von der Sonne erwärmt waren.
»Wir wollten dich noch etwas fragen, Sandro«, sagte Francesco. »Du kennst doch sicher die Menschen, mit denen Savonarola Umgang hatte.«
|358|Botticelli überlegte. »Ja, die, mit denen er engeren Umgang pflegte. Da wären einmal Domenico da Pescia und Silvestro Maruffi, die beide mit ihm im Kerker sitzen. Morgen bringt man Savonarola in den Bargello-Palast, um ihn zu foltern.« Eine Träne lief dem Maler die Wange herab. Er wischte sie fort.
»Dann gab es noch einen Domenian Brenetto, den er gelegentlich erwähnte. Er ist für ihn nach Rom gegangen, um dem Papst seine abschlägige Nachricht auf Alexanders Angebot zu überbringen.«
Angelina Herz begann schneller zu klopfen. Konnte das der Mann sein, den sie suchte?
»Woher stammt dieser Brenetto?«, fragte sie.
»Aus der Nähe von Fiesole, soweit ich weiß«, gab Botticelli zur Antwort.
Angelina wurde es heiß und kalt.
»Hat er noch Eltern und Geschwister?«, fragte sie atemlos.
»Er stammt aus einer Bauernfamilie. Es ist einmal ein Bruder da gewesen, der ist aber ganz jung gestorben. Es muss ein schrecklicher Unfall gewesen sein, direkt danach ist er ins Kloster eingetreten.«
»Wir müssen diese Familie aufsuchen«, sagte Angelina zu Francesco und stand auf. »Vielleicht ist er dorthin zurückgekehrt.«
»Wir wissen nicht, ob es der von uns Gesuchte ist«, gab Francesco zurück.
»Aber es ist zumindest eine Spur«, rief Angelina. »Ich erinnere mich, dass es im Nachbardorf eine Familie Brenetto gab. Mit dem Sohn dieser Familie war ich bekannt. Ich muss mit ihnen sprechen!«
»Das klingt so, als wärest du diesem Mann in irgendeiner Weise nahe«, sagte Francesco mit einem gereizten Unterton.
»Ich muss wissen, was damals geschah, sonst komme ich nicht mehr zur Ruhe«, versetzte Angelina.
»Ich komme mit, ich habe es versprochen«, seufzte Francesco.
Am frühen Abend erreichten Angelina und Francesco Fiesole. Sie ritten am Sommerhaus der Girondos vorbei. Angelina dachte wieder an den Tag des Frühlingsfestes, als sich das Gewitter über Florenz |359|zusammenzog. Wie arglos war sie damals gewesen! Und doch hatte auch zu diesem Zeitpunkt schon eine unbestimmte Trauer über ihr gelegen, deren Ursprung sie jetzt endlich ergründen konnte. Die untergehende Sonne warf einen rötlichen Schein auf die erdbraunen Ziegel des Daches. Dort war der Brunnen, an dem der arme Signor Fredi … war das alles wirklich erst ein Jahr her? Angelina schien diese Zeit wie ein halbes Leben.
Im Nachbardorf fanden sie das Haus der Brenettos schnell. Ein paar zerrupfte Hühner spazierten vor der Kate herum, die ungepflegt wirkte. Ein älteres Paar saß auf einer Bank vor dem Haus. Der Zwetschgenbaum im Garten stand in voller Blüte.
»Signor und Signora Brenetto?«, fragte Francesco.
»Ja, das sind wir«, antwortete der Mann und stand schwerfällig auf. Sein Gesicht war sonnenverbrannt und faltig wie das einer Eidechse.
Seine Frau, die verhärmt wirkte, sah Angelina und Francesco aus Augen an, die denen eines Adlers glichen, so durchdringend wirkten sie.
»Wir suchen Euren Sohn Domenian«, sage Francesco.
»Wieso, hat er etwas ausgefressen?«, fragte die Frau. Ihr Gesicht spannte sich.
»Nein, er hat ein Bild von mir in Verwahrung, das ich jetzt verkaufen möchte. Aber er ist verschwunden.« Angelina wunderte sich, das er ohne rot zu werden lügen konnte.
»Meine Familie und ich sind früher Nachbarn von Euch gewesen«, warf Angelina ein. »Lorenzo und Lukrezia Girondo. Ich heiße Angelina.«
»Ich erinnere mich«, meinte die Frau. »Aber wir haben Domenian schon lange nicht mehr gesehen. Er ging als junger Mann nach Florenz, weil er dort eine Predigt von Savonarola gehört hatte. Und trat dann ins Kloster San Marco ein.«
»Zu mehr als zu einem Mönch taugte er auch nicht«, brummte der Vater.
»Und was ist aus seinem Bruder geworden?«
|360|»Der ist verschollen«, meinte die Frau. »Ich glaube nicht daran, dass er von einem Wegelagerer erschlagen wurde. Gewiss lebt er in einer anderen Stadt und hat dort ein Geschäft eingerichtet.«
»Habt Ihr ihn nicht mehr gesehen?«
»Nein, wir sind alt und krank«, antwortet der Mann. »Wir kommen aus unserem Dorf nicht heraus. Was in Florenz geschieht, geht uns nichts mehr an.«
»Ich dachte, der Tod seines Bruders sei ein Unfall gewesen?«
Die Frau schnaubte nur und schüttelte den Kopf.
Warum diese Leute wohl so verbittert waren? Hatten die Söhne sie zu sehr enttäuscht? Als hätte sie ihre Gedanken gehört, fuhr die Frau fort:
»Domenian hat uns sehr enttäuscht. Er war immer widersetzlich. Nie tat er das, was man von ihm verlangte. Und dass er nie geheiratet hat …«
»Jetzt lass doch die alten Geschichten«, unterbrach Signor Brenetto sie.
»Domenian war eigentlich kein schlechter Junge«, fuhr die Frau fort. »Er hatte nur immer seinen eigenen Kopf. Und er vertraute sich uns nie an. Einmal hat er sich tagelang herumgetrieben und kam in einem verwahrlosten Zustand zurück. Er hat uns nie gesagt, wo er gewesen ist.«
Angelina fühlte sich wie vom Blitz getroffen.
»Könnt Ihr Euch daran erinnern, wann das war?«, fragte sie.
Die Frau betrachtete ihre groben Finger und zählte ab.
»Jetzt haben wir das Jahr 1498«, meinte sie. »Es muss viele Jahre her sein. Ich glaube, es war 1492 oder 1493.«
»Da war ich zwölf oder dreizehn Jahre alt«, sagte Angelina tonlos. »Dann kann er es nicht gewesen sein.«
»War Domenian bei Euch?«, fragte die Frau. Sie schaute Angelina fast hasserfüllt an.
»Nein, daran erinnere ich mich nicht«, entgegnete Angelina. »Eine letzte Frage, und dann lassen wir Euch wieder in Ruhe. Wo würde Domenian hingehen, wenn er in Bedrängnis gerät?«
|361|»Das weiß ich nicht«, antwortete Signora Brenetto. »Er hat ja nie etwas gesagt.«
»Am ehesten noch zu einem Priester oder zu einem Mönch«, setzte Signor Brenetto hinzu.
Die beiden dankten dem Ehepaar und verabschiedeten sich. Schweigsam ritten Angelina und Francesco den Weg nach Florenz zurück.
»Was denkst du dir eigentlich dabei, die beiden alten Leute so auszufragen?«, riss Francesco sie aus ihren Gedanken.
»Ich habe sie nicht ausgefragt, ich wollte wissen, was damals hier auf dem Land geschehen ist!«, fauchte Angelina.
»Angelina, du bist nicht mehr dieselbe, als die ich dich kennengelernt habe. Du wirkst auf mich immer mehr wie jemand, der … der von einem Dämon besessen ist!«
»Ach ja? Und wenn es ein Dämon wäre, so müsste ich ihm folgen …«
»Ich liebe dich, Angelina, ich kann es nicht zulassen, dass du dich zugrunde richtest!«
»Du richtest mich zugrunde, wenn du mir Steine in den Weg legst!«
»Lass uns Florenz den Rücken kehren, Angelina. Wir gehen in eine andere Stadt. Es wird schlimm genug kommen.«
»Und wovon sollen wir leben, bitte? Von deinen Aufträgen?«
Francesco verzog schmerzlich getroffen das Gesicht.
»Du redest schon wie deine Mutter. Wartest du vielleicht immer noch auf einen reichen Ehemann? Dann nimm doch Tomasio Venduti, er wollte dich doch schon immer haben!«
»Wen ich nehme oder nicht nehme, ist meine Angelegenheit«, gab Angelina zurück.
Die ersten Hütten der Vorstadt kamen in Sicht. Es wurde dunkel. Angelina hatte das Verlangen zu weinen. Hatte sie jetzt alles, was zwischen ihnen gewesen war, zerstört? Aber sie konnte nicht zurück. Sie gab ihrem Zelter die Sporen und galoppierte davon.
»Warte, Angelina«, rief Francesco ihr nach. »Wo willst du denn hin?«