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Ein kalter, regnerischer Morgen war über der Stadt Florenz aufgezogen. Nach den Laudes suchte Domenian Savonarola in dessen Zelle auf.

»Girolamo, ich mache mir die allergrößten Sorgen um dich«, sagte er. »Aus Rom erhielt ich die Nachricht, dass der Papst alles daransetzen werde, dich zu vernichten! Wie soll es weitergehen? Während wir die ›Eitelkeiten‹ der Bürger für den nächsten Carnevale Savonarole einsammeln, ist die Stadt außer Rand und Band geraten! Die Übergriffe werden immer schlimmer. Selbst wenn wir unsere treue Gemeinde halten können – auch nach dem Februar wird es Uneinigkeit geben. Der Papst und seine Kardinäle schlafen nie!«

»Oh, ihr Kleinmütigen unter der Sonne!«, erwiderte Savonarola. »Wer nur ganz fest auf mich und das Reich Gottes vertraut, den werden keine Zweifel befallen. Merke, Domenian: Auch wenn ich untergehen sollte, wenn du und unsere Glaubensgenossen untergehen sollten, wird der Gottesstaat doch nicht untergehen, weil er ewig ist und bleiben wird. Gehe hin, bete, arbeite und tue deine Pflichten im Namen des Herrn!«

Domenian atmete erleichtert aus.

»Du bist mein Brunnen in der Wüste, Herr«, murmelte er. Mit einer Bewegung seiner knochigen Hand entließ ihn der Frate. Während der Prim schossen Domenian wieder Gedanken und Bilder durch den Kopf, er konnte sich ihrer nicht erwehren. Er sah sich in seiner Zelle, wie er auf das Bildnis Maria Magdalenas einstach. Diese Sünderin sollte ein für alle Mal zerstört werden, sie hatte keine Vergebung verdient! Dann wieder lag er im Geiste auf Knien vor ihr und betete sie an. Nach dem Gottesdienst nahm Savonarola ihn noch einmal beiseite.

|259|»Komm ins Parlatorium«, sagte er. »Ich muss noch einmal mit dir sprechen.«

»Du machst mir Angst, Domenian«, begann Savonarola dort. »Im Gottesdienst habe ich dein verzerrtes Gesicht gesehen. Es passte nicht zu den Liedern und Psalmen. Was sind das für Gedanken, die dich innerlich so sehr zerreißen?«

»Es ist die Sorge um dich und um unsere Sache, die mich so sehr umtreibt«, gab Domenian zurück. »Mein Glaube ist stark, aber wird er stark genug sein, alles bis zum Ende auszuhalten?«

Savonarola legte seine Hand auf Domenians Arm.

»Es gibt kein Ende, das habe ich dir doch schon wiederholt zum Ausdruck gebracht«, sagte er. »Wenn wir unser Ziel erreicht haben, gibt es zwei Möglichkeiten: Unsere Sache wird ewig währen zum Wohle Gottes und der Menschen. Oder wir werden siegend sterben und ins Paradies eingehen. Dort werden wir an der Seite Gottes und seines eingeborenen Sohnes sitzen, während die wahren Christen auf Erden herrschen. Sollte der Papst mich auch auf den Scheiterhaufen bringen wollen: Was nützt ihm das? Ich werde in die Geschichte eingehen und immerdar ein Vorbild für die Gläubigen sein!«

»Du sprichst so wahr, und das beruhigt mich«, entgegnete Domenian. »Ich werde mich jetzt zum Gebet zurückziehen, wenn du erlaubst.«

In seiner Zelle angekommen, warf sich Domenian vor dem Bild Maria Magdalenas nieder. Hatte sie ihn berührt? Er betete: »O Herr, nimm die Ketten von mir, in denen ich gefangen bin! Sie werden mir immer schwerer. Befreie mich von meinen Sünden, die noch schwerer wiegen! Führe mich nicht in Versuchung, lass mich rein und unschuldig vor dein Angesicht treten! Versuche mich nicht, Teufel! Ich werde das Werk der Schöpfung vor deinem schmutzigen Zugriff bewahren.«

Er betrachtete das fromme Bild. Die Weiblichkeit Maria Magdalenas war mehr zu erahnen als zu sehen, ihre Gestalt wurde durch das goldgelbe Kleid verhüllt, in dem sie Jesus gegenübergetreten |260|war. Auch nach dessen Auferstehung hatte sie es gewagt, sich ihm zu nähern. Domenian aber wollte keine Nähe der Frauen mehr dulden! Im Geiste hatte er schon seine Mutter getötet für alle Erniedrigungen, die sie ihm angetan hatte. Sie hatte nicht nur Spott und Hohn über ihn ausgegossen, wie auch sein Vater und sein Bruder, nein, sie war auch vom Dämon besessen gewesen. In Gedanken hatte er das Bild Maria Magdalenas bereits zerstört. Jetzt stand er auf, nahm sein Messer aus einer Tasche seiner Kutte und zerkratzte der Frau auf dem Bild das Gesicht. Es war, als flösse Blut aus ihren Wunden.