|195|25.

Vorbei an der Kirche Santa Maria Novella und über die Piazza Mercato gelangte Angelina in die Via Guelfa. Mit einem etwas bangen Gefühl suchte sie nach dem von Sonia angegebenen Haus. Schließlich fragte sie eine Frau, die mit einem Korb unter dem Arm an ihr vorbeihasten wollte.

»Wohnt hier eine Signorina Pallina Boni?«, fragte Angelina. Die Frau blickte sie sprachlos an und bekreuzigte sich.

»Kennt Ihr eine Signorina Boni?«, wiederholte Angelina.

Die Frau wies auf den Palazzo Acciaiuoli, der mit seinen grauen Mauern und dem Turm vor ihnen aufragte.

»Hütet Euch vor diesen Weibsleuten, gute Frau«, sagte die Fremde und eilte weiter. Was hatte das denn zu bedeuten? Pallina war doch eine Freundin von Sonia. Ging sie vielleicht einem unehrenhaften Gewerbe nach? Aber das war doch nicht möglich, Savonarola hatte das unter Androhnung schwerer Strafen untersagt. Allerdings sahen das nicht mehr alle so streng, die Medicitreuen waren wieder mehr an die Macht gelangt. Vielleicht waren in aller Stille wieder solche Horte der Lustbarkeit entstanden? Angelina gab sich einen Ruck und klopfte an die Tür des Palastes. Ein Diener mit Fledermausohren öffnete ihr. Bei ihrem Anblick entblößte er seine Zähne.

»Womit kann ich dienen, Signorina? Ihr wollt gewiss ein Zimmer zur Miete haben.« Bei diesen Worten stieß er ein meckerndes Lachen aus.

»Richtig«, stellte Angelina fest, »vielmehr, ich möchte zu Signorina Boni. Eine Freundin hat mich ihr empfohlen.«

»Die wohnt zusammen mit ihrem Vater und ihren Schwestern in dem alten Turm dort. Aber im Augenblick sind sie nicht zu Hause.«

|196|»Wo kann ich sie finden?«

»In der Trattoria Al Carpa, nicht weit von hier. Seht, dort drüben.« Er zeigte mit seinem Finger in die Richtung. Angelina bedankte sich, drückte ihr Bündel an sich und überquerte die Straße zu dem Gasthaus. Die Dämmerung war schon hereingebrochen. Es war empfindlich kühl geworden, und Angelina schlang ihren Wollmantel enger um sich. Nur noch wenige Bürger huschten vorüber, wahrscheinlich froh, wenn sie am heimischen Feuer sitzen würden.

Die Wirtschaft war ein dreigeschossiges Haus, aus den graubraunen Steinen der Umgebung erbaut. Ein dicklicher Eisenfisch, von eisernen Ranken umkränzt, baumelte über der Tür. Auf einer Tafel waren die Speisen mit Kreide aufgezeichnet. Angelina lief das Wasser im Mund zusammen. Aus dem Inneren klangen gedämpfte Stimmen, jedoch war die Tür verschlossen. Angelina pochte dagegen. Im gleichen Augenblick wurde es drinnen still. Schlurfende Schritte kamen näher. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein gedrungener Mann mit Schnauzbart spähte heraus. Sein braunes, an den Schläfen ergrautes Haar fiel offen auf seine Schultern, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß.

»Was wünscht Ihr zu dieser späten Stunde, Signorina?«, fragte er.

»Ich suche Pallina Boni.«

»Was wollt Ihr von ihr?«

»Ich komme von Sonia und Lucas Bandocci, dem Gemüsehändler und seiner Frau. Sonia ist meine Freundin und hat mir die Adresse von Pallina gegeben.«

Die Spur eines Lächelns huschte über sein Gesicht, doch er blieb weiterhin wachsam. Der Wirt öffnete die Tür ganz und hieß sie eintreten. Gerüche nach Fisch und Rindssuppe kamen Angelina entgegen. Der dunkel getäfelte Raum mit bunten Glasfenstern war angefüllt mit Männern, die Wein- und Bierkrüge vor sich stehen hatten und eifrig miteinander redeten. Auch einige geschminkte Frauen befanden sich darunter.

»Pallina!«, rief der Wirt dem Schankmädchen zu, das eben mit |197|einer Platte voller Fische aus der Küche kam. Woher die wohl die Fische und das Fleisch für die Suppe hatten? Seit der Pest litt Florenz doch mehr als früher unter einer Hungersnot. Die Angesprochene setzte die Platte auf einem der Gästetische ab und kam zu ihnen herüber.

»Pallina, kennst du diese Signorina? Sie behauptet, sie komme von deiner Freundin Sonia.«

Pallina betrachtete Angelina ungeniert.

»Nein, ich kenne sie nicht«, meinte sie, »aber wenn Sonia sie schickt, wird es schon seine Richtigkeit haben.« Der misstrauische Ausdruck war nicht aus ihrem Gesicht gewichen. Angelina konnte es ihr nicht verdenken. Die Menschen dieser Stadt waren voller Intrigen und Verrat. Warum sollte dieser Wirt, warum sollte dieses Schankmädchen ihr vertrauen? Sie konnte genauso gut ein Spitzel Savonarolas sein, um die Sündenpfuhle der Stadt aufzuspüren.

»Ich habe ein Empfehlungsschreiben von Sonia und Lucas«, erklärte Angelina und reichte Pallina den Brief. Sie schämte sich vor diesen Menschen, die mit ihrem Leben offenbar so gut zurechtkamen. Oder auch nicht? Die beiden geschminkten Mädchen machten den Männern offensichtlich schöne Augen. Angelina kam in den Sinn, was ihre Tante über ihre Mutter erzählt hatte. Ob sie, Angelina, auch einmal so enden würde? Am liebsten wäre sie auf der Stelle wieder gegangen. Aber wohin? Ihr Geld würde nicht reichen, um ein eigenes Zimmer zu nehmen.

»Das Mädchen ist vertrauenswürdig«, hörte sie den Wirt sagen, nachdem er den Brief gelesen hatte. Er stellte sich als Rinaldo Boni vor. Sein vorher abwehrender Gesichtsausdruck war einer fröhlichen Miene gewichen.

»Gratiosa und Verena«, rief er den beiden geschminkten Mädchen zu. »Kommt doch her und begrüßt Angelina, unseren hübschen neuen Gast. Oder soll ich sagen: unsere neue Hilfskraft?« Er schaute Angelina dabei aus so treuherzigen Augen an, dass sie sich nichts Böses dabei denken konnte. Hier würde sie vielleicht endlich zur Ruhe kommen und sogar mit ihrer eigenen Hände Arbeit Geld |198|verdienen, was sie noch nie in ihrem Leben hatte machen müssen. Bisher war ihr so etwas immer undenkbar erschienen. Wieso plötzlich nicht mehr? Tante Bergitta war schuld daran, fiel ihr ein, und sie musste lächeln.

»Pallina, bring Angelina einen Teller mit Rindssuppe«, wies Rinaldo das Schankmädchen an. Angelina setzte sich an einen der freien Tische. Gratiosa und Verena kamen näher und setzten sich dazu. Die Männer, mit denen sie gescherzt und getrunken hatten, murrten, winkten dann Rinaldo, dass sie zahlen wollten. Mit viel Getöse und lauten Flüchen verließen sie die Schänke. Rinaldo lief hinter ihnen her und bat sie immer wieder, ruhig zu sein. Pallina hatte inzwischen eine große Schüssel Suppe aufgetragen, und Angelina aß mit gutem Appetit. Rinaldo ließ sich mit einem Seufzer auf einen Stuhl fallen.

»Ach, es ist wahrlich schwer, sein Auskommen zu haben in diesen Zeiten«, seufzte er. Sein brauner Schnurrbart glänzte. »Und ich möchte nicht, dass meine Mädchen den Pfad der Tugend verlassen.«

»Ach – sind sie alle drei Eure Töchter?«, fragte Angelina scheinbar erstaunt.

»Ja«, gab Rinaldo zur Antwort. »Und es macht mich traurig, dass sie mit den Herren freundlich tun müssen, um sie zum Trinken zu ermutigen. Ich habe nichts anderes gelernt, als Wirt zu sein, und nachdem Savonarola die Glücksspiele verboten hat, ging es bergab mit uns. Nur noch heimlich können wir diese Wirtschaft betreiben. Als meine Frau noch lebte, war es eine gutgehende Speisewirtschaft.«

»Ist Eure …«, fragte Angelina.

»Ja, sie ist an der Pest gestorben.« Seine Augen wurden feucht. Angelina kam ein Gedanke.

»Ich habe bei meiner Mutter kochen gelernt«, sagte sie. »Könntet Ihr mich nicht in der Küche anstellen?«

»Wollt Ihr das wirklich machen?«, rief Rinaldo und strahlte sie an.

»Was haltet ihr davon, Kinder?«

|199|»Das würde mir gefallen!«, sagte Pallina. »Dann hätte ich endlich etwas Hilfe!«

»Oh ja, dann gibt es vielleicht mal etwas anderes als Rindssuppe und Fisch«, meinte Gratiosa. Verena, anscheinend die Jüngste, nickte dazu.

Alle drei Mädchen hatten schwarze Haare, bei Pallina lockten sie sich um ein hellhäutiges, herzförmiges Gesicht, Gratiosa trug sie zu einer Schnecke aufgebunden und Verena hatte eine Leinenhaube darübergezogen, aus der ein paar vorwitzige Löckchen sprangen.

»Wenn ich ausgehe, trage ich ebenfalls eine Haube oder Kapuze«, sagte Pallina schnell, als sie Angelinas Blick bemerkte.

»Woher bekommt Ihr eigentlich die Lebensmittel?«, fragte Angelina den Wirt zwischen zwei Löffeln.

»Mein Bruder lebt auf dem Land«, erwiderte Rinaldo. »Dort haben wir auch zusammen die Pest überlebt. Fast alle.«

»Was könnt Ihr denn kochen?«, fragte Pallina, wie um den Vater abzulenken von seinem Schmerz. Angelina überlegte einige Augenblicke lang. Die Stunden gingen ihr durch den Sinn, die sie mit ihrer Mutter in der Küche verbracht hatte. Was waren das noch für Zeiten gewesen! Angelina riss sich von den Bildern los und zählte auf:

»Hühner-Leberpastete, nackte Ravioli, Ribollita, Brotsuppe, Kutteln, Stracotto, Baccala, Lesso mit Salsa Verde, Traubenbrot, Kastanienkuchen …«

Rinaldos Augen glänzten, und die Mädchen leckten sich die Lippen bei Angelinas Worten.

»Einiges davon hat auch meine Frau gekocht«, sagte Rinaldo versonnen. »Ich habe es nachher nicht mehr fertiggebracht, und meine Töchter sind nicht dafür gemacht.«

»Doch kann ich kochen, Herr Vater«, protestierte Pallina. Ihre Schwestern kicherten, offensichtlich hatten sie dazu eine andere Meinung.

»Vielleicht wird das eines Tages gar nicht mehr nötig sein«, antwortete Rinaldo und schickte einen schnellen Blick in Angelinas |200|Richtung. Angelina bezog es auf sein Vertrauen in ihre Kochkünste und fühlte sich warm und wohl bei diesen Leuten.

»Gleich morgen werde ich zu meinem Bruder hinausreiten und Waren herbeischaffen«, sagte er eifrig.

»Ich habe noch ein wenig Geld, das ich dazugeben kann«, erklärte Angelina. Rinaldo winkte ab. Später leuchtete er ihnen mit einer Fackel zu dem Turm hinüber, in dem sich die Schlafkammern der Mädchen befanden. Angelina teilte sich einen Raum mit Pallina. Nachdem das Licht gelöscht war, stieg der feuchte Geruch der Wände Angelina in die Nase. Er löste ein banges Gefühl in ihr aus. Woran erinnerte sie dieser Geruch? Über dem Nachdenken darüber schlief sie ein. Ihr träumte, sie befände sich in einem Weinberg. Eine Winzerhütte tauchte vor ihr auf. Das, was darin war, machte Angelina Angst. Gleich darauf war sie in einer Höhle. Die Wände waren feucht, das Wasser lief an dem Felsgestein herab. Sie wollte fort aus dieser Höhle, doch deren Öffnung war verschlossen. Ihre Finger gruben sich in den Stein, bis es schmerzte. Sie wusste, dass sie ersticken würde, wenn sie nicht bald aus diesem Gefängnis herauskäme. Angelina wollte schreien, brachte jedoch keinen Ton aus ihrer vertrockneten Kehle. Darüber wachte sie schweißgebadet auf. Sie hörte die ruhigen Atemzüge Pallinas, drehte sich auf die Seite und schlief traumlos bis zum Morgen.

 

Als sie aufwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch die ersten Geräusche der Gasse drangen schon in das Gemach hinein, das nur mit einer Tür und einigen Schießscharten nach draußen versehen war. Im ersten fahlen Zwielicht betrachtete Angelina die Einrichtung des Turmzimmers, die sie gestern nur flüchtig im Schein der Fackel gesehen hatte. An den zwei Seiten standen die beiden Betten, am Kopfende ihres Bettes eine Truhe. Der Boden war mit Binsen bestreut, die schon lange nicht mehr gewechselt zu sein schienen. Angelina erhob sich leise, um Pallina nicht zu stören, zog sich an und ging die Treppe hinunter in den Hof, um sich am Brunnen zu waschen. |201|Dann begab sie sich zu der Wirtschaft. Rinaldo blinzelte ihr verschlafen entgegen. Er war gerade dabei, den Schankraum auszufegen.

»Guten Morgen«, sagte er. »Habt Ihr gut geschlafen, Signorina?«

»Ja, sehr gut«, beeilte sie sich zu sagen. Dass sie schlecht geträumt hatte, brauchte er ja nicht zu wissen. »Kann ich Euch helfen, Signore?«

»Ja, Ihr könnt das Frühstück zubereiten«, meinte er. »Bald müssen auch meine Töchter hier auftauchen. Habt Ihr schon einmal Cornetti gebacken?«

»Ich weiß, wie es geht, meine Mutter hat die oft zum Frühstück gemacht. Zusammen mit der Magd.«

Rinaldo führte sie in die Küche und zeigte ihr die Behälter mit den Zutaten. Im Ofen brannte schon ein Feuer. Angelina nahm sich ein Brett, mischte Mehl, Zucker und Eier und verknetete die Zutaten. Auf eine Backschaufel setzte sie kleine Haufen, formte sie zu Hörnchen und schob sie in den Backofen. Irgendwann merkte sie, dass sie eine Melodie vor sich hin summte. Von nebenan hörte sie die Mädchen mit ihrem Vater scherzen.

»Macht Angelina unser Frühstück? Das ist aber schön, da müssen wir es nicht selber machen«, sagte Pallina munter. Angelina füllte eine Kanne mit Würzwein und stellte sie auf den Herd.

»Hol Butter aus dem Keller«, wies Rinaldo Pallina an, »und bring gleich den Schinken mit.«

Die ersten Gäste trafen ein, Handwerker auf dem Weg zur Arbeit. Pallina brachte die Butter und den Schinken und bediente die Männer, während Angelina weitere Cornetti buk und Rinaldo Wein und Bier ausschenkte. Zwischendurch steckte Rinaldo seinen Kopf herein.

»Ich reite jetzt zu meinem Bruder aufs Land«, sagte er. »Seid freundlich zu den Gästen und macht mir keine Schande!« Er zwinkerte Angelina zu.

Nachdem er gegangen war, wandte sich Angelina an Pallina.

»Was soll es denn heute Mittag zu essen geben?«, fragte sie.

|202|»Rindfleisch ist noch da«, überlegte Pallina. »Für die anderen Gerichte bringt unser Vater die Zutaten mit.«

»Also kochen wir erst einmal Stracotto«, entschied Angelina. »Gratiosa und Verena können mir dabei helfen.«

»Und ich bediene die Gäste, wie immer«, meinte Pallina und wackelte mit den Hüften. Ob das eine Anspielung war? Angelina schaute sich nach den Vorräten um. In einem Tontopf entdeckte sie ein großes Bruststück vom Rind. Sie stellte einen Topf auf den Herd, erhitzte Olivenöl darin und briet das Fleisch rundherum an. Derweil wies sie die beiden Mädchen an, Karotten, Zwiebeln und Sellerie kleinzuhacken. Angelina nahm das Fleisch heraus und stellte es beiseite. Sie dünstete das Gemüse an und tat Schinken, Wacholderbeeren, Pfefferkörner und Lorbeerblätter dazu. Weil keine frischen oder getrockneten Weintrauben vorhanden waren, goss sie Wein und Brühe von der Suppe dazu. Damit es langsam köcheln konnte, nahm sie etwas von der Glut des Ofens weg. Während das Fleisch schmorte, ging Angelina in das Turmzimmer hinüber, fegte es aus und bat Gratiosa, frische Binsen zu besorgen. In der Küche scheuerte sie Pfannen und Töpfe. Gegen Mittag trafen die ersten Gäste zum Essen ein, Handwerker und Bürger, denen man ansah, dass sie dem Essen zugetan waren. Angelina stand der Schweiß auf der Stirn. Hatte sie auch alles richtig gemacht? Sie schnitt das Fleisch, das jetzt so zart war, dass es vom Messer fiel, in dünne Scheiben, gab Butter zum Gemüse, würzte mit Salz, Zitronensaft und Zimt und richtete alles auf einer Platte an. Pallina trug die Platte hocherhobenen Hauptes in die Schankstube. Gleich darauf erschien sie wieder und verlangte eine neue Platte. Innerhalb einer halben Stunde war das Stracotto ausverkauft, und die später Gekommenen mussten sich mit Rindssuppe und Stockfisch begnügen. Pallina erschien abermals in der Küche, in der Angelina damit beschäftigt war, die Reste aus dem Topf auf vier Teller für sie und die Mädchen zu verteilen.

»Die Männer wünschen die Köchin zu sehen, die so wundervoll kochen kann!«, sagte Pallina.

|203|»Fangt schon an zu essen, aber lasst mir etwas übrig«, scherzte Angelina und begab sich in den Gastraum. Erwartungsvolle Augen blickten ihr entgegen.

»Ihr kocht aber vorzüglich«, sagte ein bärtiger Mann im Gewand eines Gerbers. »Wo habt Ihr das gelernt?«

»Bei meiner Mutter«, entgegnete Angelina.

»Diese Köchin wird gewiss noch andere Vorzüge haben«, rief ein anderer.

Alle lachten. Angelina staunte über sich selbst, dass sie nicht rot wurde.

»Diese Vorzüge werden aber nicht an jedermann vergeben«, sagte sie ruhig, »genauso wenig wie meine Kochkünste.«

»Hört, hört«, ertönte es von allen Seiten.

»Schlagfertig ist sie auch noch, die Kleine«, meinte der Gerber und wandte sich an seinen Nachbarn. »Hier werden wir jetzt öfter zum Essen herkommen, nicht wahr, Giovanni?«

»Genau, wir werden es weitersagen«, äußerte sich der Angesprochene.

Angelina nutzte die Gelegenheit, um in die Küche zurückzukehren und mit den anderen zu essen. Die Gaststube leerte sich, am Nachmittag würden nur Vorübergehende nach Wein oder Bier verlangen. Die Mädchen spülten das Geschirr und räumten auf. Gerade als Angelina sich in das Turmzimmer zurückziehen wollte, tauchte Rinaldo auf. Er brachte zusammen mit den Mädchen die Lebensmittel in die Küche.

»Das Fleisch und die Butter in den Keller«, bedeutete er Verena. »Was wollt Ihr für heute Abend zubereiten, Angelina?«, fragte er. »Ich habe unterwegs schon gehört, wie gut den Gästen das Essen geschmeckt hat.«

»Nackte Ravioli und Brotsalat«, gab Angelina zur Antwort. Bis zum Abend war sie mit der Zubereitung beschäftigt. Sie bereitete einen dünnen Teig, rollte ihn aus und schnitt Vierecke, die sie mit gehacktem Spinat, Ricotta und verschlagenen Eiern belegte. Eine Prise Muskat rundete den Geschmack ab. Die Ränder der Teigtaschen |204|verklebte sie mit Eiweiß. Für den Brotsalat nahm sie alte Brotreste, weichte sie ein, vermischte alles mit gekochten Möhren, roten Zwiebeln, Essig und Olivenöl. Gegen Abend war die Gaststube voll, der Lärm drang bis zu Angelina in die Küche. Gratiosa und Verena halfen ihr nach Kräften, denn es wurde immer mehr von den Speisen verlangt. Pallina eilte mit Schüsseln und Platten zwischen Küche und Gaststube hin und her. Rinaldo, der auch mit dem Ausschenken kaum nachkam, zeigte sich zwischendurch bei den Frauen.

»Es sind zwei Gäste da, ein Mann und eine Frau, die Euch zu sprechen wünschen«, sagte er zu Angelina. Wer mochte das sein? Sie drückte Gratiosa ihr Messer in die Hand, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und ging nach vorne in die Gaststube. In einem Winkel saßen zwei vertraute Gestalten, die ihr zuwinkten. Es waren Lucas und Sonia.

»Du hast dich hier aber gut eingeführt«, begrüßte Sonia sie, nahm sie in den Arm und küsste sie auf beide Wangen. Lucas streckte ihr die Hand entgegen.

»Dank deiner freundlichen Vermittlung, Sonia«, gab Angelina zurück. »Du hast wirklich sehr gute Freunde.«

»Dann müssen wir uns um dich ja keine Sorgen mehr machen«, fügte Lucas hinzu.

»Aber ich mache mir Sorgen«, begann Angelina. Gleich darauf hätte sie sich auf die Zunge beißen können. Sie hatte doch mit ihrer Vergangenheit abschließen wollen.

»Du willst wissen, was mit Francesco ist«, sagte Sonia und senkte dabei die Stimme. »Wir haben gestern Botticelli getroffen. Er berichtete uns, dass Francesco nach Rom gegangen sei, um Bilder zu verkaufen und neue Aufträge auszuhandeln.«

Angelinas Herz begann schneller zu klopfen. Im Raum wurde es ganz still, so schien es ihr, und im nächsten Moment gingen das Reden und das Rufen der Gäste umso lauter weiter.

Warum hatte Francesco ihr nichts davon gesagt? Nun, schließlich hatte sie ihn verlassen, war vor ihm davongelaufen, da war es kein Wunder, wenn er keine Rücksicht mehr auf sie nahm.

|205|»Ach ja?«, sagte Angelina beiläufig. »Hat er vielleicht sogar vom Papst einen Auftrag erhalten? Das würde Botticelli aber nicht gefallen!«

»Vom Papst gewiss nicht«, meinte Sonia. »Aber möglicherweise soll er in Botticellis Auftrag etwas auskundschaften. Könnte ich mir denken«, fügte sie hinzu.

»Was kann er schon auskundschaften?«, fuhr Angelina auf.

»Na ja, beispielsweise könnte er mit möglichen Käufern von Bildern verhandeln«, warf Lucas ein. »Botticelli dürfte noch einiges in seiner Werkstatt stehen haben, das einem Kunstliebhaber wohl gefallen würde.«

»Savonarola aber um so weniger«, setzte Angelina dagegen. »Botticelli würde seine angeblich sündigen Bilder lieber dem Scheiterhaufen überantworten, als sie zu veräußern!«

Rinaldo steckte seinen Kopf aus der Küche.

»Angelina, Ihr müsst kommen, wir schaffen es sonst nicht mit den Bestellungen!«

»Entschuldigt mich«, sagte Angelina und stand auf. »Wir werden später noch darüber sprechen.«

»Wir müssen gehen«, sagte Sonia bedauernd, stand ebenfalls auf und umarmte Angelina.

»Achte darauf, dass die fröhlichen Abende bei euch nicht zu sehr bekannt werden!«, meinte Lucas. »Die Fanciulli schlafen nicht, sie denunzieren auch Wirte, bei denen es gutes Essen gibt und die das Glücksspiel zulassen.«

»Ich denke doch, dass unsere Gäste verschwiegen sind«, sagte Angelina und wandte sich zur Küche. Es wurde spät an diesem Abend. Als die Glocke von Santa Croce elf Uhr schlug, gab Angelina das letzte Essen an Pallina, die es, schon etwas müde, in den Gastraum trug. Der Lärm hatte immer mehr zugenommen, es roch nach gegartem Fleisch und Bier. In einer Ecke hatten sich die Spieler versammelt; sie spielten Karten, die Münzen klimperten auf dem Tisch. Rinaldo kam hinter seiner Theke hervor und bat die Gäste um mehr Ruhe. Ein Grölen war die Antwort.

|206|»Wenn Ihr Euch nicht benehmen könnt, muss ich Euch leider bitten, mein Lokal zu verlassen«, sagte er mit lauterer Stimme. Die Gäste lachten und schlugen sich auf die Schenkel.

»Noch eine Runde Bier!«, rief einer Pallina zu. Pallina schaute abwartend auf ihren Vater.

»Wenn Ihr wollt, dass die Fanciulli kommen und uns bei der Signoria anzeigen, dann macht nur so weiter!«, rief Rinaldo. Betretenes Schweigen folgte. Einer nach dem anderen zahlte, nahm seinen Hut in die Hand und schlich hinaus. Als die Glocke eine halbe Stunde zur Mitternacht schlug, war der Gastraum leer.

»Geht ihr schon mal ins Bett, ich räume hier noch ein wenig auf«, sagte Rinaldo zu seinen Töchtern. Die Mädchen sagten gute Nacht und machten sich auf zu ihrem Turm. Rinaldo bat Angelina, noch einen Augenblick dazubleiben. Verlegen knetete er seine Hände.

»Angelina, Ihr …« Er stockte. Wollte er ihr etwa einen Heiratsantrag machen?

»Angelina«, begann er erneut. »Ich habe Euch in der kurzen Zeit sehr zu schätzen gelernt.«

»Ich schätze Euch ebenfalls sehr, Signor Rinaldo, aber ich bin jetzt sehr müde und möchte schlafen gehen.«

»Ich wollte Euch nur sagen, dass … dass ich mich seit dem Tod meiner Frau nicht mehr so wohl gefühlt habe«, brachte Rinaldo hervor. »Und jetzt schlaft gut, Signorina.«

Angelina überquerte die Straße. Ein feiner Nieselregen ging nieder. Ihr war kalt. Während sie die Tür zum Turm aufschloss, hörte sie von fern den Gesang der Fanciulli. Pallina schnarchte leise, als Angelina sich auszog und ins Bett schlüpfte. Sie starrte über sich in die Dunkelheit. Bilder tanzten vor ihren Augen, rote und gelbe Flecken, die sich zu Gesichtern verdichteten. Sie sah ihre Eltern vorüberziehen, traurig blickten sie Angelina an, ihre Geschwister spielten im Nebenzimmer, während die Köchin das Essen zubereitete. Francesco kam auf sie zu, zog sie in seine Arme. Angelina wich zurück, streckte gleich darauf die Arme nach ihm aus. Andere Gesichter tauchten auf und verschwanden. Schließlich kam ein |207|Mann im Kapuzenmantel auf sie zu. Sie versuchte sein Gesicht zu erkennen, doch sie sah nichts. Die Feuchtigkeit der Mauer kroch auf sie zu, nahm ihr den Atem. Angelina war in einem Verlies gefangen, sie konnte sich nicht bewegen. Jemand hatte sie an einen Balken gefesselt. Wo war sie, um Himmels willen? Die Nässe der Wände nahm zu, die Mauern rückten immer näher, drohten Angelina zu zerquetschen. Mit einem Schrei fuhr sie auf. Sie war schweißgebadet. Jemand strich ihr mit der Hand über die Stirn.

»Hast du etwas Schlimmes geträumt?«, fragte Pallina.

»Ich … ich war gefangen, in einem Keller glaube ich.«

»Wir sind ja auch fast in einem Keller, Angelina. Möglicherweise war das hier einmal ein Verlies für Ketzer oder Hexen.«

»Du machst mir Angst, Pallina!«

»Es war nur ein Scherz«, beruhigte Pallina sie. »Und nun schlaf, Angelina.«