|73|9.

Matteo, ein beleibter Mann von kleinerer Statur, mit einem freundlichen, schweißglänzenden Gesicht, legte sein Messer neben den Teller und fragte:

»Angelina, Ihr seid uns von Botticelli und Francesco Rosso empfohlen worden, und wir sind bereit, Euch bei uns aufzunehmen. Was ist mit Eurer Familie geschehen?«

Angelina schluckte. Das hatte sie kommen sehen.

»Meine Eltern sind Lukrezia und Lorenzo Girondo aus Florenz. Mein Vater betreibt einen Tuchhandel.«

»Ah!«, kam es von Matteo. »Ich kenne Lorenzo und seine Gattin. Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, Euch kennenzulernen.« Wohlwollend ließ er seinen Blick über Angelinas Gestalt gleiten. Die Männer waren doch alle gleich. Hatte sich Angelinas Mutter nicht oft darüber beklagt, dass ihr Mann immer den jungen Mädchen hinterhersteige? Und dann wunderten sie sich, dass sie, Angelina, keine Lust zum Heiraten hatte.

»Warum seid Ihr nicht mit Euren Eltern aufs Land gegangen?«, wollte Eleonore wissen. Jetzt saß Angelina in der Falle.

»Meine Eltern haben sich von mir losgesagt, weil ich den Ehemann, den sie mir ausgesucht hatten, nicht haben wollte.« Das war wenigstens ein Teil der Wahrheit.

»Hat er Euch nicht gefallen? War er vielleicht zu alt?«, bohrte Matteo weiter. Ihr war, als hätte er ihr zugezwinkert. Sie musste mit der Wahrheit herausrücken, sonst würde diese Familie sie nicht aufnehmen.

»Nein, nicht wegen seines Alters, sondern weil er mir unangenehm war. Es war an dem Tag, als mein Vater unser Frühlingsfest mit uns feierte. Eine Schar von Fanciulli war an der Tür erschienen |74|und verlangte, dass wir alle eitlen und sündigen Dinge herausgaben. Währenddessen wurde Fredi, so hieß mein künftiger Ehemann, im Garten hinterrücks erdolcht.«

»Das ist ja furchtbar!«, entfuhr es Eleonore. Die Kinder saßen mit aufgerissenen Augen da. »Und was geschah dann?«

Die Dienerin kam mit dem nächsten Gang. Als sie wieder verschwunden war, fuhr Angelina fort: »Wir haben nie herausgefunden, wer es war! Am nächsten Tag hat Francesco an dem Porträt von mir, das meine Eltern in Auftrag gaben, weitergemalt. Ich ließ mir dazu ein Kleid bei Tomasio Venduti anfertigen. Auf dem Weg nach Hause sprang ein vermummter Mann aus einem Torbogen und bedrohte mich.«

»Was hat er gesagt?«, fragte Matteo gespannt. Angelina zögerte.

»Er hat gesagt«, sagte sie schließlich, »nein, er hat gefragt, was ich bei dem Schneider gemacht hätte. Er meinte, er habe mir angesehen, dass ich in Sünde lebe. Und dass der Herr so etwas nicht dulde. Wahrscheinlich hielt er mich für eine Hure.«

»Wen meinte er wohl mit dem ›Herrn‹? Gott oder Savonarola?«, warf Matteo ein.

»Genau das Gleiche habe ich mich auch gefragt«, entgegnete Angelina. »Ich sagte nur, ich ließe mir ein ganz normales Kleid für ein Bildnis machen, das meine Eltern in Auftrag gegeben hätten. Aber was es ihn eigentlich anginge? Daraufhin drohte er an, mich zu töten, wenn ich weiterhin in Sünde lebte. Er hatte einen Dolch in der Hand!«

»Habt Ihr sein Gesicht gesehen?«, fragte Matteo.

»Nein, er hatte die Kapuze seines Mantels tief heruntergezogen«, gab Angelina zurück. »Zum Glück tauchte Tomasio Venduti auf. Er geleitete mich nach Hause.«

»Das ist ja eine seltsame Geschichte«, meinte Matteo. »Eines aber erscheint mir offensichtlich: Da steckt jemand dahinter, der Savonarola treu ergeben ist. Die Sätze hätten von dem Prior selbst stammen können. Weiß jemand, außer Botticelli, dass Ihr hierher nach Grassina gekommen seid?«

|75|»Nur Francesco, Lucas, der Gemüsehändler, und Sonia, meine Magd. Die beiden wollen mir morgen meine Sachen bringen.«

Matteo wischte sich mit einer Serviette den Mund ab, trank einen Schluck Wein und räusperte sich. »Savonarola ist an allem schuld«, sagte er. »Er hat nicht nur die Signoria mit seinen Anhängern besetzt, den Papst gegen sich aufgebracht und Familien zerrissen. Er ist auch schuld an allem, was uns jetzt widerfährt. Würde mich nicht wundern, wenn er hinter den Anschlägen auf Euch steckt, Angelina. Und der schwarze Tod ist zwar eine Strafe Gottes, aber nicht wegen unserer Sündhaftigkeit, sondern wegen der Vermessenheit, mit der Savonarola seine Herrschaft begründet.«

Die Dienerin kam abermals herein und räumte den Tisch ab. Alle schwiegen. Angelina hörte eine Hummel brummen. Die Dienerin verschwand im Haus, kehrte mit dem Nachtisch zurück. Angelina holte tief Luft. Nachdem das Mädchen außer Hörweite war, sagte sie leise:

»Aber warum sollte Savonarola meinen künftigen Gatten ermorden?«

»Ermorden lassen«, ergänzte Matteo.

»Und warum sollte er mich auf offener Straße bedrohen?«

»Ich glaube«, Matteo lehnte sich zurück, »dass der Maler Botticelli eine Schlüsselfigur ist. Er hat sich dem Einfluss des Mönchs so sehr verschrieben, dass er selbst seine Malerei verändert hat.«

»Aber Botticelli hat sicher nichts Böses getan.«

»Nein, auf keinen Fall. Aber der Mörder hat gewiss religiöse Gründe, aus denen heraus er handelt. Ihr solltet Euch auf jeden Fall vorsehen. Wir geben Euch Schutz, das ist keine Frage, aber wir wollen natürlich auch keine Unruhe hier. Vielleicht könnt Ihr auch bald zu Euren Eltern zurückkehren.«

»Ich werde mich in Acht nehmen«, versicherte Angelina. »Und ich danke Euch, dass Ihr mich aufnehmen wollt.«

Eleonore lächelte ihr kühl zu, und Matteo gab den Kindern ein Zeichen, dass die Tafel aufgehoben sei. Lachend tollten sie durch den Garten. Von Süden her kam ein leichter Wind auf und milderte |76|die Hitze, die über den Bergen waberte. Angelina begab sich mit den Eheleuten ins Haus.

Im Nebenzimmer wurde noch etwas Konfekt angeboten, dann zog sie sich in ihr Zimmer zurück. Am Nachmittag machte sie sich zu einem Spaziergang auf. Begleitung lehnte sie ab, sie wollte mit ihren Gedanken allein sein. Sie solle sich aber nicht zu weit vom Haus entfernen, mahnte Signora Scroffa. Die Sonne stand schon recht tief, doch hatte sich die Wärme in den Hohlwegen zwischen den Weinbergen gesammelt. Schmetterlinge gaukelten umher, es roch nach Heu und Erde. Ein klammes Gefühl breitete sich in Angelina aus, das sie sich angesichts der Schönheit der Landschaft nicht erklären konnte. Frauen säuberten die Plätze zwischen den Reben, die mit abgefallenen Blütenständen bedeckt waren. Angelina dachte an das, was in der letzten Zeit geschehen war.

Aber so sehr sie die Ereignisse auch drehte und wendete, sie kam zu keinem Schluss, was die Ursache dafür gewesen sein mochte. Warum fühlte sie sich dann schuldig an Fredis Tod? Sie hatte ihn doch bloß nicht heiraten wollen. Mit Sehnsucht dachte sie an Francesco. Sie vermisste ihre Familie. Wie es wohl ihren Geschwistern erging? Vielleicht könnte sie ja anbieten, die Kinder der Scroffas zu unterrichten.

Inzwischen hatte sie die Kuppe eines Berges erreicht, die mit Flaumeichen und Buchen bestanden war. Hier herrschte eine dämmerige Stille. Ein Bussard schrie in der Höhe. Hinter ihr knackte es im Gehölz. Angelina fuhr herum. Da war nichts, wahrscheinlich ein Igel oder eine Maus. Sie begann, den Weg auf der anderen Seite des Berges hinunterzugehen. Wieder ein Rascheln, das Geräusch von schlurfenden Schritten im trockenen Laub. Abermals drehte sie sich um. Eine alte Frau stand da wie angewurzelt, wie aus dem Nichts herbeigeflogen. Graue Strähnen umrahmten ihr braunes, faltiges Gesicht.

»Heda«, rief Angelina. »Wer seid Ihr, und wohin wollt Ihr?«

»Habt keine Angst, Signorina«, sagte die Alte und näherte sich. Sie zog ein Bein nach. »Ich bin nur eine Zingana, eine Zigeunerin, |77|die nach Pilzen und essbaren Wurzeln sucht. Mein Stamm lagert am Fuße dieses Berges. Morgen ziehen wir weiter.«

»Ihr habt mich erschreckt«, entgegnete Angelina atemlos.

»Es gibt auch allen Grund, in diesen Zeiten zu erschrecken«, fuhr die Alte fort.

»Wie meint Ihr das?«

»Savonarola, der machtgierige Mönch, hat uns aus der Stadt vertrieben. Wir seien gottlose und vom Teufel besessene Geschöpfe.« Die Alte kicherte. »Zur Strafe hat ihm sein Herrgott nun die Pest an den Hals geschickt. Hütet Euch vor den Anhängern dieses Mannes, Signorina! Euch wird ein großes Unrecht geschehen, ich sehe es in Euren Augen.« Wie konnte die Frau das an ihren Augen sehen? War es die Angst, die sie, Angelina empfand?

»Mir ist schon Unrecht geschehen«, erwiderte sie. Sollte sie einer Fremden vertrauen?

»Man hat Euch bedroht, nicht wahr?« Woher konnte die Frau das wissen?

»Ja«, erwiderte Angelina.

»Es war gewiss einer von diesen Fanciulli, mit denen Savonarola sich umgibt«, meinte die Zigeunerin.

»Nein, er war älter.« Jetzt war es doch heraus.

»Habt Ihr ihn erkannt?«

»Nein«, antwortete Angelina. »Er hatte seine Kapuze ganz heruntergezogen und ich glaube, er sprach mit verstellter Stimme.«

»Jemand wird Euch verraten«, sagte die Alte mit düsterer Stimme. »Aber es wird auch jemanden geben, dem Ihr vertrauen könnt und der Euch helfen wird.«

»Wer wird mich verraten?«, rief Angelina. Sie war wie gelähmt vor Angst.

»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte die Alte. »Ich sehe nicht mehr gut, aber vor meinem inneren Auge erscheint ein junger Mann auf einer Bahre.«

»Um Himmels willen, nein!«, rief Angelina in höchster Angst. »Hört auf, ich will es nicht wissen!«

|78|»Nur das Wissen darum kann Euch davor bewahren, in ernstliche Gefahr zu geraten«, beschied die Zigeunerin. »Ihr werdet noch an mich denken.« Mit diesen Worten wandte sie sich um und nahm den Weg bergab. Angelina stand wie erstarrt. Sie sah die Gestalt der Alten, immer ein Bein nachziehend, kleiner und kleiner werden.

Endlich löste sie sich aus ihrer Erstarrung. Sie wollte der Frau nicht folgen, wer weiß, wohin das führen würde. So ging sie denselben Weg zurück, den sie gekommen war. Inzwischen hatte sich die Dämmerung herabgesenkt. Es war kühler geworden. Die Grillen zirpten, eine Fledermaus huschte zwischen den Bäumen hin und her. Sie begegnete niemandem mehr auf ihrem Weg und war heilfroh, als sie das Haus der Scroffas erreichte. Eine Öllampe tauchte die Terrasse in ein warmes Licht, wie um Angelina zu trösten. Sie erzählte niemandem von dem, was sie erlebt hatte. Ohne noch etwas zu sich zu nehmen, begab sie sich auf ihr Zimmer.

 

Der Morgen zog mit Nebeln herein, die sich jedoch bald verflüchtigten. Am späten Vormittag, als Angelina im Schatten eines Baumes ein Buch las, kam eine Dienerin und kündigte Sonia und Lucas Bandocci an. Freudig sprang Angelina auf. Die beiden stiegen gerade aus ihrem Wagen. Ihre Gesichter verhießen nichts Gutes. Ob etwas geschehen war? Dunkle Ahnungen stiegen in Angelina auf. Signora Scroffa erschien auf der Terrasse und hieß die Gäste willkommen. Wie es mit dem schwarzen Tod in Florenz stünde, wollte sie wissen. Wo war Francesco?

»Die Pest wütet von Tag zu Tag mit vermehrter Grausamkeit«, berichtete Lucas. »Ständig ziehen die Leichenwagen durch die Straßen; die Pestärzte haben alle Hände voll zu tun. Aber sie können kaum jemanden retten.«

»Wie konnte sich die Seuche so schnell ausbreiten?«, fragte Angelina. »Von einem Tag auf den anderen?«

»Sie war schon länger da, aber das wurde von der Signoria vertuscht.« Angelina erinnerte sich an die frühen Zeichen, die sie gesehen hatte. Selbst die Ratten konnten etwas damit zu tun haben.

|79|Lucas seufzte: »Es sind an jedem Tag etwa fünfzig Personen, Arme und Reiche, die der Krankheit zum Opfer fallen.«

»Wenn sie sich nicht aufs Land gerettet haben, so wie Ihr«, meinte Sonia mit Blick auf die Herrin.

»Wir nehmen immer Gäste auf, so viel wir unterbringen können«, entgegnete die Gräfin sanft. »Ihr seid herzlich eingeladen, den Sommer hier mit uns zu verbringen.«

»Und was ist mit Francesco?«, rief Angelina. Sonia schlug die Augen nieder. Auch Lucas drehte und wand sich.

»Was ist mit Francesco?« Ihre eigene Stimme war Angelina fremd geworden.

»Er ist …«, stammelte Sonia.

»Ist er tot?« Angelina wurde es schwarz vor den Augen.

»Nein, um Himmels willen«, beeilte sich Lucas zu sagen. »Es ist nur … Er ist überfallen und so zusammengeschlagen worden, dass er in Botticellis Haus liegt und von einem Bader gepflegt werden muss. Wir können froh sein, das er noch am Leben ist.«

»Wer war das? Wer kann so etwas getan haben?«, fuhr Angelina auf.

»Wir vermuten, dass es Fanciulli waren, die ihn«, er räusperte sich, »Euch beide während einer Sitzung gesehen haben.«

Ihr fuhr der Schreck in alle Glieder. Sie waren beobachtet worden!

»Was ist mit den Gesellen?«, wollte sie wissen.

»Die haben sich schon in Sicherheit gebracht«, meinte Lucas.

»Ja, habt ihr Francesco jetzt ganz allein in der Stadt gelassen?«

Die beiden blickten zu Boden.

Angelina fasste einen Entschluss.

»Ich werde heute noch nach Florenz fahren und nach ihm sehen. Bei meiner Mutter habe ich einiges über Wundheilung gelernt.«

»Das dürft Ihr aber nicht«, widersprach Signora Scroffa. »Lasst meinen Mann fahren, er soll ihn hierherholen.«

»Botticelli ist auf dem Weg nach Rom«, sagte Angelina heftig. »Francesco ist allein in Botticellis Haus, nur der Bader ist bei ihm. Er braucht mich!«

|80|»Wenn Angelina schon in die Stadt will, werde ich sie begleiten«, beschied Matteo. »Sie kann nicht ohne Schutz reisen.«

»Das wird nicht nötig sein, denn ich muss ebenfalls noch einmal in die Stadt zurück, ein paar Sachen holen«, meinte Lucas. »Eure freundliche Einladung hierher nehmen wir gerne an, nicht wahr, Sonia?«

»Ich kann sowieso nicht zurück«, erwiderte Sonia etwas traurig. »Ihr werdet schon bemerkt haben, dass ich Kleidung und andere Dinge für meine Herrin geholt habe. Es heißt nun, ich hätte sie gestohlen.« Arme Sonia, dachte Angelina. Jetzt habe ich sie in große Schwierigkeiten gebracht! Sie würde es ihr auf vielfältige Weise zu danken wissen.

Schnell warf sie ein leichtes graues Reisekleid über, das sich unter Sonias Mitbringseln befunden hatte. Sie stieg in die Kutsche. Und schon ergriff Lucas die Zügel und mahnte Angelina, einzusteigen, der Tag würde heiß werden, doch sie könnten die Strecke schaffen, bevor die Sonne im Zenit stand. Wieder ging es die Serpentinen hinab, begleitet von den Abschiedsrufen der Zurückgebliebenen. Lerchen sangen hoch in der Luft, die Wegränder säumten Klatschmohn und Kornblumen. Bald waren sie auf der Straße nach Florenz und schon tauchten die Mauern und Türme der Stadt in der Ferne auf. Das Stadttor war verschlossen, niemand dürfe hinein und hinaus, sagte der grimmig dreinblickende Wärter.

»Ich kenne ein kleines Tor, das von einem meiner Zulieferer bewacht wird«, sagt Lucas leise. Auf diesem Weg gelangten sie in die Stadt. Je näher sie der Via Nuova kamen, desto mehr nahm Angelina einen eigenartig süßen Geruch wahr.

»Das ist der Geruch der Verwesung, der sich neuerdings in der Stadt ausbreitet«, sagte Lucas, als hätte er Angelinas Gedanken erraten. Merkwürdig, den hatte sie doch gestern noch nicht gerochen? Vielleicht hatte der Wind aus einer anderen Richtung geweht. Und wirklich begegneten ihnen mehr Leichenkarren, mehr Pestärzte, aber auch mehr Fanciulli als noch vor wenigen Tagen. Die Umhänge der Kinder und Jugendlichen waren mit roten Kreuzen |81|bemalt. In die Kapuzen, welche die Gesichter vollkommen bedeckten, waren Schlitze für die Augen geschnitten. Der Älteste trug ein Kruzifix voraus, und alle sangen Klagelieder. Viele Häuser waren mit Brettern vernagelt, ein Hinweis darauf, dass die Bewohner verstorben oder geflüchtet waren. Die Leichensammler verrichteten stumm ihre Arbeit. Vor den Toren der Stadt hatte Angelina Gruben gesehen, in denen die Toten versenkt wurden. Die Leichensammler streuten Kalk darüber, um dem weiteren Ausbreiten der Seuche Einhalt zu gebieten.

Angelina konnte es kaum erwarten, in das Haus Botticellis zu gelangen. Lucas verschwand in seinem Laden, sie selbst klopfte energisch an die Tür des Hauses gegenüber. Es dauerte eine Weile, dann öffnete ihr ein grobschlächtiger Mann mit grauem Kinnbart, den sie noch nie gesehen hatte. Es war der Bader.

»Seid Ihr Signorina Angelina Girondo?«

Sie nickte.

»Gut, dass Ihr kommt«, meinte er und machte eine einladende Handbewegung. »Der Maler liegt im Fieber, er hat immer wieder nach Euch gefragt.«

Angelina folgte ihm die Treppe hinauf. Francesco lag auf seinem Bett. Sein Gesicht war mit roten Striemen bedeckt, das eine Auge geschwollen. An Armen und Hals hatte er Blutergüsse und offene Wunden. Der Bader fuhr fort, ihm die Verletzungen mit einer Ringelblumensalbe einzureiben, die intensiv nach Kräutern und Honig roch.

»Francesco, wie froh bin ich, Euch zu sehen!«, rief Angelina und setzte sich auf einen Hocker neben dem Bett. Der Bader zog sich brummend zurück.

»Angelina«, sagte Francesco matt. »Eben dachte ich, ich träume.« Der Schweiß lief ihm aus allen Poren.

»Was ist denn nur geschehen?«, wollte Angelina wissen und nahm seine Hand.

»Ich glaube, sie wollten mich töten«, antwortete Francesco.

»Wer? Wer wollte Euch töten?«

|82|»Die Fanciulli. Es waren mehrere, die mit Messern und Schlagstangen auf mich los sind. Gestern Abend war das.«

»Aber was für einen Grund sollten sie dafür gehabt haben?«

Francesco schloss die Augen und stöhnte verhalten.

»Möglicherweise ist es wegen des Bildes, das ich von Euch anfertige.«

Heilige Mutter Gottes, auch das noch! Sie, Angelina, brachte Unglück über jeden, mit dem sie in Berührung kam!

»Aber die können doch gar nichts davon wissen!«, stieß sie hervor.

»Jemand könnte uns beobachtet haben, durchs Fenster der Werkstatt. Oder jemand von den Gesellen hat es Savonarola zugetragen.«

In dieser Stadt konnte man nicht mehr leben. Nun auch noch das.

»Ihr müsst mit mir kommen, Francesco. Heute noch. Ich bin ja selber mit dem Tode bedroht worden.«

»Was? Von wem?«, fuhr Francesco auf. Gleich darauf verzog er vor Schmerz das Gesicht.

»Von einem Mönch«, antwortete Angelina. »Kommt mit mir, Francesco. Ich fahre mit Lucas Bandocci heute Abend zurück.«

»Das geht aber nicht, Signorina«, mischte sich der Bader ein, der zurückgekommen war und sich an seinen Geräten zu schaffen machte. »Signor Rosso kann erst in ein paar Tagen eine Reise antreten. Er hat Fieber.«

»Dann bleibe ich hier und pflege ihn«, entgegnete Angelina.

»Nein, Angelina.« Francesco war blass geworden und richtete sich mühsam auf. »Wenn du das machst, dann … denke an deinen Ruf. Ich weiß nicht, wann Botticelli wiederkommt.«

»Deine Base hat ihm einen reitenden Boten hinterhergeschickt. Er wird schon kommen.«

»Aber du wirst hier allein mit mir sein. Du kannst nicht raus. Die Pest da draußen kommt immer näher!«

»Das ist mir geichgültig.«

»Angelina …«

Sie wusste, was er sagen wollte, aber sie unterbrach ihn. »Mein Entschluss steht fest.«