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Über San Polo, Passo dei Pecorai und Greve gelangte Francesco nach Castellina in Chianti. In Greve hatte er das Triptychon des Bicci di Lorenzo in der Kirche Santa Croce angeschaut. Eine Madonna umgeben von Heiligen. Merkwürdig, dachte er, während er im Abendlicht auf die Hügel von Castellina zuschritt, überall gleichen sich die Bilder und Figuren in den Kirchen. Lag es daran, das sie alle ›heilig‹ waren und keine Menschen aus Fleisch und Blut? Während er Angelina gemalt hatte, war ihm ihre Fraulichkeit immer bewusster geworden. Sie war ein Mensch aus Fleisch und Blut, den er heftiger liebte und begehrte, als er jemals eine Frau in seinem Leben begehrt hatte. Es war ihm nicht leichtgefallen, aus Florenz wegzugehen. Schon einmal hatte er Angelina verloren und musste sie jetzt wieder in einer ungewissen Lage zurücklassen.

Aber die pekuniäre Lage war für ihn doch sehr angespannt. Er zögerte, Botticelli zu verlassen, weil er nicht die Mittel für eine eigene Werkstatt hatte. Es gab jetzt weniger Bürger in Florenz, welche die sakralen Gemälde aus Botticellis Werkstatt kauften. Und der Meister selbst war ständig den Tränen nahe, weil sein verehrter Herr Savonarola so sehr in Bedrängnis geraten war. So hatte er Francesco mit einigen Bildrollen nach Rom geschickt, um dort Käufer zu gewinnen. Das Bild von Angelina stand in einem versteckten Winkel des Hauses, mit Decken und Tüchern verhüllt. Hoffentlich fiel es den Fanciulli nicht ein, dort nachzusehen. Aber die Werkstatt galt als rein von jeder Sünde, Botticelli hatte dafür gesorgt, dass es auch bekannt wurde.

Francesco sog tief die würzige Abendluft ein. Der Ort Castellano bestand aus einigen wenigen Häusern, zumeist von Bauern und Winzern bewohnt. Rauch kräuselte sich aus den Schornsteinen. |209|Die Reben standen verwaist mit Resten von vertrocknetem Laub. Wie schön war es, an einen Ort zu kommen, an dem die Menschen einfach friedlich miteinander lebten! In einer Taverne erhielt er Unterkunft und ritt am nächsten Tag weiter nach Siena. Dort traf er unvermutet auf Sebastiano di Torre, der inmitten einer Schar von Malern auf dem Domplatz stand und das Wort führte. Sein Haar wallte in Locken auf seinen pelzverbrämten Mantel. Also war er noch nicht weit gekommen und konnte er es auch hier nicht lassen, sich mit anderen anzulegen! Das Gespräch schien aber friedlich zu verlaufen, denn Sebastiano breitete, als er Francescos ansichtig wurde, die Arme aus, drückte ihn an sich und rief den anderen zu:

»Das ist ein Malerfreund aus Florenz, das ich vor einigen Tagen, in heller Wut, wie ich gestehe, verlassen habe.« Er ließ Francesco los und sagte:

»Du kannst bei uns wohnen, alter Freund, hier in Siena teilen wir uns alles, die Wohnung, die Farben, das Essen und die Frauen.« Er lachte dröhnend, die anderen Männer stimmten ein. Die Blicke der Vorübergehenden waren freundlich, allenfalls neugierig. Nachdem Francesco sein Bündel in die Wohnung der Maler gebracht hatte, trafen sich alle in einer Trattoria zum Abendessen. Es war schummrig und gemütlich in der niedrigen Gaststube. Die Wirtin trug ein Stracotto herein, das nach Wein und Gewürzen duftete. Francesco hätte Angelina gern an seiner Seite gehabt. Hatte sie nicht erzählt, dass sie dieses Gericht oft mit ihrer Mutter zubereitet hatte? Es war, als säße sie neben ihm. Die Männer ließen es sich schmecken, ein Junge mit glattem Haar spielte auf einer Laute. Francesco dachte an die Tage am Lago Trasimeno. So bedrängt ihre Lage auch gewesen war, er würde diese Zeit, in der Angelina und er sich so nahegekommen waren, niemals vergessen. Und auch die in Florenz nicht. Was war nur geschehen, das diese Liebe immer wieder gestört, was war es, das Angelina so sehr verstört hatte? Sebastiano erhob seinen Becher mit Wein und prostete den anderen zu.

»Es lebe die Kunst!«, rief er. »Es lebe Siena, es leben Rom, Ferrarra, Padua, Venezia und alle freien Städte! Wir müssen uns zurückbesinnen |210|auf die alten Werte. Und wir können stolz auf das sein, was wir geschaffen haben. Mein ehemaliger Meister Botticelli ist unter die Heulsusen gegangen, ich wiederhole es gern, sooft es jemand hören mag. Er verleugnet sein Talent und beugt seinen Rücken, der vom Beugen schon ganz krumm ist, vor diesem geifernden Mönch, der alles, was im Leben schön und den Sinnen zugewandt ist, aus der Welt schaffen möchte.«

Francesco schaute sich vorsichtig um, doch bemerkte er schnell seinen Fehler. Sie waren hier ja nicht in Florenz.

»Warum hast du es denn so lange bei Botticelli ausgehalten?«, fragte ein untersetzter, lustiger Mann mit Knollennase.

»Solange ich bei ihm war, habe ich Streit mit ihm gehabt«, gab Sebastiano zurück. »Alles hat er mir angekreidet, jedes Frauenbein, das unter einem Kleid hervorblitzte, jeden Ansatz eines Busens! Dabei hat er doch selber eine Muse gehabt.«

»Die aber gestorben ist«, gab der andere zu bedenken.

»Ach, du meinst, er habe deswegen … das glaube ich nicht«, meinte Sebastiano.

»Botticelli ist zutiefst von Savonarolas Lehre überzeugt«, schaltete sich Francesco ein. »Es gibt ein Bild, auf dem ein Maler in einer verzweifelten und demütigen Pose dargestellt ist. Ich vermute, dass das der Wendepunkt war. Als Savonarola kam und die Herrschaft an sich riss, war das sein neuer Tempel, sozusagen.«

Ein kleiner Mann begann sich zu ereifern:

»Aus Rom hörte ich, dass Savonarola es zu weit getrieben habe. Einen Papst reizt man nicht bis zum Äußersten! Würde mich nicht wundern, wenn es bald aus mit ihm wäre.«

»Mich auch nicht«, stimmte ein anderer zu.

»Es ist auch ein Nachteil, dass ich Botticelli verlassen habe«, ließ sich Sebastiano ungewohnt selbstkritisch vernehmen. »Florenz war bisher immer die Hauptstadt der Künste. Wie sollen wir in Siena oder in den anderen Städten überleben?«

»Ich bin auf dem Weg nach Rom«, sagte Francesco. »Dort hoffe ich ein paar Bilder verkaufen zu können.«

|211|»Ja, Rom ist etwas anderes«, sagte der Kleine. »Wo ein Papst herrscht, da geht es lustig zu, sollte man meinen …«

Die Unterhaltung wandte sich jetzt dem städtischen Klatsch zu. Je mehr die Maler dem Wein zusprachen, desto großartiger wurden ihre Erzählungen über ihre künstlerischen Erfolge und denen bei Frauen. Francescos Augen brannten, er gähnte.

»Ich ziehe mich jetzt zurück, denn ich habe einen langen Tag gehabt. Danke für diesen Abend«, sagte er und stand auf. Die Gesellschaft verabschiedete ihn herzlich. Langsam ging er durch die dunklen Gassen zur Herberge der Maler. Nur wenige Kohlepfannen erhellten das Pflaster. Francesco sah Kirchen und kleine Brunnen, schwach erleuchtet. Er dachte an Florenz. Wo sich Angelina jetzt wohl aufhielt? Ob sie ebenso an ihn dachte wie er an sie? Einer Frau, die in Begleitung zweier Männer vorüberging, starrte er ins Gesicht. Es war ihm, als hätte er Angelina gesehen. In seinem Bett lag er noch lange wach.

Er dachte an die Geschichten, die sie sich gegenseitig am Lago Trasimeno erzählt hatten. Warum musste Matteo sterben? Hatte er Schuld auf sich geladen? Außer, dass er gegen Savonarola kämpfte? Siedendheiß fielen ihm Angelinas Andeutungen wieder ein, dass sie den Männern Unglück bringe. An dem Abend, als Matteo starb, war er mit Angelina von draußen hereingekommen. Was, wenn der Mörder ein Glaubenseiferer war, der alle geschlechtlichen Sünden bestrafen wollte? Aber warum sollte ein solcher Eiferer sie bis zum Lago Trasimeno verfolgen? Die Bekenntnisse von Eleonore und von ihm selbst waren schon heikler, schließlich hatten sie dazu geführt, dass Angelina ihnen misstraute. Die Ereignisse, auf die sie sich bezogen, lagen schon lange zurück. Wer sollte schon Kenntnis davon erlangt haben? Das größte Rätsel aber waren für ihn die Andeutungen, die Angelina gemacht hatte. Welches dunkle Geheimnis aus ihrem früheren Leben trug sie mit sich herum? Er hatte sie nie genauer danach zu fragen gewagt. Vielleicht sollte er es einmal tun, wenn er aus Rom zurück war. Davon, dass sie dann noch da sein würde, war er überzeugt, denn er wusste, dass sie ihn liebte. Am |212|nächsten Morgen machte Francesco sich auf den Weg nach Rom. Sebastiano hatte sich dazu entschlossen, ihn zu begleiten.

»Rom ist unsere Stadt«, sagte Sebastiano vergnügt. »Dort werden wir genügend Käufer und auch neue Auftraggeber finden, dessen bin ich mir gewiss!«

»Nur dürfen wir uns nicht als Maler aus Botticellis Werkstatt ausgeben«, wandte Francesco ein. »Du weißt ja, Rom ist überwiegend papsttreu.«

»Dann nenne ich mich eben Piedro de la Fontana«, lachte Sebastiano. »Und du wirst Filippo Lupo.«

»Der Wolf?«

»Ja, warum nicht? Wir werden eine schöne Reise miteinander machen.«

Mit Bangen dachte Francesco an die lange Zeit, die er von Angelina getrennt sein würde. Sie ritten zur Porta Romana, dem südlichen Stadttor, hinaus und kamen in die Ebene des Arbia-Flusses, der hier schöne Auen mit Erlen und Weidenbüschen bildete. Das Kloster Abbazia di Sant’Antimo erreichten sie am Abend. Die Klosteranlage lag in einer Talmulde, inmitten eines Olivenhains. Der Pförtner wies ihnen den Weg. Francesco und Sebastiano sahen die Mönche, die gerade mit dem Abendessen fertig waren, im Kreuzgang schweigend umhergehen. Nach kurzem Warten empfing sie ein älterer Mönch und fragt sie nach ihren Wünschen.

»Mein Name ist Piedro de la Fontana, und das ist Filippo Lupo«, antwortete Sebastiano. »Wir sind auf dem Weg nach Rom und suchen nach einer Unterkunft für die Nacht.«

Der Mönch wies auf eine Herberge, die hinter einem Garten mit Oliven und Pinien stand. Nachdem die beiden sich eingerichtet hatten, kehrten sie zur Abtei zurück. An der Außenseite des Klosters waren Skulpturen, Wasserspeier und Ecksteine in Form von Tierfiguren angebracht. Francesco musste an die Klöster von Florenz denken, an Savonarola, an Botticelli und seine Malergesellen. Wie sehr Angelina ihm fehlte! Er wäre gern bei ihr gewesen, um sie zu beschützen. Aber er konnte nicht umkehren, noch nicht. Sie |213|hatte gesagt, dass sie ihn nicht mehr sehen wolle. Also konnte er sich ihr nicht aufdrängen. Vielleicht würde die Zeit mehr Klarheit in die Verhältnisse bringen. Im Refektorium erhielten die beiden ein Eiergericht. Nachdem sie an der Abendvesper teilgenommen hatten, spazierten sie noch eine Zeitlang durch den Olivenhain, der das Kloster umgab.

»Bin ich froh, dass ich dieser dunklen Stätte, Florenz genannt, entronnen bin!«, sagte Sebastiano.

»Ich für meinen Teil bin weniger froh«, setzte Francesco dagegen.

»Warum? Hast du dein Herz dort liegen gelassen?«

»Ja, es gibt jemanden, aber die Sache ist nicht so eindeutig.« Er wollte nicht darüber sprechen, schon gar nicht mit Sebastiano, dessen Liebesleben mehr oder weniger dem Zufall überlassen war.

»Du kennst ja meinen Wahlspruch, Francesco«, meinte Sebastiano. »Pflücke die Blumen am Weg und erfreue dich an denen, die einen ganzen Sommer lang blühen!«

»Reden wir von etwas anderem. Was gedenkst du zu tun, wenn wir Rom erreicht haben?«

»Als Erstes werde ich mir sämtliche Kunstschätze der Stadt ansehen«, antwortete Sebastiano. »Dann möchte ich mich ins Leben stürzen, malen, trinken, essen, lachen, lieben …«

»Und wovon willst du leben?«

»Da mache ich mir keine Sorgen. Ein wenig habe ich ja noch in meiner Geldkatze. Und die Bilder, die ich in Botticellis Werkstatt angefertigt habe, für mich, ohne dass der Meister etwas davon geahnt hätte.«

»Ich fühle mich Botticelli weiterhin verpflichtet«, erklärte Francesco. »Und ich habe ihm versprochen, die Bilder, die er mir mitgab, zu verkaufen und neue Auftraggeber zu werben.«

»Dann sind wir also in unterschiedlicher Mission unterwegs«, sagte Sebastiano lachend. »Die Hauptsache ist jedoch, dass wir uns nicht zu erkennen geben dürfen.«

»Aber wenn jemand die Urheberschaft der Werkstatt Botticellis erkennt?«

|214|»Ich glaube, das wird kein Hindernis sein«, gab Sebastiano zurück. »Religion ist Religion, und Kunst ist Kunst.«

Wenn er sich damit mal nicht täuscht!, dachte Francesco.

Über den Monte Amiata erreichten Francesco und Sebastiano das Vulkangebiet Latiums und den Lago di Bolsena. Über Viterbo ritten sie weiter, bis sie von dem Rom vorgelagerten Berg einen ersten Blick auf die Ewige Stadt werfen konnten.

 

Die nächsten Tage verbrachte Angelina damit, Lebensmittel vorzubereiten und für die Gäste zu kochen. Sie vermied es, mit Rinaldo allein zu sein, denn sie spürte ständig seine Blicke auf ihrem Gesicht oder auf ihrer Gestalt ruhen. Die Mädchen waren ausgelassen, packten überall mit an. Eines Mittags, Rinaldo war noch nicht von seinem Bruder auf dem Land zurück, erschien Signor Tomasio in der Gastwirtschaft.

Angelina erschrak. Sein Augenlid zuckte, als er sie erblickte. Mit seiner Kleidung aus teurem Tuch stach er von den übrigen Gästen ab. Er setzte sich an einen der freien Tische, legte seinen federgeschmückten Hut darauf und bat Angelina, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Sie schaute hilfesuchend zu Pallina hinüber, die ihr mit einem Ausdruck zunickte, als wolle sie sagen: Nur zu! Tomasios Lid zuckte jetzt stärker. Was war nur los mit diesem Mann? Er bestellte eine Suppe und ein Bier. Dann wandte er sich zu Angelina.

»Ich habe Euch lange nicht gesehen«, sagte er. »Aber wie ich zu meiner Freude bemerke, habt Ihr die Pestzeit gut überstanden. Wolltet Ihr nicht mit Eleonore Scroffa, ihrem Mann und einigen anderen an den Lago Trasimeno gehen?«

»Ja, wir waren dort«, antwortete Angelina widerwillig. »Nochmals vielen Dank dafür, dass Ihr uns das Haus vermittelt habt. Wir haben es überlebt.«

»Bis auf einen.« Tomasio starrte ihr ins Gesicht. »Ich hörte, dass Matteo Scroffa einen Unfall erlitten hat.«

»Ja, leider«, gab Angelina zur Antwort. »Aber wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigt, ich habe zu tun.« Sie wollte aufstehen, doch Tomasio |215|griffüber den Tisch nach ihrem Arm. Der Bierkrug schwankte und schwappte über.

»Was war mit Matteo?«, fragte Tomasio scharf.

»Er ist vergiftet worden«, entgegnete Angelina leise.

»Das ist ein Verbrechen! Habt Ihr es der Signoria gemeldet?«

»Ich nicht. Vielleicht hat Eleonore es getan.«

»Nun ja, das ist vergangen, und das Leben geht weiter«, meinte Tomasio und lehnte sich zurück. Er musterte sie. Vielleicht irrte Angelina sich, aber sein Ausdruck war nicht gerade liebevoll. Viel eher selbstzufrieden. Sie mochte diesen Mann nicht mehr.

Pallina brachte seine Suppe und nickte Angelina abermals zu. Angelina erhob sich wortlos und ging in die Küche. Nach einiger Zeit kam Tomasio noch einmal, um sich zu verabschieden.

»Was macht Ihr denn da?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Ich koche für die Gäste dieses Lokals«, antwortete sie.

»Das ist aber nichts für ein junges Mädchen. Ihr könntet ganz anders leben!« Bei diesen Worten ließ er seine Augen über ihren Körper gleiten.

»Ich wüsste nicht, was Euch das angeht!«, gab sie heftig zurück.

»Ich glaube doch, dass es mich etwas angeht«, meinte er. Ihr scharfer Ton schien ihn nicht aus der Fassung gebracht zu haben. »Ich habe Euch eine Einladung zu überbringen. Eleonore Scroffa gibt am kommenden Samstag ein kleines Fest für ihre Freunde und Verwandten. Sie würde sich außerordentlich freuen, wenn Ihr kommen würdet.«