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Und jetzt ist es an der Zeit, dass du endlich zahlst für das, was du getan hast. Für deine Inkompetenz, für all den Schmerz, den du mir zugefügt hast, Robert. Ich vermute mal, ich habe dich ein oder zwei Tage lang ganz für mich. Nach dem, was heute passiert ist, hat dir dein Captain sicherlich gesagt, du sollst dir ein, zwei Tage freinehmen. Bestimmt erwartet niemand, in nächster Zeit von dir zu hören. Dein Partner ist momentan ausgeschaltet. Niemand wird dich vermissen, Robert. Und wenn sie anfangen, nach dir zu suchen …« Sie brauchte den Satz nicht zu vollenden.
»Aber bevor ich anfange, will ich dir noch eine ungefähre Vorstellung davon geben, was dich erwartet: Zuerst werde ich dich betäuben, um an deinem Kehlkopf zu arbeiten. Nichts Großartiges. Ehrlich gesagt, eine eher grobe Arbeit. Gerade genug, um deine Stimmbänder zu durchtrennen. Ich kann dich ja nicht zwei Tage lang hier herumschreien lassen.«
Vvvvvvvrum. Hunter hörte das durchdringende Geräusch eines elektrischen Bohrers hinter sich. Er holte tief Luft, doch er spürte, wie die Furcht die Überhand gewann.
»Dann«, fuhr sie fort, »wenn du wieder wach bist, werde ich Löcher durch deine Kniescheiben, Ellbogen und Fußknöchel bohren. Dadurch werden die Knochen in Hunderte winziger, messerscharfer Splitter zerbrechen. Jede noch so winzige Bewegung, ja, jeder Atemzug wird dir unsägliche Schmerzen verursachen. Das werde ich ein paar Stunden auskosten, bevor ich weitermache.«
Hunter schloss die Augen und versuchte, die Zuckungen unter Kontrolle zu bringen, die auf einmal durch seinen Körper jagten.
»Danach werde ich mit deinen Augen herumexperimentieren, mit deinen Zähnen, deinen Genitalien, deinem rohen Fleisch.« Sie lächelte teuflisch. »Aber keine Sorge, ich werde dafür sorgen, dass du dabei am Leben bleibst und bis zur letzten Sekunde leidest.«
Hunter verdrehte den Kopf nach hinten, doch er konnte sie nicht sehen. Zweifel überkamen ihn. Die Angst nistete sich ein, und er begann, seine Entscheidung zu bereuen. Vielleicht ging sein Plan doch nicht auf.
»Aber eins kommt zuallererst«, flüsterte Brenda.
Auf einmal spürte Hunter, wie er von hinten mit enormer Kraft an den Haaren gepackt und sein Kopf gewaltsam nach vorn gestoßen wurde. Er versuchte, sich zu wehren, doch er hatte schlicht und einfach nicht die Kraft dazu. Die Stahlklinge in seinem Nacken fühlte sich zuerst eiskalt an, dann brannte sie wie Feuer. Kein sehr tiefer Schnitt, das spürte er. Gerade genug für eine sichtbare Schnittwunde.
Das Doppelkreuz, zuckte es Hunter durch den Kopf. Ich werde zum Töten markiert.
»Warte …«, rief er. Seine Stimme war noch immer heiser, sein Hals trocken, brennend heiß. Er musste etwas tun. Zeit schinden. »Willst du denn nicht wissen, wo du einen Fehler gemacht hast? Willst du nicht wissen, weshalb du verlieren wirst?«
Er spürte, wie die Klinge von seinem Nacken weggezogen wurde. Ihr irres Lachen hallte durch sein Wohnzimmer. »Du kannst nicht mal richtig bluffen, Hunter. Ich habe keinen Fehler gemacht. Ich habe nie irgendetwas liegenlassen. Mein Plan war makellos«, sagte sie mit herablassender Arroganz. »Und ich glaube, du phantasierst allmählich. Darf ich dir mal die Fakten in Erinnerung rufen? Ich habe dich an einen Stuhl gefesselt. Du bist allein und schwach wie ein verwundetes Tier. Ich bin diejenige, die das Messer in der Hand hält, und du glaubst, ich werde verlieren?«
»Nun, du hast beinahe recht«, sagte er und hob den Kopf. Er spürte das Brennen der Fleischwunde in seinem Nacken. »Aber gestern Nacht, als ich alles herausfand – deinen Rachefeldzug gegen die Geschworenen, und wer du wirklich bist –, da bin ich auch darauf gestoßen, dass heute der Geburtstag deines Bruders wäre.«
Brenda kam hinter dem Stuhl hervor und stellte sich wieder vor Hunter. In der rechten Hand hielt sie eine blitzende Klinge, auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von Faszination.
»Und da konnte ich mir ausrechnen, dass du es genauso willst«, fuhr Hunter fort. »Der letzte Akt deiner Rache am Geburtstag deines Bruders. Das perfekte Finale.«
»Sehr gut, Robert«, sagte sie und klatschte in die Hände. »Zu dumm, dass du ausgerechnet an deinem Todestag damit anfängst, endlich mal anständig deine Polizeiarbeit zu machen.«
»Deshalb …«, fuhr Hunter rasch fort, »habe ich, bevor ich das Morddezernat verließ, den Captain angerufen und ihm von meinen Entdeckungen erzählt, woraufhin er mich überwachen ließ.«
Brenda runzelte die Stirn. In ihren Augen lag ein Hauch von Zweifel.
»Als ich nach Hause kam, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich wusste, dass jemand hier gewesen war. Und dass dieser Jemand du warst. Du wusstest, dass ich mir einen Drink oder zwei genehmigen würde, also hast du sämtliche Whiskyflaschen in meiner Bar mit Betäubungsmittel versetzt, weil du ja nicht wusstest, für welchen ich mich entscheiden würde. Allerdings hättest du sie wieder in der richtigen Reihenfolge zurückstellen sollen.«
Brendas Blick zuckte zu Hunters Bar hinüber und wieder zu ihm zurück.
»Sie stehen seit Jahren in genau derselben Reihenfolge. Ich stelle sie nie um.«
»Wenn du wusstest, dass die Flaschen präpariert waren, warum hast du dann trotzdem ein Glas getrunken?«, fragte sie in herrischem Ton.
»Weil ich wusste, dass du mich nicht auf diese Art umbringen willst. Das wäre nicht dein Stil. Es wäre ja keine Rache, wenn ich nicht einmal wüsste, wofür ich sterbe.«
Hunter spürte, dass Brenda unruhig wurde. Sein eigenes Herz raste, doch er versuchte, seine Stimme ruhig zu halten.
»Ich wusste, dass du in meiner Wohnung warst, ich konnte deine Gegenwart förmlich spüren. Ich wusste, dass du mich beobachten würdest, also tat ich so, als überprüfe ich nur die Nachrichten an meinem Telefon, während ich in Wirklichkeit den Captain anrief. Sieh in meine Jackentasche. Du wirst feststellen, dass mein Handy an ist. Und mit einem Blick aus dem Fenster wirst du sehen, dass das Gebäude umstellt ist. Du kommst hier nicht mehr raus. Das Spiel ist vorbei.«
Ihr Blick ruhte auf dem Fenster hinter Hunters Rücken. Auf ihrem Gesicht lag ein angespannter, verunsicherter Ausdruck. Sie hatte ihn unterschätzt, und sie wusste es.
»Du bluffst«, sagte sie mit nervöser Stimme.
»Geh zum Fenster«, wiederholte er lapidar.
Sie rührte sich nicht von der Stelle. Ihre Hand zitterte von dem Adrenalin, das ihr durch den Körper jagte. »Nichts ist vorbei«, schrie sie auf einmal zornig auf und trat wieder hinter Hunters Stuhl.
Vollkommen unerwartet und mit lautem Krachen flog Hunters Wohnzimmertür auf, von den geborstenen Scharnieren segelten Holzsplitter durch die Luft. In einem Sekundenbruchteil waren drei Sondereinsatzkräfte der STU im Zimmer. Ihre Lasersichtgeräte warfen drei rote Punkte auf Brendas Brust, direkt über ihrem Herzen.
»Lassen Sie das Messer fallen! Sofort«, rief der Mann, der das Kommando hatte, im Befehlston. Doch Brenda hatte sich bereits hinter Hunter geduckt und praktisch ihren ganzen Körper hinter ihm in Deckung gebracht. Das Messer, das sie in der rechten Hand gehabt hatte, hielt sie nun mit beiden Händen, die Klinge horizontal gegen Hunters Kehle gepresst, als wollte sie ihn damit erdrosseln.
»Lassen Sie das Messer fallen«, befahl der Beamte erneut.
»Warten Sie …«, rief Hunter. Ihm war klar, was sie vorhatte. Sie hatte sich so positioniert, dass ihr gesamtes Körpergewicht sie nach hinten ziehen würde, weg von Hunters Stuhl. Durch die Klinge an seinem Hals würde er in dem Moment, in dem sie zu Boden sank, enthauptet. Wenn sie starb, dann starb er mit ihr. »Nehmen Sie die Waffen runter«, sagte Hunter.
»Nicht möglich, Sir«, kam sofort die Entgegnung.
Hunter wusste, dass die Officer keinen Rückzieher machen würden. Sie waren für Augenblicke wie diesen ausgebildet.
»Isabella … hör mir zu«, sagte er flüsternd. Er wollte sie nicht bei ihrem wirklichen Namen nennen, in der Hoffnung, dass noch ein Rest von Isabella in ihr steckte. »Diese Jungs haben ziemlich nervöse Finger. Sie werden nicht zögern, dich zu erschießen. Sie werden auch nicht zögern, mich zu erschießen, um dich zu kriegen.« Hunter versuchte, so ruhig wie möglich zu sprechen. Er kannte sich aus mit Stresssituationen. Er wusste, dass Leute in solchen Situationen die Anspannung absorbierten, die um sie herum herrschte. »Bitte lass es nicht so enden. Es gibt Leute, die dir helfen können, die dir helfen wollen. Ich verstehe, welchen Schmerz du durchgemacht hast, aber der Schmerz kann ein Ende haben.«
»Du wirst diesen Schmerz nie verstehen«, gab sie flüsternd zurück.
»Doch, ich verstehe ihn. Du hast es doch gesehen, das hast du selbst gesagt. Nachdem ich meinen Partner und meine einzige Cousine verloren hatte, hat mich der Schmerz fast aufgefressen. Ich war komplett am Boden, trotzdem bin ich da nicht geblieben. Gib uns die Chance, dir zu helfen.«
»Du willst mir helfen?«, fragte sie, und ihre Stimme klang jetzt ein klein wenig sanfter.
»Ja, lass mich dir helfen, bitte.«
»So wie du heute deinem Partner geholfen hast, Robert?« Ihr italienischer Akzent war wieder da. Hunter spürte, dass die Frau hinter ihm nicht mehr Brenda war.
»Ja … so wie ich Carlos geholfen habe.« Hunters Stimme war jetzt ganz fest.
Er spürte, wie sich der Druck der Klinge an seinem Hals noch um einen Hauch verstärkte und die Haut zu reißen begann.
»Würdest du für mich dasselbe tun, Robert?«, flüsterte sie ihm ins rechte Ohr. »Würdest du dein Leben für meines riskieren?«
»Sie haben drei Sekunden, um das Messer fallen zu lassen, dann erschießen wir Sie da, wo Sie stehen«, wies der Officer sie erneut an, diesmal hörte man ihm an, dass er gereizt war.
Hunter wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb.
»Willst du mir nicht antworten?«, fragte sie noch einmal.
Einen Sekundenbruchteil lang herrschte Stille.
»Ja …«, sagte er flüsternd. »Ich würde mein Leben für deines riskieren.« Hunter spürte förmlich ein scheues Lächeln auf ihren Lippen, dann nahm sie die Klinge von seinem Hals. Blitzschnell stand sie auf, und noch bevor einer der Beamten des Sondereinsatzteams die Chance hatte, seine Waffe abzufeuern, stieß sie sich das Messer tief in den Bauch. Die laserscharfe Klinge schnitt mit verblüffender Leichtigkeit und chirurgischer Präzision durch Haut und Muskelgewebe. Ein Schwall warmer Flüssigkeit spritzte auf Hunters Nacken.
»Nein!«, schrie er heiser.
»Herr des Himmels«, entfuhr es dem Leiter des STU-Teams. Er senkte seine Waffe. »Holt die Sanitäter rein, schnell«, befahl er. Sie eilten zu Hunter und Brenda, die jetzt auf dem Boden lag. Die Blutlache um sie herum wuchs mit rasender Geschwindigkeit.
Der kommandierende STU-Beamte löste mit seinem eigenen Messer rasch Hunters Fesseln. Hunter fiel nach vorn auf die Knie, er zitterte am ganzen Körper.
»Sind Sie okay, Sir?«, fragte der Officer.
Hunter antwortete nicht. Seine Augen waren gebannt auf Brendas schlaffen Körper gerichtet. Einer der Männer hielt ihren Kopf in den Händen. Hunter spürte, wie das Leben aus ihr entwich. Der Gesichtsausdruck des Mannes spiegelte ihm wider, was er selbst bereits wusste.