68
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich das verschwommene Bild lichtete, doch sobald sein Blick wieder scharf war, erkannte Hunter, dass er richtiggelegen hatte. Eigenartigerweise wehrte sich sein Gehirn noch immer gegen die Fakten. Seine Augen fixierten die Person vor ihm.
»Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, bist du überrascht.« Ihre Stimme klang so charmant wie immer.
Hunter hatte die ganze Zeit gehofft, dass er sich irrte. Doch als er sie jetzt ansah, fügte sich alles zu einem Bild. Er brachte nur ein geflüstertes Wort heraus. »Isabella.«
Sie lächelte ihn an. Dasselbe Lächeln, das er so viele Male gesehen hatte. Doch diesmal lag noch etwas anderes darin, etwas, was da noch nie zuvor gewesen war. Etwas Böses.
»Ich dachte, du freust dich, mich zu sehen.« Ihr italienischer Akzent war verschwunden. Ja, alles an ihr war anders. Als ob die Isabella, die er kannte, sich komplett in Luft aufgelöst hätte und an ihre Stelle eine Fremde getreten wäre.
Hunters Gesicht zeigte keine Regung. Sein Gehirn setzte endlich die letzten Puzzleteilchen zusammen.
»Du hättest einen Oscar verdient. Dein italienischer Akzent war perfekt.«
Sie verbeugte sich ironisch.
»Und auch der Trick mit dem Anruf im Restaurant – sehr clever. Ein perfektes Alibi«, sagte Hunter in Anspielung auf ihr Lunch-Date. »Eine vorher aufgezeichnete und getimte Nachricht. Einfach, aber effektiv.«
Der Anflug eines Lächelns kräuselte ihre Lippen. »Du erlaubst, dass ich mich vorstelle …«, sagte sie in gleichbleibendem Tonfall.
»Brenda …«, unterbrach Hunter sie mit heiserer, schwacher Stimme. »Brenda Spencer … die Schwester von John Spencer, dem Plattenproduzenten.«
Sie warf ihm einen überraschten, leicht verärgerten Blick zu. »Dr. Brenda Spencer, wenn ich bitten darf«, verbesserte sie ihn.
»Doktor der Medizin«, bestätigte Hunter.
»Wenn du es schon ansprichst … Chirurgin.« Dazu ein bösartiges Lächeln.
»Das alles war also nur die Rache für den Tod deines Bruders?«, fragte Hunter, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Sehr gut, Robert«, sagte sie und klatschte dazu überdreht in die Hände wie ein Kind, das ein unerwartetes, nagelneues Spielzeug erhalten hat.
Eine gespenstische Stille trat ein und schien eine Ewigkeit zu dauern.
»Er hat in seiner Zelle Selbstmord begangen«, sagte Hunter schließlich.
»Er hat Selbstmord begangen, weil du deinen verdammten Job nicht ordentlich gemacht hast.« Ihr Zorn war unüberhörbar. »Wie heißt noch mal das LAPD-Motto? To protect and to serve. ›Zu schützen und zu dienen‹, was für ein Witz. Er war unschuldig, und das wusstest du.« Sie hielt inne, um ihre Worte wirken zu lassen. »Immer wieder hat er dir gesagt, dass er Linda nie etwas antun würde. Er hat sie geliebt – die Art Liebe, die du nie verstehen wirst.« Sie schwieg erneut, um sich wieder zu fassen. »Du hast ihn verhört. Du wusstest, dass er unschuldig war, trotzdem hast du zugelassen, dass sie ihn verurteilen. Du hättest etwas tun können, aber stattdessen hast du seelenruhig zugesehen, wie ein Unschuldiger verurteilt wird.«
Hunter erinnerte sich an das Abendessen bei Isabella. Fast alles, was sie über ihr Leben erzählt hatte, war erlogen gewesen, bis auf den verstorbenen Bruder. Der war ihr herausgerutscht – ein Fehler, den sie rasch mit der Geschichte von dem US-Marine, der für sein Land gestorben sei, vertuscht hatte. Auch eine erfundene Geschichte, doch Hunter war ihr auf den Leim gegangen. Was er an jenem Abend in ihren Augen gesehen hatte, war nicht Traurigkeit gewesen, sondern Zorn.
»Es lag nicht mehr in meinen Händen.« Er überlegte, ob er ihr erzählen sollte, wie er sich damals bemüht hatte, die anderen von seiner Ansicht zu überzeugen, doch was hätte das jetzt noch gebracht? Für sie würde das nichts mehr ändern.
»Wenn du bei den Ermittlungen sorgfältiger vorgegangen wärst, hättest du den wahren Mörder früher gefunden – bevor mein Bruder den Verstand verloren und sich erhängt hat. Aber du hattest aufgehört zu suchen.«
»Du kannst nicht die Polizei für den Selbstmord deines Bruders verantwortlich machen.«
»Ich mache nicht die Polizei dafür verantwortlich, ich mache dich dafür verantwortlich.«
»Wir hätten den wahren Mörder noch gefunden, und dein Bruder wäre freigekommen.«
»Nein, hättet ihr nicht.« Ihre Stimme war jetzt wieder voller Zorn. »Wie hättet ihr ihn denn finden wollen, wenn ihr gar nicht mehr gesucht habt? Ihr hattet mit der Untersuchung aufgehört, weil die ersten, oberflächlichen Indizien auf John als Täter deuteten, und das hat dir und deinem Partner genügt. Die Wahrheit war euch doch scheißegal! Hauptsache wieder ein erfolgreich abgeschlossener Fall für die zwei Star-Detectives. Ihr habt eure Belobigungen kassiert, und das war das Einzige, was für euch zählte. Er war des Mordes für schuldig befunden worden, Robert. Er hat die Todesstrafe für etwas erhalten, was er nicht getan hatte. Niemand erwähnte auch nur die Maxime ›Im Zweifel für den Angeklagten‹, kein Einziger unter diesen armseligen Figuren auf der Geschworenenbank. Mein Bruder wurde als Ungeheuer abgeurteilt. Als ein eifersüchtiges, mordendes Ungeheuer.« Sie hielt inne, um Luft zu holen. »Und ich habe meine gesamte Familie verloren – wegen dir, deinem Partner und diesen beschissenen, nutzlosen, überflüssigen Geschworenen. Die hätten die Wahrheit nicht einmal erkannt, wenn sie glasklar vor ihnen gestanden hätte.« Ihre Augen loderten vor Zorn.
Hunter schaute sie verwirrt an.
»Zwanzig Tage nachdem John Selbstmord begangen hatte, starb meine Mutter an gebrochenem Herzen. Weißt du, was das heißt?«
Hunter antwortete nicht.
»Sie hat nichts mehr gegessen, nicht mehr gesprochen, sich nicht mehr vom Fleck gerührt. Sie saß bloß noch in ihrem Zimmer, mit einem Foto von John in den Händen, und starrte aus dem Fenster. Tränen liefen ihr übers Gesicht, bis sie keine mehr hatte. Die Qual und der Schmerz in ihrem Herzen fraßen sie innerlich auf, bis sie keine Kraft mehr hatte.«
Hunter folgte ihr schweigend mit den Augen, während sie langsam im Zimmer auf und ab schritt.
»Und das war noch nicht alles.« Brendas Stimme war jetzt ganz und gar finster. »Fünfunddreißig Jahre, Robert. Fünfunddreißig Jahre lang waren meine Eltern verheiratet. Nachdem mein Vater so kurz hintereinander seinen Sohn und seine Frau verloren hatte, überkam ihn eine bodenlose Niedergeschlagenheit.«
Hunter ahnte bereits, wie diese Geschichte ausgehen würde.
»Zweiundzwanzig Tage nachdem er meine Mutter begraben hatte, und nachdem der wahre Mörder endlich verhaftet worden war, unterlag er seinen Depressionen, und mein Vater nahm denselben Ausweg wie mein Bruder. Und ich war allein … wieder allein.« Ihre Wut war fast mit Händen zu greifen.
»Und so hast du beschlossen, dich an den Geschworenen zu rächen.« Hunters Stimme war noch immer schwach.
»Du hast es also endlich doch noch erraten«, erwiderte sie ruhig. »Lange genug hast du ja gebraucht. Vielleicht ist der großartige Robert Hunter ja doch nicht so großartig.«
»Aber du hast dir nicht die Geschworenen selbst als Opfer ausgesucht, sondern immer jemanden, der ihnen nahestand. Einen Menschen, den sie liebten«, fuhr Hunter fort.
»Ist Rache nicht süß?«, sagte sie mit einem erschreckend genüsslichen Lächeln. »Auge um Auge, Robert. Ich habe ihnen angetan, was sie mir angetan haben. Schmerz, Einsamkeit, Leere, Traurigkeit. Ich wollte, dass sie einen Verlust erfahren, der so groß ist, dass jeder einzelne Tag für sie zu einem Kampf würde.«
Nicht alle Opfer waren direkt mit einem der Geschworenen aus dem John-Spencer-Fall verwandt gewesen. Der Grund dafür lag auf der Hand. Einige waren Geliebte gewesen, verbotene Affären, sogar gleichgeschlechtliche Geliebte – heimliche Beziehungen, die unmöglich mit den Geschworenen in Verbindung zu bringen waren.
»Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, genau die passende Person zu finden. Diejenige, die sie am meisten liebten. Ich bin ihnen gefolgt, habe ihre Gewohnheiten studiert. Ich habe jedes noch so winzige Detail über sie herausgefunden. Orte, an denen sie sich gerne aufhielten. Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit. Sogar zu einer schmierigen Sexparty bin ich gegangen, um einem von ihnen näherzukommen. Aber ich muss zugeben: Zu sehen, wie diese Geschworenen nach jedem Mord litten, hat mich jedes Mal mit neuem Leben erfüllt.«
Hunter warf ihr einen verstörten Blick zu.
»O ja, ich habe mir die Zeit genommen, sie nach dem Mord zu beobachten«, erzählte sie weiter. »Ich wollte sehen, wie sie leiden. Ihre Qual hat mir Kraft gegeben.« Sie hielt kurz inne. »Drei der Geschworenen haben Selbstmord begangen, wusstest du das? Sie haben ihren Verlust nicht verkraftet. Sie haben den Schmerz nicht verkraftet, genau wie meine Eltern.« Sie lachte böse, und der Raum schien sich mit ihrem Gelächter zu verdunkeln. »Nur um zu zeigen, wie inkompetent die Polizei ist, habe ich bei jedem Opfer einen Hinweis hinterlassen. Und trotzdem seid ihr nicht auf mich gekommen«, fuhr sie fort.
»Das Doppelkreuz im Nacken der Opfer«, sagte Hunter.
Sie nickte bösartig.
»Wie das Tattoo, das dein Bruder im Nacken trug?«
Noch ein überraschter Blick von Brenda.
»Ich habe die Akte über deinen Bruder überprüft, nachdem ich das mit den Geschworenen herausgefunden hatte. Mir fiel wieder ein, dass der zuständige Officer im Verhaftungsprotokoll unter ›Besondere Merkmale‹ mehrere Tätowierungen notiert hatte. Allerdings hatte er sie nirgends genau beschrieben. So musste ich das Obduktionsprotokoll anfordern, um herauszufinden, was es genau war. Ein doppelarmiges Kreuz im Nacken war eine der Tätowierungen. Du hast jedes deiner Opfer mit dem Zeichen deines Bruders gebrandmarkt.«
»Wie schlau du doch bist! Ich habe meinem Bruder dieses Kreuz selbst in den Nacken tätowiert«, sagte sie stolz. »John liebte den Schmerz.«
Hunter war es, als würde die Luft in seinem Wohnzimmer kälter. Das Entzücken in Brendas Stimme, als sie beschrieb, wie sie ihrem eigenen Bruder Schmerz zufügte, ließ ihn frösteln.
»Aber weshalb Mike Farloe? Er hatte mit dem Fall deines Bruders gar nichts zu tun«, fragte Hunter. Es war einer der Punkte, auf die er noch keine Antwort hatte.
»Er war von Anfang an Teil meines Plans gewesen«, erwiderte sie nüchtern. »Nach dem letzten Opfer der Polizei einen glaubwürdigen Täter zu servieren, damit niemand mehr herumschnüffeln würde. Der Fall wird abgeschlossen, und alle sind zufrieden«, sagte sie mit einem verschlagenen Lächeln. »Nur leider ergab sich dann ein kleines Problem. Die Sache mit dem falschen Täter musste plötzlich vorgezogen werden.«
»Das siebte Opfer.« Hunter hatte mit seiner gegenüber Garcia geäußerten Theorie also richtiggelegen, nur war ihnen nicht die Zeit geblieben, sich die Akte noch einmal vorzunehmen.
»Wow. Du bist ja wirklich fix.« Sie machte ein beeindrucktes Gesicht.
Mike Farloe war verhaftet worden, kurz nachdem man das siebte Opfer gefunden hatte: eine aufstrebende junge Anwältin, die Tochter eines der Geschworenen – unter sämtlichen Opfern die engste Beziehung zu einem der Geschworenen aus dem Spencer-Prozess. Hätten Hunter und Wilson damals etwas mehr Zeit gehabt, wären sie mit Sicherheit auf diese Verbindung gestoßen. Aber weshalb noch nach Verbindungspunkten zwischen den Opfern suchen, wenn bereits ein geständiger Mörder in Haft war? Mit Farloes Verhaftung kam die gesamte Untersuchung zu den Kruzifix-Morden zum Stillstand.
»Sie sollte eigentlich mein letztes Opfer sein«, sagte Brenda in verächtlichem Tonfall. »Aber woher sollte ich wissen, dass sie ein fotografisches Gedächtnis besitzt? Als ich zum ersten Mal auf sie zuging, erkannte sie mich aus Johns Verhandlung wieder. Sie konnte sich sogar noch an meine Kleider von damals erinnern. Dadurch wurde sie zu einer Bedrohung für mich, also blieb mir nichts anderes übrig, als sie auf meiner Liste ganz nach oben zu setzen. Danach brauchte ich Zeit, um meinen Plan neu zu organisieren. Jemandem am Ende alles unterzuschieben, hatte ich sowieso von Anfang an vorgehabt. Mike Farloe war mir mit seinen Bibeltiraden auf der Straße aufgefallen, kurz nachdem ich dieses Stück Dreck von einem Buchhalter umgebracht hatte.«
Das fünfte Opfer, dachte Hunter.
»Das mit Mike war ein Kinderspiel. Ein perverser Kinderschänder, der die Kruzifix-Morde zu einem Instrument Gottes überhöhte. Monatelang fütterte ich ihn mit Informationen, um ihn vorzubereiten. Ich gab ihm gerade genug, um überzeugend zu wirken, wenn er festgenommen würde. Ich wusste, dass er so weit war.« Sie zuckte mit den Schultern. »Dass er sogar gestehen würde, damit hatte ich nicht gerechnet, das war eine Gratisbeigabe. Und es brachte die Untersuchung zum Erliegen. Genau das, was ich brauchte«, sagte sie mit einem hinterhältigen Lachen. »Außerdem lieferte mir die Verhaftung eine Gelegenheit, mit jemand anderem auf meiner Liste abzurechnen. Einem der Hauptverantwortlichen für meine Qualen … deinem verfluchten, idiotischen Partner.«
In Hunters Augen trat auf einmal ein Ausdruck blanken Entsetzens.
»Oh, das habe ich ganz vergessen«, sagte sie mit einem eiskalten Lächeln. »Du wusstest bisher nicht, dass das auf mein Konto ging, nicht wahr?«
»Was ging auf dein Konto?«, fragte Hunter mit bebender Stimme.
»Diese kleine Bootsexplosion.«
Hunter spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte.
»Es hat mich nicht überrascht, dass du und dein Partner gleich nach dem Abschluss des Kruzifix-Killer-Falls Urlaub genommen habt. Stand euch schließlich zu nach so einer langen Untersuchung. Und so brauchte ich ihm nur zu folgen.« Sie hielt inne und sah zu, wie Hunter mit seinem Abscheu kämpfte. »Weißt du, sie haben mich sogar auf ihr Boot eingeladen. Darauf kann man sich immer verlassen: dass ein Polizist einem in der Not hilft, erst recht einer Frau. Nachdem ich an Bord war, war es ein Kinderspiel, sie umzubringen. Ich hab ihn gefesselt, genau wie dich jetzt, und dann habe ich ihn zusehen lassen. Ich ließ ihn zusehen, wie ich seiner Schlampe die Kehle aufschlitzte.« Sie fixierte Hunter einen Augenblick, um sich an seiner Qual zu weiden. »Und ja, ich wusste, dass sie deine einzige Cousine war. Das hat es nur noch reizvoller gemacht.«
Hunter verspürte eine würgende Übelkeit. Ein bitterer Geschmack stieg ihm aus dem Schlund empor.
»Er hat um ihr Leben gefleht. Er hat mir sogar seins im Austausch für ihres geboten. Das ultimative Liebesopfer. Aber was sollte ich damit? Sein Leben war sowieso schon in meiner Hand.« Eine kurze Stille folgte, bevor sie fortfuhr. »Sie starb langsam, und er heulte die ganze Zeit wie ein Baby. Ich habe ihn nicht gleich getötet, weißt du. Ich habe ihn noch ein paar Stunden leben lassen, damit er sich im Schmerz ihres Todes baden konnte. Danach brauchte ich nur noch ein paar Kanister Benzin von meinem Boot auf seines zu bringen, ein kleines Leck zu bohren, ein paar Zeitzünder zu setzen und dann … bumm! Das Feuer würde jegliche Spuren vernichten.«
Der genüssliche Ton in ihrer Stimme war geradezu arktisch.
»Aber das Beste danach war, mit anzusehen, wie du abgestürzt bist. Es war einfach herrlich. Nach ihrem Tod dachte ich, du würdest es tun – du würdest dir selbst eine Kugel durch den Kopf jagen. Du warst ziemlich nahe dran.«
Hunter brachte keine Entgegnung heraus.
»Doch dann hat man dir einen neuen Partner gegeben, und es sah so aus, als ob du wieder Tritt fassen würdest. Ich hatte noch immer zwei Opfer auf meiner Liste, von dir abgesehen, also dachte ich mir, es wäre an der Zeit, wieder mit unserem Spiel anzufangen.« Sie fuhr sich betont lässig mit der Hand durchs Haar. »An dich heranzukommen war nicht einfach. Ein Einzelgänger. Keine Frau, keine Freundin, keine Kinder, keine Geliebte und keine Familie. So habe ich Isabella erschaffen, die Schlampe, die dich in einer schummrigen Bar anmachen würde. Die dafür sorgen würde, dass du dich in sie verliebst.« Ihre Arroganz war maßlos.
»Kannst du dir eigentlich vorstellen, was es heißt, mit jemandem ins Bett zu gehen, den man verabscheut? Ihm zu erlauben, dich zu berühren, dich zu küssen?« Sie verzog angeekelt das Gesicht. »Jede Sekunde, die wir zusammen waren, ekelte mir vor dir. Jedes Mal, wenn du mich berührt hast, fühlte ich mich besudelt. Jedes Mal, nachdem du weg warst, habe ich mich stundenlang geduscht und mir die Haut geschrubbt, bis sie feuerrot und wund war.« Sie holte tief Luft, um sich unter Kontrolle zu bringen. »Du solltest dich in sie verlieben. Du solltest eigentlich für sie dein Leben riskieren. Sie sollte dir das Herz herausreißen, bevor sie dich töten würde. Siehst du die Ironie darin, Robert?«
Hunter erwiderte ihren Blick ungerührt.
»Aber du bist vor der Liebe davongerannt wie der Teufel vor dem Weihwasser«, fuhr sie mit ruhiger Stimme fort. »Du konntest ja nicht sehen, wie besonders sie war, stimmt’s? War sie dir nicht gut genug? Hast du es dir so zurechtgelegt? Dass der große Robert Hunter zu gut für die arme kleine, zerbrechliche Isabella ist? Das war es doch, nicht wahr?«, fragte sie mit gespielt traurigem Kinderstimmchen.
»Das war mein Fehler. Ich hätte mehr Zeit mit Isabella verbringen sollen.«
Brenda schaute Hunter eine Weile tief in die Augen. »Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte sie schließlich. »Du denkst, du hättest sie schon durchschaut, wenn du nur mehr Zeit mit ihr verbracht hättest.« Sie lachte. »Da muss ich dich enttäuschen, Robert. Selbst wenn du Monate mit ihr zusammen gewesen wärst, hättest du noch immer keine Ahnung. Isabella war perfekt. Ich habe sie perfekt erschaffen. Über ein Jahr habe ich an ihr gearbeitet, habe ihr Leben gelebt, bevor ich mich an dich herangemacht habe. Ich habe mir neue Gewohnheiten und neue Gesten zugelegt. Ich habe ganz bei null angefangen. Ein neues Leben. Eine neue Wohnung. Ein neuer Job. Alles neu. Sich psychisch ganz und gar in jemand anderen hineinzuversetzen – du weißt doch, was das ist, nicht wahr, Robert? Ich bin praktisch zwei verschiedene Personen geworden. Nichts hat mich mit Isabella verbunden.«
Hunter erkannte, dass sie recht hatte. Selbst Brendas Körpersprache und ihr Gang unterschieden sich vollkommen von Isabella.
»Du magst noch so gut sein, Robert, ein Hellseher bist du nicht. Du kannst nicht etwas sehen, was gar nicht da ist. Niemand kann das. Isabella hat nichts verraten. Keine Fehler, keine Ausrutscher. Wie ich schon sagte, ich habe sie perfekt erschaffen.« Sie ließ Hunter einen Moment Zeit, ihre Worte zu verdauen. Dann fuhr sie fort. »Jedenfalls, mir lief allmählich die Zeit davon. Ich musste meinen Plan ändern. Da du dich nicht in Isabella verliebt hattest, musste ich jemand anderen finden. Jemanden, für den du bereit warst, dein Leben zu riskieren. Jemanden, der dir am Herzen lag. Aber da ist ja niemand, nicht wahr, Robert? Die Person, die dir noch am nächsten stand, war dein neuer Partner. Und so fiel die Wahl auf ihn. Ich musste schnell handeln.«
Hunter dachte an Garcia, der im Koma lag. Sein einziger Fehler war gewesen, Hunter als Partner zugeteilt worden zu sein.
»Ich muss zugeben, ich hatte meine Zweifel. Ich hätte nicht gedacht, dass du dein Leben für seins riskieren würdest. Das hätte ich dir ehrlich nicht zugetraut. Ich hätte gedacht, dass du einfach weggehst und ihn allein dem Tod überlässt. Ich war mir sicher, du würdest deine Haut retten.« Sie schwieg einen Moment und zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Robert, der Märtyrer, was? Was für ein beschissener Witz.«
Brenda war so vollkommen anders als Isabella, dass es Hunter geradezu Angst machte. Er beobachtete sie einige Sekunden lang, analysierte ihre Bewegungen. Sie wurde immer erregter.
»Aber irgendwie hast du es geschafft, die Uhr gleich zweimal zu schlagen und deinen Partner zu retten. Eine reife Leistung. Aber hast du tatsächlich geglaubt, du könntest mich schlagen?«, fragte sie jetzt mit einem zur Grimasse verzerrten Grinsen, während sie sich zu Hunter herabbeugte und ihm direkt in die Augen schaute. »Mich schlägst du nie, Robert. Ich bin zu gut für dich. Ich bin intelligenter als du. Ich bin schneller als du. Und ich mache keine Fehler. Du bist mir nicht gewachsen. Mein Plan war perfekt. Ich bin perfekt.«
Hunter verlor sie aus den Augen, als sie um ihn herumging. Hinter seinem Rücken erklang das Geräusch zweier blanker, aneinandergewetzter Metallklingen, und Hunter stockte das Herz. Er wusste, ihm lief die Zeit davon. Sie machte sich bereit für ihren letzten Mord.