20
Hunters Shirt war klitschnass, als er um fünf Uhr morgens erneut aus einem grellen Alptraum erwachte.
Er setzte sich im Bett auf und atmete schwer. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und er zitterte am ganzen Körper. Wann würden diese Träume endlich aufhören? Seit Scotts Tod begleiteten sie ihn praktisch jede Nacht. Er wusste, dass er jetzt sowieso nicht mehr schlafen konnte, also stand er auf, ging ins Bad und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Sein Atem ging inzwischen wieder ruhiger, doch seine Hände zitterten noch immer. Sein Gesicht im Spiegel sah beunruhigend aus: Die Ringe unter den Augen schienen noch dunkler, die Haut noch bleicher als sonst.
Er ging in die Küche, blieb eine Weile im Dunkeln sitzen und hing seinen Sorgen nach. Sein Blick fiel auf die Pinnwand, und die Notiz, die er vor ein paar Tagen dort hingehängt hatte – Isabella.
Hunter hatte die Begegnung komplett vergessen. Er nahm den Zettel von der Wand und las ihn. Ohne dass er sich dessen bewusst war, breitete sich ein genüssliches Lächeln auf seinen Lippen aus. Einen flüchtigen Moment lang vergaß er den ganzen Kruzifix-Killer-Fall und dachte nur noch daran, wie sie ihn zum Lächeln gebracht hatte. Er erinnerte sich noch, wie er an jenem Morgen am liebsten sofort wieder zu ihr ins Bett gestiegen wäre.
Hunter holte das Handy aus seiner Jackentasche, speicherte ihre Nummer und programmierte einen Erinnerungsanruf an sich selbst um 12.30 Uhr.
Als Hunter um acht im Morddezernat eintraf, saß Garcia bereits an seinem Schreibtisch. Sie verbrachten den Vormittag damit, das Computerbild des Opfers an Modelund Schauspiel-Agenturen zu faxen und Informationen über D-King zu sammeln. Hunter wusste aus Erfahrung, dass man eine Befragung niemals unvorbereitet durchführen sollte, schon gar nicht, wenn es sich um einen selbsternannten König der Unterwelt handelte.
»O ja, sieht so aus, als ob wir es da mit einem ziemlich gerissenen Mistkerl zu tun haben«, sagte Garcia und hielt ein Fax hoch, das er eben erhalten hatte.
»War mir klar. Und was hast du?«
»Wie du schon sagtest, scheint unser Kerl mit praktisch allem zu dealen, was er in die Finger kriegt – Drogen, Waffen, Prostituierte, Diebesgut …« Garcia machte eine Geste mit der Hand, aus der hervorging, dass die Liste endlos war. »Und du hattest auch recht damit, dass er einem durch die Finger glitscht wie ein Aal. Er war schon ein paarmal vor Gericht …«
»Lass mich raten: jedes Mal Freispruch mangels Beweisen?«
»Ganz genau.«
»Wie zu erwarten war. Woher stammen diese Infos?«
»Vom Büro des Bezirksstaatsanwalts.«
»Und mehr haben die uns nicht geschickt?«, fragte Hunter mit gerunzelter Stirn.
»Nope.«
»Ruf noch mal an und frag nach der kompletten Akte. Die haben normalerweise ziemlich viel Material über die Leute, hinter denen sie her sind.«
»Bin schon dran.« Garcia suchte auf seinem Schreibtisch nach der Telefonnummer des Staatsanwaltsbüros. Vor einer Minute hatte er sie noch irgendwo gehabt.
Hunter spürte das Vibrieren seines Handys, noch bevor der Ton kam – »12.30 Uhr: Isabella anrufen«.
»Bin gleich zurück, muss nur mal schnell einen privaten Anruf machen.« Er ging auf den leeren Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich, während Garcia immer noch nach der Telefonnummer suchte.
Er holte die Nummer von Isabella auf das Display und wählte sie an. Es klingelte dreimal.
»Hallo?«
»Hi … Isabella?«
»Ja, hier ist Isabella.«
»Hallo, hier ist Robert. Robert Hunter.« Er konnte sich nicht erinnern, ob er ihr eigentlich seinen Namen gesagt hatte. »Wir haben uns am Wochenende in der Hideout Bar getroffen.«
»Jetzt, letztes Wochenende?« Sie klang unsicher.
»Ja, genau. Am Ende sind wir bei dir gelandet. Ich musste um drei Uhr nachts ziemlich plötzlich weg, erinnerst du dich?«
Sie lachte. »Ja, allerdings erinnere ich mich – der Typ mit der Teddybärunterwäsche, der mich für eine Nutte hielt, stimmt’s?«
Hunter verzog gequält das Gesicht, als hätte er sich eine Ohrfeige eingefangen. »Ja, genau der bin ich.«
»Rufst du an, um dich noch einmal zu entschuldigen?«, fragte sie halb lachend.
»Eigentlich wollte ich dich fragen, ob wir uns vielleicht mal wiedersehen. Zum Lunch oder zum Dinner.« Direkt zum Punkt zu kommen fiel Hunter wesentlich leichter.
»Na, das ist jetzt aber ein großer Schritt. Mich für eine Prostituierte zu halten und mitten in der Nacht abzuhauen und beim nächsten Mal gleich eine Essenseinladung. Was für eine Überraschung.«
»Ich bin ein Mann voller Überraschungen«, witzelte Hunter.
»Ach, tatsächlich?«
»Hör zu, ich habe mich wie ein Idiot benommen, und es tut mir leid. Ich war halb betrunken und noch halb im Schlaf, und so, wie du ausgesehen hast – das erschien mir einfach zu gut, um wahr zu sein.« Hunter biss sich auf die Lippe und hoffte, dass die Schmeichelei zog.
»War das jetzt ein Kompliment, oder soll das heißen, dass die einzig attraktiven Frauen, mit denen du ausgehst, Nutten sind?«
»Himmel, nein! Mensch, dieses Gespräch läuft ja total schief.« Hunter hörte sie lachen. »Wie wär’s, wenn wir einfach diese erste Nacht vergessen und noch mal von vorn anfangen?«
Ein paar Sekunden vergingen in Schweigen. »Okay«, sagte sie schließlich. »Sekunde mal.« Hunter hörte, wie irgendwelche Seiten umgeblättert wurden. »Ist einiges los bei mir in nächster Zeit, aber ein kurzer Lunch morgen Mittag ginge, wenn dir das passt.«
»Lunch morgen Mittag klingt prima«, sagte Hunter lässig. »Sagen wir ein Uhr?«
»Ja, perfekt.«
»Da deine Zeit anscheinend knapp bemessen ist, könnten wir uns ja in der Nähe deiner Arbeit treffen.«
»Sicher. Ich arbeite an der Uni. Isst du gern Italienisch?«
»Klar, Italienisch ist lecker.«
»Ich schätze, das kann man so sagen«, erwiderte sie mit belustigtem Unterton. »Es gibt einen tollen kleinen Italiener, das Pancetta, in der Weyburn Avenue, nur ein paar Blocks von der Uni. Treffen wir uns dort um eins?«
»Ich freu mich drauf.« Hunter steckte sein Handy in die Jackentasche. »Italienisch ist lecker?«, wiederholte er laut und schüttelte dazu den Kopf. »Was hab ich mir bloß dabei gedacht?«