59
Der Krankenwagen kam mit quietschenden Reifen vor dem Eingang zur Notaufnahme zum Stehen. Drei Schwestern standen bereit, um die Patienten in Empfang zu nehmen. Sie sahen mit entsetzten Mienen zu, wie die erste Trage herausgeschoben wurde. Ein halbnackter Mann mit einer Dornenkrone aus Stacheldraht auf dem Kopf war an ein lebensgroßes Holzkreuz genagelt. Aus seinen offenen Wunden lief Blut.
»Herr im Himmel …«, entfuhr es der Schwester, die als Erste bei der Trage war.
Der zweite Mann war über und über mit einer feinen grauen Staubschicht bedeckt, als wäre er unter den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes hervorgezogen worden.
»Ich bin okay, lasst mich in Ruhe. Kümmert euch um ihn«, schrie der zweite Patient. Hunter versuchte, sich aufzusetzen, wurde jedoch von den Sanitätern daran gehindert. »Nehmt eure Finger weg.«
»Sir, man kümmert sich bereits um Ihren Freund. Bitte beruhigen Sie sich. Sie müssen sich von einem Arzt untersuchen lassen. Es wird alles gut.«
Hunter beobachtete schweigend, wie die Schwestern mit Garcia durch die Doppeltüren am Ende des Korridors verschwanden.
Er schlug die Augen auf und versuchte zu verstehen, was vor sich ging. Ein paar Sekunden lang verschwamm alles, dann fielen ihm die weißen Wände auf. Alles drehte sich, und er hatte furchtbaren Durst.
»Sie sind wach, das ist gut«, sagte eine sanfte, beruhigende Frauenstimme.
Mit großer Mühe drehte er den Kopf in ihre Richtung. Eine kleine, mollige Schwester mit kurzen schwarzen Haaren blickte auf ihn herunter.
»Wie fühlen Sie sich?«
»Durstig.«
»Hier …« Sie goss Wasser aus einem Aluminiumkrug neben seinem Bett in eine Plastiktasse und reichte sie ihm. Hunter trank gierig, doch als das Wasser durch seine Kehle rann, brannte es heftig. Er verzog vor Schmerz das Gesicht.
»Alles in Ordnung?«, fragte die Schwester besorgt.
»Der Hals brennt«, flüsterte er schwach.
»Das ist normal. Ich werde jetzt Ihre Temperatur messen«, sagte sie und hielt ihm ein dünnes Thermometer vor den Mund.
»Ich habe kein Fieber«, wehrte Hunter ab und schob das Thermometer weg. Endlich fiel ihm wieder ein, wo er war und was passiert war. Er versuchte sich aufzusetzen, doch der Raum vollführte auf einmal einen Salto rückwärts.
»Wow!«
»Langsam, Sir«, mahnte die Schwester und legte ihm eine Hand auf die Brust. »Sie müssen sich ausruhen.«
»Das Einzige, was ich muss, ist so schnell wie möglich hier raus.«
»Später vielleicht. Jetzt müssen Sie sich erst einmal versorgen lassen.«
»Nein, hören Sie mir zu. Mein Freund … wie geht es ihm?«
»Welcher Freund?«
»Der, der an ein verdammtes Kreuz genagelt hier eingeliefert wurde. Ich glaube nicht, dass Sie den übersehen haben. Er sah aus wie Jesus Christus persönlich. Wissen Sie jetzt, wen ich meine? Hätte wohl für unsere Sünden sterben sollen.« Hunter versuchte erneut, sich aufzusetzen. Sein Schädel dröhnte.
Die Tür ging auf, und Captain Bolter streckte den Kopf herein. »Macht er Ihnen Schwierigkeiten?«
Die Schwester lächelte Captain Bolter mit strahlend weißen Zähnen an.
»Captain, wo ist Carlos? Wie geht es ihm?«
»Können Sie uns einen Moment allein lassen?«, fragte der Captain die Schwester und kam ins Zimmer.
Hunter wartete, bis sie weg war. »Hat er’s geschafft? Ich muss zu ihm«, sagte er. Er versuchte aufzustehen, sackte jedoch sofort wieder aufs Bett zurück.
»Sie gehen nirgendwohin«, wies ihn der Captain an.
»Nun reden Sie schon, Captain, lebt er?«
»Ja.«
»Und wie geht es ihm?«
»Carlos hat viel Blut verloren. Die Ärzte nennen das einen Blutverlust der Klasse IV. Als Folge sind Herz, Leber und Nieren stark geschwächt. Er hat eine Bluttransfusion erhalten, aber davon abgesehen kann man nicht viel für ihn tun. Wir müssen abwarten, ob er den Kampf aufnimmt.«
»Den Kampf aufnimmt?« In Hunters Stimme lag jetzt ein Zittern.
»Er ist stabil, aber immer noch nicht bei Bewusstsein. Die Ärzte reden zwar noch nicht von Koma, aber seine Körperfunktionen sind schwach … sehr schwach. Er liegt auf der Intensivstation.«
Hunter vergrub das Gesicht in den Händen.
»Carlos ist ein zäher Bursche, er wird das schaffen«, sagte der Captain zuversichtlich.
»Ich muss zu ihm.«
»Erst mal gehen Sie nirgendwohin. Was zum Henker ist passiert, Robert? Ich hätte beinahe zwei Detectives auf einen Schlag verloren und wusste noch nicht mal, was eigentlich vor sich ging.«
»Verdammt, Captain, was glauben Sie wohl, was passiert ist? Der Killer hat sich Carlos geschnappt«, entgegnete Hunter zornig.
»Aber warum? Will der Kerl jetzt in eine neue Liga aufsteigen und plötzlich zum Cop-Killer werden? Das ist doch überhaupt nicht sein Ding.«
»Ach ja? Wenn Sie das so genau wissen, Captain, dann sagen Sie mir doch bitte schön, was genau sein Ding ist.«
Captain Bolter wich Hunters Blick aus.
»Ich bin seit drei Jahren hinter diesem Killer her, und das Einzige, was ich weiß, ist, dass sein Ding darin besteht, Menschen bestialisch zu quälen und zu töten. Wen er tötet, scheint ihm so ziemlich scheißegal zu sein. Für ihn ist das alles ein Spiel, und Garcia war für ihn nur eine weitere Schachfigur«, sagte Hunter und gab sich alle Mühe, laut zu werden.
»Erzählen Sie mir in aller Kürze, was passiert ist«, befahl ihm der Captain mit ruhiger Stimme.
Hunter berichtete ihm sämtliche Einzelheiten, beginnend mit dem Anruf des Killers bis hin zu dem Augenblick, als er die Augen zugekniffen und auf die Explosion gewartet hatte.
»Warum haben Sie mich nicht angerufen? Warum haben Sie keine Verstärkung mitgenommen?«
»Weil der Killer sagte, keine Verstärkung. Ich hatte keine Lust, mit Carlos’ Leben zu pokern.«
»Das ergibt alles keinen Sinn. Wenn Sie ihn bei seinem Spiel geschlagen hatten, warum springt dann der Zündmechanismus erneut an?«
Hunter schüttelte den Kopf und starrte zu Boden.
»Er wollte, dass Sie beide umkommen. Ganz klar«, schloss Captain Bolter.
»Das glaube ich nicht.«
»Weshalb dann der zweite Zünder?«
»Wegen der Beweise.«
»Was?«
»Der Raum war voller Beweismaterial, Captain. Der Kassettenrekorder, der Käfig, der Sprengstoff, der Türmechanismus, der Rollstuhl. Wenn wir das alles in die Finger kriegen, finden wir irgendwo eine Spur. Da jagt er doch lieber das Ganze in die Luft.«
Der Miene des Captains war anzusehen, dass er nicht überzeugt war.
»Das Kreuz hat sich aus der Verankerung gelöst, als ob es geölt worden wäre«, fuhr Hunter fort. »Das war zu leicht. Die Menge an Sprengstoff reichte gerade aus, um den Kellerraum zu zerstören. Wir waren ja gerade mal einen Schritt von der Tür weg. Der Killer hätte so viel Sprengstoff verwenden können, dass der gesamte Keller einkracht, dann hätten wir keine Chance gehabt, zu entkommen. Der Zweck der Explosion bestand nicht darin, uns zu töten.«
»Also kennt sich der Killer auch mit Sprengstoff aus?«
»Zumindest ein wenig«, sagte Hunter nickend.
»Was soll das heißen, ›zumindest ein wenig‹?«
»Das war bestimmt keine besonders ausgefeilte Bombe, jedenfalls nicht auf dem technischen Niveau von Terroristen. Ja, eine gewisse Ahnung von Sprengstoffen musste der Killer schon haben, um das Ganze zusammenzubauen und den Zündmechanismus zu basteln, aber ein Experte muss man dafür nicht sein.«
»Und wo zum Teufel kriegt er den Sprengstoff her?«
»Wir leben hier in Amerika, Captain«, antwortete Hunter mit sarkastischem Lacher. »Das Land, in dem man mit Geld alles bekommen kann. Mit den richtigen Kontakten und barem Geld kriegen Sie hier eine Flugabwehrrakete, ganz zu schweigen von einer kleinen Menge Sprengstoff, um einen Raum in die Luft zu jagen. Und wenn der Killer ein bisschen Ahnung von Chemie hat, kann er sich das Zeug sogar aus ein paar leicht zu beschaffenden Chemikalien selbst zusammenbasteln.«
Der Captain schüttelte schweigend den Kopf. »Wir können den Fall nicht länger geheim halten, das wissen Sie, oder? Die Presse stürzt sich bereits auf das hier. Eine Explosion, ein lebendig gekreuzigter Detective. Das ist der reinste Zirkus da draußen, und wir sind die Clowns.«
Hunter wusste darauf nichts zu sagen. Inzwischen hatte das Zimmer aufgehört, sich dauernd zu drehen, so dass er erneut einen Aufstehversuch wagte. Als seine Füße den Boden berührten, stöhnte er vor Schmerzen. Seine neuen Schuhe hatten ihm gründlich die Füße wundgescheuert.
»Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass Sie jetzt irgendwo hingehen können?«, fragte der Captain.
»Ich muss Carlos sehen. Wo liegt er?«
Der Captain fuhr sich mit der Hand über den Schnauzbart und musterte Hunter mit scharfem Blick. »Wie ich schon sagte, auf der Intensivstation. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.«
Als er an dem kleinen Spiegel links an der Zimmerwand vorbeikam, blieb Hunter kurz stehen, um einen Blick auf sich zu werfen. Er sah aus wie der Tod. Sein müdes, bleiches Gesicht war mit Hunderten von winzigen Schnittwunden übersät, seine Augen blutunterlaufen. Seine Unterlippe war angeschwollen und entstellt. Ein getrockneter Blutpfropfen hing in seinem linken Mundwinkel. Er war an einem einzigen Nachmittag um zehn Jahre gealtert.
»Sie müssen Anna sein«, sagte Hunter, als er das L-förmige Zimmer der Intensivstation betrat.
Eine junge, nicht allzu große, schwarzhaarige Frau saß an Garcias Bett. Ihr Gesicht wirkte bleiern, die Augen waren verquollen vom Weinen.
»Und Sie sind wohl Robert?« Ihre Stimme klang leise und niedergeschlagen.
Hunter versuchte ein Lächeln, doch seine Wangenmuskeln gehorchten nicht. »Tut mir leid, dass wir uns so kennenlernen.« Er reichte ihr zitternd die Hand.
Sie schüttelte sie ganz sanft, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Schweigend schauten sie alle drei auf den bewusstlosen Garcia hinunter. Er lag flach unter einer dünnen Decke. Aus Mund, Nase und Armen hingen Schläuche, die sich durch das Bettgestell schlängelten und in zwei separate Maschinen mündeten. Hände und Kopf waren dick bandagiert und sein Gesicht voller Blutergüsse und Schnittwunden. Ein Herzmonitor in der Ecke des Raums piepte gleichmäßig vor sich hin. Der Anblick ließ Hunter frösteln.
Garcia wirkte beinahe friedlich, wie er so dalag, aber auch zerbrechlich. Hunter trat näher und berührte ihn sanft am Arm.
»Komm, Grünschnabel, du schaffst das. Ist doch eine Kleinigkeit für dich«, flüsterte er zärtlich. »Das Schlimmste ist überstanden. Wir haben es da rausgeschafft. Wir haben ihn geschlagen. Wir haben ihn bei seinem eigenen Spiel geschlagen … du und ich.«
Hunter ließ die Hand noch eine Weile auf Garcias Arm, bevor er sich wieder zu Anna umwandte. »Er ist stark, er wird das locker überstehen. Schläft sich wahrscheinlich nur mal eine Runde aus.«
Anna hatte keine Antwort darauf. Tränen liefen ihr über die Wangen. Hunter wandte sich wieder zu Garcia um. Er beugte sich tief über ihn, als suchte er nach etwas.
»Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Captain Bolter.
Hunter schüttelte den Kopf und drückte ihn neben Garcia aufs Kopfkissen. Ganz vorsichtig, um Garcia nicht zu stören, fuhr er ihm mit dem Finger über den Nacken.
»Kommen Sie, er braucht Ruhe, und Sie auch«, sagte der Captain und wandte sich zur Tür. Hunter wollte irgendetwas zu Anna sagen, doch er fand keine Worte. Also folgte er einfach dem Captain, und keiner sprach, bis sie wieder in Hunters Zimmer waren.
»Er hatte kein Zeichen«, sagte Hunter schließlich.
»Wie bitte?«
»Auf Carlos’ Nacken war kein Zeichen eingeritzt. Der Killer hat ihn nicht markiert.«
»Und was bedeutet das?«
»Das bedeutet, dass er nicht sterben sollte.«
»Dass er nicht sterben sollte? Aber Sie hätten auf den falschen Knopf drücken können.«
Hunter fiel keine Erwiderung darauf ein. Er versuchte nachzudenken, doch das Hämmern in seinem Kopf behinderte ihn. Er setzte sich aufs Bett, da sich erneut das Zimmer um ihn drehte.
»Sie müssen Matt und Doyle über den Fall ins Bild setzen«, sagte der Captain jetzt in die Stille hinein.
»Was? Wovon reden Sie?«
»Ich muss Sie von dem Fall abziehen, Robert, Sie kennen doch das Protokoll. Matt und Doyle übernehmen. Ich will, dass Sie die beiden über alles unterrichten, was Sie wissen und bisher haben.«
»Protokoll? Ich scheiß auf Ihr Protokoll. Was soll das, Captain? Das ist doch Schwachsinn –«
»Sie wissen, dass ich Sie nicht an diesem Fall weiterarbeiten lassen kann. Aus irgendeinem irrsinnigen Grund hat der Killer einen Narren an Ihnen gefressen. Er ruft Sie an. Nennt Sie beim Vornamen. Treibt Mord-Spielchen und Rätselraten mit Ihnen. Als Nächstes gehen Sie wahrscheinlich einen trinken mit ihm. Es sieht so aus, als ob er Sie inzwischen einfach zu gut kennt.«
»Genau, und wenn Sie mir jetzt den Fall entziehen, versetzt ihn das womöglich noch mehr in Rage. Weiß der Teufel, was er dann macht.«
»Das weiß so oder so nur der Teufel. Robert, wir haben absolut nichts über den Kerl, und das wissen Sie genau. Drei Jahre Untersuchung, und wir stehen noch immer mit leeren Händen da. Vielleicht sind zwei frische Köpfe genau das, was diese Untersuchung braucht.«
»Das Einzige, was diese Untersuchung braucht, ist, dass ich da weitermache, wo ich aufgehört habe. Wir sind dichter dran denn je, Captain. Carlos und ich waren auf der Spur zu etwas, das uns garantiert zu ihm führen wird.«
»Bestens, dann können Sie ja Matt und Doyle gleich über diese Spur unterrichten.«
»Das ist meine Untersuchung, meine und Garcias.«
»Ja, sind Sie noch bei Trost? Hat Ihnen die Explosion das Hirn weggeblasen?«, fragte der Captain geladen zurück. »Vielleicht darf ich Sie mal kurz an die Fakten erinnern, falls Sie die vergessen haben sollten. Carlos liegt im Halbkoma auf der Intensivstation. Er wurde lebendig gekreuzigt, Robert. Eine Stacheldrahtkrone wurde ihm so fest in den Schädel gebohrt, dass die Dornen am blanken Knochen gekratzt haben. Zwei fünfzehn Zentimeter lange Nägel gingen mitten durch seine Handflächen. Es wird einige Zeit dauern, bis er überhaupt wieder einen Stift in der Hand halten kann, geschweige denn eine Waffe. Und Ihnen als Psychologen brauche ich ja wohl nicht zu erläutern, welche Traumata er zu verarbeiten haben wird, bis er seinen Job wiederaufnehmen kann, falls es überhaupt je dazu kommt. Das war sein erster Fall.«
»Glauben Sie denn, das weiß ich nicht, Captain?«
»Sie haben im Augenblick keinen Partner. Ich habe niemanden, den ich Ihnen zuweisen kann, und selbst wenn ich jemanden hätte, würde ich es nicht tun. Nicht zu diesem Zeitpunkt.«
Hunter richtete den erhobenen Zeigefinger auf Captain Bolter. »Vor ein paar Tagen erst haben Sie mir gesagt, Sie würden nicht noch einmal denselben Fehler begehen wie bei dem John-Spencer-Fall. Sie haben gesagt, Sie hätten damals auf mich hören sollen, als ich sagte, dass er seine Frau nicht umgebracht hat. Sie haben gesagt, Sie hätten mir erlauben sollen, mit der Untersuchung fortzufahren …«
»Das hier ist nicht der John-Spencer-Fall, Robert«, fiel ihm der Captain ins Wort. »Wir haben nicht einen Unschuldigen in Haft, sondern wir haben überhaupt niemanden in Haft, und genau da liegt das Scheißproblem. Wir haben nur Leichen. Und die stapeln sich verdammt noch mal immer höher.«
»Sie machen wieder einen Fehler, Captain. Entziehen Sie mir nicht den Fall.«
Captain Bolter holte tief Luft und blickte entnervt zu Boden.
»Was zum Teufel ist denn los, Captain?«
»Hören Sie, Robert. Sie wissen, dass ich Ihrem Instinkt vertraue. Manchmal hätte ich ihm mehr vertrauen sollen, ich wünschte wirklich, ich hätte es getan. Sie haben eine Art sechsten Sinn in diesen Dingen, das gebe ich zu. Aber das Ganze liegt nicht mehr in meinen Händen.«
»Was soll das heißen?«
»Dass mir sämtliche Leute über mir die Hölle heiß machen, und zwar jeder einzelne höchstpersönlich, angefangen beim Polizeipräsidenten bis hin zum Bürgermeister. Die wollen Antworten, und ich habe keine. Die kontrollieren jetzt das Spiel, ich habe da nicht mehr viel zu melden. Das Ganze ist eskaliert. Die reden bereits davon, das FBI einzuschalten. Ich kann froh sein, wenn ich meinen Posten behalte.«
Hunter rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. »Mir den Fall zu entziehen ist ein Fehler.«
»Nun, es ist wahrscheinlich nicht der erste, den wir in dieser Untersuchung machen, oder?«
Plötzlich ging die Tür auf, und die mollige kleine Schwester kam wieder herein. »Meine Herren, das hier ist ein Krankenhaus und kein Lakers-Spiel. Vielleicht sollte ich Ihnen wieder ein Beruhigungsmittel geben«, sagte sie zu Hunter.
»Das glaube ich kaum«, erwiderte Hunter und sprang vom Bett auf. »Wo sind meine Kleider?«
»Sie müssen mindestens vierundzwanzig Stunden zur Kontrolle hierbleiben«, sagte die Schwester und trat einen Schritt näher.
»Das wird garantiert nicht passieren, meine Liebe, also bleiben Sie mir bitte vom Leib, und zeigen Sie mir, wo meine Klamotten sind.«
Sie sah hilfesuchend zu Captain Bolter auf, doch der sagte nichts. Schließlich deutete sie zögernd auf den schmalen Wandschrank neben der Tür. »Da drin.«
»Wir werden leiser sein«, sagte der Captain und machte eine Geste in Richtung Tür. Er wartete, bis die verärgerte Schwester gegangen war.
»Nehmen Sie sich eine Weile frei, Robert.«
»Was?«
»Sie brauchen eine Pause. Ich will, dass Sie sich freinehmen, sobald Sie Matt und Doyle ins Bild gesetzt haben.«
»Suspendieren Sie mich?«
»Nein, ich sagen Ihnen nur, dass Sie sich freinehmen sollen.«
»Sie brauchen mich bei diesem Fall, Captain.«
»Ich brauche Sie im Moment nur, um die zwei neuen Detectives einzuweisen. Danach nehmen Sie Urlaub. Und das ist jetzt keine Bitte, Robert. Legen Sie eine Pause ein, sehen Sie zu, dass Sie wieder fit werden, und vergessen Sie diesen Fall. Sie haben getan, was Sie konnten. Wenn Sie wieder zurück sind, reden wir darüber, wie es weitergeht.« Captain Bolter ging zur Tür und wandte sich dann noch einmal um. »Wenn ich Sie wäre, würde ich auf die Schwester hören. Ist vermutlich eine gute Idee, sicherheitshalber eine Nacht hierzubleiben.«
»Ist das noch ein Befehl?«, fragte Hunter sarkastisch und salutierte dazu.
»Nein, nur ein Vorschlag. Aber ich mache mir auch Sorgen.«
»Worüber?«
»Um Sie. Der Killer hat sich Carlos geholt. Sie könnten der Nächste sein.«
»Wenn der Killer gewollt hätte, dass ich tot bin, wäre ich es längst.«
»Vielleicht will er Sie jetzt tot sehen, deshalb die Sprengladung. Vielleicht ist er mit seinen Spielchen durch, und jetzt will er Sie.«
»Dann soll er mal kommen«, sagte Hunter trotzig.
»Ja, klar, Sie sind natürlich ein ganz Harter. Scheuen weder Tod noch Teufel. Ein richtiger Mann.«
Hunter wich dem Blick des Captains aus.
»Sie sind nicht Superman, Hunter. Was würden Sie denn tun, wenn der Killer Sie heute Nacht aufsucht? Irgendeine Wunderwaffe aus ihrem Super-Hunter-Gürtel ziehen?«
»Weshalb sollte er das tun?«
»Um den angefangenen Job zu Ende zu bringen.«
Hunter hatte keine Antwort parat. Er schaute auf seine nackten, wundgescheuerten Füße hinunter.
»Hören Sie, Robert. Ich weiß, wie fit Sie sind. Wenn ich eine Wette auf einen Kampf Mann gegen Mann abschließen müsste, würde ich weiß Gott auf Sie setzen, egal mit wem Sie es zu tun haben. Aber im Augenblick sind Sie nicht gerade in Topform … weder physisch noch mental. Wenn der Killer sich in den nächsten paar Tagen an Sie heranmacht, hat er einen leichten Stand.«
Hunter musste zugeben, dass der Captain in diesem Punkt nicht unrecht hatte. Ein unbehagliches Frösteln erfasste ihn.
»Denken Sie doch nach, Robert, seien Sie nicht dumm. Sie sind kein Übermensch. Bleiben Sie heute Nacht hier, wo jemand auf Sie aufpassen kann.«
»Ich brauche keinen Babysitter, Captain«, erwiderte er und trat ans Fenster.
Captain Bolter wusste, wie zwecklos es war, Robert Hunter von etwas überzeugen zu wollen, was ihm nicht passte. Er hatte es schon oft genug vergeblich versucht.
Hunter blickte auf den geschäftigen Parkplatz des Krankenhauses hinunter. »Was ist mit meinem Wagen?«
»Wurde ins Dezernat zurückgebracht. Wenn Sie wollen, bringe ich ihn morgen hier vorbei«, versuchte er es ein letztes Mal.
Hunter drehte sich zum Captain um. »Ich bleibe nicht hier, Captain. Ich nehme ihn auf dem Heimweg selbst mit.« Sein Ton war bestimmt.
»Wie Sie meinen. Ich geb’s auf, mit Ihnen reden zu wollen. Nehmen Sie sich morgen und übermorgen frei, dann brauche ich Sie, damit Sie Matt und Doyle über alles in Kenntnis setzen.« Damit ging er hinaus und ließ die Tür krachend hinter sich zufallen.